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Aufgaben des Bischofs

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Der noch nicht einmal 30-jährige Athanasius war nun – wenigstens von seiner Stellung her – einer der drei wichtigsten Kirchenführer der Christen. Betrachten wir zunächst die normalen Vollmachten, wie sie alle Bischöfe besaßen. Die frühe Jerusalemer Gemeinde war von Anfang an hierarchisch strukturiert gewesen; es gab Personengruppen, die höhere Autorität beanspruchten. Hier sind vor allem die Apostel zu nennen. Ferner gab es in Jerusalem Personen, deren Aufgabe es war, zu „dienen“. Sie sind als Vorläufer der Diakone zu betrachten. Schließlich nennt die Apostelgeschichte die „Ältesten“ – Presbyter, Priester –, |51|eine Funktion, die es auch in den jüdischen Gemeinden Palästinas gab. Sie unterstützten die Leiter der Gemeinschaften.

Der Bischof steht an Gottes Stelle, die Presbyter ersetzen die Ratsversammlung der Apostel, und die Diakone sind mit dem Gottesdienst betraut: „Folgt alle dem Bischof wie Jesus Christus seinem Vater und den Presbytern wie den Aposteln; die Diakone aber achtet wie Gottes Gebot. Keiner soll ohne Bischof etwas tun, was die Kirche betrifft. Nur jene Eucharistiefeier soll als zuverlässig gelten, die unter dem Bischof oder einem von ihm Befugten stattfindet. Wo der Bischof erscheint, dort soll die Gemeinde sein, wie da, wo Jesus Christus ist, die katholische Kirche ist.“17 Der Bischof als Vertreter Gottes oder Christi unter den Gläubigen garantiert die Einheit der Gemeinde: „Alle nämlich, die zu Gott und Jesus Christus gehören, sind mit dem Bischof.“18 Nimmt der Bischof den Platz von Jesus Christus ein, hat er Anspruch auf den unbedingten Gehorsam der Gemeinde; jeder Angriff auf den Bischof ist ein Angriff auf Gott selbst.

Die Vollmachten des Bischofs darf man durchaus autokratisch nennen. Der Bischof mochte seinen Klerus oder die gesamte Gemeinde konsultieren, und er hat dies in kontroversen Fragen sicherlich auch getan, aber die letzte Entscheidung lag bei ihm, und sie war endgültig. Der Bischof weihte die Priester, die Diakone und den niederen Klerus, und er konnte diese Amtsträger wieder absetzen, wenn sie seinen Anordnungen nicht nachkamen. Der Bischof nahm neue Mitglieder in die Gemeinschaft auf und schloss diejenigen aus, deren Haltung und Ansichten er verdammte. Der Bischof leitete den Gottesdienst und die Eucharistiefeier, die Christus mit den Gläubigen verband. Er war Hüter der Reliquien, die in der Spätantike wichtige Triebkräfte religiöser Spiritualität waren. Er erkannte Wunder an. Nicht weniger bedeutsam waren die irdischen Dinge, für die er zuständig war. Er kontrollierte die Einkünfte der Kirche und gab das Geld nach Gutdünken aus. Schließlich hatte ein Bischof sein Amt lebenslang inne, und seine Gemeinde konnte ihn nicht absetzen. Dies vermochte allenfalls die Versammlung der Bischöfe einer Kirchenprovinz, der aber keine Machtmittel zur Verfügung standen, um einen derartigen Beschluss auszuführen. Wenn man später Athanasius vorwarf, er sei „ein reicher Mann, mächtig und in der Lage, alles tun zu können“,19 war dies so falsch nicht.

Ein zentraler Aufgabenbereich, der seit dem 4. Jahrhundert beständig wuchs, war die Verwaltung der kirchlichen Finanzen. Die Einkünfte |52|der Bischöfe nahmen durch die rapide wachsende Zahl von Christen und eine entsprechende Beteiligung an den regelmäßigen Kollekten zu. Darüber hinaus hatte Konstantin die Möglichkeit eröffnet, die Kirche testamentarisch zu bedenken. Auf der anderen Seite wuchs auch der Kreis der Bedürftigen beständig. Ein Teil der kirchlichen Einkünfte wurde für soziale Zwecke ausgegeben. Mit Armenhäusern, Kinderheimen, Witwenhäusern und Hospitälern kümmerte sich die Kirche um jene Unglücklichen, für die der Staat meist nichts tat. Legt man die Regelungen des Bischofs von Rom zugrunde, wurde allerdings nur ein Viertel des Einkommens für diese Einrichtungen aufgewandt. Gut die Hälfte ging an die Bischöfe und den Klerus, der Rest wurde zum Bau und Unterhalt der Gebäude verwendet. Als Konstantin im Jahre 324 auch den östlichen Reichsteil übernahm, stellte er den Bischöfen anheim, Geld, das er den Statthaltern für Kirchenbauten zur Verfügung gestellt hatte, abzurufen.20 In zahlreichen Fällen lässt sich beobachten, dass der Kampf um solche Mittel ebenso erbittert geführt wurde wie um den rechten Glauben.

Mit der Weihe zum Patriarchen von Alexandria war Athanasius nicht nur einer der drei großen offiziellen Meinungsführer der Christen, sondern verfügte auch innerhalb seines Metropolitanbereichs über erhebliche Macht. Er bestimmte, wer zu seiner Kirche gehörte, und damit darüber, wer die zahlreichen staatlichen Privilegien in Anspruch nehmen konnte. Schon Konstantin hatte im Jahre 313 die Befreiung der christlichen Priester der Kirche in Nordafrika von allen öffentlichen Dienstleistungen verfügt; allerdings galt das nur für diejenigen, denen der Bischof Caecilian von Karthago (312–325), der Gegenspieler der Donatisten, vorstand.21 Das heißt nichts anderes, als dass der Bischof bestimmte, wer dieses Privileg, kostenloses Getreide oder andere Zuwendungen, erhielt. Und da seit der Zeit Konstantins auch die Unterscheidung zwischen „katholischer Kirche“ auf der einen und „Häretikern“ auf der anderen Seite in die Sprache der kaiserlichen Kanzlei Eingang gefunden hatte, schloss eben die Zugehörigkeit zu einer Häresie von den Unterstützungsmaßnahmen aus. Die Kirche hatte nun generell für die Verteilung von Gütern an Arme und Bedürftige zu sorgen.22 Die Bischöfe erhielten große Mengen an Wein und Öl zur Verteilung. Dies steigerte die Macht und den Einfluss des Bischofs und seine Reputation. Nicht nur Athanasius wird diese Mittel eingesetzt haben, um seine eigenen Christen zu unterstützen oder um zu |53|‚missionieren‘. In den Auseinandersetzungen mit Constantius II. ließ der Kaiser solche Mittel angeblich beschlagnahmen, um den von ihm favorisierten Glauben durchzusetzen.23

Da die Kaiser im Laufe des 4. Jahrhunderts in zunehmendem Maße über die Rechtgläubigkeit entschieden, konnte die Definition von „katholisch“ und „häretisch“ rasch wechseln. In Alexandria galten lange Zeit die Melitianer (S. 42) als ebenso rechtgläubig wie diejenigen, die in Glaubensgemeinschaft mit Athanasius lebten – nicht aber die Arianer. Da Athanasius wahren, echten Glauben nur bei seinen eigenen Klerikern unterstellte, beschuldigte er die Melitianer, mit Geld für Priester- und Bischofsämter bestochen zu haben, um die damit verbundenen staatlichen Privilegien zu erhalten. Als später Constantius II. allein die Arianer privilegierte, wurden, so Athanasius, die Melitianer sofort zu Arianern; und sollte der Kaiser etwas anderes befehlen, so wären sie auch zu diesem bereit. „Denn es gilt ihnen für nichts, durch jeden Wind und jede Welle sich hin und her tragen zu lassen, wenn sie nur von Abgaben frei sind.“24 Athanasius, der so oft für seine Überzeugung ins Exil gehen musste, ist über solches Verhalten selbstverständlich empört.

Athanasius selbst wurde im Laufe seiner langen Bischofszeit beschuldigt, Getreide verkauft zu haben, das Konstantin für libysche und ägyptische Witwen zur Verfügung gestellt hatte.25 Eine solche Beschuldigung, Athanasius spricht von Verleumdung, konnte nur erhoben werden, wenn der Patriarch das staatliche Getreide erhielt, um es zuzuteilen. Wir dürfen mit Gewissheit davon ausgehen, dass nur rechtgläubige Witwen eine Zuteilung erhielten. Insgesamt verfügte Athanasius als neuer Patriarch Alexandrias über erhebliche Mittel, die er einsetzen konnte, um ‚seine‘ Christen an sich zu binden und ‚andere‘ zum rechten Glauben zu führen.

Eine der Aufgaben, welche die Bischöfe offenbar mehr und mehr in Anspruch nahmen, war die Rechtsprechung. Dafür sprechen die Klagen einiger Amtsinhaber über die ihnen in Rechtsangelegenheiten auferlegte Arbeitslast. Die Befugnis, Recht zu sprechen, brachte manchen Missbrauch mit sich, es kam schließlich zu einer Professionalisierung des Verfahrens und zur Einstellung juristisch vorgebildeter Berater am bischöflichen Gericht. Zu den vielen Aspekten des christlichen Alltags, die als zivile Streitsachen von den Bischöfen zu entscheiden waren, gehörten auch theologische Differenzen.26 Wer |54|verhandelte einen Diebstahl, bei dem die Kontrahenten unterschiedlichen christlichen Konfessionen angehörten? Wie ging der Bischof mit Laien um, die sich aus seiner Sicht häretisch äußerten? Wir benötigen nicht viel Phantasie, uns vorzustellen, wie Athanasius in solchen Fällen entschied.

Das Konzil von Nicäa bestätigte die bis dahin gängige Praxis, dass die Bischöfe einer Provinz zweimal im Jahr zusammenkamen. Festgelegt wurde außerdem, dass bei Vakanz eines Bischofsstuhles der Nachfolger von den Bischöfen der Provinz gewählt wurde; schließlich sollte der sogenannte Metropolitanbischof der Weihe zustimmen. Damit meinten die Väter von Nicäa den Bischof der Metropolis, das heißt der Provinzhauptstadt. Eine spätere Synode hielt fest: „Die Bischöfe in jeder Provinz sollen sich daran erinnern, dass der Bischof, der die Metropolis leitet, auch die Sorge für die ganze Provinz hat, weil Leute aus der ganzen Provinz in der Metropolis zusammenkommen. Es ist einmal festgelegt worden, dass er den Ehrenvorrang haben soll und dass die anderen Bischöfe, gemäß der alten Sitte unserer Väter, die Bestand hat, nichts tun sollen ohne ihn, was über die Angelegenheiten hinausgeht, die ihre individuellen Bischofssitze und ihr Territorium betreffen.“27 Beschlüsse wie diese schufen oder bestätigten eine Hierarchie innerhalb der Bischofssitze. Der Metropolitanbischof war Vorsitzender der Provinzversammlung, keine gemeinsame Aktion konnte ohne seine Zustimmung erfolgen. Er hatte vor allem ein Vetorecht bei der Wahl der Bischöfe. Die Provinzversammlung nahm sich der Streitigkeiten unter Nachbarbischöfen oder zwischen Bischöfen und Klerus oder Volk an. Die Rolle des Klerus und der Gemeinde geriet immer mehr in den Hintergrund.

Die Hierarchisierung setzte sich nach oben in den sogenannten Patriarchaten fort. Das Konzil von Nicäa spricht in seinem Kanon 6 auch diese Kirchengliederung an, die weit über die provinzialen Verwaltungseinheiten hinausgeht: Der Bischof von Alexandria hat die Oberleitung aller Ortsgemeinden in Ägypten, Libyen und der Pentapolis (fünf Städte im heutige Libyen); auch Rom und Antiochia wird ein größeres geographisches Gebiet unterstellt, ohne dass dieses jeweils genau bestimmt ist. Die Metropoliten dieser drei Zentren wurden die ersten Patriarchen. Ausschlaggebend dürfte zunächst gewesen sein, dass die drei Städte schon früh größere christliche Gemeinden beheimateten; hinzu kam die politische Bedeutung dieser Großstädte, zu |55|denen sich im 4. Jahrhundert die neue Reichshauptstadt Konstantinopel gesellen sollte. Es waren die rivalisierenden Patriarchate, welche die Synoden seit dem 4. Jahrhundert immer wieder beschäftigten. Und es waren vor allen Dingen auch die Animositäten zwischen den Patriarchen, welche die theologischen Auseinandersetzungen stetig mit Zündstoff versorgten. Hierbei kam Athanasius eine prominente Rolle zu, bildete Alexandria doch die größte Stadt im griechischen Teil des römischen Reiches. Der ehemalige Diakon Athanasius war nun von Amts wegen eine Autorität und verfügte zudem über außergewöhnliche Machtmittel.

Über das öffentliche Auftreten des Patriarchen erfahren wir anlässlich einer Inspektionsreise in die Städte und Klöster seines Kirchenbezirks. „Athanasius saß auf einem Esel, von einer zahllosen Menge von Menschen begleitet. Darunter befanden sich unzählige Bischöfe und Priester mit Lampen und Kerzen, und ebenso Mönche von unterschiedlichen Orten, die ihm vorausgingen, Psalmen und Lobeshymnen singend.“28 Und es war kein Sklave da, der den Bischof daran erinnerte: „Gedenke, dass du ein Mensch bist!“

Athanasius der Große

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