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Sprich: „Vergibt meine Schuld“

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Wieder einfach so, wieder nur ein Gottesname, eine Tätigkeits- und Berufsbezeichnung im Hauch – Schuldvergeber! Das ist jetzt die spirituelle Reifeprüfung, die Hürde, die man nehmen muss. Das ist die tiefe Einsicht, die tiefste für den, der immer wieder versucht hat, das, was geschehen ist und geschehen wird, immer anderen in die Schuhe zu schieben. Und wenn es da bei Gott nirgendwo mehr hinpasst, dann in gebrochener neurotischer Haltung sich dessen selber zu zeihen. Das Defizit der geseufzten Sehnsucht nach dem Ganzsein schiebt sich der Seufzende selbst zu. Verkehrte Welt! Doch mit dieser Schuld-Odyssee landet man früher oder später beim großen Schuldvergeber – auf den Lippen immer noch den Schmerz über ein verlorenes Kind oder ein verpfuschtes Leben. Wie bei Hiob. Und während man noch tritt nach einem Gott, der das alles zulassen konnte, kommt mitten in diesem existenziellen Gottesstreit die Erkenntnis, dass man sich narzisstisch als Regisseur des eigenen Schicksals bespiegelt hat, ohne Demut, sich allem unterwerfen zu wollen, was geschieht durch „Deine Macht regiert“ oder „Wie im Himmel, so auf Erden“ und „Dein Wille geschieht“.

Spürbar wird eine Gottesnähe, die sich selbst als Schuldigen vorstellt und erfahren lässt. Hier schlägt das Juden-Christentum das ganz neue Kapitel in der Geschichte der Spiritualität auf: Gott ist schuld, so definiert er sich! Und jeder, was immer er getan oder unterlassen hat, tritt unter dieselbe Sonne und befreit sich und den anderen von der Dunkelheit offenstehender Rechnungen. Persönliche Auferstehungen kündigen sich in der Morgenröte dieser neuen Spiritualität an. Es gibt gar keine Schuld. Es gibt nur Schmerzen! Das weiß die moderne Hirnforschung genauso wie aufgeklärte Juristen, die das Schuldprinzip längst infrage stellen. Wo es keine individuelle Schuld nachzuweisen gibt, muss ein anderer die Schuld übernehmen. Die Moralisten der sogenannten Aufklärung und Bürger-Theologen kommen da nicht mit. Schuld wird hier umgewandelt in Verantwortung, in die Fähigkeit also, auf etwas Schweres zu antworten.

Vergebung, das ist die höchste Qualität, die über das Animalische hinausgeht, sich über Naturgesetze hinwegsetzt. Die Conditio humana, über die kein Tier verfügt. Wenn schon Krone der Schöpfung, dann mit einem neuen Gottesbild, das die Einzelnen und ganze Kollektive nicht mehr in die Ecke stellt, zum Abschuss durch andere freigegeben. Richten ist etwas für Gottlose, die sich aus dem Gottesmangel selbst dazu erheben.

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