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Der Europäer ist geboren

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Unter denen, die nicht nach Indien, sondern nach Norden wanderten, ergab sich vor etwa 35.000 Jahren eine Mutation namens M45, die fast ausschheßlich in Zentralasien vorkommt bzw. bei Menschen, die ihren Ursprung dort genommen haben. Es ist der „Zentralasiatische Clan“, der zunächst recht isoliert blieb, weil nicht nur der Hindukusch, sondern auch das stark vergletscherte Massiv des Tienschan-Gebirges eine zügige Ausbreitung nach Osten und Südosten verhinderten. Allerdings zogen einige Nachkommen von M45 weiter nach Norden und Nordosten, während andere sich nach Nordwesten und nach Europa orientierten.

Unter den letzteren tauchte vor ca. 30.000 Jahren eine Variante mit der Bezeichnung M173 auf, dessen ursprünglicher Träger vielleicht sogar als der europäische Urvater gelten darf. Seine Nachkommen besiedelten vor allem Westeuropa. Es ist wohl kein Zufall, dass der Neandertaler – nach heutigen Erkenntnissen kein Vorläufer des homo sapiens – nur bis vor etwa 25–30.000 Jahren in Europa lebte. Ob er von dem dorthin drängenden europäischen Clan nur verdrängt oder von diesen M173-Nachkommen ausgerottet wurde, darüber ließe sich vortrefflich spekulieren. Offenbar gibt es keine Befunde, die ein Abschlachten der Neandertaler durch hereinströmende Europäer nahe legen würden; manches deutet eher darauf hin, dass der Neandertaler einem beschwerlichen Überlebenskampf zum Opfer fiel. Aber niemand weiß es heute wirklich genau. 16

Neben der Markierung M173, die wir in großen Teilen Europas finden, haben Europäer aber noch andere Haplotypen, auf die wir später noch zu sprechen kommen.

Unter denen, die von Zentralasien in Richtung Sibirien wanderten, erschien vor rund 20.000 Jahren eine Mutation mit der Markierung M242, die sich offenbar weit verbreitet hat. M242, wie M173 eine Variante von M45 (Zentralasien), tritt in vielen Teilen Asiens einschließlich Chinas auf, vor allem aber in Sibirien. Man könnte diesen Haplotyp deshalb den „sibirischen Clan“ nennen. Diese Variante ist aber auch auf dem amerikanischen Kontinent zu finden. M242 ist auch ein Vorläufer der Markierung M3, die in Nord- und Südamerika weit verbreitet ist. Über 90 Prozent der „Indianer“ des amerikanischen Kontinents weisen diese Mutation auf. Spencer Wells, der zusammen mit Mark Seielstad die M242-Markierung entdeckte, deutet die Faktenlage so, dass asiatische Migranten vor rund 20.000 Jahren über die Beringstraße nach Nordamerika wanderten, und zwar zum Zeitpunkt der letzten großen Eiszeit, als man vermutlich noch trockenen Fußes von Asien nach Amerika gelangen konnte. Ein Großteil des nordamerikanischen Festlandes war damals von Eis bedeckt, so dass es für jene Ur-Einwanderer Amerikas gar nicht so leicht war, sich nach Süden vorzuwagen. Vielleicht gelang ihnen das erst nach der Eisschmelze. Die M3-Markierung, die allen amerikanischen Ureinwohnern gemein ist, dürfte erst vor etwa 10.000 Jahren entstanden sein; jedenfalls tritt sie nicht in Asien auf und ist offenbar erst aufgetreten, als der Sprung hinüber in die Neue Welt bereits gelungen war.

Die M3-Indianer scheinen übrigens mehr oder weniger deckungsgleich zu sein mit jenen Ureinwohnern Amerikas, die zur linguistischen Sprachgruppe „Amerind“ gerechnet werden. Zu dieser Sprachgruppe gehören alle südamerikanischen und die meisten nordamerikanischen Sprachen (wir lassen hier die späten europäischen Einwanderer völlig außer Acht). Neben Amerind gibt es noch zwei andere Sprachgruppen: Eskimo-Aleut und Na-Dene. Interessant sind für uns noch diejenigen Indianer, die Na-Dene sprechen und die in Westkanada und im Südwesten der USA, aber nicht in Südamerika zu finden sind. Interessanterweise finden wir bei den Indianern dieser Sprachgruppe die Markierung M130, die wir als eine der ältesten Abzweigungen unserer afrikanischen Vorfahren identifiziert und die wir auch bei den australischen Aborigines vorgefunden hatten. Die Nachkommen von M130, so hatten wir festgestellt, waren vor rund 50.000 Jahren von Afrika über Arabien, Südindien und Indonesien nach Australien vorgestoßen, hatten aber auch einen Schlenker nach Nordostasien gemacht, von wo einige ihren Weg nach Nordamerika fanden. Diese Wanderungsbewegung fand offenbar später als diejenige der M3-Gruppe statt und dürfte eher per Boot als zu Fuß erfolgt sein, da diese Gruppe sich vor allem entlang der Westküste niederließ. Vielleicht sind diese tüchtigen Seefahrer Stück für Stück entlang der chinesisch-sibirischen Küste geschifft, bevor sie die Beringstraße meisterten, um dann die kanadische und US-amerikanische Küste zu besiedeln.

Mit der weiten Reise von Ostafrika über Asien nach Amerika sind die großen Wanderungsbewegungen des frühen Menschengeschlechts in ihren groben Umrissen bereits beschrieben. Weitere Untersuchungen des menschlichen Genoms sowie Vergleiche seiner vielen spontanen Mutationen werden in Zukunft noch eine Verfeinerung dieser Geschichte liefern können. Obwohl wir über diese lange zurückliegenden Entwicklungen des Menschen fast nichts wissen, ist es doch wirklich sensationell, dass uns unsere Gene Auskunft geben können über die Herkunft des Menschen und seine Besiedlung des Erdballs. Wichtig ist auch die Erkenntnis, dass wir heute lebenden Menschen, ob schwarz oder weiß, braun oder gelb, allesamt eng miteinander verwandt sind. Da ist in der Tat wenig Platz für rassistische Vorurteile und Überheblichkeit.

Ich möchte zum Schluss aber noch auf zwei Haplotypen, also Genvariationen, hinweisen, die wir bisher außer Acht gelassen haben, die aber für die weiteren Kapitel dieses Buches von großer Bedeutung sein werden. Es sind dies die Markierungen M17 und M172.

M17 ist eine Variante der vor allem in Westeuropa weit verbreiteten Markierung M173, die ja von Zentralasien nach Europa vordrang. M17 muss vor ca. 10.000 Jahren ebenfalls in Zentralasien entstanden sein. Es hat weite Verbreitung nicht nur in Zentralasien, sondern auch in Europa und in Indien gefunden. Seine größte Häufigkeit konzentriert sich aber auf eine Region nördlich des Schwarzen Meeres. M17 wird auch als „indoeuropäischer Gentyp“ bezeichnet, weil seine Träger vermutlich das sogenannte „Proto-Indoeuropäisch“ (PIE) sprachen, aus dem sich die heutigen indoeuropäischen (wir sagen auch: indogermanischen) Sprachen entwickelt haben, zu denen die meisten europäischen, aber auch indische Sprachen gehören.

Der letzte Haplotyp, der für uns Europäer von Bedeutung ist und hier erwähnt werden muss, ist M172, eine Variante, die vermutlich im Nahen Osten entstand und sich nach Europa und dann ebenfalls nach Indien hin ausgedehnt hat und die ihre höchste Konzentration südlich des Schwarzen Meeres findet. Genetiker sprechen vom „mediterranen Genotyp“. Sprachwissenschaftler haben sich in der Vergangenheit darüber gestritten, ob unsere indoeuropäische Sprachgruppe ihren Ursprung aus der Region nördlich des Schwarzen Meeres oder, alternativ, südlich des Schwarzen Meeres genommen hat. Wir werden auf diese Frage später noch einmal zurückkommen und eine Klärung bieten. Hier halten wir zunächst einmal fest, dass die größten Konzentrationen der Haplotypen M17 und M172 rund um das Schwarze Meer zu finden sind.

Und sie dreht sich doch!

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