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1 Sprache und Sprachen – Ursprungsmythen

Die Sprache im Paradies

Sprache ist ein allen Menschen vertrautes Phänomen. Dennoch soll diese Erkundungsfahrt durch die Welt der Sprache bei ›Adam und Eva‹ beginnen – genauer gesagt: bei Adam. In der Bibel ist nämlich von der menschlichen Sprache dort zum erstenmal die Rede, wo Adam noch allein auf der Welt ist. Es handelt sich um die zweite Version des Schöpfungsberichts, in der Adam vor den Tieren geschaffen und Eva danach aus seiner Rippe gemacht wird:

Da machte Gott der Herr den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen. […]

Und Gott der Herr sprach: »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.« Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch jedes Tier nennen würde, so sollte es heißen. Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen ward keine Gehilfin gefunden, die um ihn wäre. Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen […]. (1. Mose 2, 4 und 18 – 21)


Adam schafft seine Sprache selbst

An diesem biblischen Mythos sind für uns zwei Dinge interessant:

Offenbar ist der Mensch von allem Anfang an mit Sprache ausgestattet, er kommt als sprachbegabtes Wesen in die Welt. Es ist ja nicht davon die Rede, dass Gott dem Menschen eigens die Sprache gibt. Er hat sie von vornherein, der »Odem des Lebens« impliziert Sprachfähigkeit. Noch viel bemerkenswerter ist Folgendes: Nach diesem Bericht erfindet sich Adam seine Sprache selbst, er schafft die Namen für die Tiere.

Die ›Ursprache‹

Man hat sich in früheren Jahrhunderten vielfach den Kopf darüber zerbrochen, mit welcher Sprache Adam eigentlich ausgestattet war, welches die ›Ursprache‹ ist, ob der erste Mensch Hebräisch, Aramäisch, Phönizisch oder was sonst für eine Sprache mit auf den Weg bekam. |►2| Im 16. Jahrhundert wurde gar die Auffassung vertreten, Adam habe Deutsch gesprochen.1

Bei all diesen Spekulationen ging man anscheinend von der Vorstellung aus, dass Gott dem ersten Menschen gleich ein großes Wörterbuch samt Grammatik in die Hand gedrückt – bzw. realistischer: ihm entsprechende Kenntnisse in den Kopf gelegt hat. Der Schöpfungsbericht stellt jedoch etwas anderes dar: Gott hat Adam die Sprache nicht in Form einer bestimmten Sprache mitgegeben, sondern als Sprache schlechthin. Er hat ihm die Fähigkeit gegeben, selbst sprachliche Ausdrücke zu erfinden.

Mit dieser Fähigkeit ausgestattet schuf Adam gewissermaßen die Welt noch einmal neu für sich nach, indem er die verschiedenen Dinge benannte, sie sprachlich in Besitz nahm. Damit war zugleich die notwendige Grundlage gegeben, dass er die Erde in Besitz nehmen, sie sich untertan machen konnte.

Der Turmbau zu Babel

Bekannter ist ein anderer biblischer Mythos von der Sprache, die Geschichte vom Turmbau zu Babel, wo die Menschen – längst aus dem Paradies vertrieben und zahlreich gemehrt, aber mit einer einzigen, allen gemeinsamen Sprache ausgestattet – in Hybris verfallen und einen Turm bauen wollen, »dessen Spitze bis an den Himmel reicht«, um ihre Macht und Stärke zu bezeugen. Angesichts dieser Vermessenheit beschließt Gott:

Ich will herabfahren und ihre Sprache verwirren, dass keiner mehr den andern versteht. Und Gott stieg herab und verwirrte ihre Sprache und zerstreute die Menschen von dort über die ganze Erde, dass sie aufhören mussten ihre Stadt zu bauen. (1. Mose 11, 7 – 8)

Der Schöpfungsbericht, der die Sprache als etwas darstellt, was vom Menschen nicht wegzudenken ist, entspricht einer Auffassung, die wir auch heute noch teilen. Die Geschichte von der babylonischen Sprachverwirrung passt dagegen weder zu dieser Vorstellung von Adams ›angeborener‹ Sprachfähigkeit noch zu unseren heutigen Erkenntnissen über die menschliche Sprache. Was wir über Sprache, Sprachen und Menschen mit verschiedenen Sprachen wissen, lässt sich mit diesem Bericht kaum vereinbaren. Zur Ehrenrettung der mosaischen Schriften sei hinzugefügt, dass dort auch die uns selbstverständliche Annahme begegnet, mit der Erfüllung des göttlichen Auftrags Seid fruchtbar und mehret euch sei Sprachenvielfalt verbunden. Unmittelbar vor der Geschichte vom Turmbau zu Babel wird nämlich von Noahs drei Söhnen und ihren Nachkommen berichtet und am Ende heißt es jeweils: Das sind die Söhne Japheths [bzw. Hams, Sems] nach ihren Geschlechtern, Sprachen, Ländern und Völkern.

Sprachenvielfalt

Führen wir uns diese ›natürliche Sprachenvielfalt‹ etwas genauer vor Augen und legen wir zunächst die biblische Darstellung zugrunde. |2◄ ►3| Gott zerstreute also die Menschen über die ganze Erde, indem er ihre Sprache verwirrte, also die Sprachverschiedenheit und Sprachenvielfalt einführte. Sprachenvielfalt ist nun etwas, was seit den frühesten historischen Zeugnissen der Menschheitsgeschichte das Übliche ist. Was aber haben die Menschen in diesem Sprachenwirrwarr gemacht? Keine Türme mehr gebaut, die bis an den Himmel reichen? Die Skyline von New York lässt uns daran zweifeln. Haben zumindest die in verschiedene Erdteile zerstreuten Menschen aufgehört, miteinander zu sprechen? Keineswegs, sie haben zum Beispiel die Telekommunikation erfunden und können sich heute auch miteinander unterhalten, wenn sie sich an ganz verschiedenen Orten dieser Welt befinden. Für solche Projekte, die u.a. die Erfindung, Installierung und den Gebrauch von Satelliten voraussetzen, bedarf es internationaler Kooperation. Das heißt aber nichts anderes, als dass die Menschen all dies unter den Bedingungen realer Sprachenvielfalt zustande gebracht haben. Das Mindeste, was man angesichts dessen sagen muss: Die babylonische Sprachverwirrung war offenbar kein sehr effizientes Mittel, den Menschen ihren Übermut auszutreiben!

Führen wir uns einmal vor Augen, was tatsächlich geschieht, wenn Menschen sich in einer Situation des Sprachenwirrwarrs befinden und keiner den anderen versteht. In dieser Situation gibt es mehrere Möglichkeiten. Entweder die Sprecher verschiedener Sprachen bringen sich gegenseitig ihre Sprachen bei und lernen also mehrere. Oder – die menschliche Gesellschaft zeichnet sich ja durch Arbeitsteilung aus – sie beauftragen einige ihrer Mitglieder damit, andere Sprachen zu lernen und lassen sich alles übersetzen. Wenn sie für beides keine Zeit oder kein Geld haben, können sie schlimmstenfalls auch noch etwas anderes tun: Wenn es nämlich keine gemeinsame Sprache gibt, dann kann man sich zur Not eine erfinden.

Pidgins und Kreolsprachen

Tatsächlich haben wir historische Beispiele für Verhältnisse, die denen von Babel zum Verwechseln ähnlich sind, Situationen nämlich, in denen Sprecher unterschiedlichster Sprachgemeinschaften zusammentreffen und miteinander kommunizieren wollen oder müssen. Dies gilt z.B. für die Kolonialländer. Gewiss: Oft haben die Mächtigen einfach ihre Sprache durchgesetzt und die Urbevölkerung ausgerottet oder zum Erlernen der eigenen Sprache gezwungen. In anderen Fällen aber ist tatsächlich eine neue Sprache, eine Mischsprache entstanden, zu der sehr viele Einzelsprachen und Dialekte beigetragen haben. Solche Sprachen nennt man Pidgins. Dieser Ausdruck geht wahrscheinlich auf eine chinesisch gefärbte Aussprache des englischen Wortes business zurück, und business war in der Tat die Grundlage für diese Sprachmischungen. Sie entstanden in den Handels- und Verwaltungszentren der Kolonisatoren, in denen eine Vielzahl von Einheimischen aus der näheren und weiteren Umgebung zusammenkamen, die weder untereinander|3◄ ►4| über ein gemeinsames Kommunikationsmittel verfügten noch die Sprache der Kolonisatoren beherrschten, aber gezwungen waren, sich mit diesen und untereinander wenigstens rudimentär zu verständigen. Und offenbar ermöglichte ihre angeborene Sprachfähigkeit es ihnen, die Lücke zu füllen und eine Mischsprache auszubilden. Sie weist zwar einen stark reduzierten Wortschatz und vereinfachte lautliche und grammatische Strukturen auf, reicht aber aus, um die für das business notwendige Verständigung zu gewährleisten. Im weiteren Verlauf, nämlich dann, wenn spätere Generationen Pidgins als gängige (erste) Sprache hören, können dann diese rudimentären Systeme sogar zu voll funktionsfähigen, nicht auf bestimmte Kommunikationsbereiche beschränkten und formal nicht mehr defizienten Sprachen ausgebaut werden. Kinder von Pidginsprechern können nämlich – wiederum auf Grund ihrer angeborenen Sprachfähigkeit – eine neue Sprache kreieren. In diesem Fall spricht man von Kreolsprache.

Die Existenz von Pidgin- und Kreolsprachen macht die Geschichte von Babel so unwahrscheinlich. Solche Sprachen entstehen nämlich gerade unter der Bedingung, dass man ein gemeinsames Projekt hat und deswegen eine gemeinsame Sprache braucht. Und ein solches Projekt hatte man ja in Babel. Der Mythos stellt so gesehen die Dinge gewissermaßen auf den Kopf: Weil die Menschen verschiedene Sprachen hatten, wurden sie in alle Welt verstreut … Im Allgemeinen ist aber die geografische Distanz nicht eine Folge, sondern im Gegenteil eine ursächliche Bedingung für Sprachverschiedenheit. Wenn man einander nicht (mehr) trifft und keine Kommunikationsabsichten hat, besteht nicht der geringste Grund, eine gemeinsame Sprache zu erhalten oder zu entwickeln. Wenn man aber miteinander reden will oder muss, dann wird man dafür auch ein Mittel finden oder eben schaffen.

In den vorangegangenen Ausführungen wurde sehr oft das Wort Sprache benutzt, damit aber zum Teil Verschiedenes gemeint. Einerseits war von der spezifisch menschlichen Fähigkeit zur Spracherlernung und -entwicklung die Rede (Adam), dann von den verschiedenen Einzelsprachen, die die Geschichte von Babel illustriert. Schließlich war auch von Kommunikation die Rede, die aus dem Bedürfnis und der Notwendigkeit entsteht, einander etwas mitzuteilen. Denn es ist ja nicht so interessant, dass der Mensch eine oder mehrere Sprachen ›besitzt‹, sie sprechen kann, sondern dass er auch tatsächlich spricht. Wenn er dies tut, kommt wieder Sprache heraus, diesmal im Sinne von Gesprächen und Texten.

Ferdinand de Saussure langage, langue, parole

Für die Unterscheidungen, um die es hier geht, hat der Genfer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure (1857 – 1913) terminologische Unterscheidungen getroffen, die allgemeinen Eingang in die Sprachwissenschaft gefunden haben. Dabei griff er auf die französische Sprache zurück, die selbst schon mehrere Ausdrücke für ›Sprache‹ hat. |4◄ ►5| Um die menschliche Sprachfähigkeit zu bezeichnen, hat er den Ausdruck langage gewählt, die verschiedenen Einzelsprachen heißen langues. Die Verwendung solcher Einzelsprachen schließlich, den konkreten Gebrauch einer langue in Äußerungen, bezeichnet er als parole. Wir sprechen im Weiteren von Äußerungen als Parole-Akten.

Einzelsprachen

Die langage ist allen Menschen gemeinsam. Nur lässt sie sich als solche gar nicht konkret verwenden. Wer immer seine Sprachfähigkeit praktisch einsetzen will, muss dabei auf eine bestimmte Einzelsprache (langue) zurückgreifen. Einzelsprachen sind z.B. Deutsch, Französisch, Afrikaans, Bhili, Chinesisch, Duru, Kurdisch, Lateinisch, Maledivisch, Nanai, Persisch, Quechua, Rätoromanisch, Suyá, Thai, Usbekisch, Yupik, Zulu und so weiter und so fort. Eine naheliegende Frage ist nun, wie weit dieses »und so weiter und so fort« geht: Wie viele Sprachen gibt es in der Welt?

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Sprache: Wege zum Verstehen

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