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Montag, 05. Februar 2018

David

Parallel zum gewöhnlichen Freizeichenton erklang im Hintergrund The less I know the better von Tame Impala. Warum seine Tochter Geld für so einen Schwachsinn ausgab, konnte sich David nicht erklären. Es war 18 Uhr und sein freier Tag, er hatte es sich auf der Couch bequem gemacht und spielte mit dem Gedanken, auch den Rest der Woche nicht mehr zur Arbeit zu gehen. Vielleicht sogar nie wieder. Das hatte er schon oft gesagt und noch öfter gedacht, aber im Endeffekt arbeitete er weiterhin bei der Polizei, obwohl es ihm schon lange keine Freude mehr bereitete. Am liebsten würde er einfach nur abhauen, sich irgendwo ein kleines Haus kaufen und …

Er schrak hoch, als Lord Schlotterhose auf seinen Schoß sprang. Er hielt weiter sein Smartphone ans Ohr und das Schreiben in der anderen Hand. Warum er es seit Tagen in der Wohnung mit sich rumtrug und anstarrte, konnte er sich selbst nicht erklären.

„Ja?“ Mehr hatte seine achtzehnjährige Tochter wohl nicht zu sagen, als sie das Gespräch entgegennahm.

„Hallo, Liebes, wie geht es dir?“, fragte David. Ein Schnauben war zu hören, ehe er eine Antwort darauf bekam: „Ja, ganz gut. Und dir?“

Es hörte sich nicht so an, als würde sie das wirklich interessieren, aber David war dankbar, dass sie trotzdem danach fragte. Sowie er für jedes Wort seiner Tochter dankbar war. Denn dass sie redete, war nicht selbstverständlich. Als Katja und er sich hatten scheiden lassen, redete sie plötzlich nicht mehr. Mit beiden nicht. Eine sehr lange Zeit nicht.

David antwortete: „Mir geht es auch gut, danke. Hat deine Mutter schon mit dir gesprochen?“

„Sie spricht jeden Tag mit mir, falls du das meinst.“

Ja, natürlich. Er beschloss, expliziter zu werden: „Ich meine, wegen Freitag.“

„Was ist am Freitag?“

„Ich habe mir gedacht, ich könnte dich von der Arbeit abholen. Wir könnten einen schönen Tag zusammen verbringen.“

„Hat Mama dich beauftragt?“

Beauftragt. Welch ein schönes Wort für eine Vater-Tochter-Beziehung. Aber ganz unrecht hatte Lena damit nicht. Wenn Katja nicht ihr Herz bei ihrem Exmann ausgeschüttet hätte, wäre er wohl nicht von selbst auf die Idee gekommen, sich ein Treffen mit seiner Tochter auszumachen.

„Hat sie oder hat sie nicht?“ Lenas wütende Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Hör zu, Liebes, …“

„Nenn mich nicht so!“

„Tut mir leid.“

„Warum meldest du dich nur, wenn sich Mama bei dir über mich beschwert?“

„Wie kommst du denn auf so etwas?“

„Wie ich … Wie ich darauf komme? Warum rufst du denn sonst an? Ich weiß, dass ihr samstags zusammen essen wart, ich bin doch nicht blöd!“

„Und was soll sie mir deiner Meinung nach erzählt haben?“

„Was weiß ich! Dass ich eine furchtbare Tochter bin!“

„Das hat sie nicht gesagt und das weißt du.“

Das Gespräch entwickelte sich nicht so, wie David es sich erhofft hatte.

„Hör zu, Lena“, begann er dieses Mal. „… Ich wollte einfach mal wieder einen netten Tag mit dir verbringen, warum ist das denn so schwer zu verstehen?“

„Na, weil du dich sonst nie meldest. Komischerweise rufst du nur an, nachdem du dich mit Mama getroffen hast. Oder wenn ich Geburtstag habe.“

„Und weißt du auch, warum?“ Nun wurde David laut. Er konnte es sich nicht mehr anhören. „Weil du mir das Gefühl gibst, ein Haufen Scheiße zu sein!“

Lena sagte kein Wort. Das nutzte er aus, um seinen Standpunkt zu erläutern: „Lena, ich bin dein Vater. Auch wenn ich nicht mehr mit deiner Mutter zusammen bin. Und ja, sie hat mich verlassen, damit du das mal ja nicht vergisst, Fräulein! Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns nie scheiden lassen und ich würde noch bei euch wohnen. Aber anscheinend bin ja ich der Bösewicht! Und dass ich mich selten melde, weiß ich und es tut mir leid! Aber ich will das ändern, wirklich! Du hingegen scheinst das nicht zu wollen. Du bist eine erwachsene Frau, also verhalte dich auch bitte so.“

„Ich … Ich …“

Es war lange her, dass David in so einem Ton mit seiner Tochter gesprochen hatte. Aber anscheinend war das nötig, denn nun hatte er das Gefühl, dass sie etwas bekam, was sie schon sehr lange nicht mehr gezeigt hatte: Respekt vor ihm.

„Ich hole dich am Freitag nach der Arbeit ab.“

„Okay … Ach ja, und Papa?“

„Ja?“

„Hast du die Flohschleuder noch?“

David lachte und sagte: „Ich werde sehen, dass ich ihn loswerde.“

Nach dem Telefonat war er überrascht, dass Lena dem Treffen zugesagt hatte. Lord Schlotterhose saß auf seinem Schoß und schaute ihn erwartungsvoll an.

„Dein Fressen steht in der Küche. Wenn dir das nicht schmeckt, ist das dein Problem“, sagte David zu ihm.

Vor etwa zehn Jahren bekam Lena Lord Schlotterhose von ihrer Tante väterlicherseits zu Weihnachten geschenkt. Katja und David waren anfangs dagegen gewesen, denn ein Haustier bedeutete in ihren Augen Verantwortung und Fürsorge. Ob ein Lebewesen für ihre achtjährige Tochter das Richtige war, bezweifelten sie ehrlich gesagt ein wenig, denn dass Lena mehrmals aus Versehen Dinge kaputt machte, war kein Geheimnis. Im Endeffekt ließen sie sich von Davids Schwester überreden: „Jetzt stellt euch mal nicht so an! Sie ist acht Jahre alt und wünscht sich von ganzem Herzen ein Kätzchen! Ich wäre bereit, ihr eines zu kaufen – mit allem, was dazugehört. Ihr müsstet euch nur ums Futter kümmern.“

Sie willigten ein, obwohl sie genau wussten, dass sie sich nicht nur ums Futter kümmern mussten. Das Tier gehörte geimpft, gechippt, kastriert und weiß Gott was noch alles. Aber sie taten es für ihre Tochter. Lenas Freude über das Kätzchen war riesig und dauerte sogar vier Jahre an. Vor sechs Jahren entschied sich ihr Körper zur Traurigkeit aller für eine Katzenhaarallergie. Das Tier musste weg. Lena wollte es zuerst nicht einsehen, aber ihre Atemnot und die juckenden Augen gaben ihr zu verstehen, dass es keinen anderen Ausweg gab. So kam Lord Schlotterhose schließlich zu Davids Schwester. Als sie im Jahr darauf von der Scheidung ihres Bruders erfahren hatte, machte sie ihm den Vorschlag, er solle Lord Schlotterhose doch zurückzunehmen. Als hätte man sich eben mal einen Staubsauger ausgeliehen! Das war ein Lebewesen, das konnte man doch nicht einfach hin- und herschieben wie es einem gerade passte! Aber Davids Schwester war nicht die Einzige, die ihm diese Möglichkeit ans Herz legte. Plötzlich fing Katja ebenfalls mit dem Schwachsinn an: „Das würde dir guttun. Dann wärst du nicht so alleine. Es würde jemand auf dich warten, wenn du abends nach Hause kämst.“

Für diese Aussage hätte er seiner Exfrau am liebsten eine geklebt. Eine Katze? Ausgerechnet eine Katze sollte sehnsüchtig auf ihn warten und sich freuen, wenn er nach Hause käme? Das glaubte sie wohl selbst nicht.

Letztendlich ließ er sich doch dazu überreden und ja, er war froh, Lord Schlotterhose um sich zu haben, obwohl es selten den Anschein machte, als würde er auf David warten. Ab und zu kam er auf ihn zugelaufen, wenn er nach Hause kam und auch jetzt wollte er gestreichelt werden, aber David bezeichnete es eher als Nebeneinander-Herleben und nicht als tiefe Zuneigung. Und nun musste er ihn loswerden. Zumindest am Freitag. Vielleicht würde ihn ja wieder seine Schwester nehmen, oder einer der Nachbarn. David müsste die Wohnung sauber machen, ehe er seine Tochter abholte, denn diese Katzenhaare verteilten sich überall. Langsam streichelte er Lord Schlotterhoses Kopf, was dem Tier ein Schnurren entlockte.

David sah auf den Zettel in seiner linken Hand und wusste nicht, ob das, was darauf geschrieben stand, jemals wahr werden würde. Dann legte er ihn zur Seite.

Einen Traum zu haben, war die eine Sache. Ihn sich zu erfüllen, eine andere. David stand auf und ging zu seiner Staffelei, die er in einer Ecke des Wohnzimmers aufgestellt hatte. Nach der Scheidung von Katja hatte er zu malen begonnen. Es gehörte zu den wenigen schönen Dingen in seinem Leben. Mit einem Lächeln auf den Lippen öffnete er die schwarze Acrylfarbe und ließ sich von seinen Gefühlen leiten. Er brauchte kein Modell, um etwas auf die Leinwand zu bringen. Seine Vorstellungskraft reichte vollkommen aus.

Das waren jene kostbaren Momente, in denen er ganz und gar in einer Traumwelt versinken konnte.

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