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5. Dizzy Atmosphere

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5. KAPITEL

DIZZY ATMOSPHERE

Im Januar und April 1949 war Miles Davis mit seinem revolutionären neuen Nonett im Studio und spielte für Capitol Kompositionen und Arrangements von Gil Evans, John Lewis und Gerry Mulligan ein. In mehreren Etappen entstand so das epochale Birth of the Cool-Material. Obwohl sich Stücke wie »Move« und »Boplicity« nur schlecht verkauften, übte die neue Musik großen Einfluss auf den sogenannten Cool oder West-Coast-Jazz aus. Der charismatische Trompeter wurde zum Wegbereiter des neuen Trends, den er später vehement kritisierte und dem er den raueren, stärker bluesbeeinflussten Hardbop entgegensetzte. Im Mai trat er mit dem Pianisten Tadd Dameron beim Paris International Jazz Festival auf, wo er der bildschönen Sängerin Juliette Greco und dem Philosophen Jean-Paul Sartre begegnete. Mit Juliette begann eine Liebesaffäre, die viele Jahre anhielt. In New York holte Miles die Realität eines Lebens als afroamerikanischer Künstler jedoch bald wieder ein; er fand kaum Jobs und geriet ans Heroin, als die Mafia die Ghettos mit billigen Drogen regelrecht überschwemmte. In Peekskill, New York, kam es zu Rassenunruhen, als der afroamerikanische Sänger Paul Robeson ein Konzert geben wollte - zuvor hatte er öffentlich erklärt, er halte es für undenkbar, dass Schwarze sich an einem Krieg gegen die Sowjetunion beteiligten.

Für Coltrane, der noch 1948 in der Band von Jimmy Heath aktiv war, wurde im September 1949 ein Wunschtraum wahr, als er für achtzehn Monate in Dizzy Gillespies Band spielen konnte. In dem neuen Job musste er allerdings wieder aufs Altsaxophon zurückgreifen, die erste Stimme im Saxophonsatz übernehmen und er durfte kaum ein Solo spielen. Dizzy kämpfte zu jener Zeit hartnäckig ums Überleben seiner grandiosen Bigband, deren Repertoire mit seinen stark kubanischen Einflüssen er allmählich auf ein deutlich kommerzielleres Niveau brachte. Der Bebop war eigentlich eine Musik für kleine Combos, Dizzys Schritt zur Bigband galt als mutige Pioniertat. Unglaublich - wie Diz seine Bigband dirigierte, indem er vor ihr tanzte! Um ein neues Publikum zu erreichen, hatte er den etwas albernen Sänger Joe Carroll engagiert. »'Round Midnight« und »A Night in Tunisia«, die Trane besonders mochte, blieben ein zentraler Teil des Repertoires und Gillespie erstaunte alle mit seinen Schnellfeuerattacken auf der Trompete, aber die seichtere Latinmusic und der Scat-gesang von Joe Carroll wirkten flach. Und Trane musste hart ran, viel vom Blatt spielen, was ihn auf die Dauer frustrierte.

Für seine Marathonübungen am Saxophon griff er zu den bei Klavierschülern verhassten Etüden Hanons und denen aus Carl Czernys (Horror-)-»Schule der Geläufigkeit«, und bis an die Grenzen des Spielbaren jagte er sein Horn stundenlang durch sämtliche Dur- und Mollskalen. Am 21. November 1949 fand eine Plattensession für Capitol in New York statt; auch mit dem Sänger Billy Valentine entstanden nach drei Jahren Funkstille einige obskure Platten. Das Ende des vermeintlichen Traumjobs bei Dizzy nahte, als dieser sich im Juni 1950 wegen finanzieller Probleme gezwungen sah, seinen Traum eines Orchesters für die nächsten Jahre zu begraben. Zwei Monate später war Diz auf Tour mit einer auf Combogröße geschrumpften Truppe, zu der John Coltrane und Jimmy Heath gehörten. Beide waren stark vom Heroin abhängig, ohne dass ihr Bandleader davon wusste; nahm Trane mal keinen Stoff, soff er wahllos Wein und Bier durcheinander und aß viel süßes Zeug, das seine ohnehin schlechten Zähne ruinierte (vielleicht sieht man ihn deshalb auf Fotos so selten lächeln?). Sein destruktiver Lebensstil kostete Trane fast die Karriere, bevor sie richtig begonnen hatte. Gillespie dämmerte irgendwann, was bei John und Jimmy ablief. Von seinen Mitspielern erwartete er die gleiche volle Leistung, die er sich selbst Abend für Abend abverlangte, doch Ende des Jahres brach diese Formation auseinander. Auf der Coltrane-Anthologie The Last Giant ist das Gillespie-Sextett mit John in »Good Groove« aus dem Birdland zu hören; zwar hat Tranes Tenorsolo in diesem Stück noch nicht seinen unverwechselbaren Sound, hebt sich aber bereits deutlich von den anderen spärlichen frühen Aufnahmen ab. Wie ein Schwarzweißfoto aus dem Entwicklerbad tritt hier erstmals, gleichsam aus dem Halbdunkel der Zeiten, der magische Coltrane-Sound hervor - eine Musik, »die man nicht bloß zur Kenntnis nehmen, sondern mit der man Zeit verbringen wollte«, wie Ben Ratliff schreibt.

1950 überfällt Nordkorea den Süden des Landes, was eine Intervention von US-Truppen zur Folge hat, bei der zum ersten Mal schwarze und weiße US-Soldaten nach der offiziellen Aufhebung der Rassentrennung in der US-Armee gleichberechtigt kämpfen ~ Der schwarze Schauspieler Sidney Poitier hat seinen Durchbruch in dem Film No Way Out unter der Regie von Joseph Mankie-wicz ~ Die afroamerikanische Lyrikerin Gwendolyn Brooks erhält den Pulitzer-Preis für ihren Gedichtband Annie Allen ~ Der Diplomat und Bürgerrechtler Ralph Bunche erhält als erster farbiger US-Bürger den Friedensnobelpreis ~

1951 gewinnt Miles Davis' Box-Idol Sugar Ray Robinson den Mittelgewichtstitel, worauf das Time-Magazin ihm eine Titelstory widmet ~

Bereits 1948 sollen sich Tranes und Miles' Wege nach einem Konzert von Charlie Parker kurz gekreuzt haben. Während eines letzten gemeinsamen Gastspiels mit Dizzy Gillespie im Birdland im Januar 1951, von einem Radiosender für die Nachwelt dokumentiert, schloss Trane Freundschaft mit Sonny Rollins, der für kurze Zeit im neuen Quintett von Miles Davis aktiv war. Im selben Monat war Sonny mit Miles im Studio, der sich damals infolge seiner Heroinsucht am Tiefpunkt seiner Karriere befand.

Was die Anfänge seiner Plattenkarriere betrifft, war Trane alles andere als ein Senkrechtstarter, sondern mehr ein late bloomer, ein Spätentwickler, der aus einem Kreis von vermutlich ebenso begabten Leuten heraustrat durch eine immense geistige Anstrengung sowie ein selbst auferlegtes, wahnwitziges Trainingspensum. Angefangen mit Louis Armstrong, Jahrgang 1901, waren alle großen Jazzmusiker ständig bemüht, das Ausdrucksspektrum auf ihren Instrumenten zu erweitern und die Grenzen des Spielbaren zu transzendieren; durch eigenes Erfinden und Experimentieren fanden sie Sounds, die in keinem Lehrbuch standen und nirgendwo gelehrt wurden. Das bahnte sich jetzt auch bei Coltrane an. Sein Job bei Dizzy Gillespie hatte aus ihm jedoch noch keinen gefeierten Newcomer gemacht. Dem französischen Journalisten Francois Postif machte er dieses Geständnis: »Ich blieb lange im Verborgenen, weil ich einfach spielte, was andere von mir erwarteten, ohne zu versuchen, dem etwas Originelles hinzuzufügen. Ich erlebte mit, wie so viele Kerle aus der Band gefeuert wurden, weil sie innovativ sein wollten, dass mich das etwas entmutigte, ihnen nachzueifern!« (Port, 88).

1952 veröffentlicht Ralph Ellison seinen epochalen Roman Invisible Man, eines der größten Werke der afroamerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts, für das er den National Book Award erhält ~ Chester Himes publiziert Cast the First Stone, einen Roman über eine Haftanstalt ~

Die nächste Etappe nach Dizzy Gillespie markierte ein kurzes Gastspiel in der R 'n' B-Band von Earl Bostic. Über diesen Saxophonisten und Entertainer sagte der Schlagzeuger Art Blakey: »Als Coltrane bei Bostic gespielt hat, lernte er eine ganze Menge von ihm, denn technisch gesehen wusste niemand so viel über das Saxophon wie Bostic, nicht mal Bird. Earl konnte dir von jedem Modell die Vorzüge und Nachteile aufzählen. Mit ihm zu arbeiten war, als besuche man eine Saxophonuniversität« (Thom, 52/5).

Im April 1952 begann Coltranes sechs- oder siebenmonatiges Engagement bei Bostic. Ihm fiel auf, welch fleißiger Arbeiter und guter Techniker sein neuer Boss war, wie geschickt er sich weit hinauf ins hohe Register seines Horns hocharbeiten konnte. Nach dem Engagement bei Bostic arbeitete er kurz bei der Showband von Gay Crosse, mit der er in Nashville ins Studio ging, um dann wieder ziellos zwei Jahre lang von einer Band zur anderen zu tingeln. Die meisten dieser Acts waren simple Showbands - wie etwa die Hep Cats, deren Gitarrist angeblich den »verlorenen Akkord« gefunden hatte und ständig einen einzigen Akkord spielte, zu dem alles passen musste, was die Band gerade abspulte, während seine Frau im Glitzerkostüm vor ihm tanzte.

1953 endet der Korea-Krieg mit der Teilung des Landes ~ James Baldwin veröffentlicht seinen ersten Roman Go Tell It on the Mountain und Richard Wright publiziert nach dreizehn Jahren wieder einen Roman, The Outsider ~ Miles Davis startet mit seinem Erfolgsalbum Walkin' für Prestige einen neuen Trend im Jazz, der Hardbop ist funky, deutlich aggressiver als der zahme Cool Jazz à la Chet Baker ~

Wenn es zutrifft, dass jede Epoche die folgende träumt, wie Michelet meinte, dann ist noch offenkundiger, dass jede Epoche in einer nostalgischen Sicht auf die vorangehende lebt. Walter Benjamin hat darauf hingewiesen, dass nicht nur jede Epoche die folgende träumt, sondern auch versuche, beim Träumen zu sich zu kommen. ~ ERIC HAZAN (DIE ERFINDUNG VON PARIS, 577)

Nach der Zeit bei Dizzy konnte Trane erneut ein Engagement bei einem Idol seiner Jugend ergattern. Der legendäre Ellington-Solist Johnny »Rabbit« Hodges hatte beschlossen, sich einen längeren Urlaub von Dukes Orchester zu genehmigen. Bis Hodges wie so viele Abtrünnige aus Dukes Orchester reumütig zu Ellington zurückkehrte, bekam Trane einen Platz in dessen neuer zehn- bis zwölfköpfiger Band. »Wir spielten ehrliche Musik in dieser Band. Es war meine Erziehung durch die ältere Generation« (DeVi, 42). Ein paar Wochen lang konnte er im März 1954 bekannte Sänger wie Billy Eckstine, Ruth Brown und The Clovers begleiten. Ihre gemeinsame Aufnahme vom Sommer 1954 enthält zwar kein Solo von Coltrane, den großen Stilisten aus nächster Nähe auf dem Bandstand zu erleben fand er jedoch aufregend. »Ich hatte wirklich Spaß an diesem Job. Jedes Stück im Repertoire dieser Band hab ich sehr geliebt. Nichts war oberflächlich. Alles hatte seine Bedeutung und es swingte. Und dann dieses Selbstvertrauen, mit dem Rabbit spielt; ich wünsche mir etwas davon für mein eigenes Spiel. Abgesehen von dem Spaß, den wir hatten, bekam ich auch Informationen aus erster Hand über eine Musik, die vor meiner Zeit lag« (Port, 94). Noch im Jahr 1961, als Trane bei einem Gastspiel in London gefragt wurde, wer sein Lieblingsmusiker sei, antwortete er, ohne zu zögern: »Johnny Hodges, the world's greatest saxophone player.« Der Kritiker Nat Hentoff zitiert ihn mit einem Satz über Hodges, der seine Bewunderung auf die kürzeste Formel brachte: »He still kills me.« Die Art, wie Johnny Hodges mit dem Orchester von Duke Ellington das berühmte »Warm Valley« spielte, lässt eine enge Verwandtschaft mit dem Sound erkennen, der Coltrane vorschwebte. Hodges' Altsaxophon gleitet mit seinen deep notes durch dieses »warme Tal«, das der große Porträtmaler und Womanizer Ellington vertonte - gleichsam ein jazziges Pendant zu Courbets berühmtem Skandalgemälde LOrigine du monde.

Wie schon bei Dizzy wurde Coltrane auch jetzt sein Drogenkonsum, mit dem er Schüchternheit und Lampenfieber zu kompensieren versuchte, zum Verhängnis. Bereits im September musste er sich nach einem neuen Job umsehen. Zu Hause in Philadelphia trat er mit einem Orgeltrio auf, Bill Carneys Hi-Tones, und egal wie betrunken er manchmal war, er konnte trotzdem feurig spielen und blieb sehr gefragt. Shirley Scott war die Organistin. »She swung me out of the place sometimes. Al Heath war an den Drums und wir hatten eine wunderbare Gruppe. Ich war der einzige Bläser und so konnte ich mich ausbreiten, auf dem Horn weiterkommen. Das war es, was ich wollte. In dieser Gruppe zu sein half mir sehr« (DeVi, 63). Um diese Zeit strandete der verschlossene und physisch geschwächte Coltrane in Los Angeles und begegnete dort Eric Dolphy. Der stets hilfsbereite, obwohl selber oft am Hungertuch nagende Dolphy lieh (oder besser gesagt schenkte) anderen Musikern oft Geld oder verschaffte ihnen Jobs. Eric bezahlte John die Rückfahrt zu seiner Mutter nach Philadelphia. Ein solcher Gefallen wird in Jazzerkreisen gewöhnlich mit der Einladung zu einem Gig oder einer Plattensession erwidert. Trane und Dolphy wurden Freunde fürs Leben und Eric einer der wichtigsten Begleiter seiner gesamten Karriere.

John Coltrane - Biografie

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