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DRITTES KAPITEL
Das jüdische Problem meldet sich (Pico, Loans, Sforno) 1

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Das Zusammentreffen Reuchlins mit Pico fand 1490 statt, jedenfalls in Florenz, wo der Graf bei Lorenzo di Medici ein Asyl gefunden hatte, das ihn sogar gegen den päpstlichen Bann schützte. Der Bann wurde erst durch Alexander VI. Borgia gelöst –, eine der wenigen Taten, für die man dem auch in katholischen Kreisen heftig kritisierten, dem wohl übelstberüchtigten apostolischen Herrscher zu danken hat. Ein Annalist schrieb, ein Mann wie Borgia wäre in der alten Kirche nicht einmal zur niedersten Klerikerstufe zugelassen worden. Ein Erotomane und Autokrat, dem übrigens bedeutende intellektuelle Fähigkeiten ebensowenig abgesprochen werden können wie seinem blutbefleckten Sohn Cesare Borgia, dem Idol Machiavellis. – Unter Alexanders Herrschaft schuf der junge Michelangelo seine Pietà in der Peterskirche; an ihr erwies er sich als einer der größten Bildhauer aller Zeiten. In Hans Kühners ›Lexikon der Päpste‹ heißt es: »Dieses reine Werk in der unmittelbaren Nähe Alexanders bildet wohl den schroffsten Gegensatz zum erniedrigendsten Pontifikat der Kirchengeschichte und kennzeichnet gleichzeitig die unermeßliche Spannweite im Leben der Epoche … Alexander ist immer wieder und von falschen Voraussetzungen her als Argument gegen das Papsttum als Institution angeführt worden. Aber im Papsttum, das einem Borgia standgehalten hat, mußten höhere Kräfte wirksam und mächtig sein, die sogar dieser Papst nicht anzutasten vermochte.«

Die Begegnung Reuchlin–Pico ereignete sich übrigens zwei Jahre vor der Wahl Alexanders, unter seinem nicht viel besseren Vorgänger (›Hexenhammer‹!) Innocenz. Das sittliche Klima veränderte sich während dieser beiden Amtsperioden nur wenig, wie man in vielen Zeugnissen der Zeit, unter anderem in der Lucrezia-Historie des gewissenhaften Forschers Gregorovius nachlesen mag.

Das Zusammentreffen hat auf Reuchlin grundlegend eingewirkt, wie gleich nachgewiesen werden soll. Seltsam, daß dagegen nur ein einziger Satz überliefert ist, der beweist, daß sich auch Pico des Eindrucks bewußt war, den der deutsche Gelehrte auf ihn gemacht hatte.

Laut einem Briefbericht, den Reuchlin im nächsten Jahr erhielt, wußte Pico in freundlicher Weise zu erzählen, daß Reuchlin bei ihm gewesen war und ihn einiges über Orpheus gefragt habe. Eine kurze, aber höchst bedeutsame Nachricht; denn auf Orpheus führten ja die Griechen ihre Mysterien zurück. –

Man glaubt einen Nachklang dieses Gespräches zu hören, wenn Reuchlin im ›Augenspiegel‹ bei Verteidigung der Seltsamkeiten des Talmud höchst einsichtsvoll und herzbewegend frei sagt (Seite XIa): »Und in der alten poetry der gantz Homerus ist voll heimlicher künsten die doch mit wilden sinnen unnd worten ussgesprochen sind / desgleichen Hesiodus Orpheus und Theocritus. So nun alle künsten unser vorelttern dise fryhait und urlaub haben … warum sollte es dem Thalmud verbotten sein.« Die beiden großen Männer hatten offenbar über das zentrale Thema gesprochen, das beiden am Herzen lag: Geheimlehren, alte Überlieferungen, Kabbala. – Das Thema war aktuell. Kosmogonien und Theogonien der Orphiker, die schon im 6. Jahrhundert v. Chr. als religiöse Dichtungen vorgetragen wurden, erhielten damals als ›orphische Rhapsodien‹ durch die wiedererstandenen Neuplatoniker erhöhtes Gewicht, eine unverhoffte Auferstehung. –

Pico, dieser merkwürdig frühreife, in selbständigen Bahnen denkende, sei es auch in den Fundamenten eklektische Polyhistor, starb schon vier Jahre nach dieser Begegnung, erst 31 Jahre alt, so daß zu einer weiteren Beeinflussung Picos durch Reuchlin keine Zeit gegeben war. Als Reuchlin 1498 zum drittenmal nach Italien kam, lebte der gelehrte Graf nicht mehr. Übrigens war er in seiner letzten Lebenszeit immer stärker in den Bannkreis des strengen, ja lebenaussaugenden Savonarola geraten, hatte alle seine Reichtümer den Armen und seinem Neffen Giovanfrancesco Pico geschenkt. (Der dann die uns erhaltene Biographie J. Picos schrieb.) – In seinem kurzen Leben hatte Pico die mannigfachsten Stimmungen durchlebt, in denen auch ein Liebesabenteuer im Stile der Zeit nicht fehlte, die Entführung einer Ehefrau. Dem Verständnis schwerer zugänglich ist ein gleichfalls im Stil der Zeit gehaltener Brief Picos an seinen Schützer und Gönner Lorenzo Medici, in dem er diesen als Dichter über Dante und Petrarca stellt, diese Behauptung mit höfischen ›Beweisen‹ untermalend. – Eigenartigerweise nimmt gerade das, was einem ›im Stile der Zeit‹ geschehen scheint, also doch wohl den Zeitgenossen vollständig durchsichtig und geradezu selbstverständlich erschienen ist, – nimmt gerade das im Abstand von ein oder zwei Jahrhunderten das Aussehen undurchdringlichen Dunkels, ja der Unerklärlichkeit an.

Johannes Reuchlin und sein Kampf

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