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9. Die Kinder des Schicksals

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Wie stellen Sie sich mich eigentlich vor?

Ich meine, bin ich für Sie gut aussehend oder doch eher hässlich? Bin ich blond oder brünett oder besitze ich überhaupt Haare? Wenn ja, wie lange sind sie dann? Bin ich eher mollig oder doch sportlich, klein oder groß?

Und wie lebe ich eigentlich?

Alleine? Mit Frau und Kindern? In einer Gemeinschaft?

Ich werde es Ihnen sagen.

Zunächst zum ersten: Sie können sich mein Aussehen nicht vorstellen, weil ich keines habe. Ich forme mein Erscheinungsbild, wie es mir beliebt, meistens von Figuren, die ich erdacht habe. Oder ich beschließe, mir mal eine ganz neue Gestaltung meines Äußeren einfallen zu lassen, die ich aber dann doch irgendwann eine meiner Protagonisten aneigne.

Momentan sehe ich Mephisto etwas ähnlich. Ich habe allerdings einen kurzen Haarschnitt, bin blond, trage ein weißes T-Shirt und eine weiße Hose. Noch dazu weiße Turnschuhe.

Ich wette, sie sind nun enttäuscht, dass ich keine ausgefallenere Erscheinung habe.

Doch das Äußere ist ein Trugschluss. Ich meine, können Sie sich sicher sein, dass ihre Augen das Gleiche sehen, wie diejenigen eines anderen. Es könnte doch sein, dass für Sie die Banane krumm ist, für einen Freund von Ihnen ist sie jedoch absolut kerzengerade, doch auch er definiert sie als bogenförmig.

Das ist möglich, wieso denn nicht?

Allerdings weiche ich vom Thema ab. Denn hier geht es besonders um meine zweite Fragenreihe.

Wie lebe ich?

Auch diesmal ist die Antwort absolut verwirrend und Ihrer Meinung nach vielleicht nichts sagend. Ich lebe alleine, mit Frau und Kindern und in einer Gemeinschaft.

Wie das geht, werde ich Ihnen ein andermal verraten, jetzt konzentriere ich mich auf den mittleren Teil meiner Antwort: Frau und Kinder.

Ich bin Vater von unzähligen Kindern. Das ist kein Witz! Ich kann Ihnen nicht einmal genau verraten, wie viele Kinder ich habe, denn sie gehen in die Tausende, Zehntausende, Hunderdtausende, Millionen…

Zuerst werde ich Ihnen verraten, wie viele Nachkommen ich in die Welt gesetzt habe – nämlich keine!

Ich kann mir wirklich gerade vorstellen, und dies erfüllt mich Heiterkeit, wie Sie entweder noch dem Drang widerstehen, dieses Buch in die nächste Ecke zu pfeffern, bei all dem Blödsinn, den ich hier von mir gebe. Oder Sie setzen gerade einfach nur den ungläubigsten aller Blicke auf. Natürlich kann ich mir auch sehr gut vorstellen, dass ich Ihnen tierisch auf die Nerven gehe und Sie sich denken: „Ui, wie toll, der will mich mal wieder verwirren.“ Aber nein, das will ich nicht. Es bleibt nur wieder bei der Definition Kind.

Ich habe keine gezeugt.

Aber ich weile unter lieb gewonnenen, kleinen Wesen, die mein Haus mit Leben erfüllen.

Denn da haben wir Furcht, der sich gerne unter dem Bett versteckt, wenn er nicht gerade von Bösartig hervorgezogen und von Wut verprügelt wird. Dann Sitzen neben mir meine kleinen Liebe, Neid und Interesse, die sich meine Geschichten ansehen und sie aufmerksam verfolgen. Liebe, weil sie meine Gefühle nicht verletzen will und ihr letztes Hemd für mich geben – ja – sich sogar für mich opfern würde; Neid, weil er immer auf ihren guten Draht zu mir eifersüchtig ist und Interesse, weil er meine Geschichten sehr interessant findet – wer hätte das gedacht?

Meine beiden Frauen und ich haben je ein Lieblingskind.

Fortuna mag Erleichterung am liebsten, weil sie oft über die Geschichte springt, wenn ihre Gabe des Glücks eine Situation gerettet hat. Am zweitliebsten mag sie dann Fröhlichkeit, die meistens folgt.

Miseria mag Verzweiflung am liebsten, weil sie das Kind am besten quälen kann! Danach kommen Unmut, Trostlosigkeit und Hass.

Meine Lieblinge sind Aufregung, Spontaneität und Überraschung, weil sie eine Geschichte am Leben erhalten.

Aber es ist trotz allem nicht leicht, all diesen Kindern in Zaum zu halten, weil sie alle bevorzugt behandelt werden und diejenigen sein wollen, die in meinen Erzählungen und erfundenen Welten am meisten wirken dürfen.

Außer Furcht, den ich immer erst suchen muss, wenn ich mal will, dass er sich mit einbringt.

Oder Zurückhaltung, der alle anderen erstmal vorlässt und selbst erst abwartet, was dann passiert. Oder auch Gleichgültigkeit, der sich gar nicht für meine Geschichten interessiert.

Dann haben wir noch ein paar Kinder, die sich von den Eigenschaften unterscheiden.

Wenn Frühling sich mal blicken lässt, wird mir immer ganz warm ums Herz, allerdings findet Miseria dann Nacht und Winter am besten, wobei Fortuna Morgenrot und Sommer bevorzugt.

Und wenn die Zeiten sich dann verziehen, erscheint des Öfteren Krieg bei mir und beschwert sich, dass es ihn so selten gibt, wobei ich ihn dann immer und immer wieder darauf hinweise, dass er wohl derjenige ist, der in fast jeder Geschichte vorkommt und das meist nicht nur einmal. Denn was könnte einen Helden in Geschichten heller erstrahlen lassen, als seinen heroischen Kampfgeist, der jedes Hindernis zu überwinden weiß. Und bei welchen Gelegenheiten kann man diesen sehr gut darstellen? Na klar, in einer alles entscheidenden, epischen Schlacht um Gut und Böse!

Ja, das sind unsere Kinder und sie spielen und zanken miteinander und immer wieder einmal schnappt man sich dann eines von ihnen und wirft es in seine Geschichten hinein. Meistens nicht die Eigenart, Zeit oder das Geschehnis, das man gerade anwenden wollte, aber eben zur Hand hat. Das hat dann zur Folge, dass die Geschichte sich irgendwann von selbst erzählt.

Ich hoffe, Sie habe diese kleine Anekdote so verstanden, wie ich sie Ihnen übermitteln wollte.

Wenn man es so sieht, sind dann natürlich meine anderen Kinder die Figuren einer jeden Geschichte. Demnach hätte ich dann schon bestimmt an die Milliarden. Ein geradezu erschreckender Gedanke. Wie soll ich das bloß meinem Kind Geiz erzählen, das mich immer wieder wütend anschreit, wenn ich es von seinen Lieblingsbruder Vermögen trennen muss, weil Scheidung und Alleinerziehend mich bei Unterhalt verpetzt haben?

Mephisto

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