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Die Schwarzmeerkultur

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Und wohin flohen die Überlebenden, die sich vor den steigenden Fluten hatten retten können? Um Näheres über die Schwarzmeerkultur der damaligen Welt zu erfahren, müssen wir fragen, welche Hinweise und Befunde uns aus der Zeit vor und nach der Flut zur Verfügung stehen.

Zu den frühesten menschlichen Ansiedlungen gehörte nach bisherigen Kenntnissen diejenige von Jericho, die um 7000 v. Chr. entstanden sein soll. Gleichen Alters oder vielleicht noch älter dürften allerdings Funde von Siedlungen sein, die in neuester Zeit in Anatolien, also in der heutigen Türkei, gefunden wurden. Für die Zeit zwischen 8000 und 5500 v. Chr. gibt es hier zahlreiche Fundstätten, die allesamt Belege für bereits recht fortgeschrittene Kulturen sind. „Anatolien war eine Zeit lang die Region mit der fortschrittlichsten Entwicklung in der ganzen Welt“, schreibt Harald Haarmann, einer der angesehensten Sprach- und Kulturforscher, der sich viel mit Frühkulturen befasste.25

Hier dürften die frühesten Agrarwirtschaften entstanden sein. „Im westlichen Anatolien gehen die frühen Siedlungen der Agrarbevölkerung auf das 9. und 8. Jahrtausend v. Chr. zurück.“26 In Çatal Höyük in Zentralanatolien gab es beispielsweise eine von mehreren Tausend Menschen bewohnte Siedlung, die auf die Zeit zwischen 7300 und 6200 datiert wird. Hier wurde der Anbau von Weizen, Gerste, Erbsen und Linsen festgestellt.27 Als weitere frühe Siedlung aus jener Zeit gilt die in Westanatolien gelegene Ausgrabungsstätte Hacilar.

Aber auch in Europa gab es um diese Zeit bereits zahlreiche Anzeichen von Siedlungen und Kulturen, und zwar rund um das Schwarze Meer und entlang der Flüsse. Zunächst waren es Jäger und Sammler, die sich hier tummelten, später wurden die Menschen an den Flussläufen sesshaft und betrieben eine einfache Landwirtschaft. Eine der bekanntesten Kulturgruppen aus jener Zeit (um 6000 v. Chr.) ist die Starveco-Kultur auf dem Balkan (Südrumänien, Südostungarn und Serbien), die auch Körös-Cris-Kultur genannt wird. Sie hielten Schafe und Ziegen, gingen dem Fischfang nach und bauten Getreide an. Hier ist, ähnlich wie in Jericho und Anatolien, bereits die Bearbeitung von Obsidian für Schmuck- und Kunstobjekte nachgewiesen, einem glänzend-schwarzen Gestein aus Vulkanlava, das wir später auch von Ägypten her kennen.

Andere, schon erstaunlich fortgeschrittene Kulturen aus jener als Jungsteinzeit (Neolithikum) bekannten Epoche waren die Sesklo-Kultur in Nordgriechenland (6500–5500), die Karanova-Kultur in Mittelbulgarien (um 6000), die Bükk-Kultur in Nordostungarn und Ostsiowakien (5500–5000), die Dnjestr-Bug-Kultur im nordwestlichen Schwarzmeergebiet (6500–5000) sowie die bekannteste von allen, die Linearbandkeramik-Kultur (auch LBK genannt) in Mitteleuropa, von Rumänien bis Frankreich (5600–3500).

Es verwundert nicht, wenn es bei einem noch nicht durchbrochenen Bosporus zahlreiche kulturelle Verbindungen zwischen dem alten Europa und Anatolien gab. „Es bestanden vielfältige kulturelle Beziehungen zwischen der westlichen Ägäis (Griechenland) und Anatolien (Türkei)“, schrieb Mirija Gimbutas über jene Zeit, wiewohl in Unkenntnis der Schwarzmeerflut.

Harald Haarmann kommt aufgrund all’ dieser Befunde zu der Schlussfolgerung, dass Mesopotamien als Prototyp der Zivilisationsbildung ausgedient habe. „Die sensationelle Erkenntnis, dass das Kulturschaffen in Alteuropa wesentlich ältere Wurzeln hat als das in Mesopotamien, verdanken wir aber erst der neuen Kulturchronologie, die sich mit den Erkenntnissen der modernen Dendrochronologie seit den 1980er Jahren durchzusetzen begann.“28

Wir sehen also, dass es bereits in der Zeit vor der Schwarzmeerflut (also vor 5500 v. Chr.) sowohl südlich als auch nördlich des Schwarzen Meeres hoch entwickelte Kulturen gab. Insofern ist die Annahme nicht abwegig, dass es sich bei den Anrainervölkern des Schwarzen Meeres ebenfalls um Hochkulturen gehandelt haben dürfte, zumal der Süßwassersee mit seinen großen Zuläufen ein großer Magnet für zuströmende Siedler gewesen sein musste.

Unter einer Hochkultur verstehen wir im allgemeinen solche Zivilisationen, die bereits eine fortgeschrittene Landwirtschaft mit Bewässerung, Vorratshaltung und Handel kannten, mit größeren Siedlungen oder Städten als Handelszentren und Verwaltungen, mit Klassenunterschieden (wie Herrschaftsgeschlechter, Priesterkaste, Handwerker, Bauern und Militärs), und oft gehen mit der Hochkultur auch eine Schriftsprache einher sowie über den primitiven Animismus deutlich hinausgehende religiöse Vorstellungen.

Und sie dreht sich doch!

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