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Das ungastliche Meer

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Das Schwarze Meer, so wie wir es heute kennen, ist etwa 1150 Kilometer lang, 611 Kilometer breit und bis zu 2300 Meter tief. Das Meer wird nicht nur vom Niederschlag, sondern vor allem von den großen Flüssen gespeist, die hineinfließen und von denen allein die mächtige Donau 70 Prozent des Zuflusses ausmacht. Diese Flüsse bringen jedes Jahr 88 Millionen Tonnen Sedimente ins Schwarze Meer, davon allein die Donau 83 Millionen Tonnen. Sollte es während der Süßwasserperiode große Siedlungen entlang der Schwarzmeerküste gegeben haben, was inzwischen allgemein vermutet wird, so dürften diese massiven Ablagerungen solche Siedlungen inzwischen tief unter sich begraben haben.

Das Schwarze Meer ist heute – wohl aufgrund dieser Zuflüsse – ein wenig höher als das Weltmeer, so dass es am Bosporus einen ständigen Süßwasserstrom vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer gibt (pro Jahr rund 340 Kubikmeter). Allerdings fließt auch ein etwa halb so großer Salzwasserstrom vom Mittelmeer ins Schwarze Meer (180 Kubikmeter). Das leichtere Süßwasser fließt dabei obenauf gen Süden, das schwerere Salzwasser hingegen tiefliegend gen Norden. Wer früher durch den Bosporus zum Schwarzen Meer wollte, sah sich an der Oberfläche einer starken Gegenströmung ausgesetzt, weshalb kundige und findige Bootsleute schwere Steine tief ins Wasser hingen, die dann von der tiefer liegenden Salzwasserströmung zum Schwarzen Meer hinübergetrieben wurden.

Durch die Überflutung des Süßwassers vor etwa 7500 Jahren erstarb praktisch die ganze Süßwasserwelt des Meeres. Dieses Massensterben – zusammen mit Schlammvulkanen am Meeresboden – bewirkte, dass das Schwarze Meer unmittelbar nach der Überflutung nicht aus Wasser (H2O), sondern aus Schwefelwasserstoff (H2S) bestand, einer Flüssigkeit, die keinerlei Leben zuließ. Inzwischen hat sich dieser Zustand etwas abgeschwächt, so dass die oberen 120–150 Meter heute aus Wasser bestehen, während es darunter immer noch Schwefelwasserstoff gibt. Insbesondere durch den häufigen Südwestwind kommt es auch heute hin und wieder vor, dass sich der Schwefelwasserstoff einen Weg nach oben bahnt, wo er für Schiff und Schiffer lebensbedrohlich sein kann. Darum gilt der Grundsatz: „Wenn’s nach faulen Eiern stinkt, der Tod mit seinem Schrecken winkt.“ Man sollte sich in einem solchen Fall unverzüglich aus dem Staub – oder besser: aus dem Gestank – machen. Allerdings gibt es divergierende Auffassungen darüber, ob die Gefahr wirklich vom Schwefelwasserstoff ausgeht oder eher vom Methangas, das sich in zahlreichen Blasen am Meeresboden befindet. Wie dem auch sei, das einstmals gastliche Meer hatte sich praktisch über Nacht in ein unfreundliches, ungastliches und gefährliches Meer verwandelt.

Die Schwarzmeerflut war eine ökologische Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Aus einem lebendigen Süßwassersee, in dem es nur so von Lebewesen wimmelte, wurde ein weitgehend lebloses, stark salzhaltiges Meer, dunkel bis schwarz, stinkig und ungenießbar Sämtliche Küsten wurden überschwemmt und blieben für immer unter Wasser, großflächige Tiefebenen im Nordosten und Nordwesten des Sees wurden binnen weniger Wochen unbewohnbar gemacht, begruben Zigtausende von Menschen unter sich. Andere flüchteten auf höher gelegene Hügel und Berge, wo diese Überlebenden, die vermutlich eine bereits hoch entwickelte Landwirtschaft gekannt hatten, allerdings kaum Nahrung fanden. Viehkadaver und tote Fische wurden an Land gespült. Reste von Behausungen trieben an Land oder schwammen auf dem Wasser.

Viele Menschen, die sich retten konnten, werden nach dieser fürchterlichen Katastrophe monatelang die Küste beobachtet und darauf gewartet haben, dass das Wasser wieder zurückweicht und ihre Heimatdörfer wieder freigibt. Doch als das nicht passierte, sahen sie sich genötigt, sich nach neuen Siedlungsgebieten umzusehen. Ihre Heimat, ihr Lebensraum, ihr Garten Eden war für immer in der Tiefe entschwunden. Es war keine Überschwemmung, die kommt und wieder geht, keine Flut, die man durch humanitäre Hilfe, Wiederaufbau und einen wenn auch mühsamen Neuanfang hätte vergessen machen können. Dieser katastrophale Heimatverlust war vielmehr ein sehr traumatisches Ereignis, das sich – wie bei der Tsunami-Flut – den Überlebenden tief ins kollektive Bewusstein und noch mehr ins Unterbewusste, in ihr schwer verletztes Herz und in ihre tief verwundete Seele eingrub. Diese Katastrophe des herben Verlustes vieler Menschen und der unwiederbringlichen Heimat hinterließ eine schmerzende, klaffende Wunde der Seele.


Satellitenaufnahme vom Bosporus.

Die Schwarzmeerflut dürfte vom Ausmaß her vermutlich eine ähnliche Zahl von Opfern verursacht haben wie die Tsunami-Flut in Südostasien, nur dass es sich damals vor 7500 Jahren um einen Großteil der hoch zivilisierten Menschheit handelte, die sich rund um das Schwarze Meer angesiedelt hatte und die mit der Flut größtenteils ausgelöscht wurde.

Und sie dreht sich doch!

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