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Reuchlin zeigte in seinem Wesen, das universal gerichtet war und einer Gemeinschaft oder Sodalität aller Wissenden und Guten zuneigte, doch auch eine stark lokalpatriotische Seite. Er vergaß nie, seinem Autorennamen die Herkunftsbezeichnung hinzuzusetzen, schrieb: »Johannes Reuchlin Phorcensis« – (das ist: aus Pforzheim). Merkwürdigerweise nur bei seinen in lateinischer Sprache veröffentlichten Werken, nicht bei der deutschen Ausgabe eines Hauptwerkes, des ›Augenspiegels‹, wo dieser oder ein analoger Zusatz fehlt. – Unter seinen nicht sehr zahlreichen (lateinischen) Gedichten nimmt eines am Schlusse die Wendung zur Lobpreisung der Heimatstadt. Das Gedicht steht in der Neuausgabe des Werkes ›De Laudibus sancte Crucis‹ von Hrabanus Maurus, die 1503 in der Offizin des Pforzheimer Druckers Thomas Anshelm erschienen ist. Über die mannigfachen Beziehungen dieses Buchdruckers zu Reuchlin unterrichtet Hildegard Alberts in F. 2. In deutsche Prosa übersetzt, lauten die vier letzten Verse des an Anshelm gerichteten Poems:


»Thomas Anshelm, der du kunstvoll Bücher druckst,

Du und zugleich Pforzheim: meine Quelle und mein Ursprung,

Stadt: Ehre der Kunstreichen, Mutter von erfinderischen Geistern,

O Zierde. O mögest du gedeihen, des Rabanus zweite Heimat.«


Pforzheim ist auch die Stätte, an die Reuchlin das erste seiner großen Dreigespräche ›De verbo mirifico‹ (›Vom wundertätigen Wort«, 1494), sein erstes bedeutendes Werk, verlegt hat. Einer der Unterredner, der Weltreisende Sidonius, rühmt die Lage Pforzheims, und behauptet, schon in der Kapitelbezeichnung des 1. Abschnittes, »daß in (solchen) rauhen und gebirgigen Gegenden vorzügliche Begabungen zur Welt kommen können.« Sodann wird der vornehme Ursprung der Stadt hervorgehoben, – das sieht dann in humanistischer Sicht folgendermaßen aus: »Als die Griechen nach zehnjähriger Belagerung die in Kleinasien gelegene Stadt Troja im Jahr 1184 vor Christus erobert und zerstört hatten, da suchten sich manche ihrer bisherigen Bewohner, welche vom Schwert verschont geblieben waren, eine neue Heimat. Der bekannteste unter diesen trojanischen Flüchtlingen ist Äneas, der nach Italien ging und dessen Sohn Askanius daselbst die Stadt Albalonga gründete, welche später die Mutterstadt von Rom wurde. Aber ein anderer edler Trojaner, namens Phorkys, setzte seinen Wanderstab noch weiter und kam endlich in den Schwarzwald. An einem klaren Flusse machte er halt, und als er von einem alten Manne den Namen ›Enz‹ vernahm und dafür Äneas verstand, rief er begeistert aus:


Bist du jener Äneas, welchen dem Troer Anchises

Venus die schöne gebar an des Simois phrygischem Strome?


Und nun beschloß Phorkys, an dieser Stelle eine Stadt zu bauen, die er, als es geschehen, nach seinem Namen Phorka taufte, woraus dann später der Name Pforzheim entstanden ist.«

Pflüger (›Geschichte der Stadt Pforzheim‹, der ich das obige Zitat entnehme) fährt fort: »Ob diese Sage von der Gründung der Stadt Pforzheim durch die Trojaner älter als Reuchlin ist und von ihm nur wiedererzählt wurde, oder ob sie in seinem eigenen Kopf gewachsen: das will ich nicht entscheiden. Letzteres möchte indes das Wahrscheinlichere sein, und dürfen wir uns darüber nicht wundern, da es ganz im damaligen Geschmacke lag, den Ursprung der Städte möglichst weit zurück zu datieren. Ähnliches geschah ja auch bezüglich der Stammbäume der Adelsgeschlechter, die manchmal bis zur Arche Noahs zurückreichten. Es fehlt zu obiger Erzählung, um die Ähnlichkeit Pforzheims mit der Roms in noch helleres Licht zu setzen, nur noch ein Albalonga, und es ist zu verwundern, daß Reuchlin nicht an Langenalb gedacht und dasselbe in Beziehung zur Entstehung Pforzheims gebracht hat, was doch so nahe gelegen wäre.« – Eine witzige Bemerkung! An der jedoch das Witzigste ist, daß Reuchlin an der zitierten Stelle »de verbo mirifico« wenige Zeilen später tatsächlich auf Langenalb zu sprechen kommt und diese Ortschaft mit Albalonga zusammenbringt. Wörtlich heißt es im lateinischen Text: »Id nomen hodie permanet a Phorce intra secundum lapidem«. (»Dieser Name, d. h. Albalonga, ist bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben, zwei Meilen von Pforzheim entfernt«.) Der wackere Chronist Pflüger hat diese Stelle übersehen oder das Originalwerk Reuchlins überhaupt nicht nachgeschlagen. Auf solche Schwächen der menschlichen Natur stößt man bei historischen Studien auf Schritt und Tritt. Und da soll man an historische Wirklichkeit und Wahrheit glauben! –

Reuchlins lebhafte Phantasie oder vielmehr seine träumerische Veranlagung, der Art seines großen Landsmannes Mörike (›Orplid‹, ›Märchen vom sichern Mann‹ u. a.) verwandt, die überall das Symbolische und Mythologisierende durch das Netz der sogenannten Realität der Dinge durchblicken sah, zeigt sich also schon in seinem ersten großen Werk, bei Darstellung seiner Heimatgeschichte. – Man mag dabei, dem Stil von Reuchlins Zeit gemäß, an Burgkmairs mit Holzschnitten geschmückte Genealogie des Hauses Habsburg denken, »eine Arbeit, die ebenso phantastisch wie naiv den Stammbaum des Fürsten (d. h. des Kaisers Maximilian I.) auf Hektor den Trojaner zurückführt, wobei auch sonst die romanhaftesten Königsnamen unterlaufen«. (Willy Andreas, l. c.). – Sieht man in der Innsbrucker Hofkirche das prachtvolle Kenotaph, dessen Erzfiguren der vielenttäuschte Kaiser, der ›letzte Ritter‹, sich von den vorzüglichsten Künstlern seiner Zeit gießen ließ (er selbst aber ruht in einem bescheidenen Grab in Wiener Neustadt), läßt man all die Heldenfiguren der Antike und des Mittelalters als angebliche Ahnen des Kaisers ihre Stimmen erheben, Ahnen, unter denen auch König Arthus, Dietrich von Bern, Gottfried von Bouillon nicht fehlen, so begreift man besser als aus Büchern den Geist jener Epoche, in der nur wenige den Drang verspürten, Dichtung und Wahrheit fein säuberlich nebeneinander, nicht ineinander aufzubauen. –

Bei Reuchlin ist dieser Hang des Ineinander-Bauens von exakt erfaßten und spielhaft mythologisierend vermuteten Tatbeständen häufig anzutreffen; er mündet in seine kabbalistischen Studien, deren Ernst man bisher (meiner Ansicht nach) nicht genügend gewürdigt hat; er steht, dieser träumerische Hang bei Reuchlin, merkwürdigerweise neben einer völlig auf Realität und genaue Erfassung des Wirklichen eingestellten, sehr sachlichen Seite seines Wesens, auch neben seiner auf großer juristischer Belesenheit basierten, scharfen forensischen Begriffsbildung, die ja zu seinem Brotberuf gehörte (seinem allerdings ungeliebten, ja verhaßten, von ihm selbst mit verachtungsvollen Briefworten und im Lustspiel Progymnasmata geschmähten Beruf). Wie diese einander widerstreitenden Elemente in einem einheitlichen Ich Platz gefunden haben, bleibt das unauflösliche Geheimnis seiner Individualität – wie analog wahrscheinlich jeglicher entwickelten Individualität überhaupt. – Ein Beispiel, das zu der grotesken Darstellung der Pforzheimer Urgeschichte paßt, findet sich in der Vorrede zur Übersetzung des ›Constantinus Magnus‹ (1513). In dieser Vorrede führt Reuchlin das Geschlecht seines Gönners, des Kurfürsten Friedrichs des Weisen (von Sachsen), in homerische Zeiten zurück, will die Sachsen, Meißner, Thüringer mit den antiken Axenern, Mysern und Tyrigeten identifizieren (vgl. Ludwig Geigers Reuchlinbiographie). »Mutianus Rufus, das Haupt des Erfurter Gelehrtenkreises, machte sich über diese Darstellung sehr lustig, er meinte witzig, die Axener seien ein eben solches Rauchvölklein gewesen wie die Capniobaten, die Anhänger Reuchlins.« Zugefügt sei, daß die Bemerkung Mutians gutmütig, nicht giftig gemeint ist. Mutian war ja selbst ein eifriger, wenn auch nicht kritikloser Verehrer Reuchlins. Nebenbei bemerkt: Im Gelehrten-Pseudonym ›Capnion‹, das Reuchlin manchmal, nicht immer benützt, steckt das griechische Wort für ›Rauch‹: kapnós. Capnion ist ein ›kleiner Rauch‹, ein ›Räuchlein‹ oder Reuchlin. Das Wort kapnós kommt in der Odyssee vor, an einer der schönsten Stellen, da wo Odysseus sich sehnt und zufrieden wäre, könnte er »nur den Rauch abspringen sehen von seiner Heimaterde« (kapnon apothroskonta noēsai hes gaiēs – I 58, 59). Das gehört zwar nur in Fernverbindung hierher. Doch die Gelegenheit, eine wundervolle Homerstelle anzuführen, wird man mir in diesem Text, der mythologisierenden Neigungen gilt, wohl nicht unbedingt mißgönnen.

Johannes Reuchlin und sein Kampf

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