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Prolog: „Neugestaltet umgeboren“

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Stefan George war zweifellos ein Mensch. Ebenso zweifellos war Stefan George ein ganz besonderer Mensch. Er war ein Mensch mit einer einmaligen charismatischen Ausstrahlung, die von nicht wenigen als so bezwingend empfunden wurde, dass die Begegnung mit ihm in ihrem Leben als Augenblick einer existenziellen Neugeburt Epoche machte.

In zahlreichen Briefen und Erinnerungsschriften haben diese Augenblicke der Wandlung eine Spur hinterlassen. Sie lesen sich wie Dokumente eines quasi religiösen Initiationserlebnisses. Ich lasse hier einige Beispiele chronologisch folgen. Manche wurden unmittelbar nach der Begegnung niedergeschrieben, andere aus fernem Rückblick. Sie stammen von Männern und Frauen, die dem George-Kreis angehörten oder ihm nahestanden. Auf die meisten werde ich noch zurückkommen.

Carl August Klein (Berlin, Oktober 1889): „In dem schmucklosen Hörsaal der Universität, da wo der Romanist Adolf Tobler las, trafen sich unsere Blicke, und sofort spannen sich zarte Fäden herüber und hinüber. […] Als Stefan George in jenem Hörsaal auf den unfertigen Studenten zutrat, legte dieser zaghaft und beklommen die Hand in die dargebotene Rechte. Nur eine Minute währte die Befangenheit. Ein Etwas, von dem ich mir noch nicht Rechenschaft zu geben wusste, quoll langsam in mir auf, weitete sich rätselhaft, hob sich jach empor und gestaltete sich zu wortloser Seligkeit. In anbetender Bewunderung verharrte ich, gebannt von der Macht eines Blickes, der aus nie geschauten Zonen von einem fernen schönen Sterne zu kommen schien. Ich stand vor ihm, dem die freigebige Gunst würdiger Wanderjahre edelsten Gehalt, vollste Reife verliehen hatte. Der Ring war geschlossen. […] Ich gestehe es ohne Scheu und Rückhalt: Eine seltsame Wandlung ging in mir vor. Auf dämmerte die Geburtstunde meiner Erweckung, der Befreiung aus den umklammernden Fesseln. Sie war da, die Stunde, der ich in dumpfer Unbewusstheit bang entgegengefiebert hatte. Mit freudigem Ungestüm streifte ich die Schalen lockeren und tollen Studententumes ab. Es war der Augenblick, in dem ich die Weihe empfing, die Weihe, die meinem ganzen Leben Form und Inhalt gab, die Richtung wies, […] denn vor mir stand, obschon jünger als ich, der, dessen Anspruch unbedingte Führung war. Und in mir wurde das Beste entbunden, das in einem Menschen schlummert, die hingebende stumme Treue, die nicht nach eignem Wohlergehen fragt.“

(CAK 11 – 15)

Sabine Lepsius (Berlin, Herbst 1896): „Als ich in mein Wohnzimmer trat, stand er schon dort: nie werde ich diesen ersten Eindruck vergessen, ich wusste sofort, dass ich einer überragenden, machtvollen Persönlichkeit gegenüberstand. […] Seine Blicke fern und doch auch liebenswürdig. Seine Sprache ohne laut zu sein von markiger Wucht. […] Sein Lachen, das sichere Erkennungszeichen für den Menschen, war sieghaft gewinnend und vom Schütteln der Mähne begleitet. […] Als der Besuch mich wieder verlassen hatte, stand ich so sehr unter dem Eindruck der Größe dieser Persönlichkeit, dass ich beschloss, mein Kind, das ich unter dem Herzen trug, Stefan zu nennen.“ (SL 12 – 14)

Arthur Salz (München, Februar 1902): „Furchtsam und doch voll Sehnsucht ging ich gestern zu Wolfskehl, ich errieth Ihre Andeutung und ich hatte Glück und als ein Gesegneter ging ich heim. – Ist es nötig, dass ich Ihnen meinen Eindruck schildere, vermöchte ich überhaupt zu sagen, welche heiligen Schauder mich in jenen Augenblicken durchzogen. Genug es einmal erlebt zu haben. – […] Zur Einheit und Einzigkeit des Werks der einheitliche und einzige Mensch. Was man sonst vom Göttlichen sagt: Wollen und Sein, hier ists eins, wir haben ein Spiegelbild dessen, was wir uns im transzendenten als das Höchste denken. Alles und jedes gewinnt Bedeutung: Haltung, Wort, Ausdruck, Kleidung.1

Berthold Vallentin (Berlin, Dezember 1902): „Ich bin heute bei Breysig mit Stefan George zusammengetroffen. […] Es ist das – als Augenblickliches – Krönung langer Wünsche und so schnelle und unvermutete Krönung, dass mir diese Krone fast zu schwer wird. Langer Traum ist jäh erfüllt. Ich war in der Gegenwart dieses herrlichen Menschen glücklich. Sein Blick, zumal wenn er lächelt, schreitet leicht und königlich und hält den deinen mit einer freigebigen Leutseligkeit fest. Er gibt von seinen innern Gnaden an dich. Und du wächst an ihm. Dies ist die Hoffnung für die Zukunft.“ (BV 16f.)

Ludwig Thormaehlen (Berlin, Februar 1909): „Auf mich hat Stefan George eine ungewöhnliche Wirkung ausgeübt. Nicht nur, dass ich die ganze Woche nichts anderes getan habe, als Verse zu lesen und von ihm zu schreiben, ich fühle mich verändert, was sich selbst im Körperlichen auswirkt. Ohne dass er die Hände mir auflegte und sprach: ‚Böser Geist, ich gebiete dir, fahre von ihm‘, ist er aus mir gewichen. Mit dem 1. Februar 1909 ist ein Strich gemacht und gesagt: so, das ist die Abrechnung. Mit dem, was hinter mir liegt, habe oder will ich nichts mehr zu tun haben. […] [I]ch [hatte] bei der ersten Begegnung mit dem Dichter den Eindruck einer gewaltigen, dämonischen, erd- und weltumwälzenden Naturkraft, die mit aller Leidenschaft sich der Zeit und dem Geschichtsgang in die Räder werfen will, sie in andere, neue Bahnen zu reißen.“ (LT 18 – 29)

Ernst Robert Curtius (Heidelberg, 30.5.1910) „Meister! Das Erlebnis des wunderbaren Abends durchzittert mich noch, und treibt mich, Ihnen aus tiefbewegtem Herzen zu danken. Sie wissen alles, ich kann Ihnen nichts sagen, das Sie nicht wüssten. Aber das kann mich nicht hindern, Ihnen zu sagen, dass jene Stunden für mich geweihte Stunden gewesen sind, die Frucht bringen werden. Dass Ihre Worte blitzartig weite dämmrige Strecken meiner geistigen Welt erhellt haben, dass sie mir auf allen berührten Gebieten eine zwingende, überzeugende Orientierung meines Denkens und Wollens gegeben haben, – das war eine Erfahrung, tief beglückend und bereichernd. Und doch habe ich noch gewaltigeres, noch erschütternderes in diesen Stunden erlebt: eine menschliche Wucht jenseits von allem Gesagten, eine seelische Macht, vor der ich mich in tiefer Demut beuge. Hier gibt es kein Bewundern, kein Danken mehr, nur noch Hingabe und Verehrung.“2

Edith Landmann (Basel, Januar 1913): „Eine neue Welt trat mit ihm in Erscheinung. Er war der schönste Mensch, den ich je gesehen, vielmehr, wie schön ein Mensch sein könne, wurde mir durch seine Erscheinung erst bewusst. Im ersten Augenblick, als er eintrat, sah er, noch nicht 45 Jahre alt, überraschend fahl und alt aus, überraschend wohl deshalb, weil Bewegung, Haltung, Züge, alles viel jünger war als Haar- und Gesichtsfarbe. Er sah aus, als wäre ein Reif über ihn hingegangen, der ihn einmal gebleicht habe, und wie einer mit einer Kugel im Leibe weiterlebt, so habe er darüber weg sein altes junges Leben weiter gelebt. Womöglich eindringlicher noch als die festen Formen des Kopfes wirkten die feinen Muskeln unter der Haut und die ungemeine Beweglichkeit der Züge. Im Gespräch spielten hundert zuckende Lichter über sie hin, und jedes Wort hatte im Spiel dieser feinsten Züge seine Resonanz, seine Ober- und Untertöne. Diese Sensibilität wirkte in einziger Weise zusammen mit dem Eindruck des durchaus Harten und Starken. Die Gestalt ist groß, schlank, aber in den Schultern breit und gedrungen. Der dominierende Eindruck war der von Leidenschaft, aber nicht so sehr, dass die Natur, sondern dass auch der einheitliche zusammenfassende Wille diese Leidenschaft hat. Senkte er im Nachdenken die Augenlider, so konnte sein Antlitz aussehen wie ein lebendes Golgatha. […] Warum soll ich mich heute scheuen zu wiederholen, was ich, nachdem ich George gesehen, […] schrieb: dass ich im Anblick Georges erfahren habe, was das ist, das Göttliche.“ (EL 18)

Edgar Salin (Heidelberg, Frühling 1913): „An einem heissen Frühlingsmittag des Jahres 1913 ging ein junger Student durch die Hauptstrasse der Stadt Heidelberg. Er hatte eben das Brunngässlein gekreuzt und beachtete, wie der gewohnte Strom der Gänger […] erschöpft durch die noch ungewohnte Hitze träg über das glühende Pflaster kroch. Als mit einem Mal die Müden sich zu raffen schienen: federnden Ganges, leichten Schrittes kam ein Einzelner des Weges, – alle wichen zur Seite, auf dass nichts seinen Gang hemme, und wie schwebend, wie beflügelt bog er um die Ecke, zum Wredeplatz hin. Der Betrachter stand erstarrt, auf den Fleck gebannt. Ein Hauch einer höheren Welt hatte ihn gestreift. Er wusste nicht mehr, was geschehen war, kaum wo er sich befand. War es ein Mensch gewesen, der durch die Menge schritt? Aber er unterschied sich von allen Menschen, die er durchwanderte, durch eine ungewusste Hoheit und durch eine spielende Kraft, so dass neben ihm alle Gänger wie blasse Larven, wie seellose Schemen wirkten. War es ein Gott, der das Gewühl zerteilt hatte und leichtfüssig zu andern Gestaden enteilt war? Aber er hatte Menschenkleidung getragen, wenn auch besondere: eine dünne gelbe Seidenjacke wehte um den schlanken Körper; ein grosser Hut sass seltsam leicht und fremd auf seinem Kopf und dichtes braunes Haar quoll darunter hervor. Und in der Hand wirbelte ein kleiner, dünner Stock, – war es der Stab des Merkur, war es eine menschliche Gerte? Und das Antlitz? Der Betrachter entsann sich nur undeutlich der einzelnen Züge; gemeisselt waren sie, und die Blässe der Wangen trug dazu bei, den Eindruck des Fremden, Statuenhaften, Göttlichen zu wecken. Und die Augen? Plötzlich wusste der Betrachter: es war ein Strahl dieser Augen, der ihn gebannt hatte, schnell wie ein Blitz war ein Blick zu ihm herüber geflogen, hatte ihn ins Innerste durchdrungen und war mit einem leichten flüchtigen Lächeln weitergewandert. Und nun stieg das Wissen auf: war es ein Mensch, dann – Stefan George.“ (ES 11f.)

Kurt Singer (Heidelberg, April 1916): „Darf ich, nach so viel Güte, mit der Sie mich stammelnden und verwirrten helfend angehört haben, bitten auch noch ein wort grenzenloser dankbarkeit sagen zu dürfen? Es ist aus seligkeit und qual gemischt – qual, nicht haben sagen zu können was mich zu Ihnen trieb, was mich von tag zu tag tiefer an Sie bindet, und wofür mir noch kein lösendes wort gegeben ist. Ich habe vom dienst gesprochen und davon, dass ich meine kräfte von Ihnen zu leben nehmen will. Das aber war es nicht allein. Es war die gewissheit dass mein wesen nur in Ihrer Lehre alle mitgeführten krusten und alles von außen bedingte abstossen und zu reiner gestalt und tat kommen kann. Es war der an Ihrem Werk entzündete glaube dass ich nur durch Sie die fülle des Zweiten Lebens und der Zweiten Form finden werde. Die Versenkung in Ihr bisher offenbartes Werk glaube ich so weit getrieben zu haben wie es einem menschen möglich ist, der nicht der weihen teilhaftig ist, auf die Ihr Wort hinweist. Im Schauer Ihrer Gegenwart glaube ich einen weiteren teil der Lehre empfangen zu haben. Denn ich darf sagen, dass ich die zu menschlicher Gestalt in Einem gesammelten Kräfte der Allgegenwart geschaut habe und in mir fortwirken fühle: als beseligung durch Ihre magische gegenwart und als pein des stachels. Ich wünschte Ihnen mit meinem ganzen Sein für dieses glück und für diesen stachel danken zu können, der mich Ihren künftigen Segnungen entgegentreibt. Ich will Sie nicht lassen, Herr.“3

Frank Mehnert (München, 1925): „Und als du dann vor ihm standest, glücklicher, und als die wirklichkeit in ihrer einfachheit und hoheit noch zwingender war als es der traum gezeigt hatte […], da fragtest du nicht mehr, seele, sondern du zittertest, denn du wusstest nun, dass alles seiende göttlich ist [und] du wusstest, wofür du leben wirst.“4

Es wäre eine Aufgabe für sich, eine Typologie der Beschreibungsmuster für die verwandelnde Kraft von Georges Charisma aus diesen Textpassagen zu destillieren. Die Zeugnisse dienen hier zunächst zur Illustration von Georges charismatischer Wirkung und mögen einen ersten Eindruck von der Stärke seiner Persönlichkeit vermitteln. Wer war dieser Mensch, der eine derartige körperlich und geistig bezwingende Präsenz besaß?

Stefan George

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