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Kapitel 11

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Bodo gelang es, dass Marco, Amaro und er in eine Zelle verlegt wurden. Snyder setzte sich gegen Craig durch, dass die Gespräche nicht mehr abgehört werden durften.

Marco traute dem Frieden nicht und durchsuchte täglich die Zelle akribisch. Sie hatten ja Zeit in Hülle und Fülle. Und tatsächlich wurde Craig rückfäl­lig. Snyder hatte mit einigen einflussreichen Persönlichkeiten eine Edel-Akademie besucht. Craig schäumte vor Wut, als er durch einen jungen Akademiker ersetzt wurde. Bodo und Marco verbrachten drei Monate zusammen mit Amaro in einer Zelle. Diese drei Monate schweißten sie zusammen.

Plötzlich, von einer Stunde auf die andere, wurde Marco freigelassen.

Ein halbes Jahr später, im Juli 2004, wurde auch Bodo auf freien Fuß gesetzt. Marco berichtete ihm später von einer geradezu atemberaubenden Aktion, welche zur Freilassung Bodos und einiger seiner engsten Mitstreiter führte. Es war vor allem Marcos Detailarbeit und Kreativität zu verdanken, welche Dr. Henninger und Iris in die Lage versetzten, den amerikanischen Konsul in Deutschland so stark unter Druck zu setzen, dass nicht nur Bodo, sondern mit ihm einige seiner engsten Mitstreiter, entlassen werden mussten.

Erst als Bodo von zwei FBI-Beamten zum Flughafen gefahren wurde, wurde ihm bewusst, dass sich Little Guantanamo im Bundesstaat Illinois befand. Die zum Teil militanten Umweltbewegungen in den Staaten, aber auch in den anderen Län­dern, waren in sich zusammengesackt. Die Episode Little Guantanamo und Öko-Terroristen wurde nie aufgearbeitet. Alle Meinungsbildner zeigten sich auf eine sonderbare Weise solidarisch. Sogar Google hatte diese dunkle Seite aus dem Archiv gestrichen; sicher nicht ganz freiwillig. Bodo hatte sich geschworen, nie wieder amerikanischen Boden zu betreten. Er hasste dieses Land. Nein. Falsch. Er liebt dieses riesige und schöne Land. Er hasste lediglich einen Teil der Menschen in diesem Land; abgrundtief.

23. April 2010. Für Bradly war es ein schwarzer Freitag. Bereits gegen acht Uhr erschien er im Frühstücksraum.

Seine Augen waren noch glasig. Es war nicht zu übersehen, dass er wieder einmal eine ganze Flasche Whiskey geleert hatte. Dies versuchte er krampfhaft zu verbergen. Ole hatte sein Morgentraining absolviert. Er hatte seine schwarzen und nassen Haare glatt nach hinten gekämmt. Der gestrige Abend hatte bei Marco keine erkennbaren Spuren hinterlassen. Genüsslich bestrich er sich das dritte Brötchen. Der Gedanke, dass Craig, dieses unmenschliche Schwein, in der Hölle schmorte, befreite zunehmend einige dunkle Nischen in seiner Seele.

Obwohl Bodo noch einige Stunden wachgelegen hatte, machte auch er einen ausgeschlafenen Eindruck. Erst als Bradly versuchte, sich mit zittrigen Händen seine zweite Tasse Kaffee einzugießen, sagte Bodo mit einer festen Stimme, die selbst Bradly unverzüglich aufhorchen ließ:

»Aus dem gestrigen Abend müssen wir lernen und Konsequenzen ziehen.« Er wandte sich an Bradly:

»Auf wie viele Gäste hast du dich in den nächsten zwei bis drei Wochen eingestellt?«

»Ich habe bereits eine Menge Absagen bekommen. Die Yacht kann ich vorerst abschreiben. Habe so fünf bis sechs Anfragen für Touren ins Hinter­land,« antwortete Bradly mit sorgenvoller Miene.

»Gut, dann solltest du diesen Gästen absagen und keine weiteren Gäste annehmen. Das Hotel ist ab sofort nur noch für uns reserviert. Heute Nachmittag kommen die ersten acht Personen. Bis Ende nächster Woche gibt es nur noch Doppel- oder Dreibett-Zimmer. »Wie stellst du dir das vor?«, platzte es aus Bradly heraus.

Bodo erhob sich so schnell aus seinem Stuhl, dass dieser mit lautem Krachen umkippte. Mit wenigen Schritten war er bei Bradly. Er packte den Burschen mit den glasigen Augen und riss diesen aus dem Stuhl.

»Das war keine Bitte«, schrie er mit hochrotem Kopf. »Ich habe es satt, mit dir über diese notwendigen Dinge zu diskutieren. Es geht um unsere Sicherheit, um deine Sicherheit, und auch um deine Zukunft. Selbstverständlich kann ich uns sofort ein anderes, größeres Hotel suchen. In den nächsten Tagen und Wochen wird man uns sogar riesige Sonderkonditionen einräumen. Noch eine solche dämliche Bemerkung, und du kannst den Laden schließen und deine Yacht verhökern. Wie ich dich kenne, wirst du dich spätestens in einem halben Jahr totgesoffen haben.«

Bradlys Gesicht war angstverzerrt. Er hob beschwichtigend beide Hände.

»Entschuldige Bodo, ich habe das nicht so gemeint«, stammelte er zitternd.

»Diesen Satz habe ich in den letzten Tagen zu oft von dir gehört«, schrie Bodo. »Noch ein weiteres blödes Wort … und ich schlage dich zum Krüppel.«

Aufgelöst nahm Bodo wieder am Frühstückstisch Platz.

»Ab heute Abend werden hier keine Menschen mehr herumschwirren, die nicht zu uns gehören. Damit wir uns richtig verstanden haben Bradly. Keine Liefe­ranten, keine angeblichen Freunde oder Ladys. Am liebsten hätte ich es, wenn wir vorläufig auch auf jede Art von Personal verzichten. Trotzdem sollten wir nur hier im Haus künftig unsere Mahlzeiten einnehmen. Ist das aus deiner Sicht machbar?«

Bradly war inzwischen in sich zusammengesackt. Er zitterte wie Espenlaub. Der Restalkohol und diese neue Situation schienen ihn zu überfordern. Ohne aufzublicken, schnaufte er tief und schüttelte dabei den Kopf.

»Wie soll das hier alles ohne Fremdpersonal funktionieren?«

Bodo forderte an diesem Vormittag nicht nur viel von Bradly, sondern auch von Marco und Ole. Bradly war von einer Stunde auf die andere für die gesamte Logistik seines Hotels zuständig.

Selbst den gesamten Einkauf musste er erledigen. Allerdings würden bereits am Nachmittag einige hübsche Aktivis­tinnen aus Spanien und Italien kommen, welche ihm helfen konnten. Diese Botschaft war für den Weiberhelden eine elektrisierende Vision.

Da nicht alle Aktivisten im Hotel von Bradly untergebracht werden konnten, musste eine Lösung gefunden werden.

Das Hotel nebenan war seit Jahren schlecht ausgelastet. Jetzt würde es höchstwahrscheinlich ganz leer stehen.

Sie verabredeten sich mit dem Besitzer. Rasch wurden sie handelseinig. Etienne Flaubert, so hieß der Mulatte, musste für einige Wochen in den Urlaub fahren. Das war eine Bedingung, die der Dunkelhäutige strahlend akzeptierte, zumal Bodo ihm diesen Urlaub finanzierte.

Bradlys Jugendfreund war sofort bereit, das Hotel für die nächsten Wochen zu führen. Er war Fischer und in den kommenden Monaten ohnehin arbeitslos. Bodo versprach dem Mann einen fürstlichen Lohn.

Es war Marcos Aufgabe, beide Hotels peinlichst nach Wanzen zu unter­suchen. Ole, Nuncio und Paco würden sich bei der Observierung der beiden Hotels ablösen.

Bradly löste einen Spezialwunsch Bodos zur Zufrieden­heit. Vor und gegenüber den beiden Hotels sollten alle Parkplätze kontinuier­lich belegt sein. Dem FBI oder anderen Neugierigen sollte es gravierend erschwert oder gar unmöglich gemacht werden, die beiden Hotels zu über­wachen. Man konnte ja nie wissen.

Bradly hatte einen Bus organisiert, und Bodo wollte es sich nicht nehmen lassen, die spanische und italienische Crew persönlich am Flugplatz von Biloxi in Empfang zu nehmen. Zur Überraschung war das Flugzeug der italienischen Gruppe bereits gelandet.

Die Biologin Zola Corsini und Nuncio Baretta begrüß­ten den athletischen Charismatiker überschwänglich. Danach zog Nuncio einen etwa einhundertsiebzig Zentimeter großen und bärtigen Mann zu sich heran.

»Das ist mein Freund Umberto De Cosmo. Ich habe ihm viel von dir erzählt.«

Mit einem fast unterwürfigen Gesichtsausdruck wollte der Süditaliener Bodo die Hand reichen. Doch dieser drückte Nuncios Freund an seine muskulöse Brust.

»Sag Bodo zu mir, mein Freund. Ole wird begeistert sein, dich zu sehen.«

»Gracie Bodo«, antwortete der Mann aus den Bergen der Abruzzen.

»Mich laust der Affe.«

Bodo drehte sich rasch um.

Die Stimme gehörte seinem Freund, Biologen und Leidensgenossen aus den Tagen von Little Guantanamo – Hachiko Yoshimura. Sie fielen sich um den Hals und Hachiko konnte sich fast nicht lösen. Schließlich wischte er sich einige Tränen von seiner Wange. Er zog mit seiner rechten Hand einen Mann zu sich heran.

»Und diesen Burschen kennst du doch auch noch.«

Es war Anekanekolo Durhan, der Biologe aus Hawaii.

Sie kannten sich von einigen Aktionen bei den Eco Warriors und gemeinsam hatten sie schon im Ölschlamm gestanden und geflucht.

»Ane, du hawaiianischer Buddha. Komm in meine Arme.«

Bodo drückte den Mann lange und freundschaftlich.

»Ist ja schon gut. Ich weiß, dass du stark bist und ich dick«, lachte der Hawaiianer.

»Willkommen in Biloxi«, wandte sich Bodo mit lauter Stimme und ausgebrei­teten Armen an alle Ankömmlinge. »Ich freue mich, euch alle hier zu sehen. Danke, dass ihr gekommen seid.«

»Ist Ole auch hier?«

Es war Paco Matamoros. Der Spanier blickte sich erwar­tungsvoll um, während er Bodo fast nebenbei auf die Schulter klopfte.

Die Mannschaft aus Spanien war also ebenfalls gelandet. In Biloxi waren die Abwicklungen am Flughafen rasch und reibungslos.

»Ole ist ausnahmsweise nicht an meiner Seite. Aber du wirst ihn in wenigen Minuten sehen«, beruhigte Bodo den 185 Zentimeter großen und stämmigen Spanier, mit den maurischen Gesichtszügen, einem Dreitagbart und längeren, ungepflegten Haaren.

Auf Tajo Corrales und Julio Ascencio war Bodo schon gespannt.

»Na, was sagst du zu diesen beiden Prachtkerlen?«

Paco legte seine Arme über die Schultern von zwei großen Männern.

Rico Alviso hätte Pacos Zwillingsbruder sein können. Er und Paco hatten die gleiche Größe und Statur und die gleiche, ungepflegte Haarpracht. Er hatte einen ungepflegten Vollbart und für einen Südländer eine helle Gesichtsfarbe.

Tajo Corrales kam aus Zaragoza. Mit einer Größe von knapp zwei Metern und großen Muskelpaketen war er eine stattliche Erscheinung. Er hatte dunkles, halblanges Haar mit hellen Strähnen und einen dunklen, gepflegten Vollbart. Tajo war Brillenträger und niemand wäre auf die Idee gekommen, dass er Spanier war.

»Dios mio. Machos unter sich. Und wir? Sind wir so hässlich, dass man uns übersieht?«

Es war Blanca Barreras, die feurige Spanierin, Psychologin und neuerdings Lebenspartnerin von Paco.

Bodo und Blanca kannten sich schon mehr als zehn Jahre. Blanca war fünf Jahre älter als Bodo, aber noch verdammt attraktiv. Sie gab Bodo einen Kuss auf den Mund und himmelte ihn an.

»Hallo, hallo«, sagte Paco mit gespielter Eifersucht.

Alle Aktivisten lachten.

»Und ich bin Carlotta de la Mora. Was Blanca kann, kann ich schon lange.« Mit diesen

Worten drückte die dreißigjährige Biologin einen fast innigen Kuss auf Bodos Lippen. Carlotta war fünf Jahre jünger als Bodo. Mit ihren langen, fast schwarzen Haaren, ihrer wohlproportionierten Figur und mit ihrem Schmollmund war diese junge Biologin eine Augenweide für jeden gesunden Mann.

Bodo reagierte rasch. Er rieb seine Lippen aufeinander und blickte nach oben, als wollte er sich an etwas erinnern.

»Hm, Lecker. Orange? Etwas Zitrone und ein bisschen Vanille. Eben Spanien, wie es leibt und lebt«, sagte er mit genießerischer Miene.

Alle lachten lauthals, und Carlotta verschlang den Hünen mit ihren Augen.

»Der Bus wartet schon auf euch. Ich verspreche euch ein leckeres Essen.« Mit diesen Worten steuerte Bodo den Ausgang der Empfangshalle an. Im Gehen drehte er sich um und sagte.

»Und danach ein Vanille-Eis.«

Carlotta nutzte die Gelegenheit und hakte sich bei Bodo unter. Blancas Blicke verrieten allerhöchstes Interesse. Wie würde diese Geschichte weitergehen? Sie kannte die Hartnäckigkeit von Carlotta.

Doch am späten Abend grinste Blanca überrascht. Er ist doch ein verdammt raffinierter Bursche, dachte sie. Ganz offensichtlich hatte dieser Kerl Marco gebeten, sich um Carlotta zu kümmern. Und Marco vertrat Bodo mit Begeis­terung und großer Hingabe.

Die nachfolgenden drei Tage empfanden und verhielten sich die italie­nischen und spanischen Aktivisten wie Gäste. Die Sonne strahlte, und Bradly kümmerte sich um die Damen. Er lud sie auf die Yacht ein, und fuhr mit ihnen die Küste entlang. Weiter hinaus, südlich in Richtung der Deepwater Horizon, wollte er nicht. Hier, nicht weit von den Stränden entfernt, war der Frühling. Da draußen war die Hölle. Und Bradly liebte nun einmal den Frühling - und natürlich die Frauen.

Bodo hatte unterdessen Ole, Nuncio, Paco, Tajo und Julio in einen Neben­raum des Hotels gebeten, um sie auf eventuelle Situationen vorzubereiten. Ole nahm erstaunt zur Kenntnis, dass Bradly nicht an diesem Treffen teilnahm.

»Dieser Ölunfall unterscheidet sich von vielen anderen, die wir bislang kennenlernen mussten«, begann Bodo.

»Früher sind wir angekommen, und haben einen total verschlammten Strand vorgefunden. Wir wussten genau, was wir zu tun hatten, und man hinderte uns in den meisten Fällen nicht daran. Hier wissen wir noch nicht einmal, wann, wo und in welcher Menge das Öl an Land treffen wird. Wenn es in die Flussläufe, in die Schilfmeere und in die Marschen eindringt, wird es ungemein schwierig werden, zu helfen. Was aus meiner Sicht noch schwieriger wird, ist der menschliche Sumpf, der unsere Arbeit enorm erschweren wird. Ich gehe davon aus, dass man uns nicht rechtzeitig in sensible Gebiete lässt, wo wir helfen können. Der Öl-Konzern und nahezu alle anderen Organisationen werden sich zu einem weitaus größeren und stinkenden Sumpf zusammenschließen. Aber wir sind nicht hierhergekommen, um zu beten, sondern um dort zu helfen, wo uns die Schöpfung am dringendsten braucht. Und da kann es zu … nennen wir es einmal … Zwischenfällen kommen. Am kommenden Samstag stoßen weitere knapp neunzig Aktivisten zu uns. Darun­ter sind einige Burschen, auf die ich auch stolz bin; ganze Kerle, wie ihr es seid. Bis dahin sollte diese Gruppe bereits wissen, worauf es ankommt. Kleine Blicke, ein kleines Zeichen mit den Lippen oder einem Finger … und jeder hier weiß, was er zu tun hat. Wahrscheinlich bin ich bei allen Einsätzen dabei. Aber nur einer kann eine Aktion leiten, und letztlich auf die Sekunde genau Hinweise geben. Dafür ist aus meiner Sicht Ole der richtige Mann. Mit ihm habe ich mich bereits äußerst intensiv ausgetauscht, welche Situationen eintreten könnten, und wie wir uns sinnvollerweise verhalten sollten.« Bodo machte eine sehr lange Pause und blickte dabei jedem Aktivisten viele Sekunden lang in die Augen.

»Bitte sagt es mir … jetzt und hier …, wenn ihr mit dieser Regelung ein Problem habt. Dann muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. Unabhängig davon ist es, mir wichtig zu betonen, dass sich niemand verpflichtet sehen soll, bei etwas diffizilen Einsätzen dabei zu sein. Ihr wisst, was ich damit meine.«

Es entstand eine kurze Pause.

»Wer einverstanden ist, sollte kurz nicken.«

Der Mann mit den stechenden und wasserblauen Augen sah den Männern fest in die Augen. Alle nickten stumm. Danach nahm er jeden Einzelnen in die Arme.

»Danke mein Freund. Danke«, sagte er jedes Mal leise.

Anschließend drehte er sich rasch um.

Mit einem »Euch allen einen schönen Tag« verließ er den Raum, und ließ Ole mit den kräftigen Männern allein.

Marco war in seinen Laptop vertieft. Bodo stellte sich ans Fenster und sah auf die Straße und aufs Meer hinaus. Keine Welle war zu sehen, und der blaue Himmel spiegelte sich im Wasser. Boote und Yachten dümpelten leicht vor sich hin. Es war Dienstagnachmittag. Sonnenhungrige gingen bereits in Badeho­sen oder Bikinis am Strand entlang, oder hatten sich niedergelassen; tranken einen Longdrink oder löffelten genüsslich ein Eis.

»Wie ein surreales Gemälde«, sagte er leise.

Marco musterte Bodo kurz.

»Du hast wie immer das richtige Wort gewählt. Da draußen braut sich etwas zusammen. In zwei Tagen dreht der Wind. Am Wochenende rechnet man mit dem Schlimmsten. Dann kommt ein mächtiges Sturmtief auf uns zu. Sie haben bereits einen 1 500 Quadratkilometer großen und dicken Ölteppich gesichtet. In einer Stunde fangen sie an, diesen Ölteppich kontrolliert in Brand zu setzen. Wir werden die Rauchsäule bald sehen. Die Idioten von der Küstenwache sprechen noch immer davon, dass es nur 160 000 Liter sind, die täglich aus dem Bohrloch sprudeln. Aber einige bekannte Wissenschaftler halten das für eine verantwortungslose und kriminelle Verharmlosung. Warum soll aus dem Bohr­loch plötzlich so wenig fließen, wenn der Konzern vor der Bohrung eine fünf­fache Menge propagiert hat.«

»Welche Menge ist bislang ausgetreten«, fragte Bodo.

»Die externen Wissenschaftler gehen von 35 Millionen Litern Öl aus. Der Konzern selbst bestreitet selbst den Ölteppich, den sie in einer Stunde abfackeln wollen.«

Marco schnipste mit den Fingern und schaute dabei in den Laptop.

»Hör dir das an. Das Heimatschutzministerium hat angeboten, Schiffe und Flugzeuge zu schicken. Und das Militär will Expertisen erstellen. Der Konzern selbst hat eine Kampagne gestartet und wirbt um die Unterstützung aller Fischer. Sie brauchen ganz dringend weitere Helfer. Und diese sollen mit ihren Booten hinausfahren und Schwimm-Barrieren ausbringen. Zum Wochenende soll zumindest für Louisiana der Notstand erklärt werden. Je nach Windrich­tung und Ölmenge rechnet man damit, dass Mississippi, Alabama und sogar Florida einige Tage später sich zu diesem Schritt gezwungen sehen werden.« Hastig klickte er weitere Meldungen an. Bodo wartete geduldig.

»Hier. Wie du es vorausgesagt hast. Die EPA hat weitere Einsätze genehmigt, das Corexit 9500 zu versprühen. Gleich morgen wollen sie damit weitermachen. Wenn wir also einige Lockheed C-130 über uns hinwegdonnern hören, wissen wir, wann genau sie das Zeug versprühen.«

»Was mich schier rasend macht …«, ärgerte sich Bodo. »Mir und einigen Experten ist es nicht gelungen herauszufinden, wie giftig dieser Wirkstoff tat­sächlich ist.« Er ballte dabei seine Fäuste. »Ende März, nach dem Exxon­-Valdez-Desaster, hat man dieses Zeug massenweise versprüht. Bis heute … also nach 21 Jahren … gibt es keine öffentlich zugängliche wissenschaftliche Studie darüber, welche Auswirkung dieser Stoff mittel- und langfristig hatte oder hat. Eines ist mir bekannt: In England wird dieses Zeug als giftig eingestuft, und darf deshalb nicht ausgebracht werden. Aber hier, in den Staaten, ist es plötzlich wieder einmal erlaubt. Irrwitzig daran ist, dass dieses Corexit von Nalco produziert und vertrieben wird. Und der Geschäftsführer dieses Konzerns saß früher im Management des Öl-Konzerns, der heute für diese Scheiße hier verantwortlich ist.«

»Warum sprühen die dann dieses giftige Zeug überhaupt aus? Du weißt das doch mit Sicherheit.«

Bodo setzte sich auf einen Stuhl neben Marco.

»Ich habe mich mit einigen Fachleuten kurzgeschlossen. Am einfachsten kann ich es dir nur so erklären: Wenn du in deiner Spüle sauberes Wasser einlässt, könnte sich ein Fisch darin lange putzmunter tummeln. Jetzt gibst du deine verdreckte Bratpfanne ins Wasser. Ein kleiner Teil der Speisereste löst sich auf. Der Fisch würde jetzt immer noch überleben. Er würde sogar anfangen, die Speisereste zu futtern. So … und jetzt gibst du nur einen Spritzer Spülmittel hinzu. Das Öl, welches an der Pfanne haftet, wird aufgelöst oder anders ausgedrückt - aufgeschlossen. Jetzt kannst du die Pfanne problemlos saubermachen. Das Fett bzw. das Öl müsste eigentlich an der Oberfläche schwimmen. Es hat sich jedoch mit dem Wasser verbunden; dispergiert, wie die Fachleute sagen. Und dabei entzieht es dem Wasser dreißig oder mehr Prozent Sauerstoff.

Der Fisch hat jetzt die Wahl. Entweder er stirbt am dispergierten Spülmittel … oder er verendet später qualvoll an Sauerstoffmangel. Allerdings muss das Corexit weitaus wirkungsvoller sein als Spülmittel. Das sagt die Logik. Wir wissen darüber hinaus, dass jede Rohölsorte in sich unterschiedlich hohe Giftstoffe enthält. Man kann es also in keinster Weise mit dem Speiseöl in der Bratpfanne vergleichen. Unzweifelhaft ist, dass sich dieses Corexit in Verbindung mit dem giftigen Rohöl um ein Vielfaches potenziert, wie die Wissenschaftler es ausdrücken. Diese neue Mischung kann um ein Zehnfaches oder vielleicht sogar um ein Hundertfaches giftiger sein, als jeder der beiden Stoffe in sich. Ich gehe fest davon aus, dass dies die Wissenschaftler von Nalco verdammt genau wissen. Und der Konzern wird alles nur Erdenkliche unter­nehmen, um dieses Wissen unter Verschluss zu halten.«

»Aber das muss sich doch irgendwann von selbst wieder regenerieren.«

»Du sagst es. Irgendwann. Im warmen Wasser dauert es vielleicht zehn oder fünfzehn Jahre. Aber weiter unten ist das Wasser saukalt. Fast wie am Nordpol. Da dauert es vielleicht zehn Mal länger. Ich habe gestern telefoniert und gehört, dass diese Burschen bereits damit begonnen haben, mittels Tauchroboter, dieses Mittel in unmittelbarer Nähe des Austrittes, das heißt in 1.500 Meter Tiefe auszubringen. Der Teppich aus diesem Gemisch treibt also in einer uns völlig unbekannten Tiefe. Dort jagen zum Beispiel die Walhaie oder andere größere Fische. Die saugen ja riesige Mengen Wasser durch ihre Kiemen. Diese Kiemen sind bereits nach wenigen Minuten total verstopft. Ende. Aus. Diese Wolken driften aber auch weiter nach oben. Und im Golf von Mexiko gibt es schät­zungsweise an die 3 000 Delfine, hunderttausende Schildkröten, Austernzucht­bänke und so weiter. Was meinst du, welche Auswirkungen das allein für die heimische Austern-, Fisch- und Shrimps-Industrie haben wird; völlig losgelöst von der Auswirkung auf die Billionen anderer Lebewesen im Golf. Ich kann mir vorstellen, dass der lebenswichtige Krill oder viele andere Kleinstlebewesen, von denen sich Fische und andere Tiere ernähren, absterben oder stark kontaminiert werden. Und diese Scheiße bleibt ja nicht im Golf von Mexiko. Die Strömungen tragen es ja hinaus in die Ozeane – rings um diese Erde; dorthin, wo bereits Unmengen von anderen Havarien, Verklappungen und Einleitungen treiben; zusammen mit den Unmengen an Müll. Hinzu kommen in den wärme­ren Gewässern die Auswirkungen der Treibhausgase, der Methangase und was weiß ich noch alles. Und hinter dieser ganzen Scheiße stecken … man wagt es nicht zu sagen … angeblich intelligente Menschen. Was für ein Wahnsinn.«

Bodo sackte leicht in sich zusammen. Marco stierte in den Laptop. Er hatte aufgehört, nach weiteren Hiobsbotschaften zu suchen.

»Uns hat man eingesperrt«, seufzte Bodo leise.

»Uns hat man als Terroristen bezeichnet. Weil einige der Aktivisten ein Labor in die Luft gejagt haben, worin sie tausende Affen, Hunde, Katzen und Ratten jahrelang unsäglich quälten. Dabei zweifeln mittlerweile viele Wissenschaftler den Sinn und den Nutzen dieser Versuche an. Es war dieser Idiot von Matt Craig, der uns erklärte, dass wir damit einen finanziellen und ideellen Schaden angerichtet haben. Der Wortlaut des neuen Bundesgesetzes zielte explizit nicht auf den tatsächlich entstandenen Schaden ab. Den sogenannten Gesetzeshütern und der dahinter­stehenden Wirtschaftsmacht ging es fast ausschließlich darum, eine Art Exempel zu statuieren. Ihnen ging es darum, die Zufuhr an Aktivisten im Keim zu ersticken. Ihnen ging es, wie Craig es ausdrückte, um den ideellen und eher imaginären Schaden, den diese Terroristen auf Sicht gesehen hätten anrichten können. Diese Philosophie war in keinster Weise mit demokratischen Werten in Übereinklang zu bringen.«

Bodo wurde lauter.

»Das hier ist Terror«, schrie er.

»Doch dieser Terror ist so riesengroß, so unbeschreiblich, so unfassbar, dass es den allermeisten Menschen schwerfällt, dies annähernd zu begreifen. Dieser Schaden wird keine lumpigen Millionen Dollar betragen. Allein im Golf von Mexiko wird auf Dauer gesehen ein finanzieller Schaden von fünfzig oder mehr Milliarden entstehen. Allein im Bereich der Fischerei und des Tourismus rechnen die Fachleute mit dem Verlust von mindestens 100 000 Arbeitsplätzen hier in dieser Region. Von einem unsäglichen menschlichen Leid ganz zu schweigen.«

Er machte wieder eine kurze Pause.

»Und das wird nicht das letzte Desaster in dieser Region sein. Da unten liegt viel zu viel von diesem teuren Saft. Sie werden immer tiefer bohren. Es wird immer gefährlicher für die Umwelt werden. Diese Konzerne, Politiker und dieser ganze Sumpf … das sind die wahren Terroristen … das sind Kriminelle und Verbrecher.«

Er lachte bitter.

„He Bodo. In ein paar Tagen treffen über hundert Menschen hier ein. Sie kommen nur, weil du sie darum gebeten hast. Sie wollen zu dir aufschauen. Sie wollen von dir wissen, was sie tun sollen. Du darfst sie nicht enttäuschen.

»Ich gehe jede Wette ein, dass der Vorstandsvorsitzende von diesem Konzern zur Verantwortung gezogen wird und zurücktreten muss«, murmelte Bodo. »Allerdings wissen wir beide, dass dieses Schwein nicht in den Knast kommt. Man wird ihn mit Sicherheit auch nicht nach Little Guantanamo bringen. Mein lieber Craig: Das ist ein ideeller Schaden für unsere Gesellschaft! Das ist eine moralische und ethische Sauerei! Die haben doch keine Moral und keine Werte, keine Ethik und keine Rücksicht auf die Schöpfung.«

Bodo wurde plötzlich still. Er blickte zum Fenster hinaus.

Nach einer Weile sah Marco, dass dicke Tränen über Bodos Wangen rannen. Er war wie erstarrt. Noch nie hatte er Bodo so gesehen. Selbst in Little Guantanamo war er wie ein Fels in der Brandung; ein Fels, an den sich viele geklammert hatten. Und Jahre zuvor waren sie gemeinsam im Öl, im Dreck, im Schlamm, im Wind und in der Kälte gestanden. Auch dort war er der Fels gewesen. Viele Aktivisten suchten seine Nähe, um ein Wort des Trostes zu hören. Nur, um kurz seinen starken Arm auf ihren Schultern zu spüren, von ihm kurz gestreichelt zu werden. Nie hätte es sich Marco vorstellen können, dass dieser Hüne von Mann, sein Bodo, das Idol, das Ideal von hunderten Aktivisten - hätte weinen, große und dicke Tränen weinen können. Dieser Mann war sein Freund. Nein, er war mittlerweile mehr für ihn; viel mehr. Das traf auch auf Ole und viele andere Aktivisten zu. Für Ole war dieser Mann sogar sein Gott. Oh Gott, wenn Ole dies jetzt sehen würde …

Marco saß wie angewurzelt. Er hatte das Gefühl, dass seine Beine und Arme plötzlich tonnenschwer wurden. Doch in diesen Minuten konnte und durfte er seinen Freund nicht allein lassen. Er raffte sich auf und ging zu ihm. Er nahm Bodos Arm, legte ihn über seine Schulter, und lehnte sich an dessen Brust.

So standen sie viele Minuten.

»Bevor wir aufgeben, nehmen wir so viele mit, wie es nur geht. Das sind wir uns und der Schöpfung schuldig«, sagte schließlich Marco. Er war selbst von seinen Worten und vor allem über die Art, wie er sie sagte, erschrocken.

Der letzte Satz war für Bodo entscheidend gewesen. Langsam und gedankenverloren strich er nun über Marcos Haar.

»Aber es sind so viele. Und es werden immer mehr, mein Freund. So viele Kugeln gibt es gar nicht, die wir bräuchten, um diese herrliche Schöpfung zu retten.«

Marco begann Bodo hart zu schütteln.

»He Bodo. In ein paar Tagen treffen über hundert Menschen hier ein. Sie kommen nur, weil du sie darum gebeten hast. Sie wollen zu dir aufschauen. Sie wollen von dir wissen, was sie tun sollen. Du darfst sie nicht enttäuschen. Zuhause können wir ja dann beraten, wie es künftig weitergehen soll.«

Bodos Körper straffte sich urplötzlich. In seine wasserblauen Augen kehrten wieder Kraft und Glanz zurück. Mit seinen kräftigen Händen griff er nach Marcos Schultern.

»Danke. Es tut gut, einen Freund wie dich zu haben.«

Bodos zornige Seele

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