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Picos Porträt zeigt ein schönes ernstes Gesicht, die großen Augen blicken traumverloren (Giovanfrancesco allerdings beschreibt seine Augen als »grau und lebhaft«). Reiches blondes Haar von der Art, die man Seidenhaar nennt, fällt bis auf die Schultern herab. »In seiner ganzen Persönlichkeit lag eine Mischung von engelhafter Güte, schamhafter Keuschheit und erquickendem Wohlwollen, welche die Blicke erfreute und die Herzen anzog« – teilt sein Biograph mit. Seine schöne Mutter gehörte zu dem vornehmen Geschlecht der Grafen von Scandiano; sie war die Schwester jenes Dichters und Politikers Matteo Bojardo, der mit seinem leidenschaftlichen Ritter- und Zauber-Epos vom ›Verliebten Roland‹ der unmittelbare Vorläufer Meister Ludovico Ariosts (›Orlando furioso‹) wurde.

Der Graf Pico von Mirandola und Concordia (beide in der Po-Ebene), in jeder Hinsicht als Lieblingskind des Schicksals veranlagt, geistig wie körperlich hochbegabt, kam mit 14 Jahren an die Universität von Bologna, studierte da und an andern Bildungsstätten in Italien und Frankreich, wurde dann am Hof von Ferrara, in Padua erzogen. Ihn unterrichtete der schon erwähnte Hermolao Barbaro. Ein aus Konstantinopel eingewanderter Jude, Jochanan Aleman, ferner Elia del Medigo (aus Kreta) unterwiesen ihn im Hebräischen, in den Anfangsgründen der Kabbala. Auch Arabisch und Chaldäisch lernte der junge erstaunliche Picus Mirandulensis nebst andern Sprachen, nebst philosophischen und theologischen Materialien. In den Jahren 1485, 1486, also von seinem 22. Jahr an, finden wir ihn an der Pariser Hochschule.

Er hatte die Absicht, einen Philosophenkongreß nach Rom einzuberufen, auf dem er 900 von ihm aufgestellte Thesen zu verteidigen gedachte. Allen Teilnehmern aus der ganzen Welt wollte er die Reisekosten ersetzen. Die päpstliche Kurie trat dem Plan entgegen. Pico unterwarf sich, veröffentlichte aber eine ›Apologie‹. Die Kurie antwortete mit dem Bann. Pico entzog sich den gefährlichen Folgen durch Flucht nach Frankreich.

Unter den besagten Thesen gab es sehr menschenfreundliche, zum Beispiel die, daß eine Todsünde, die von zeitlich begrenzter Wirkung sei, nicht (wie es das kirchliche Dogma festsetzte) durch ewige Höllenstrafe gebüßt werden müsse. Ferner einige rationalistische Behauptungen wie die, daß die Worte Jesu beim letzten Abendmahl »Dies ist mein Leib« usf. nicht materiell, sondern symbolisch zu verstehen seien. – Besondere Bedeutung gewann Picos Hinweis (den Reuchlin im ›Augenspiegel‹, XIIb, wörtlich und unter Angabe des Autors zitiert), daß sich der »wolgeborene und hochgelerte herr graff Johansen Picus von Mirandula seeliger gedechtnus zu Rom derselben zeit zu disputiern erboten und offenlich uffgeschlagen hatt under andern fürtregen und conclusiones auch diese / nemlich / Es ist kain Kunst die uns mer gewiss macht von der gothait Cristi dan Magia und Cabala.« – Dieser Satz wurde zu einem Hauptargument für Reuchlin, als er die hebräischen Bücher gegen die, die sie dem Feuer überliefern wollten (voran der »taufft jud Pfefferkorn«), so tapfer und erfolgreich verteidigte. – Es ist ein Satz, der durch kein auch nur einigermaßen gewichtiges Argument zu stützen ist. Dennoch kehrt er bei Reuchlin, nach dem Vorbild Picos, ständig wieder. Man fragt sich manchmal allen Ernstes, ob Reuchlin die bequeme Hilfskonstruktion nicht etwa nur als Strategem gegen seine Gegner benützt hat. Doch seine oft bewiesene Redlichkeit zwingt wohl zu der Annahme, daß er wirklich an dieses Mißverständnis geglaubt hat. Einer der nicht wenigen Irrtümer und Vorurteile, denen er verfallen war. ›Im Stil der Zeit‹ … (siehe oben).

In Picos Apologie lesen wir ferner (um nur die auf Reuchlin Einfluß gewinnenden Punkte anzuführen): Die Benennung eines Gegenstandes ist keine zufällige, sondern zwischen Namen und Objekt waltet eine natürliche Beziehung, wie Platon im ›Kratylos‹ nachweist. (Ich füge hier ein Fragezeichen bei, der Dialog ›Kratylos‹ exzediert ja geradezu in Witzhaftigkeit, und die Grenze zwischen Scherz und Ernst ist gerade hier besonders schwer zu ziehen). Weiter bei Pico: Gewissen hebräischen Worten wohnt eine besondere Kraft inne, sie sind unübersetzbar. Dazu vergleiche man die prachtvollen Sätze im ›Augenspiegel‹, VIb: »Die rede der hailigen schrifft ist zu verston nach aines jeden gezungs aigenschafft. Dan ain yegliche sprach hat besinder aigen manier und wyss zu reden. Wan nun die selb inn andere sprachen gekeret unnd getolmetst wirt / bedunckt ainen iegklichen es woll sich nit reimen unnd laut nit.« Diese gewiß richtige Maxime hat indes Reuchlin nicht gehindert, vieles aus dem Lateinischen und Griechischen zu übersetzen, worüber sich bei seinem Zeitgenossen Abt Thrithemius von Sponheim (Catalogus illustrium virorum Germaniae 1495) und jetzt in der zitierten Abhandlung von Sicherl eine ausführliche Liste findet. – Pico fährt fort: Der Gegensatz zwischen christlicher und jüdischer Religion ist nur scheinbar. Die Juden haben nur den Buchstaben, wir den Geist, der das Leben schafft. Die Juden sehen im Messias den Neuerbauer ihres Staates, des Tempels. Die Kabbala lehrt, daß die Verheißung sich auf die himmlische Heimat bezieht. –

Alle diese (unrichtigen) Sätze kehren bei Reuchlin wieder, zum Teil in aller Breite ausgeführt. So vor allem in ›De arte cabalistica‹ gegen den Schluß des 1. Teiles, wo Reuchlin ganz hanebüchen verkündet, der Messias werde vom Talmud nur als körperlicher Befreier aufgefaßt und beziehe sich auf den Sieg des Israelheeres (»ad Israelitici exercitus victoriam referre«). Wie falsch diese Gegeneinanderstellung ist, mag man aus der vortrefflichen Anthologie ersehen, in der Moritz Zobel unter dem Titel ›Gottes Gesalbter‹ alle auf den Messias bezüglichen Stellen des klassischen jüdischen Schrifttums (Bibel, Talmud und Midrasch) zusammengestellt hat, ohne kabbalistische Quellen zu benützen. Auch im Talmud wird durchaus nicht nur der politischen, den Staat wiederherstellenden Tätigkeiten des Messias gedacht. Sie werden nicht in den Hintergrund gestellt, aber neben der weltlichen Seite der Erlösung, der Einsammlung der Zerstreuten, der neuen Souveränität, wie wir sie zu unserem höchsten Glück gerade in unseren Tagen zu erleben gewürdigt worden sind, steht der ›himmlische‹ Aspekt (auf den wir allerdings noch warten), die geistige Erhebung und Verklärung des ganzen Volkes, ja der gesamten Menschheit und sogar des Kosmos in der messianischen Endzeit. Leidenschaftliche Bilder bei Jesaja z. B. 30, 26: »Das Licht des Mondes wird dem Licht der Sonne gleichen, und das Licht der Sonne wird siebenfach sein« wechseln mit Schilderungen seelischen Aufstiegs. »Die Sünde schwindet aus Israel«, faßt Zobel zusammen und belegt das mit vielen Prophetenzitaten, so aus Hoschea 3, 8: »Danach kehren die Kinder Israels um, suchen den Herrn, ihren Gott, und David, ihren König, und wenden sich bebend hin zu Gott und seinem Heil am Ende der Tage.« Oder nach Zefanjah: »Der Rest Israels meidet jedes Unrecht und kennt nicht Lug und Trug.« Oder Joel 3. Kap.: »Da alle Glieder des Volkes vom göttlichen Geiste beseelt sind, wird ihnen insgesamt die Gabe der Prophetie zuteil.« »Das Land ist voll von Gotteserkenntnis wie das Meer voll von Wasser« (bei einigen Propheten). Die Großmächte Assyrien und Ägypten, symbolisch für die ganze Menschheit gesagt, verbinden sich mit Israel zur gemeinsamen Verehrung des wahren Gottes. Der Ewige spricht (Jesaja 19, 24 f.): »Gesegnet sei mein Volk Mizrajim (Ägypten) und das Werk meiner Hände Aschur und mein Erbbesitz Jissrael.« – Dies ist das wahre Bild der messianischen Tage, wie es als letztes Ziel von nicht-kabbalistischen wie von kabbalistischen Schriften ohne Unterschied gezeichnet wird. Gerade das Auseinanderklaffen in eine politische und in eine spirituale Erlösung ist ein dem Judentum fremder Gedanke. Wenn der Erlösung entweder der spirituale oder der staatsbildende Bestandteil fehlte, so wäre sie unvollendet, unmessianisch. Es gibt natürlich unter den fast 200 Weisen des Talmud, die Zobel zu Wort kommen läßt, auch einzelne, die sich zu extremen Formulierungen in der einen oder andern Richtung versteigen. Der Hang zum Extrem gehört nun einmal zum Charakterbild der jüdischen Seele. Doch die Stimmen derer, die sich die irdische Art der Erlösung oder Vervollkommnung (Apokatastasis) ohne ihr spirituales Gegenbild nicht vorstellen mochten, überwiegen. Der Gegensatz von irdischer und himmlischer, volklicher und universal-kosmischer Erlösung ist also von Pico und Reuchlin zu Unrecht ins Judentum projiziert, um für die von ihnen postulierte Höherstufigkeit der Kabbala, resp. des Christentums Raum zu schaffen. In ähnlicher Weise polemisieren heute noch die vereinzelten Juden, die den Zionismus ablehnen, gegen die angebliche Nur-Weltlichkeit der zionistischen Konzeption, gegen eine fingierte Ideologie, die am besten von Schalom Ben-Chorins Buch ›Die Antwort des Jona‹, von den Gedichten Sch. Schaloms und von Bubers ganzem Wirken und Schaffen widerlegt wird. Ich könnte an dieser Stelle noch viele andere Namen in Israel nennen; auch mich. – Die Verwirklichung der messianischen Konzeption ist freilich noch äußerst mangelhaft, ja fast nur punktuell, also sozusagen gar nicht vorhanden, – an der Konzeption selbst aber (und diese ist es, die uns einige an dieser Stelle der Untersuchung bemäkeln) fehlt es weder in unserem alten, noch im neueren Schrifttum. Dies – und nur dies – habe ich an dieser Stelle gegen die Fehlkonstruktion Picos, die Reuchlin nicht ohne Behagen ausgebaut hat, erinnern zu müssen geglaubt.

Johannes Reuchlin und sein Kampf

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