Читать книгу Durch die Tore des Todes - Martin Michaud - Страница 9

3. Ein Problem

Оглавление

»Herzlichen Glückwunsch!«

Lächelnd bauten sich Jacinthe, Nadja und Loïc vor Victor auf, der wie angewurzelt in der Tür stehen geblieben war. Er brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was er vor sich sah: Auf dem Tisch lag eine viereckige eingepackte Schachtel, rote Luftballons schwebten neben der Plexiglastafel, an die sie Fotografien und Unterlagen der laufenden Ermittlungen hefteten.

»Ihr habt mich vielleicht erschreckt! Und außerdem hab ich heute gar nicht Geburtstag!«

Jacinthe fuhr sich durch das kurz geschnittene Haar.

»Du Unschuldslamm! Das ist doch das Geniale! An deinem Geburtstag können wir dich ja wohl kaum überraschen!«

Victor musste unwillkürlich lächeln. Inzwischen hatte er sich an den Sarkasmus seiner Partnerin gewöhnt. Und während der langen Auszeit, die sie genommen hatte, um eine Motorradtour durch Kanada und die Vereinigten Staaten zu machen, hatte sie ihm tatsächlich gefehlt. Jacinthe war nicht nur besonders grob, sondern ihr brannten auch schnell mal die Sicherungen durch. Und seit sie mit ihrer Diät begonnen und inzwischen schon rund fünfzehn Kilo abgenommen hatte, ging sie noch häufiger als früher in die Luft.

Kopfschüttelnd musterte Victor nacheinander seine Kollegen.

»Ihr … ihr habt wirklich ein Rad ab!«

Mit eisernem Griff packte Jacinthe ihn bei der Schulter, zog ihn an sich und drückte ihm knallende Küsse auf die Wangen.

»Alles Gute, Lessard!«

»Danke, Jacinthe.«

»Ach, und übrigens, dein Fünfzigster rückt näher.«

»Immer mit der Ruhe, ich bin schließlich erst knapp Mitte vierzig.«

Loïc, der sein langes blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, löste die verschränkten Arme und reichte Victor die Hand, der sie herzlich schüttelte.

»Alles Gute, Chef.«

»Danke, Kid.«

Loïc hörte auf zu kauen und blies eine gewaltige Kaugummiblase, die mit saftigem Ploppgeräusch zerplatzte und als Fetzen an seiner Nase kleben blieb. Obwohl er sehr jung wirkte, war er beinahe dreißig Jahre alt. Er hatte vorher als verdeckter Ermittler im Sitten- und Drogendezernat gearbeitet und eine Weile gebraucht, bis er seinen Platz im Team gefunden hatte; Seite an Seite mit seinem Partner Gilles Lemaire hatte sich Loïc inzwischen zu einem wertvollen Mitarbeiter der Abteilung gemausert.

Victor tauschte einen verschwörerischen Blick mit Nadja Fernandez, seiner Freundin.

»Alles Gute, mein Schatz.«

Das Haar, schwarz wie Ebenholz, fiel ihr in lässigen Wellen über die Schultern, und der kupferfarbene Teint verriet ihre südamerikanischen Wurzeln. Als sie ihn verführerisch anlächelte, blitzte eine Reihe perlweißer Zähne auf. Nadja war zwölf Jahre jünger als er, und ihre Schönheit verschlug ihm den Atem.

Im vergangenen Jahr hatte es in der Beziehung ziemlich gekriselt, denn Victor hatte Nadjas Bruder wegen einer finsteren Geschichte, die seinen Sohn Martin betraf, die Nase gebrochen. Aber inzwischen war die Sache beigelegt. Natürlich hatten sie im Lauf der Zeit die Fehler am anderen kennengelernt, die anfangs nicht so deutlich gewesen waren, aber sie waren verliebter als je zuvor.

»Jetzt verstehe ich auch, warum du mich heute Morgen in das Eisenwarengeschäft geschickt hast.«

Victor nahm seine lachende Freundin in den Arm und küsste sie. Es war eine schöne Überraschung, dass sie ebenfalls mit von der Partie war. Eigentlich hätte sie im 11. Revier sein sollen, wo sie nach wie vor als Ermittlerin für Commandant Tanguay arbeitete, mit dem Victor in der Vergangenheit schon mehrfach aneinandergeraten war. So leise, dass niemand sonst es hörte, flüsterte sie in sein Ohr:

»Dein neues Parfüm riecht einfach toll, Schatz. Fast wie eine Mischung aus Tabak und Purell.«

Victor senkte den Blick. Bei jedem Rückfall und ganz gleich, welche Vorsichtsmaßnahmen er traf, Nadja wusste immer Bescheid, wenn er heimlich geraucht hatte. Die Akupunktur hatte anfangs recht gut gewirkt, aber seine Angstattacken hatten ihn allmählich wieder zur Zigarette greifen lassen. Seit einigen Monaten rauchte er phasenweise, hatte sich aber geschworen, es einmal mit den elektronischen Zigaretten zu versuchen, die sie ihm geschenkt hatte.

Jacinthe hatte unterdessen angefangen, gleichmäßig in die Hände zu klatschen, was gleichzeitig begeistert und entnervend klang.

»Na schön! Und jetzt setz dich mal, es ist Zeit fürs Geschenk.«

Als er Platz genommen hatte, nahm sie eine auf dem Stuhl liegende Plastiktüte, holte eine rechteckige Schachtel heraus und legte sie auf den Tisch vor ihn. Die Schachtel war sorgfältig in Geschenkpapier eingepackt. Neugierig hob er sie an, prüfte das Gewicht, hielt sie ans Ohr, schüttelte sie und lauschte. Er musterte seine Freunde gespannt.

Nadja legte ihm eine Hand auf den Arm.

»Jacinthe hat sich darum gekümmert …«

Victor zog den Kopf zwischen die Schultern und schnitt eine Grimasse.

»Komisch, ich krieg plötzlich Angst. Ich hab echt keine Ahnung, warum …«

Ein Faustschlag landete auf seiner Schulter, ausgeführt von seiner Teamkollegin.

»He, lass den Quatsch.«

Gelächter. Victor riss das Papier auf, ohne weiter Zeit zu verschwenden. An einer Seite der Schachtel stand der Name eines Sportschuhherstellers. Als er den Deckel anhob, schien ein Leuchten vom Inhalt der Schachtel auszugehen und sich auf seinem Gesicht auszubreiten.

»Waaas? Ein Paar Converse?«

Er nahm die Schuhe in die Hände und drehte sie bewundernd.

»Und auch noch aus rotem Leder! Die sind ja wunderschön.«

Jacinthe, zufrieden mit der Wirkung des Geschenkes, warf sich stolz in die Brust.

»Freut mich, dass sie dir gefallen.«

»Und das Geschenk hast wirklich du gekauft, Jacinthe?«

Sie zwinkerte Nadja zu.

»Na ja, das ist nicht ganz allein auf meinem Mist gewachsen, wir haben alle zusammengelegt.«

»Wow. Danke! Ich bin total überwältigt.«

»Keine Ursache. Die Karte kriegst du später, die hab ich im Auto vergessen.«

Vornübergebeugt zog Victor seine Sportschuhe aus und schlüpfte in die neuen Converse.

»Größe 12 … Passen wie angegossen.«

Gerührt stand er auf und bedankte sich erneut bei seinen Kollegen. Nachdem er alle umarmt hatte, frotzelten sie ein bisschen herum, und dann verkündete Jacinthe den nächsten Programmteil.

»Los, auf geht’s! Wir haben einen Tisch bei Cora bestellt, neben dem Stadion.«

»Echt?«

»Und ob, Monsieur! Du hast VIP-Status. Very Important Penis!«

Wieder brach Gelächter aus. Victor griff nach der eckigen Schachtel, die er beim Eintreten auf dem Tisch liegen sehen hatte.

»Was ist das hier eigentlich?«

»Weiß ich nicht. Kid hat es mitgebracht.«

Loïc schob den Stuhl zurück und stand langsam auf, während er die Nachrichten auf seinem Handy überprüfte.

»Das war heute Morgen in der Post.«

Jacinthe verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.

»Das kannst du noch früh genug öffnen, Lessard. Komm schon, ich hab Kohldampf.«

Aber die Neugier hatte bereits die Oberhand gewonnen. Mit dem Autoschlüssel zerriss Victor das Klebeband am Deckel.

»Warte mal, das ist ja interessant. Da steht kein Name drauf.«

Jacinthe hielt bereits ihren Rucksack in der Hand.

»Ich sage doch ständig, dass wir Pakete nicht selbst öffnen sollen. Irgendwann ist noch mal eine Bombe drin, Anthrax oder eine noch schlimmere Schweinerei.«

Loïc hielt Nadja die Tür auf.

»Das wäre eine komische Verpackung für Anthrax. Ich finde, es sieht eher aus wie ein Basketball.«

In der Schachtel lag etwas Rundes, eingepackt in Luftpolsterfolie. Victor nahm es heraus und nickte zustimmend.

»Ein Basketball? Dafür ist es aber ganz schön schwer … Fang mal!«

Loïc streckte die Hände aus, als Victor zum Wurf ausholte. Ein Handy klingelte. Jacinthe zog sich in eine Ecke des Raumes zurück, um den Anruf entgegenzunehmen. Nachdem Victor den Klebestreifen von der Folie abgezogen hatte, entfernte er sie und bemerkte, dass sich in der Verpackung ein Schild befand. Das Erste, was ihm auffiel, war das Wort »Ukraine«, das in Türkis auf dem geprägten Papier stand.

Nadja war an der Tür stehen geblieben und warf ihm jetzt einen fragenden Blick zu.

»Was ist es denn?«

Victor wickelte die Folie komplett ab und hielt das Objekt über seinen Kopf.

»Ein Globus!«

Loïc schob die Daumen in den Gürtel und zog sich die zerlöcherten Jeans hoch.

»Das hat Gilles im Internet bestellt, als Deko für seinen Schreibtisch.«

Jacinthe hatte inzwischen das Gespräch beendet und kam mit ernstem Gesicht zu ihnen zurück.

»Mir ist jedenfalls der Appetit vergangen.«

Wenn Victor eines genau wusste, dann, dass etwas Wichtiges geschehen sein musste. Obwohl seine Partnerin Protein-Diät hielt, gab es nicht viel, was ihr den Appetit verderben konnte.

»Was ist los?«

»Wir haben ein Problem.«

Nadja trat in den Flur hinaus.

»Ich lasse euch lieber allein.«

»Nein, bleib hier, Nadja. Das betrifft dich auch. Gerade hat Nadeau vom 38. Revier angerufen. Ein Pärchen hat in einem Container mit Bäckereiabfall einen Kopf gefunden.«

Victor runzelte die Stirn.

»Und wo?«

»In einer Seitenstraße der Rue Duluth.«

Er hob die Schultern. Das klang ebenso finster wie tragisch, aber als Polizist musste man auf alles gefasst sein.

»Und was genau ist das Problem?«, fragte er.

»Das Opfer wurde bereits identifiziert.«

»Und wer ist es?«

Jacinthe blickte sie der Reihe nach an.

»Tanguay. Commandant Maurice Tanguay.«

Durch die Tore des Todes

Подняться наверх