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Samstag, 03. Februar 2018

Jola

Nachdem sie zweimal gerammelt hatten wie die Wilden, fiel Jola in einen kurzen, aber tiefen Schlaf. Sie wusste nicht, ob sie von dem Lärm, der aus der Küche kam, munter wurde oder von dem lauten Knurren, das ihr Magen von sich gab.

Sie blinzelte ein paar Mal, ehe sie sich im Bett aufsetzte. Schon wieder war sie alleine. Aber da ein Höllenkrach aus der Küche kam, nahm sie mal an, dass Lennon versuchte, etwas Genießbares zuzubereiten. Mit langsamen Bewegungen, um ihre Schulter zu schonen, kroch sie aus dem Bett und zog sich etwas über. Im Schlafzimmer herrschten weiterhin eisige Temperaturen, also durchwühlte sie ihren Rucksack, bis sie auf einen dicken flauschigen Pullover stieß. Diesen zog sie sich über ihr T-Shirt und ging anschließend in die Küche, um zu sehen, was Lennon dort veranstaltete.

In der Tat war er gerade dabei, alle möglichen Zutaten auf einem Brett zu zerkleinern, wobei er etwas überfordert aussah. Die zusammengepressten Lippen sowie sein ständiges Kopfschütteln machten das sehr deutlich. Alle paar Sekunden entkam ihm zudem ein ungeduldiges Schnaufen. Jola musste ein Kichern unterdrücken, sie fand den Anblick amüsant, vor allem, weil Lennons Brille schief auf seiner Nase saß. Erschrocken fuhr er hoch und meinte: „Du schleichst dich vielleicht an! Hast du gut geschlafen?“

„Hm, war ganz okay. Sag mal, geht die Heizung im Schlafzimmer nicht oder was?“

„Keine Ahnung, vermutlich nicht.“

„Es ist saukalt da drin. Willst du, dass ich erfriere?“

„Natürlich will ich das nicht. Ich hatte bis jetzt nur keine Zeit, dass ich die Vermieterin mal anrufe.“

„Warum die Vermieterin? Die würde nicht mal dann in die Gänge kommen, wenn das ganze Haus abbrennen würde. Ruf doch einfach bei der Heizungsfirma an.“

„Mach ich am Montag.“

Sie stellte sich mit verschränkten Armen zu ihm und fragte: „Was machst du denn da Gutes?“

„Gutes? Erhoff dir mal nicht zu viel. Sollte so eine Kichererbsen-Pfanne werden. Mit Chili und Paprika.“

Obwohl sie schon über zwei Jahre zusammen waren, hatte sich Jola immer noch nicht daran gewöhnt, dass ihr Freund Veganer war. Sie hatte zwar nichts dagegen, aber an Tagen, an denen sie so verkatert war wie heute, wollte sie einfach nur eine heiße Leberkäsesemmel. Doch Lennon zuliebe verzichtete sie darauf, so war es für alle Beteiligten unkomplizierter, auch wenn er alles andere als ein guter Koch war. Es wurde gegessen, was auf den Tisch kam und somit war die Sache erledigt. Eigentlich aß sie nur noch tierische Produkte, wenn ihr Freund nicht dabei war. Ihre Fressattacken bekam sie dann meistens in der Arbeit.

„Soll ich dir helfen?“, fragte sie ihn. Nicht nur, weil er so überfordert aussah, sondern auch, damit sie wenigstens den Hauch einer Chance auf ein schmackhaftes Gericht hatten. Lennon begann unsicher zu lachen und schielte auf den Saustall, den er auf der Arbeitsfläche angerichtet hatte, was sie als Ja auffasste.

Etwa dreißig Minuten später saßen sie an dem winzigen Küchentisch und aßen gemeinsam die Kichererbsen-Pfanne. Es schmeckte gar nicht mal so übel, fand Jola, aber es gab Besseres.

Nachdem sie alles aufgegessen hatten, knurrte ihr Magen immer noch. Das lag nicht nur daran, dass es für Frühstück schon ziemlich spät war – nämlich knapp 17 Uhr. Von so einem Gemüsehaufen wurde sie einfach nicht satt, also suchte sie im Kühlschrank nach irgendetwas, das sie noch essen könnte. Tofu – nein danke! Quinoa-Laibchen – geht’s noch? Ein Sack Karotten – okay, aber kein Muss. Sojamilch – fast so schlimm wie Tofu! Schließlich entdeckte sie im obersten Regal eine Viererpackung mit veganem Pudding. Den fand sie ganz in Ordnung, also nahm sie sich gleich zwei Stück davon.

Als sie sich wieder an den Tisch setzte und den ersten öffnete, beobachtete Lennon jede ihrer Bewegungen. Wortlos gab sie ihm den zweiten Becher und holte einen Löffel für ihn. Lennon verschlang den Pudding ratzeputz und fragte: „Was machen wir heute noch?“

„Heute? Ich hatte eigentlich nur ans Bett gedacht.“

Und um ehrlich zu sein, an ihr eigenes. So sehr sie Lennon auch mochte, ihr eigenes Bett war ihr lieber … Ihre eigene Wohnung war ihr lieber als das hier. Wenn sie verkatert war, wollte sie in einer gemütlichen Umgebung sein – und vor allem in einem Schlafzimmer, in dem Plusgrade herrschten.

„Ans Bett? Da waren wir doch fast den ganzen Tag“, erwiderte Lennon überrascht. „Lass uns was unternehmen. Soll ich ein paar Leute anrufen?“

„Ich weiß nicht, ich bin ziemlich erledigt von gestern.“

„Ach, komm schon. Heute ist Samstag!“

„Na und?“

„Was Na und? Da gehen die Leute aus und haben Spaß!“

„Davon hatten wir gestern reichlich genug, denke ich.“

„Wenn du meinst. Ich frag dann mal Rainer, ob er was unternehmen will.“

Soll er doch. Wenn er unbedingt unter Leute wollte. Rainer war ein guter Kumpel von ihnen, sie hatte nichts dagegen, wenn Lennon sich ohne sie mit ihm traf.

Jola stand auf, um den Abwasch zu machen – Lennon besaß keinen Geschirrspüler – und ging anschließend ins Badezimmer. Nachdem sie geduscht hatte, wickelte sie sich ein Handtuch um und stieg aus der Kabine. In dem Moment platzte Lennon zur Tür herein und sorgte dafür, dass sie beinahe einen Herzanfall erlitt.

„Sorry, Babe. Ich wollte dich nicht erschrecken.“

„Ist … schon gut“, sagte Jola, ganz außer Atem. Ihr Herz hämmerte gegen die Brust. Lennon redete weiter: „Rainer meinte, er wartet um 19 Uhr im Illusion.“

Das Illusion war eine Bar im benachbarten Ort Kapfenberg, wo sie des Öfteren unterwegs waren.

„Ich würde mich dann bald auf den Weg machen.“

„In Ordnung.“

„Willst du mitkommen?“

Wollte sie nicht. Hatte sie nie gewollt. Zu sehr schmerzten die Erinnerungen an die Sache, die sich in der Nähe dieser Bar und der Mittelschule ereignet hatte. Aber sie kam jedes Mal aufs Neue mit. Weil sie nicht ewig trauern konnte. Und eine ganze Stadt deswegen zu ignorieren, war auch keine Lösung.

„Ich weiß nicht.“

„Nur auf einen Drink, bitte!“

„Okay.“

„Du bist die Beste.“ Er kam auf sie zu und drückte ihr einen dicken Kuss auf den Mund. Wie einfach es doch war, sie zu überreden. Wie einfach es für Lennon war.

Als er das Badezimmer verlassen hatte, betrachtete sie sich im Spiegel. Erst jetzt sah sie den blauen Fleck auf ihrem Jochbein. Sie drehte sich um, um ihre Schulter sehen zu können. Es war nichts zu erkennen, also konnte es nicht so schlimm sein. Keine hektischen Bewegungen machen, dann würde sich das Problem von selbst erledigen. Der dunkle Fleck unter ihrem Auge aber bereitete ihr Sorgen. Sie müsste sich nun schminken, wenn sie vor die Tür ging. Hoffentlich bekam sie das so hin, dass es nicht allzu auffällig wirkte. Was sollte sie sonst auf der Arbeit sagen? Tut mir leid, Helga, keine Ahnung, woher ich das habe. Das klang nicht glaubwürdig und vor allem würde es die Kunden abschrecken. Also her mit dem Make-up!

Lange brauchte sie trotzdem nicht, um sich fertigzumachen. Während sie sich schminkte und anzog, trockneten ihre kurzen Haare fast zur Gänze von selbst. Sie musste sie abschließend kurz durchfönen und zurechtzupfen, dann war sie startklar. Zumindest äußerlich. Innerlich war sie hundemüde und wäre am liebsten in ein warmes kuscheliges Bett gefallen.

Kurz vor 19 Uhr betrat sie mit Lennon die Bar, in der er sich mit Rainer verabredet hatte. Rainer war im Gegensatz zu ihrem Freund groß gewachsen und pummelig, ein richtiger Rainer eben. Zumindest konnte Jola sich diesen Vornamen nicht bei einem kleinen dürren Kerl vorstellen. Er hatte zwei Kinder – oder waren es drei? – und lebte alleine. Die Beziehungen mit seiner Exfreundin waren stets von kurzer Dauer gewesen, aber es hatte jedes Mal ausgereicht, um sie zu schwängern. Von Verhütung schienen die beiden nichts zu halten. Jola hatte seine Exfreundin niemals kennengelernt, wahrscheinlich trafen sie sich nur zum Vögeln. Diese Woche hatte er seine Kinder donnerstags und freitags, die kommende Woche samstags und sonntags.

Innerhalb weniger Sekunden hatte Lennon seinen Kumpel an der Bar entdeckt. Er steuerte direkt auf ihn zu und Jola folgte ihm. Sie begrüßten sich und Lennon bestellte gleich zwei Vodka-Tonic, was Jola gar nicht passte. Ein Bier hätte heute schon genügt, um sie auszuknocken.

„Du magst doch Vodka-Tonic, oder?“, fragte Lennon sie, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Da sie nicht zickig klingen wollte, antwortete sie: „Aber nur einen!“

„Das ist mein Mädchen.“ Er zog sie zu sich heran und küsste sie. Sie konnte ihm einfach nicht böse sein!

Aus dem einen Vodka-Tonic wurden ein Vodka-Tonic, ein Gin-Tonic und sechs Fläschchen Jägermeister – Rainer hatte an dem Abend die Jägermeister-Spendierhose an. Jola musste sich zusammenreißen, um nicht umzukippen. Sie lehnte sich an Lennons Schulter und nuschelte: „Ich glaube, ich gehe jetzt.“

„Was? Jetzt schon? Es ist gerade mal 20 Uhr vorbei!“

„Ich gehe.“

„Okay. Warte, ich begleite dich.“

Er wollte sie begleiten? Das überraschte sie, da er sich im Moment so gut mit Rainer unterhielt. Aber sie war froh darüber, nicht alleine mit dem Bus zu Lennon nach Hause fahren zu müssen. Zu sehr fürchtete sie sich vor einer unangenehmen Begegnung.

„Du bist sooo süß, Lennon“, schmachtete sie ihren Freund an und begann zu kichern wie eine Bekloppte. Was die beiden Männer neben ihr sagten, verstand sie nicht mehr, doch plötzlich griffen sie ihr unter die Arme und gingen mit ihr in die eisige Kälte hinaus. Sie musste aussehen wie eine Pennerin, nicht mal mehr alleine gehen konnte sie. Das Einzige, das sie noch konnte, war lachen. Sie kicherte vor sich hin und entschuldigte sich nicht einmal, als sie auf der Straße aus Versehen ein entgegenkommendes Paar anrempelten.

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