Читать книгу Und sie dreht sich doch! - Kurt Bangert - Страница 29

Die Wanderungsbewegungen des Menschen

Оглавление

Die Analysen des genetischen Materials, zuletzt auch der Variationen des männlichen Y-Chromosoms, haben nicht nur Aufschluss über die geographische und chronologische Herkunft des Menschen geliefert, sondern – aufregend genug – auch über die Verbreitung des Menschen auf der Erde. In seinem fesselnden Buch The Journey of Man hat Spencer Wells die Wanderungsbewegungen nachgezeichnet. Sein Buch liest sich spannend wie ein Taschenroman. Es ist ein Augenöffner sondergleichen.

Ausgangspunkt für unser Verständnis dieser Reise ist die Tatsache, dass wir in Afrika eine größere Vielfalt des Y-Chromosoms bei Afrikanern finden als im Rest der Welt. Wir können uns diesen Sachverhalt wie eine große Eiche vorstellen: Wurzeln und Stamm sowie die ersten großen Äste stellen die afrikanischen Stämme dar. Wenn wir höher steigen, sind einige Verästelungen den Nicht-Afrikanern zuzurechnen. Das bedeutet, dass die menschliche Evolution vor allem in Afrika stattfand, bevor eine kleine Gruppe Afrikaner den Kontinent verließ und sich in Eurasien ausbreitete. Deren Markierungen auf dem Y-Chromosom stellen allesamt spätere Mutationen dar. Eine Analyse dieser Mutationen, insbesondere in Bezug auf die Reihenfolge, in der sie vorkamen, erlaubt den Wissenschaftlern, die Reisen zu verfolgen, welche diese Menschengruppen unternahmen. Dabei haben sie auch versucht, die Zeiten abzuschätzen, wann die Mutationen passierten und wohin die Völkerwanderungen erfolgten.

Die erste wichtige Mutation, die man am Y-Chromosom der Eurasier entdeckte, erfolgte vor ca. 30.000 bis 80.000 Jahren in einem afrikanischen Mann, der als M168 bezeichnet wird. Er ist sozusagen der eurasische Adam, der Vorläufer aller nicht-afrikanischen Menschen. Er dürfte in der Gegend des Sudan oder in Äthiopien gelebt haben. Auf unserem Eichenbaum repräsentiert er eine Abzweigung weiter oben in der Baumkrone. Ein Teil der Nachkommen von M168 blieb in Afrika, die Mehrheit seiner Nachkommen ist jedoch in Eurasien zu finden.

Ich sollte an dieser Stelle kurz erwähnen, dass die Erkenntnisse, die wir von dem Y-Chromosom gewonnen haben, auch durch Untersuchungen der mitochondrischen DNA bestätigt werden (wie sie sicherlich auch von Untersuchungen auf anderen Chromosomen bestätigt werden würden, könnten wir diese ebenfalls nachzeichnen). Aber der Einfachheit halber möchte ich mich hier auf die Schlussfolgerungen der Untersuchungen des Y-Chromosoms und seiner Variationen – auch Haplotypen genannt – beschränken.

Bald nach dem Aufkommen der Variante M168 gibt es auf der M168-Linie eine weitere Mutation auf dem Y-Chromosom, die als M130 bezeichnet wird. M130 findet man nur außerhalb von Afrika, so dass man annehmen kann, dass diese Mutation in einem Mann erfolgte, der bereits den Sprung nach Asien geschafft hatte. Menschen mit der M130-Markierung finden wir spärlich auf dem indischen Subkontinent, in Malaysia und in Neuguinea. Deutlicher tritt die Markierung in Australasien hervor. Die Mehrheit der australischen Ureinwohner weist M130 auf. In Westasien und Europa kommt diese Markierung gar nicht vor, wohl aber noch in Nordostasien (Mongolei und Sibirien) sowie auf dem nordamerikanischen Kontinent.

Man datiert sowohl die M168- als auch die M130-Markierung um 50.000 Jahre vor unserer Zeit und erklärt sich ihr Vorkommen damit, dass es um jene Zeit eine erste Wanderungsbewegung out of Africa gegeben hat, bei der die Menschen – vielleicht auf der Suche nach Nahrung oder als Folge von Stammeskonflikten – zunächst nach Arabien kamen, von dort Südindien besiedelten, um schließlich die Inselwelt von Indonesien und den Philippinen zu erreichen. Eine Gruppe von M130-Stämmen erreichte später Australien und Ozeanien, während sich eine andere Gruppe nach Norden orientierte, wo sie in Nordostasien ansiedelte bzw. sogar den Sprung über die Beringstraße nach Nordamerika wagte.

Man mag sich fragen, wie diese wanderungsfreudigen Menschen die Sprünge übers Meer nach Arabien, nach Indien, von dort nach Indonesien und schließlich nach Australien und Ozeanien geschafft haben sollen. Wir wissen es nicht. Tatsache ist nur, dass sie es geschafft haben, sonst wären sie nicht dort. Man kann allerdings ein wenig spekulieren. Wir wissen, dass die Küstenlinien immer wieder variiert haben, weil sich die Temperaturverhältnisse änderten. So könnten einige Vulkanausbrüche zu einem Absinken der Temperatur geführt haben, was an den Polen zur Verdickung der Eisschichten führte und damit zum Absinken des Meeresspiegels. Eine niedriger gelegene Küstenlinie hätte die Abstände zwischen den Kontinenten drastisch verringert, so dass die Menschen entweder trockenen Fußes dorthin gelangten, wo heute nur Inseln sind, oder per Boot die Distanzen überbrückten, die geringer waren als heute.

Dies war aber nur eine erste Wanderungswelle. Offenbar fand noch eine weitere, spätere Wanderung von Afrika nach Eurasien statt. Diese ist durch eine spätere Markierung auf dem Y-Chromosom repräsentiert, die als M89 bekannt ist. M89 findet man sowohl in Nordost-Afrika als auch im Nahen Osten, so dass davon auszugehen ist, dass diese Mutation in einem afrikanischen Mann erfolgte, dessen Nachkommen zum Teil in Afrika blieben, zum Teil nach Eurasien wanderten. Diese Veränderung auf dem Y-Chromosom dürfte nach Schätzungen der Forscher vor ca. 45.000 Jahren erfolgt sein. M89 gilt als der wichtigste Vorläufer aller asiatischen, europäischen und indo-amerikanischen Menschen (außer denen, die die M130-Markierung tragen).

Nachdem die M89-Nachkommen erst einmal im Nahen Osten angekommen waren, hat die Gen-Variante dieser Menschen weitere Mutationen erfahren. Vor etwa 40.000 Jahren fand in der M89-Linie die Mutation eines Mannes statt, der als M9 bekannt ist. Er dürfte in Persien, Afghanistan oder Pakistan gelebt haben und wurde zum Urvater der eurasischen Völker Die Wissenschaftler sprechen von seinen Nachkommen als dem „Eurasischen Clan“. Diese M9-Gruppe breitete sich in Westasien aus und suchte ihren Weg weiter nördlich des Hindukusch in die zentralasiatische Hochebene hinein bzw. südlich davon auf den indischen Subkontinent. Einige von diesen Menschen stießen auch über die Berge in das Tarimbecken durch, um sich in China auszubreiten.

Unter denen, die nach Süden auf den südindischen Subkontinent abwanderten (und im Osten durch das Himalaja-Gebirge an einer weiteren Ausbreitung gehindert wurden) gab es vor rund 30.000 Jahren eine weitere Mutation, die als M20 bekannt ist. Diese Variante ist in Indien weit verbreitet, außerhalb Indiens dagegen nahezu unbekannt. Etwa die Hälfte der in Südindien lebenden Menschen trägt diese Markierung. Wir sprechen vom „Indischen Clan“. Diese Nachkommen der M9-Linie trafen ganz im Süden auf die bereits vorher in der Küstenregion ansässig gewordenen Siedler, welche die Variation M130 mit den australischen Ureinwohnern gemeinsam haben.

Und sie dreht sich doch!

Подняться наверх