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8. Zeremonie und Opfer

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Drinnen im Haus war es furchtbar kalt und düster. Der bezwingende, unheilvolle Chor des Kyrie (Requiem) von Ligeti durchdrang die Räume, hallte vom Marmorboden wider, wurde von den eichenverkleideten Wänden zurückgeworfen. Mitten aus der Eingangshalle führte die wuchtige Treppe in den ersten Stock, schwang sich im Halbrund um den Treppenabsatz und dann weiter in den zweiten Stock. Kein einziger Lichtstrahl fiel durch die schweren zugezogenen Samtvorhänge an den Fenstern. An jeder Stufe und hinter dem Geländer des Treppenabsatzes standen, wie bedrohliche Vogelscheuchen, stumme, reglose Gestalten, in schwarze Gewänder gekleidet und mit hochgeschlagenen Kapuzen.

Sie trugen Silikonmasken, die ihren Gesichtern im flackernden Lichtschimmer einen finsteren Ausdruck verliehen. Ihre Blicke richteten sich auf einen einzigen höher liegenden Punkt, dorthin, wo ein breites, mit schneeweißen Laken bezogenes Bett thronte, das an einen Altar erinnerte. Vor dem Bett lag der Kadaver einer jungen weißen Ziege in einem rot glänzenden Teich. Aus der aufgeschlitzten Kehle des Tieres sprudelte Blut. Etwas entfernt vom Bett flackerten an jeder der vier Ecken Kerzen in bronzefarbenen Kandelabern.

Vier junge, vollkommen nackte Mädchen ruhten Seite an Seite auf den weißen Laken und boten ihre jugendliche Schönheit den Blicken dar; ihre Reinheit und Unschuld wurden durch das schaurige Dekor und die bevorstehende Zeremonie noch gesteigert. Das erste junge Mädchen hatte lange braune Haare, das zweite blonde Locken; das dritte war rothaarig, mit auffallend weißer Haut und Sommersprossen und das vierte dunkelhäutig. Abwesend und wie berauscht fixierten die vier den vergoldeten, verschlungenen Deckenstuck.

Die gesamte sorgsam choreographierte Szene strebte jetzt ihrem Höhepunkt entgegen. Ein Mann mit einer einfachen Trommel schritt die Eingangshalle entlang, als drei gewaltige Gongschläge ertönten. Der Koloss, dessen muskelbepackter Körper schimmerte, war bis auf Slip und eine Silikonmaske nackt und hob jetzt den Klöppel hoch. Er wartete einen Augenblick lang, und schlug dann, wie auf ein geheimes Signal hin, langsam und kraftvoll, rhythmisch auf das Fell der Trommel ein. Im Takt der Trommel, die mit jedem Schlag ihre Kehle erzittern ließ, fingen die über die Treppe verteilten Gestalten gleichzeitig an, rhythmisch in die Hände zu klatschen; nach jedem Klatschen hielten sie einen Augenblick lang inne und stießen, wiederum alle zugleich, einen kurzen, kehligen Schrei aus.

Jetzt erschien ein zweiter Mann im Lichtkreis. Sein langes graues Haar wallte bis auf die Schultern, er trug eine Gesichtsmaske und ein langes weißes Gewand. Der Mann näherte sich langsam dem Bett. In der Hand hielt er einen goldenen, mit einer granatroten Flüssigkeit gefüllten Kelch, wie Wein, aber von zähflüssigerer Beschaffenheit: Das warme Blut der geopferten Ziege. Die jungen Frauen richteten sich wie ferngesteuert auf und hockten sich am Kopf des Bettes auf die Fersen. Nacheinander reichte der Mann ihnen den Kelch. Sie benetzten zuerst ihre Lippen, tranken dann nacheinander von der klebrigen Flüssigkeit und tauchten die Finger hinein. Nachdem die jungen Frauen den Kelch abgesetzt hatten, berührten sie einander, beschmierten sich mit Blut, zeichneten rote Motive auf ihre Gesichter und Körper.

Der Mann trat erst zu der Blonden, baute sich dann jedoch, hingerissen, vor der Brünetten auf. Trommelschläge und Klatschen verstummten mit einem Mal. Er setzte mit zwei Händen den Kelch an den Mund und nahm einen tiefen Zug, der rote Spuren an seinen rissigen Lippen hinterließ. Dann platzierte er den Kelch auf dem Kopf der braunhaarigen jungen Frau und kippte ihn langsam und feierlich nach vorn. Ein zäher Blutfaden rann über ihr Haar und bahnte sich den Weg über ihr Gesicht und ihren Körper.

Nachdem der Weißgekleidete den Kelch geleert hatte, glich der Kopf des Mädchens einer sämigen roten Masse aus Haar und Blut. Er bellte einen Befehl, und die anderen Mädchen drängten sich um sie und leckten das Blut von ihrer Haut. Die Schreie und Trommelschläge setzten erneut ein, als der Mann den Kelch polternd zu Boden fallen ließ und sich mit einer Bewegung das weiße Gewand über den Kopf riss.

Vollkommen nackt trat er an das Bett, packte Hintern, zog Hüften zu sich heran und bot sein aufgerichtetes Geschlecht wie eine Opfergabe dar.

Kurze Zeit später, nachdem die gespenstischen Figuren auf der Treppe ebenfalls ihre Gewänder abgelegt hatten und bis auf die Masken nackt waren und die Orgie in einem wilden Durcheinander aus Körpern und feuchten Geschlechtern entfesselt dem Höhepunkt entgegenwogte, verließ eine der jungen Frauen unauffällig den Bettaltar und strebte zur Toilette im Erdgeschoss. In dem Aufruhr und der hemmungslosen Triebhaftigkeit war niemandem aufgefallen, dass sie das Blut aus dem Kelch nicht getrunken hatte.

Durch die Tore des Todes

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