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1. Blame It on My Youth

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1. KAPITEL

BLAME IT ON MY YOUTH

John William Coltrane kam als einziges Kind von Alice Blair (1898 - 1977) und John R. Coltrane (1901 - 1939) am 23. September 1926 in Hamlet, North Carolina, zur Welt. Die Vorfahren seines Vaters waren Sklaven, die wie allgemein üblich den alten schottischen Namen ihres »Besitzers« Coltrane bekommen hatten. Noch heute leben mehr Coltranes in diesem US-Staat als in allen anderen zusammen und auch die Blairs sollen noch bis zu den Großeltern von Johns Mutter Sklaven gewesen sein. Alice war eine sehr religiöse Frau, nicht sehr gesprächig, groß und von dunklem Teint. Sie hatte sieben Geschwister, war eine ausgezeichnete Sängerin, zeigte lebhaftes Interesse an Oper und begleitete den Chor am Klavier, der bei den Gottesdiensten ihres Vaters Reverend William W. Blair sang. John erzählte: »Sie wäre gerne Konzertsängerin geworden. Aber ihr Vater war dagegen, dass junge Frauen vor ihrer Heirat das Elternhaus verlassen, also musste sie diesen Plan aufgeben« (DeVi, 37).

Um 1920 machten die Blairs Bekanntschaft mit den Coltranes, der Familie eines anderen Geistlichen der AME-(African Methodist Episcopal)-Zion-Kirche. Alice schloss Freundschaft mit John R. Coltrane, dessen Vater Pastor in Sanford, North Carolina, war, und 1925 heirateten die beiden. Ein Jahr später brachte Alice ihr einziges Kind zur Welt. Niemand aus seiner direkten Umgebung wäre auf den Gedanken gekommen, dass aus dem stillen und schüchternen Jungen einmal einer der großen Künstler des 20. Jahrhunderts würde. Der Vater hatte einen kleinen Schneiderladen, spielte nach Feierabend Ukulele und Violine und beide Eltern sangen viel. In jeder freien Minute griff sich »JR«, wie später sein Sohn John, irgendein Musikinstrument. Ein paar Monate nach der Geburt des Sohnes zogen die Coltranes mit der Blair-Familie von Hamlet, wo die Bürgersteige abrupt dort endeten, wo die Schwarzen lebten, ins nahe gelegene, größere High Point, das in den Zwanzigerjahren etwa 6000 Schwarze und 24 000 Weiße zählte. Dort wuchs ihr Kind in einer Familie auf, die weder wohlhabend noch in sehr ärmlichen Verhältnissen lebte. Die Schwarzen in High Point legten großen Wert auf Erziehung und waren sehr mit ihrem Glauben verbunden. Rassenkonflikte wie in den benachbarten Städten waren kaum bekannt. Trotzdem verlief eine deutliche Trennungslinie zwischen Schwarzen und Weißen, etwa in den öffentlichen Parks, wo die Brunnen für Afroamerikaner mit Colored (Farbige) markiert waren. Zeitweise lebten bei den Blairs acht Personen gemeinsam unter einem Dach. Alice und John liebten ihr Zuhause. Jeden Tag ging der kleine John mit seiner Mutter abends Hand in Hand in den Laden des Vaters, um ihm sein Abendessen zu bringen, und stundenlang hörten sie ihm danach zu, wenn er Countrysongs sang.

»Es fing damit an, dass ständig diese Musik um mich herum war. Wie jeder in diesem Land wächst du auf und hörst dauernd diese Musik und sie ist ein Teil von dir, vom Babyalter an, weil sie jeden Tag anders gespielt wird. Erst war es zufällig etwas, das mir gefiel. Bis mir klar wurde, dass ich etwas in mir hatte, das mich dazu befähigte, weißt du. Dann kams an den Punkt, wo ich mich fragte: ›Was bedeutet das? ‹ Sollte ich mich wirklich da hineinvertiefen und zeigen, was ich ehrlich empfinde? Es hat alles damit zu tun, wie ich Musik verstehe und was sie mir bedeutet. Sie ist meine einzige Ausdrucksform. Ich sage kaum meine Meinung zu anderen Dingen, meist stecke ich zu tief da drin. Zerbreche mir über nichts groß den Kopf, so bin ich eben, außer über Musik -und manchmal schwanke ich auch dabei. Musikalisch habe ich jedoch was zu sagen und werde es auch auf die Reihe kriegen und rauskommen und es tun. Ich weiß nicht, aber eines Tages werde ich die Antwort haben.«

Vor der Schulklasse stellte der stille, nachdenkliche Junge dem Lehrer gerne Fragen über Gott. Und sonntags in der Kirche erlebte er den Großvater vor der Gemeinde. Reverend Blair war zwar kein shouter wie die Baptistenprediger, doch sozial und politisch engagiert, »ziemlich radikal«. Vom Großvater mag John seine Passion für Bücher, vor allem über afroamerikanische Geschichte und Religion, geerbt haben. Viel Zeit verbrachte er mit seiner geliebten Cousine Mary, einem lebhaften Mädchen, das für ihn wie eine Schwester war; das berühmte Stück »Cousin Mary«, eine seiner schönsten Kompositionen, ist ihr gewidmet. Der Schüler zeigte früh eine überdurchschnittliche Begabung und als Zwölfjähriger bekam er eine Klarinette aus dem Pfandhaus geschenkt. 1939 gab es eine Band an der Schule, John wurde ihr Klarinettist und spielte auch Althorn. Schulfreunde berichteten, er habe Tag und Nacht geübt; es war ein vertrauter Klang, der vom Schulhof durch die geöffneten Fenster der Klassenzimmer drang: Aha, das ist John!

Dann wurde die relative Idylle in der Familie durch eine Serie von Todesfällen erschüttert. Eine Schwester seiner Mutter starb, wenige Monate nach ihr sein Großvater Reverend Blair und nur drei Wochen später erlag Johns Vater mit nur 38 Jahren einer Krebserkrankung. Das harmonische Band um die Großfamilie war plötzlich gerissen. John litt schwer unter den Verlusten und fiel in eine tiefe Krise. »Mein Vater starb, als ich um die zwölf Jahre alt war. Meine Mutter opferte sich sehr dafür auf, dass ich Musikunterricht bekam. Sie hat nie wieder geheiratet. Ich ging durch eine depressive Phase und hätte fast aufgegeben. Ich danke Gott, dass er mir die Kraft gab, mich da wieder herauszuziehen« (DeVi, 45 f.).

Alice sah sich gezwungen, Untermieter ins Haus zu nehmen, was der Junge nur schwer ertrug. Mit seinen schulischen Leistungen ging es rapide bergab; währenddessen vertiefte er sich mehr und mehr in die Musik. »Für eine Weile schien es so, als habe er nichts als sein Instrument«, erzählte ein Freund -eine Beobachtung, die sich geradezu leitmotivisch durch die gesamte Literatur über John Coltrane zieht. Sein intimes Verhältnis zur Musik - genauer zu einem Blasinstrument, das wie die Verlängerung der eigenen Stimme ist - blieb zeitlebens prägend.

Sie erinnerte sich noch, dass sie mit dem schweren John auf dem Arm die Trep pe hinaufgestiegen war und beim Eintreten von irgendwoher Musik gehört hatte, die sofort leiser wurde, als Florence die Tür hinter ihr zumachte. Auch John hatte die Musik gehört und er fing an zu zappeln, fuhr mit den Händen in der Luft herum und stieß Laute aus, die wohl ein Lied sein sollten. »Ich merk schon, du bist ein richtiger Nigger«, dachte sie amüsiert, aber auch gereizt -denn es war ein Grammophon, das in einem der unteren Stockwerke spielte, und es erfüllte das ganze Haus mit den getragenen, klagenden Tönen eines langsamen Blues.

Aus dem fernen Grammophon drang dann ein monotoner, durchdringender, kla gender, quälender Trompetenton; dieser unartikulierte, hässliche Laut füllte für einen Augenblick das ganze Zimmer. Sie sah auf John hinunter. Irgendeine Hand stieß gegen den Arm des Grammophons und die Stahlnadel setzte ihre Reise durch den Reigen der schwarzen Rillen fort, wie ein Stück schlingerndes Treibgut auf dem Meer . ~ JAMES BALDWIN (GEHE HIN UND VERKÜNDE ES VOM BERGE, 227 F./9)

Im Herbst 1940 tauschte John seine Klarinette gegen ein gebrauchtes Saxophon ein, ein Altsaxophon, obwohl er zu der Zeit besonders den Tenorsaxophonisten Lester Young bewunderte. Er abonnierte das Jazzmagazin Down Beat, das damals kaum über schwarze Musiker berichtete und »echten« Jazz vor allem als weiße Errungenschaft darstellte. »Weiße Bands dominierten die Leserpolls, obwohl Schwarze die Musik erschaffen hatten. Ein unbedeutendes Akkordeonduo bekam mehr Aufmerksamkeit als die wichtigen Experimente der schwarzen Bands von Kansas City«, schrieb der Coltrane-Biograf C. O. Simpkins (Simp, 12).

John gehörte zur selben Generation wie Dr. Martin Luther King, der schon als 17-Jähriger seine Stimme als Prediger erhob. Dem unzertrennlichen Kinderpaar John und Mary war die Rassentrennung ständig vor Augen, dafür brauchten sie nur auf die abgegriffenen Schulbücher und ihre Sportkleidung aus zweiter Hand zu schauen. Die Diskriminierung der Afroamerikaner zog sich wie eine tiefe Wunde durch sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens, die noch bis 1964 wirksamen Jim-Crow-Gesetze zur Rassentrennung betrafen das Schulsystem und die Trennung nach Hautfarben nicht nur in öffentlichen Bussen, sondern auch auf Bahnhöfen, in Bars und Restaurants, in Aufzügen und Toiletten. Der Trompeter Roy Eldridge, einer der ersten Afroamerikaner, die in weißen Bands spielten, war so angewidert von der ständigen Repression, dass er die Flucht ergriff und eine Zeit lang in Europa mit Hauptwohnsitz in Paris lebte. »Europa war wie frische Luft für uns«, sagte der Schlagzeuger Max Roach. Durch eine Reform »von oben« wurde Druck auf die Südstaaten ausgeübt, die seit Rosa Parks' legendärem »Montgomery Bus Boycott« Stück für Stück aufgehobene Segregation zu beseitigen. In den Südstaaten blieb sie jedoch bis weit in die Sechzigerjahre virulent und Afroamerikaner wurden weiter wie Bürger zweiter Klasse behandelt - auch wenn den schwarzen Bewohnern von High Point die schlimmsten Repressionen erspart blieben. Noch als international gefragter Künstler spielte John höchst ungern im Süden, weil es zu viele unangenehme Erinnerungen in ihm wachrief. Und nie wieder kehrt er in seinem späteren Leben nach High Point zurück.

In seiner Kindheit hatten die Wärme und Solidarität innerhalb der Community einen lebenswichtigen Schutz geboten, der ihn die plötzliche Armut psychisch ertragen ließ, in die die Familie abgeglitten war. Seine Mutter Alice ging wie viele aus dem Süden nordwärts und fand in Philadelphia Arbeit. Als er die Highschool beendet hatte, schrieb er seiner Mutter auf einer der seltenen Postkarten an sie: »Ich wünschte, ihr würdet alle wieder nach Hause kommen. Ich vermisse euch.« Nach der Highschool, kurz vor seinem 17. Geburtstag, zog John 1943 zu Alice nach Philly, Pennsylvania, wo er in der Campbell Soup Factory jobbte. An der Granoff School of Music, wo Coltrane 1944 Saxophonunterricht erhielt, wurde man auf sein Talent aufmerksam und förderte ihn; er galt als brillant und sehr sensibel, war bei den Mitschülern beliebt und verbrachte oft zehn, zwölf Stunden täglich dort. 1958 erzählte Trane während eines Dinners in Baltimore, ohne zu wissen, dass sein Freund August Blume das Gespräch aufzeichnete: »Um diese Zeit brach ich mit vielen Dingen. Ich stellte unter anderem auch infrage, was man in der Religion findet. Ich begann zu zweifeln. Als ich 22, 23 war, kam dieses Muslimding auf. Ich geriet damit in Kontakt. Und irgendwie hat mich das erschüttert. Viele meiner Freunde wurden Muslime. Ich dachte darüber nach und es führte mich zu etwas, über das ich mir noch nie richtig bewusst geworden war - weißt du, eine andere Religion. Das beschäftigte mich. Aber ich habe nie was daraus gemacht. Ich dachte nur nach. Damals war ich zu sehr mit anderen Dingen befasst und habs erst mal wieder vergessen« (DeVi, 12).

Sein Leben lang fühlte Trane sich besonders den Leuten verbunden, die aus North Carolina und aus Philadelphia stammten: Naima (seiner ersten Frau), Thelonious Monk, Jimmy Heath, McCoy Tyner und Dizzy Gillespie. In der »Stadt der brüderlichen Liebe«, die für ihn bereits eine nördliche war, nur i50 Kilometer südwestlich von New York, bekam er das Gefühl, endlich freier atmen zu können, und immer wieder holte er Musiker von dort in seine Band.

John Coltrane - Biografie

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