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Dienstag, 27. Februar 2018

David

Lena hatte sich seit ihrem letzten Treffen nur mehr dürftig gemeldet. Dabei war der Tag doch so gut verlaufen! David konnte es sich nicht erklären. Das Einzige, was sie ihn seitdem hatte wissen lassen, war die Tatsache, dass sie jetzt ein eigenes Auto hatte und superverliebt war. Ja, sie hatte wortwörtlich superverliebt gesagt. Dafür, dass sie ihm eigentlich ihren neuen Freund, diesen Jens, vorstellen wollte, ließ sie sich ganz schön lange Zeit.

Über zwei Wochen war dieses Treffen nun her. Und jedes Mal, wenn er seine Tochter anrief und fragte, wann sie sich wiedersehen könnten, meinte sie, dass sie sich melden werde. Er wurde einfach nicht schlau aus ihr. Aber er ließ ihr die Zeit, die sie glaubte, zu benötigen. Und eines Tages würde sie ihm Jens schon vorstellen. Hoffentlich nicht erst dann, wenn sie bereits schwanger war von diesem … diesem Kursbesucher.

Als sie an dem besagten Freitag im Papa Joe’s gewesen waren, hatte sich David plötzlich unwohl gefühlt. Er hatte einen Moment gebraucht, bis sich die innere Unruhe wieder gelegt hatte. Kurz hatte er sich gefragt, ob diese etwas mit seinen Träumen zu tun hatte, hatte den Gedanken aber gleich wieder verworfen. Als er sich beruhigt hatte, beschloss er, mit Lena in seine Wohnung zu fahren, da er Lord Schlotterhose an diesem Tag aus seinem Zuhause verbannt und sich beim Saubermachen der Wohnung große Mühe gegeben hatte. Dort hatten sich die beiden dann noch besser verstanden, am Abend hatten sie sogar gemeinsam eine Pasta gekocht. Ab und zu musste sich Lena die Nase putzen, aber sie war von Asthmaanfällen verschont geblieben.

Nach dem Abendessen setzte sie sich auf das Sofa und griff nach dem Schreiben, das David vergessen hatte, wegzuräumen. Noch bevor Lena es auseinanderfalten konnte, hatte er es ihr aus der Hand gerissen und gesagt: „Das ist nur eine Nachzahlung für die Heizung. Die willst du nicht sehen, sonst trifft dich der Schlag.“

Die Wahrheit wollte er ihr nicht sagen, sonst hätte er sich womöglich anhören können, dass er diese Entscheidung ein paar Jahre zu spät getroffen habe.

Hatte diese Situation dazu geführt, dass Lena sich wieder von ihm distanzierte? Er befürchtete, nur abwarten zu können, bis sie von sich aus wieder Interesse zeigte.

Heute konnte er die Zweisamkeit mit seinem Schreibtisch nicht genießen. Am Faschingsdienstag konnte man sich nicht einfach so vor der Arbeit drücken. Es war kurz vor 22 Uhr, als er eine Befragung mit einem Gewaltopfer durchführen musste.

Nachdem man die Frau in sein Büro gebracht hatte, fragte er sich, ob er sie schon mal gesehen hatte. Er konnte es schwer sagen, denn sie war verkleidet. In ihrem Gesicht erkannte er einige Kratzer und ihre Handflächen waren aufgeschürft.

„Ist er weg?“, fragte sie ängstlich Davids Kollegen, der sie hereingebracht hatte, als sie am anderen Ende des Tisches Platz nahm.

„Sie brauchen keine Angst mehr zu haben“, antwortete dieser. „Wir kümmern uns um ihn. Sie sind bei Herrn Ilmbrandt in besten Händen.“ Daraufhin verließ er das Büro.

Unsicher sah die Frau nun zu ihm. David deutete ein Lächeln an und versuchte so, vertrauensvoll auszusehen. Das gelang ihm anscheinend, denn sie lächelte zögerlich zurück. Dabei fiel ihm auf, wie schön diese Frau war. Ihre kurzen dunklen Haare schmeichelten ihrem schmalen Gesicht und ihre braunen Augen waren am Rand leicht nach oben gebogen.

Als David die Daten des Opfers aufnahm, klingelte es in seinem Kopf. Sein Blick war auf den Computerbildschirm gerichtet, er schielte etwas zur Seite und musterte die Frau unauffällig.

„Frau Kaufmann“, begann er. „So sieht man sich also wieder.“

Nun schien auch sein Gegenüber zu verstehen und senkte den Kopf. David hatte Jola Kaufmann diesen Winter schon zweimal bei Einsätzen befragt. Die Einunddreißigjährige – die in seiner Erinnerung eher das Verhalten einer Sechzehnjährigen aufwies – und ein paar andere Leute waren beide Male in Schlägereien verwickelt gewesen, bei der die Polizei zum Glück immer eintraf, bevor jemand krankenhausreif geprügelt wurde. Bei Jola Kaufmann stellte sich aber heraus, dass ihre Hiebe und Tritte stets Notwehr gewesen waren. So stand es zumindest in den Protokollen. Und nun war sie wieder hier. Beim Betrachten ihrer Daten fiel ihm auf, dass ihr Dienstgeber die Trafik in der Herzog-Ernst-Gasse war. Deshalb war ihm die hübsche Dunkelhaarige, bei der er letztens einen Lottoschein gekauft hatte, so bekannt vorgekommen. Er wandte sich ihr zu und bat mit ruhiger Stimme, zu schildern, was heute vorgefallen war.

„Was für ein beschissener Zufall“, krächzte sie und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. David reichte ihr ein Taschentuch, das sie zögerlich annahm. „Entschuldigen Sie die Kraftausdrücke.“

„Soweit ich mich erinnere, sind die bei Ihnen nichts Neues“, antwortete David, was ihr ein Schmunzeln entlockte. Sie begann zu erzählen: „Ich war heute bei der Faschingsparty am Hauptplatz.“

„Waren Sie dort alleine?“

„Ja. Ich habe ein paar Leute getroffen.“

„Wer waren diese Leute? Kannten Sie sie?“

„Rainer kannte ich.“

„Wie heißt dieser Rainer mit Nachnamen?“

„Flober.“

David notierte sich den Namen auf seinem Block.

„Als ich die Party verlassen hatte, ging ich heimwärts. Dann kam ich bei der Kirche vorbei und … und …“

„Bei der Stadtpfarrkirche?“

„Ja.“

„Wann war das ungefähr?“

„Vor einer Stunde würde ich sagen. Dann hörte ich plötzlich ein Geräusch hinter mir. Es war ein Rascheln oder so etwas in der Art. Und dann … dann wurde ich auch schon zu Boden gerissen. Ich konnte mich kurzzeitig befreien, nachdem man mir …“ Jola Kaufmanns Stimme versagte und sie schnäuzte ins Taschentuch. „Nachdem man mir … die Strumpfhose und den … den Slip runtergezogen hatte.“

David schaute auf die Schreibtischplatte, um sie nicht mit Blicken zu verunsichern. Er konnte sich vorstellen, dass es der Frau unangenehm war, ausgerechnet mit einem Mann darüber zu sprechen. Gerade wollte er ihr anbieten, dass er eine Kollegin holen könnte, damit diese sie weiter befragen würde. Doch sie erzählte weiter: „Dann bekam ich einen Schlag auf den Kopf und war für einen Moment weggetreten. Ich weiß nicht, was er in der Zwischenzeit mit mir gemacht hat, aber als ich wieder zu mir kam, erkannte ich Gabriel.“

David notierte sich auch diesen Namen und lehnte sich ein Stück weit nach vorne, als er fragte: „Haben Sie ihn vorher auch schon gesehen?“

„Wie meinen Sie das?“

„Sie sagten, Sie waren weggetreten. Es wäre möglich, dass Sie von jemand anderem überfallen wurden.“

„Was? Nein. Unmöglich“, antwortete sie und schüttelte dabei heftig den Kopf.

„Was ist mit diesem Rainer?“

„Was soll mit ihm sein?“

„Hätte er einen Grund für so eine Tat?“

Jola Kaufmann sah ihn verdutzt an. „Was soll diese Frage?“, schnauzte sie ihn an.

„Ich gehe nur die Möglichkeiten durch.“

„Was? Sie … Sie tun was? Sie gehen die Möglichkeiten durch? Ich habe den Täter doch gesehen! Es war Gabriel!“, fauchte sie David an, während sie mit dem Taschentuch herumwedelte.

„Sie haben diesen Gabriel also erkannt, als Sie wieder zu sich kamen?“

„Ja! Das sage ich doch die ganze Zeit!“

„Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?“

Ihre Stimme wurde mit jedem Wort lauter, als sie sagte: „Er war unheimlich! Er war … Er war … wie besessen!“

„Jetzt beruhigen Sie sich bitte ein bisschen.“

„Warum? Warum sollte ich mich beruhigen, verdammte Scheiße? Er hat mich überfallen und ich habe ihn identifiziert! Und nun stellen Sie das infrage?“ Jola Kaufmann war sichtlich verärgert und bekam rote Flecken im Gesicht.

„Was macht Sie so sicher, dass er derjenige war?“, fragte David ruhig und lehnte sich wieder zurück.

„Hören Sie mir nicht zu? Ich bin aufgewacht und habe seine Hand an meinem Körper gespürt!“

„Vielleicht wollte er nur helfen.“

„Mir helfen? Ja! Jetzt, wo Sie es sagen! Natürlich! Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?“

Eine Welle von Sarkasmus flutete den Raum. Jola Kaufmann schüttelte den Kopf und sagte mit aufgebrachter Stimme: „Ich möchte von jemand anderem befragt werden, bitte.“

David gab ein Seufzen von sich und stand langsam auf. Er ging um den Tisch herum Richtung Tür. Als er seine Hand auf die Klinke legte, hörte er hinter sich eine leise Stimme: „Er … Er berührte mich an den Knöcheln und bekam meinen Slip zu fassen.“

David hielt inne und setzte sich wieder auf seinen Bürostuhl. „Wollte er ihn Ihnen entreißen?“

„Ich weiß es nicht! Ich hatte keine Zeit, ihn danach zu fragen!“ Kaufmanns Stimme wurde wieder etwas lauter und sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Was geschah dann?“

„Ich trat ihm ins Gesicht.“

„Wieso?“

„Ihre Fragen ergeben keinen Sinn, Officer“, antwortete sie mit einer verstellten Stimme, so als wäre sie eine Darstellerin aus einer amerikanischen Krimiserie. David reagierte nicht darauf und sie sprach in normaler Tonlage weiter: „Weil ich nicht wollte, dass er mich begrapscht. Er hatte mich zuvor niedergeschlagen und meinen Unterleib entblößt! Was hätte ich denn tun sollen?“

„Und dass es Rainer Flober war, halten Sie für ausgeschlossen?“

Jola Kaufmann sah tatsächlich so aus, als würde sie kurzzeitig darüber nachdenken. Schließlich nickte sie zögerlich.

„War heute etwas vorgefallen bei der Party?“, fragte David.

„Nein. Wir haben uns nur kurz unterhalten.“

„Haben Sie sonst irgendjemanden gesehen, der Ihnen verdächtig vorkam?“

„Nein, nein und nein! Gabriel war es! Zum hundertsten Mal! Warum schreiben Sie das nicht in Ihren beschissenen Bericht?“

David ignorierte die Kraftausdrücke und sah auf das Schreiben, das ihm zuvor sein Kollege auf den Tisch gelegt hatte. Dann fixierte er sie mit einem strengen Blick und sagte: „Weil dieser Gabriel seine Unschuld beteuert.“

„Und das glauben Sie? Ich habe ihn doch gesehen!“

Nachdem Sie überfallen worden sind. Er hat ausgesagt, dass er Ihnen gefolgt sei, um Sie zu beschützen.“

„Aber es deutet doch alles auf ihn hin!“

„Wie meinen Sie das?“

Sie sagte mit etwas ruhigerer Stimme: „Ich glaube, er wollte sich an mir rächen.“

„Wofür?“

Nun schien Jola Kaufmann nervös zu werden. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und sah sich unsicher im Raum um. „Es gab da einen Vorfall. Ich … Ich … Oh Gott, das ist mir so peinlich und es tut mir so leid, aber ich habe mich doch schon entschuldigt. Ich weiß nicht, was er von mir will.“

Für David hörte es sich so an, als würde sie mit sich selbst reden, aber er entschied sich dafür, sie nicht zu unterbrechen.

„Ich habe … Ich habe ihn verletzt. Aus Versehen!“

Jetzt wurde es interessant. Jola Kaufmanns Blicke huschten quer durch das ganze Büro, sie redete mit tränenerstickter Stimme, ohne David ein einziges Mal anzusehen. Es war, als würde sie den Wänden und jedem Gegenstand im Raum ihre Verzweiflung zu erklären versuchen. „Ich wollte ja zur Polizei deswegen, wirklich! Aber ich war so eine feige Sau. Ich wollte das alles doch nicht. Das müssen Sie mir glauben!“

„Was haben Sie ihm denn getan?“

Sie wippte mit ihrem Oberkörper vor und zurück, dabei sprach sie weiter – wieder, ohne ihn anzusehen: „Ich habe ihn mit dem Auto angefahren.“

Davids Augen weiteten sich und er schrieb etwas auf seinen Block. „Dann hätte er wirklich ein Motiv für die Tat.“

Sie sah ihn nun direkt an und er glaubte, Erleichterung in ihrem Gesicht zu erkennen.

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