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Montag, 05. Februar 2018

Jola

Der Sonnenschein auf dem Nachhauseweg hatte getäuscht. Nachdem Jola um 12 Uhr die Trafik verlassen hatte, wurde sie von der beißenden Februarkälte überrascht. Bei der Heimfahrt schien die Sonne durch das Seitenfenster auf ihre Haut, das spürte sie aber kaum, denn selbst im Auto herrschten so eisige Temperaturen, dass man den eigenen Atem sehen konnte.

Als sie ihre Wohnung betrat, musste sie an das kalte Treppenhaus von heute Morgen denken. Und an … ihre Begegnung. Sie beschloss, sich mit Aufräumen und Putzen abzulenken.

Es war bereits 18 Uhr und Jola ging nervös in ihrer Wohnung auf und ab. Sie lag etwa fünfzehn Kilometer von Lennons entfernt. Er war bestimmt noch nicht zu Hause, also würde sie warten, bis er sie anrief. Lennon arbeitete als Tischler in einem Möbelhaus und es war keine Seltenheit, dass er Aufträge zugeteilt bekam, die erst am späten Nachmittag begannen. Jola konnte sich ihren Freund nicht beim Aufbau von teuren Designermöbeln vorstellen, da seine Wohnung ironischerweise mit alten, teilweise kaputten Gebrauchtmöbeln eingerichtet war. Letzte Woche erst erzählte er ihr wieder eines Abends: „Stell dir vor, heute mussten wir bei so einem Opa einen Esstisch für zwölf Personen aufbauen. Damit er Platz für seine Kinder und die Enkel hat, meinte er. Grässliches Teil. Aber ja, der alte Freak sah auch schon so aus, als wüsste er nicht, wohin mit dem Geld. Der blöde Tisch hatte mehr Schnickschnack als meine gesamte Küche!“

Vermutlich war er auch mehr wert.

Jola musste schmunzeln, als sie an Lennons Geschichte dachte. Das ließ sie für einen kurzen Moment den furchtbaren Zwischenfall von heute Morgen vergessen. Sie schrak hoch, als ihr Smartphone klingelte. Lennon. Sie hob ab. „Hey. Alles klar?“

„Natürlich doch, du wilde Maus.“ Er hatte stets die ausgefallensten Kosenamen für sie. „Ich bin gerade nach Hause gekommen.“

„Hattest du einen anstrengenden Tag?“

„Es war in Ordnung. Zuletzt mussten wir noch ein Badezimmer aufbauen. Hat über 3.000 Euro gekostet. Die Leute spinnen ja!“

Jola konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, obwohl ihr gar nicht nach Lachen zumute war. Lennon fragte: „Und wie war dein Tag? Ist was Spannendes passiert?“

Sollte sie es ihm sagen? Sie wusste es nicht. Sie könnte ihn fragen, ob er zu ihr kommen würde, so musste sie es wenigstens nicht am Telefon beichten.

„Ganz normal.“ Mehr brachte sie jedoch nicht heraus.

„Okay. Keine verrückten Kunden?“

Ihr fielen die beiden Männer vor der Trafik ein. „Nun ja, gleich morgens waren da so komische Typen. Sie standen vor der Trafik. Als ich dann auf sie zuging, fing einer zu lachen an und dann tuschelten sie miteinander.“

„Hast du sie gekannt?“

„Nein, glaube nicht. Ihre Gesichter waren von Schals und Mützen verdeckt. Dann sperrte ich auf und sie hauten ab.“

„Hm, komisch.“

„Sagte ich doch. Einfach nur komische Typen.“

Von den unbekannten Männern hatte sie ihm nun erzählt. Zeit, um über das eigentliche Thema zu sprechen: „Kannst du heute noch zu mir kommen?“

„Ich zu dir? Wieso denn das?“

Eine berechtigte Frage und doch hatte sie gehofft, sie nicht gestellt zu bekommen. In der Regel war es so, dass sie unter der Woche entweder getrennt oder bei Lennon schliefen, weil er kein Auto hatte. Es war für ihn umständlich, von Jolas Wohnung zur Arbeit zu gelangen. An den Wochenenden war es dann unterschiedlich. Aber sie wollte nicht zu Lennon, hatte Angst, ihm zu begegnen. Was sollte sie zu ihm sagen, nachdem sie ihn angefahren und danach einfach abgehauen war?

„Ich könnte dich abholen“, sagte sie anstelle einer Begründung.

„Aha.“ Lennons Tonfall klang skeptisch. „Und morgen? Wie soll ich zur Arbeit kommen?“

„Warte, ich schaue schnell nach, ob ein Bus um diese Uhrzeit fährt …“

„Hör auf mit dem Schwachsinn. Was ist los?“

„Was soll los sein? Ich möchte einfach, dass du bei mir bist.“

„Hast du überhaupt etwas zu essen für mich?“

Jola schluckte. Da er unter der Woche nie bei ihr war, kaufte sie auch nicht extra für ihn ein. Aber Gemüse hatte sie immer zu Hause, damit würde er sich bestimmt zufriedengeben. „Ich habe noch Salat und …“

„Ach, komm schon! Salat? Du weißt doch, dass ich Hülsenfrüchte brauche, wegen der Proteine!“

„Dann schau ich eben nach, was ich noch habe.“

Am anderen Ende der Leitung war ein Schnauben zu hören. Lennons Reaktion war gerechtfertigt.

„Komm zu mir, bevor wir alles verkomplizieren. So ist es am einfachsten.“

„Ich will aber nicht immer die einfachste Lösung nehmen.“

Das war ihr eben rausgerutscht. „Entschuldige, ich meine …“

„Weißt du was? Ruf mich einfach noch mal an, wenn du dich beruhigt hast und nicht mehr so zickig bist.“

Und da hatte Lennon aufgelegt. Einfach so. Jola starrte ihr Smartphone an. Sie wollte ihm ja die Wahrheit erzählen, nur nicht übers Telefon. Und noch weniger wollte sie zu ihm fahren, da er wahrscheinlich wieder im Innenhof oder im Treppenhaus herumlungerte. Seine Mutter hatte ihn offenbar nicht unter Kontrolle, aber der war ihr Sohn vermutlich egal.

Einmal hatte sie sie gesehen. Sie war alt – viel älter, als Jola gedacht hätte. Ihr Sohn war einundzwanzig, das hatte Lennon mal erwähnt – sah aber jünger aus. Bei seiner Mutter hingegen könnte man meinen, sie wäre nicht mehr weit von der Achtzig entfernt. Eine unsympathische Frau. Als Jola an einem Nachmittag Einkäufe in Lennons Wohnung schleppte, begegnete sie ihr und ihrem Sohn im Innenhof. Sie bemühte sich, nicht hinzusehen – was sie vermutlich auffällig unauffällig machte. Seine Mutter hatte das bemerkt und rief ihr zu: „Was glotzt du denn so?“

Dabei hatte sie gar nicht geglotzt, nicht einmal gespäht hatte sie! Sie hatte eingeschüchtert auf den Boden gesehen, aber das war vermutlich das falsche Verhalten. Jola schaute auf und entschuldigte sich kleinlaut.

„Hast du das gesehen? Hast du gesehen, wie die geguckt hat? Gabriel! Ich rede mit dir, Sohnemann! He! Bleib stehen, wenn ich mit dir rede!“, rief die Alte ihrem Jungen nach, der einige Meter vor ihr lief.

„Sch-sch-schuligung, Ma.“ Mehr gab er nicht von sich. Jolas Schritte wurden schneller und sie atmete erleichtert auf, als sie Lennons Wohnung betrat und die Tür geräuschvoll hinter sich schloss.

Die Erinnerungen an diesen Augenblick bereiteten Jola Bauchschmerzen und so legte sie sich im Wohnzimmer auf das Sofa und deckte sich mit ihrer Kuscheldecke zu – in der Hoffnung, dass die Schmerzen dadurch verschwinden würden. Das taten sie dann überraschenderweise auch – und schließlich brach die Müdigkeit über sie herein.

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