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Noahs Teller und Noahs Schrift

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Weil die Schwarzmeer-Kultur durch den dramatischen Bosporus-Durchbruch zumindest teilweise zerstört wurde und ihre verschollenen Artefakte heute ca. 100 Meter unter dem Meeresspiegel beziehungsweise unter den angeschwemmten Ablagerungen der Schwarzmeerzuflüsse liegen, können wir über die eigentliche Schwarzmeerkultur zum heutigen Zeitpunkt nur vage Mutmaßungen anstellen. Es wird zukünftigen Unterseeforschern vorbehalten bleiben, hier Funde zutage zu fördern, die mehr über diese untergegangene Welt erzählen.

Der amerikanische Unterseeforscher Robert Ballard, der schon die Titanic und das deutsche Schlachtschiff Bismarck am Meeresgrund lokalisiert hatte, fand im Jahr 2000 im Schwarzen Meer, dort wo man den ehemaligen Schwarzmeerstrand vermutet hatte, das, was er als die Überreste einer Holzbehausung bezeichnete. Waren dies Überreste der Hütte einer Familie der Schwarzmeerkultur? Ganz überzeugend waren Ballards spärliche Funde allerdings nicht, als dass man solche Schlussfolgerungen daraus hätte ziehen können. Es werden aufwändigere Expeditionen notwendig sein müssen, um schlagkräftigere Zeugnisse der Flut zutage zu fördern.

Beeindruckender als Ballards Fundstücke war dagegen ein anderer kleiner Fund: Das bulgarische Forscherteam um Dimitrov fand beim Ausflug mit einem Mini-Unterseebot am Rande des Schwarzmeersockels, also des ursprünglichen Süßwasserstrandes, unter einer dicken Staubschicht einen Tonteller, der merkwürdige Kritzeleien aufwies (s. Abbildung auf S. 132). Dimitrov ließ diese Kritzel von einem Sprach- und Schriftwissenschaftler untersuchen, der ihm daraufhin eine Tabelle lieferte, in der er diese Zeichen mit anderen ersten Schriftbelegen verglich. Es zeigte sich, dass der Tonteller Schriftzeichen enthielt, wie sie in fast identischer Form aus dem alten Europa (Karanova-Siegel und Gradeschnitza-Tafeln), aus Mesopotamien (sumerische Schrifttafeln) sowie aus Ägypten und Indien bekannt sind. Das Fundstück, das Dimitrov „Noahs Teller“ taufte, könnte Beleg für eine verschollene Zivilisation und eine der ältesten Schriften der Weltkultur sein: ein weiterer Beleg dafür, dass es sich bei der Schwarzmeerkultur um eine Hochkultur gehandelt haben dürfte.

Über den Ursprung der Schrift schreibt Marija Gimbutas: „Die Sumerer gelten im allgemeinen zwar als die Erfinder der Schriftsprache, aber in Ostmitteleuropa entwickelte sich eine Schrift, die etwa zweitausend Jahre früher entstanden ist als alle anderen bisher bekannten Schriften.“33 Allerdings wurde die Schrift der alten Europäer nicht vom gemeinen Volk beherrscht und benutzt, sondern vorwiegend für kultische Zwecke eingesetzt.34

Fassen wir zusammen: Aufgrund der Informationen, die wir heute über die Kulturen vor und nach der Schwarzmeerflut im geographischen Umfeld des Schwarzen Meeres vorliegen haben, müssen wir davon ausgehen, dass wir es bei der Schwarzmeerkultur, die wir auch Zivilisation X nennen können, mit einer bereits erstaunlich hoch entwickelten Kultur zu tun haben, die sich deutlich von den Jäger- und Sammlerkulturen vor ihrer Zeit und außerhalb ihres Herrschaftsgebietes abhob. Kulturforscher und auch die Geologen Pitmann/Ryan haben darauf hingewiesen, dass die Gegend um das Schwarze Meer sehr bewaldet und das Klima warm und feucht war, so dass Holz für den Häuserbau in Fülle vorhanden war. Die Schwarzmeerkultur war also ein Volk, das an den Ufern des Meeres sesshaft geworden war, in festen, großen Holzhäusern wohnte, Landwirtschaft und Viehzucht betrieb, in den seichten Mündungsdeltas der Schwarzmeerzuflüsse vermutlich ausgeklügelte Bewässerungssysteme entwickelt hatte sowie Tonkunst und Goldschmiederei beherrschte. Diese Menschen hatten neben einigen Getreidesorten auch den Hund, die Katze, Schaf, Ziege, Schwein, das Rind und möglicherweise sogar schon das Pferd domestiziert, jagten aber auch nach wilden Tieren in den tiefen Wäldern des Nordens. Sie dürften einen erfolgreichen Fischfang betrieben haben, und zwar in den Flüssen, in den Flussdeltas und natürlich im unendlich erscheinenden Süßwassersee Pontos Euxeinos, dem gasthchen Meer. Die Zivilisation X sprach weitgehend eine einheitliche Sprache, nämlich das Proto-indoeuropäisch, und war möglicherweise die erste Zivilisation, die eine primitive Form der Schrift entwickelt hatte. Im Vergleich zu dem mühsamen Überlebenskampf, den die Menschheit in den Jahrtausenden vorher kannte, und im Vergleich zu dem, was die Überlebenden der Schwarzmeerkatastrophe hernach in weniger einladenden Gegenden mühsam neu aufzubauen hatten, musste das Leben am Schwarzen Meer vor der Flut geradezu paradiesisch angemutet haben.

Und sie dreht sich doch!

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