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2.1.1 Grundprinzipien der Konversationsanalyse

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Was das methodische Vorgehen bzw. den theoretischen Hintergrund betrifft, unterliegen Untersuchungen sprachlicher Handlungen mit Konversationsanalyse einer Reihe von Prinzipien, die im Grunde genommen in der Ethnomethodologie verankert sind und in konversationsanalytischen Arbeiten entwickelt werden. Im Folgenden werden die Grundprinzipien im ethnomethodologischen Zusammenhang skizziert.

1. Natürliche Daten als Untersuchungsgegenstand

Die Konversationsanalyse besteht darauf, die „Natürlichkeit“ der Daten im höchstmöglichen Maße aufrechtzuerhalten. Das Ziel ist, dass möglichst viel vom realen Ablauf der Interaktion für die Analyse verfügbar ist. Die im konversationsanalytischen Rahmen erhobenen Daten unterscheiden sich deutlich von anderen Daten, mit denen die Sozialwissenschaftler bzw. Sprachwissenschaftler häufig arbeiten, wie experimentell gewonnene Daten, nachträgliche Beschreibungen sowie auch Erzählungen und Rollenspiele.

Experimentelle Formen der Daten sind nicht geeignet für die Analyse alltäglicher Interaktionen. Die sich daraus ergebenden Handlungen sind spezifisch für das experimentelle Setting, in dem die Beteiligten hauptsächlich ihre Aufgaben erfüllen. Auf die Untersuchung der dargestellten Handlungen in ihrem eigentlichen sozialen Kontext sind solche Daten nicht zu übertragen. Aus ähnlichen Gründen werden Daten in Form von Rollenspielen oder idealisierten Versionen in der Konversationsanalyse nicht in Betracht gezogen.

Nachträgliche Beschreibungen oder Erzählungen von Interaktionen gelten oftmals als eine Untersuchungsmethode in der wissenschaftlichen Forschung. Das Problem dabei liegt aber darin, dass sie sich nicht auf die Interaktion selbst konzentrieren, sondern eine retrospektive Darstellung produzieren. Das heißt, sie verstehen sich als Ressource für die Analyse, aber nicht als Gegenstand der Analyse. Um soziales Handeln in der Ethnomethodologie zu untersuchen stehen die Fragen des „Wie“ und nicht des „Warum“ sozialer Tatbestände im Mittelpunkt. Entsprechend besteht das Interesse der Konversationsanalyse, die sich aus der Ethnomethodologie entwickelt, in den Fragen, wie sich die Handlungen in der Interaktion manifestieren. Mit anderen Worten: Es wird ausschließlich die Interaktion an sich analysiert. In dieser Hinsicht ist es nicht unproblematisch, solche Datentypen für die Konversationsanalyse zu benutzen. Es gibt aber auch Ausnahmen, bei denen nachträgliche Beschreibungen oder Erzählungen (z.B. Interviews) an sich als Untersuchungsgegenstand verwendet werden können, das heißt, der Aufbau der Interviews wird erforscht. In diesem Fall können solche Daten in das Interesse der Konversationsanalyse rücken.

Begünstigt wird die Erhebung natürlicher Daten von den Möglichkeiten der Ton- und Videoaufzeichnung. Durch den Einsatz der Transkriptionstechnik fixiert man anschließend die natürlichen Daten schriftlich.

2. Detail- und Materialtreue

Wie im Vorausgegangenen erwähnt, spielt die Transkription bei der Konversationsanalyse eine zentrale Rolle. In der Transkription wird die ursprüngliche Materialität der Daten schriftlich rekonstruiert. Die Analyse liegt den transkribierten Daten zugrunde. Im Vergleich zu anderen Forschungen zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie nicht nur zur Arbeit an dem eigentlichen Material dient, sondern auch den Lesern die Möglichkeit gibt, die Analyseergebnisse anhand der detailliert dargestellten Daten zu begreifen. Denn in vielen Forschungen werden die Befunde in kodierter Form präsentiert.

Die Konversationsanalyse folgt strikt einer materialgestützten Orientierung. Besonders bezeichnend ist ihr Empirieverständnis. Ethnomethodologen lassen keine vorgängigen theoretischen Aussagen über ihren Objektbereich zu. Entsprechend werden Konversationsanalytiker aufgefordert, ihre Hypothesen, Fragestellungen und Konzepte anhand der Daten zu entwickeln. Das Material darf nicht wie in der Sprach- und Sozialpsychologie vorher für Forschungszwecke arrangiert werden. Erst von den konkreten Details des Materials ausgehend arbeiten die Forscher Analysekategorien heraus. Dadurch vermeidet man die Gefahr, die in der wissenschaftlichen Forschung häufig zu beobachten ist, dass die Forscher vorab Analysekategorien formulieren und dann das Material nur für diese benutzen, um ein theoretisches Konzept zu untermauern. Dabei wird die Besonderheit des Materials in seinem eigentlichen Kontext übersehen. In der Konversationsanalyse bilden sich die theoretischen Analysekonzepte dagegen in der Auseinandersetzung mit den empirischen Daten aus. Diese Offenheit bietet die Möglichkeit, zu rekonstruieren, wie die Beteiligten selbst einander verstehen und an welchen Regeln oder Verfahren sie sich dabei orientieren. Dadurch lassen sich die Struktur der Interaktion und die Prinzipien der Organisation entdecken, was dem Ziel der Konversationsanalyse entspricht.

3. Ordnung der Interaktion

Aus ethnomethodologischer Sicht ist die Ordnung des sozialen Geschehens ein wichtiger Aspekt für die Untersuchung der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Diese Ordnung im ethnomethodologischen Sinne wird nicht vorab bestimmt, sondern als Resultat der praktischen Aktivitäten der Gesellschaftsmitglieder aufgefasst. Entsprechend übernimmt die Konversationsanalyse den Gesichtspunkt der sozialen Ordnung als eine Grundlage für ihre Forschung. Ihre Bedeutung zeigt sich bereits bei Sacks’ Arbeit, indem er auf „order at all points“ (Sacks 1984: 22) hinweist. Jede Interaktion ist eine geordnete Aktivität und unterliegt bestimmten Regeln bzw. Verfahren. Jeder Teil eines Gesprächs hat in der Gesprächsabfolge seine Funktion.

Die Ordnung der Interaktion ist an der sprachlichen Oberfläche erkennbar, sowohl für die Analytiker, als auch für die Teilnehmer. Für die zuhörenden Teilnehmer ist es wichtig, dass die Redebeiträge des Sprechers verständlich gemacht werden. Sie interpretieren dann die Äußerungen des Gesprächspartners und reagieren darauf mit verbalen oder nonverbalen Handlungen. Die Analytiker rekonstruieren diese sinnhafte Konstitution anhand ihrer eigenen Materialien. Dabei sind die Organisation des Gesprächsablaufs und spezifische Äußerungen mit sequentieller Implikation von zentraler Bedeutung (Günthner 2000c: 25). In der Konversationsanalyse muss man sich so tief wie möglich auf den Interaktionsprozess einlassen, um die geordnete Konstruktion herauszuarbeiten.

4. Kontext

Während das Erfassen der Ordnung im Gespräch im Vordergrund der Konversationsanalyse steht, stellt sich im Hinblick auf die methodischen Praktiken die Frage, ob es dabei einfach nur um das Ablesen und das Hören geht. Vielmehr braucht man Interpretation, um die Organisationsprinzipien der Interaktion zu verstehen. Aus ethnomethodologischer Sicht ergeben sich soziale Handlungen mit jeweiliger aktiver Kontextbezogenheit. Das soziale Geschehen wird nicht isoliert, sondern in seiner kontextuellen Einbettung interpretiert. Entsprechend führt man in der Konversationsanalyse die Diskussion über die Interpretation unter dem Aspekt von Kontexten bzw. Kontextwissen. Für das Verständnis der sprachlichen Interaktion, die ein symbolisches Handeln darstellt, ist das Kontextwissen von zentraler Bedeutung. Ohne relevante Wissensbestände ist es für die Rezipienten – sowohl die Gesprächsteilnehmer als auch die externen Analytiker – schwer, die sprachlichen Handlungen überhaupt adäquat zu interpretieren.

In konversationsanalytischen Erörterungen wird der Kontextaspekt vor allem auf zwei Ebenen thematisiert. Zum einen wirkt die Interaktion bereits selbst kontexterneuernd. Gemäß Goodwin/Heritage (1990) steht der Kontext im Interpretationsverfahren im engen Zusammenhang zwischen Analyse und Sequenzialität, nämlich der zeitlichen Gesprächsabfolge. Das heißt, der Kontext entsteht im Verlauf eines Gesprächs selbst und wird von den Beteiligten konstituiert. Ein solcher Kontext prägt die Handlungen der Beteiligten und ist gleichzeitig selbst ein Resultat dieses interaktiven Handelns. Beispielsweise finden sich in Eltern-Kind-Interaktionen häufig Anpassungsstrategien des sprachlich kompetenteren Erwachsenen, indem er lexikalisch, syntaktisch oder prosodisch seine Redebeiträge modifiziert, um mit den Kindern zu kommunizieren. Die Beteiligten schaffen den Kontext und manifestieren ihn in der Gesprächssequenz. So beschreibt Schegloff (1972: 115) die erste Ebene treffend: „To say that interaction is context-sensitive is to say that interactants are context-sensitive“.

Zum anderen ist die Interaktion durch den Kontext geprägt, in den sie eingebettet ist. Dabei wird in der Konversationsanalyse häufig von der Ethnographie gesprochen. Die Integration der Ethnographie in die sprachwissenschaftliche Konversationsanalyse lässt sich aus zwei Perspektiven begründen. Aus methodologischer Sicht versteht sich die Analyse grundsätzlich als „interpretative Arbeit“ (Deppermann 2000: 118), die stets auf den empirischen Materialien beruht. Bei der Interpretation der Datenmaterialien geht es aber prinzipiell um eine Arbeit des Subjektes. Dies soll in der Untersuchung berücksichtigt werden, indem man ethnographische Konzeptionen zur Verbesserung der Interpretationsarbeit entwickelt. Aus methodenpraktischer Sicht ist das „ethnographische Wissen“ (Deppermann 2000: 118) von besonderer Bedeutung. Kontextwissen lässt sich nicht immer aus den Daten erschließen, und deshalb ist es stets notwendig, zu untersuchen, in welcher Weise ethnographisches Wissen für die Gesprächsauswertung unabdingbar ist.

Mit der Anwendung der ethnographischen Methoden entsteht die Konzeption „ethnographische Konversationsanalyse“. Damit ist aber nicht einfach eine Kombination der beiden Methoden gemeint. Vielmehr dient der ethnographische Ansatz als ein Hilfsmittel für die Konversationsanalyse. Das heißt, die Analyse mit dieser Konzeption wird nicht nach den Grundprinzipien der Ethnologie durchgeführt, sondern immer noch entsprechend der konversationsanalytischen Methode. Die Integration der Ethnographie deutet lediglich auf die Anwendung ethnographisches Arbeiten in der Analyse hin.

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