Читать книгу Die Zukunft ist der Roboter - Martin Cordemann - Страница 8

Dreißig Jahre Zimmer 1 von Kafka

Оглавление

Zum letzten Mal schloss M die Gardinen vor dem kleinen Fenster. Der Begriff Fenster war übertrieben, es war ein dünner Schlitz in der Wand, durch den an manchen Tagen ein Streifen Sonnenlicht fiel, aber nicht oft. Die Gardinen hatte seine Frau ihm gestrickt, damit er etwas Persönliches in seinem Raum hatte, etwas, das ihn an sie erinnern sollte; das ihn an das erinnern sollte, wofür er das alles tat.

M ging zu seinem Schreibtisch, nahm die Aktentasche und tat den Apfel hinein. Er hatte ihn nicht gegessen. Nicht heute. Er hatte ihn nicht gebraucht. Die Vorfreude und die Furcht vor dem Ende hatten ihn seinen Appetit vergessen lassen. Ein letztes Mal ließ M seinen Blick durch das kleine Zimmer schweifen. Der Schreibtisch, der Stuhl, das Fenster, mehr gab es nicht. Die Gardinen würde er für seinen Nachfolger da lassen. Falls es einen Nachfolger gab. Vielleicht war er der einzige, würde immer der einzige bleiben, der diese Aufgabe zu erfüllen hatte, die er treu und sorgsam 30 Jahre lang erfüllt hatte.

Nun stand er kurz davor, diesen Raum zum letzten Mal zu verlassen. Die Zeit dort hatte ihn altern lassen, schneller, als andere gealtert waren. Wenn er jetzt ging, würde er nie wiederkommen, würde nie wieder diesen Raum betreten. 30 Jahre lang hatte er jeden Morgen die Tür geöffnet, war eingetreten, hatte seine Aktentasche neben den Schreibtisch gestellt, hatte versucht, die Aufgabe zu erfüllen, die man ihm aufgetragen hatte und war abends wieder zurück nach Hause gegangen, zu seiner Frau. Kinder hatten sie nicht gehabt. Der Raum hatte seinem Leben eine Aufgabe gegeben, ein Ziel, eine Richtung, eine Bedeutung.

Leise schloss M die Tür hinter sich, ohne noch einmal zurück zu blicken. Dieser Raum würde von nun an für ihn verschlossen bleiben. Geheimrat Weber kam vom Ende des Korridors auf ihn zu. Er hatte M dabei beobachtet, wie dieser sein Zimmer verlassen und seine Tür zum letzten Mal geschlossen hatte. Weber reichte M die Hand, zum Abschied.

„Habe ich meine Aufgabe erfüllt“, fragte M. „Bin ich den Anforderungen, die man an mich gestellt hat, gerecht geworden?“ Weber schwieg. „Für mich“, fuhr M fort, „war Zimmer 1 das Wichtigste in meinem Leben. Zimmer 1 hat meiner Existenz einen Sinn verliehen, eine Bedeutung. Ohne Zimmer 1 wäre mein Leben sinnlos, bedeutungslos und ich hätte nichts erreicht.“

Geheimrat Weber senkte den Blick. „Ihr wirkliches Zimmer war Zimmer 2“, sagte er leise.

Die Zukunft ist der Roboter

Подняться наверх