Читать книгу Johannes Reuchlin und sein Kampf - Max Brod - Страница 22

5

Оглавление

Nachdem die beiden Gesprächspartner in ›De arte cabalistica‹, der ›Mahometista‹ mit dem an die spanischen Verfolgungsjahre anklingenden Unheilsnamen Marranus und der alanische Pythagoräer, miteinander in einer lärmenden Schenke Bekanntschaft geschlossen haben, erfahren sie, nach Abzug der ›tumultuosen Herde‹ von betrunkenen Gästen ins Gespräch kommend, daß der gleiche Zweck sie nach Frankfurt hergeführt habe. Es wird einiges über den geschickten Wirt gesprochen, der den Geldbeuteln der Reisenden Schlingen legt, über den nicht-sybaritischen Nachtisch, den beide wünschen, und über einen Gedankenaustausch inter honesta pocula, bei ehrsamem Trinken. Beide sind von ihren beschwerlichen Reisen auf schmutzigen rauhen Wegen erschöpft. Der Mohammedaner, der erklärt, auch das Gesetz des Moses wie die Lehre der Christen zu kennen, erzählt stolz von seiner Heimat Byzanz, deren Hochschulen der Humanität mehr als zehntausend Schüler haben. Dann kommen beide auf die Hauptsache, die sie bewegt: den Juden Simon und seine Lehre. »Gehen wir«, sagt der Alane, »denn im Obstgarten seines Hauses, in dem er wohnt, soll er um diese Zeit spazierengehen. Hier sind wir angelangt, am richtigen Ort. Und die Tür steht offen.«

Noch ein Weilchen vorher war ein gewisses Zögern zu überwinden, da Marranus einige arabische Philosophen, von Algazel bis Abenrust (gleich Abu Roschd oder Averroës) über die jüdische Lehre emporzuheben sich nicht entbrechen kann.

Schon begrüßen sie den ihnen noch fremden Gelehrten: »Salve, magister.«

Und er antwortet: »Dominus vobiscum. (Der Herr mit euch).

Tu ne Simon ille Judaeus? rogant advenae. (Bist du nicht jener Jude Simon? fragen die Ankömmlinge).

Tum is, Utrumque, nam et Judaeus sum et Simon. (Darauf jener: Beides in einem, denn sowohl ein Jude bin ich als Simon.)«

Sie stellen sich mit Namen vor. Nicht der Glanz der in ganz Europa berühmten Handelsstadt noch die Waren hier und die Messe hätten sie beide hergezogen, sondern »nur dein Ruhm, des einzigen Mannes, und unsere Begierde, daß du uns über den ganzen Bau der Kabbala ausdrücklich, wie es den Eingeweihten richtig erscheint, über das ganze zu pflegende und zu erstrebende Gebiet, jene deine edlen Gedanken in Kürze und in Bequemlichkeit eröffnen mögest.«

Er: »Eure so große Wertschätzung meiner kleinen Person bringt mich zu einem nicht geringen Erröten. – Doch an mir liegt nichts, die Kabbala aber ist rühmenswert. Denn nichts ist geeigneter als sie, einen zur Vergöttlichung, das ist: zum Gipfel der Seligkeit zu führen. Ihr Sinn ist: dem Menschen zur ersten allgeformten und formlosen Form emporsteigen zu helfen.«

Damit beginnt er seinen Vortrag (dessen Inhalt ich dem 10. Kapitel dieses Versuches aufspare). Er eröffnet mit einem Zitat aus dem bereits erwähnten Buch ›Portae Lucis‹ des spanischen Kabbalisten Gikatilla.

Simon läßt seine Darlegungen, die er bereitwillig darbietet, wenn auch unter steten Mahnungen, das Geheimnis zu wahren, bis zum Abend nicht abbrechen. Die beiden andern Unterredner greifen nur selten und kurz ein. – Doch am Abend (es ist Freitag) beginnt der Sabbath. Und da betont Simon die Notwendigkeit, sich zurückzuziehen, den Sabbath nicht zu entheiligen.

Die beiden andern bleiben sich selbst überlassen – und sind darüber einigermaßen ungehalten. Ehe sie nun notgedrungen den zweiten Tag des Trialogs mit Gesprächen über die Lehre des Pythagoras und über die Verwandtschaft dieser Lehre mit der Kabbala ausfüllen, sprechen sie über den abwesenden Simon. Von diesem Intermezzo hat Geiger im ›Studium der hebräischen Sprache‹ nur wenige Zeilen übersetzt, die ungefähr den Schluß dieser Episode bilden. Ich übersetze den ganzen Abschnitt, der mir stimmungsmäßig sehr wichtig scheint. – Die beiden Verlassenen also sprechen »über diesen Hebräer, dessen höchstwertige Lehre sie gemeinsam mit seiner gegenüber Fremden bewiesenen Humanität loben, ebenso und vor allem die Würde seines Betragens. An diesem Manne gefiel alles, mit einziger Ausnahme jenes morgigen Sabbaths, der von Langweile voll sein würde. Durch ihn würden sie vom angenehmsten Gespräch mit einem solchen Meister weggerissen und auf den dritten Tag verwiesen, nicht ohne lästigen Zeitverderb, da sie nicht wüßten, was sie mit diesem zweiten Tag anfangen sollten. So gingen sie also spazieren, machten sich an ein Wiederkauen der saftigen Lehre, die sie gehört hatten, wiederholten abwechselnd die kurzen Epigramme des Gesagten. Vor Lernbegierde brennend erinnerten sie sich, und plötzlich kam es ihnen zu Bewußtsein, wie bewundernswert die Rede des Juden gewesen, wie scharfsinnig sein Disputieren, wie ernst seine Art zu unterrichten. Sie ergötzte, ohne zu sättigen, sie war nicht geschminkt, nicht gefärbt. Und entbehrte sie auch aufs allerhöchste der Blumen, so brachte sie um so trefflichere Früchte hervor. – Und da sie sich nach zurückgelegtem Weg in ihren Schlupfwinkel, ihr Zimmer verkrochen hatten, fing Marranus an, kaum daß sie in diesem Beisammensein zu atmen begonnen hatten: Von all den Weisen, die ich seit meinen jungen Jahren gehört habe, ist keiner, der mir klüger im Aussprechen und erhabener im Denken erschienen wäre als dieser einzige Simon, der meinen Geist durch seine Darstellung erhoben hat, die gleichsam geradflächig, einfach, nicht affektiert, ungesucht klang, und durchaus nicht wie die Reden des Demosthenes nach dem Öl der Studierlampe roch, sondern eher den Eindruck eines Extempore, einer gewöhnlichen Aussprache machte. Ja, er hat mich angefeuert, die Kontemplation der schwierigsten höchsten Gegenstände zu versuchen, so daß ich nichts lieber zu hören vermöchte. Gute Götter, ein jüdischer Mensch, von Juden gezeugt, genährt, erzogen und herangebildet, aus einer Nation, die bei allen Völkern als barbarisch, niedrig, als ein Wegwurf und als weit entfernt vom Glanz aller guten Wissenschaften gilt, – und nun glaube mir, daß ich den ganzen Abend mit meiner Sehnsucht zu kämpfen habe, die Miene des Mannes zu sehen und seine Worte zu hören, – was dieser unglückselige Sabbathabend leider verhindert.«


Das Bild Reuchlins während seines Linzer Aufenthalts, der vom September 1492 bis Ende 1493 (wahrscheinlich mit einer Unterbrechung) andauerte, wäre unvollständig, würde nicht auch über die Ehren berichtet, die er am Kaiserhof erlangte. Die mannigfachen Aufträge des Grafen Eberhard führte er zur Zufriedenheit dieses Herrn wie des Kaisers durch. Der Kaiser ernannte ihn zum Pfalzgrafen und erteilte ihm das Recht, Notare zu ernennen, ihnen den Treueid abzunehmen, ferner zehn Doktoren zu kreieren. Er und sein Bruder Dionysius Reuchlin nebst ihren Nachkommen wurden geadelt. Und so wurde ihnen auch ein Wappen verliehen. Von den meisten dieser Privilegien hat Reuchlin, wie es den Anschein hat, nie Gebrauch gemacht. Zumindest gibt es keine Zeugnisse dafür. Der stets von Finanznöten geplagte Kaiser mußte sich auf Verleihung von Titeln und Würden beschränken, mit denen keine Geldauslagen verbunden waren. Das wirkte sich auf die Häufigkeit solcher Ernennungen aus und setzte sie wohl in den Augen der Welt einigermaßen herab. Den Titel Pfalzgraf (comes palatinus) finden wir aber als Umschrift von Reuchlins Wappen, das manche seiner Bücher ziert, z. B. die ›Rudimenta Hebraica‹, die 1506 erschienen. Das Wappen zeigt einen Räucheraltar in Form eines Säulenstumpfs, auf dessen schalenartiger oberster Fläche glühende Kohlen liegen. Die Inschrift: »Ara Capnionis« (Der Altar Capnions). Als Helmzier ist ein vierspeichiges Mühlenrad verwendet, nach der Deutung von Decker-Hauff (F. 2) handelt es sich wohl um einen Hinweis auf die Familie seiner ersten Frau (Müller von Ditzingen, siehe oben). Die zur Ausschmückung des Wappens verwendeten gedrehten Schnüre und Goldschellen erklärt Decker-Hauff l.c. als Anspielung auf die Kleidung, die der Hohepriester laut Exodus 28, 31 ff. beim Dienst vor dem Räucheraltar trug. »Reuchlin hat in sein Wappen etwas von seiner Lieblingsneigung, dem Studium des Hebräischen, des Alten Testaments und der jüdischen Altkultur hineingeheimnist.«

Eobanus Hesse dagegen, der Dichter und Humanist aus Mutians Erfurter Kreis (Kampschulte widmet ihm ein blühendes Kapitel in seinem schönen Buch ›Die Universität Erfurt‹, 1858), der frohe Zecher und feurige Kampfgenosse in den Dunkelmänner-Jahren, hatte für die Symbolik des Wappens eine realistische Deutung. Er legte sie in einem Distichon nieder, das ich etwa folgendermaßen übersetzen würde:

Schon durch den Rauch verjagt dein Altar die lästigen Mönche.

Was wird die Flamme tun, bricht sie plötzlich hervor!


Den Abschluß des Unterrichts im Hebräischen erreichte Reuchlin bei Owadja Sforno aus Cesena. Er lernte ihn während seiner dritten Romreise 1498 kennen. – Der Name Owadja oder Obadja (Diener Gottes, arabisch Abdallah) kehrt bei Reuchlin in der lateinischen Form Abdias wieder, und in dieser Gestalt ist ›Abdias‹ der Held einer Dichtung Stifters, einer der schönsten deutschen Erzählungen geworden. Owadja Sforno war Arzt wie Loans, war Kabbalist; die letztere Eigenschaft qualifizierte ihn dazu, von dem großen Historiker Graetz ausgeschimpft und von Geiger zumindest recht kühl behandelt zu werden. Die jüdischen Gelehrten, die im vorigen Jahrhundert in dankenswerter Art die Geschichte ihres Volkes zu erforschen begannen und niederschrieben, waren fast alle eingeschworene Rationalisten, daher Gegner der Kabbala, deren Bedeutung erst in unseren Tagen, vorzüglich durch die Schriften von G. Scholem ans Licht gelangt. Es ist nicht leicht an den Schimpfkanonaden von Graetz vorbeizulesen (dies war, schon als ich meinen »Rëubeni‹ schrieb, meine bittere Aufgabe gewesen) und immer wieder da, wo das Erhabenste, sei es auch manchmal auf recht verworrene Art, sich verkörpert, nichts als »kabbalistischen Schwindel« oder »Abgeschmacktheit« vorgeführt zu bekommen, das liebliche Safed, eine der entzückendsten Stätten Israels, immer wieder als »Kabbalistennest« bezeichnet zu finden usw. – Übrigens spricht auch Reuchlin von seinem zweiten Hebräischlehrer auf den ersten Blick ein wenig zwiespältig, aber wirklich nur auf den ersten Blick. In der Einleitung zu den ›Rudimenta‹ läßt er ihn als jemanden auftreten, »der mich täglich während der ganzen Zeit meiner römischen Gesandtschaft überaus human im Hebräischen unterrichtete, nicht ohne bedeutenden Aufwand an Honorar«. Es verdient aber hier angemerkt zu werden, daß der Ausdruck »non sine insignis mercedis impendio« im Munde Reuchlins nichts Diffamierendes bedeutet. Er verwendet ja einen ähnlichen Ausdruck, um in der gleichen Vorrede die hohen Kosten zu rühmen, mit denen er seinem Bruder Dionysius in Florenz eine wissenschaftliche Ausbildung gewährleistet hat. Melanchthon glaubt freilich, sich aus der Erzählung seines Großoheims erinnern zu können, Sforno habe für jede Stunde einen Golddukaten genommen. Aber mein Freund, der neuhebräische Dichter Sch. Schalom, hat neulich in ländlicher Einsamkeit, in einer halbverschollenen dörflichen Bibliothek ein altes hebräisches Buch entdeckt, das sich als ›Kommentar zur Schrift‹ von Owadja Sforno erwies. Er hatte die Güte, mir einige Seiten aus dem alten Buch abzuschreiben. Ich übersetze aus seinem Zitat:

»Infolge der Lebenshast, Verknechtung und Mühsal und da die Unterdrücker Tag für Tag am Werk sind, wandten sich die Söhne unseres Volkes mit Auge und Sinn zum Gelderwerb, was ja menschlich ist und was ihnen einzig Obdach und Zuflucht vor den Sturmfluten der Zeitgenossen gewährt. Sie drehen sich wie die Bienen, bis ihnen jeder Begriff von Raum und Zeit entschwindet, und die Wunder unserer Lehre sehen sie nicht mehr. Sie wurden wie die Träumenden mitten unter den Völkern, die sich an sie herandrängten, und sie fragten sich: ›Was gibt uns unsere heilige Lehre, wenn sie sich nur auf die Materie bezieht und keine Hoffnung auf das ewige Leben enthält, und was für einen Sinn haben die vielen Erzählungen der Schrift, deren Zeitfolge unklar ist, die das Frühere später und das Spätere früher bringen?‹ – Als Antwort kommt von den Zehntausenden der Heiligen und vom Rest der Schriftkenner eine unklare Darstellung der Urlehre und manchmal ein ungenügender Bescheid, der die Zweifel nicht behebt; was uns zur Schande gereicht. – Und wie wollen wir uns rechtfertigen, wenn Gott sich erhebt und um der Ehre seines Namens willen Rechenschaft fordert? Das können wir nur, wenn wir auf die Wunder seiner Lehre hinweisen, die in ihrer Darstellung und Ordnung die Augen jedes Eingeweihten erleuchten und die im Aufbau und in der Vollendung der Bücher die Gerechtigkeit und Größe des Ewigen zeigen. Er gibt nach vollkommener Verzweiflung das Heil, denn er hat für immer seinen Bund geschlossen, der in reinen Aussagen zu verstehen und zu weisen ist – und, der auf den Grundlagen der Kontemplation und der tätigen Durchführung ruht. Wie der Ewige, er sei gesegnet, selbst bezeugt hat, indem er sprach: ›Und die Lehre und die Gesetze, die ich geschrieben habe, sie zu lehren.‹ Und damit hat er seine Absicht für die ganze Schöpfung bekanntgegeben. Das Ziel der Kontemplation liegt ja darin, diese Seite der Größe des heiligen Gottes zu erfassen und zu wissen. Hieraus entsteht für jeden Geistigen die Ehrfurcht vor Gott. Und aus der Erkenntnis der Wege seiner Güte und Gnade, die er vor allem dem Menschengeschlecht bezeugt, entsteht die Liebe zu Gott, sobald man sich klarmacht, daß Gott in den Zeitaltern der Welt stets darum bemüht war, den Menschen zu erheben und das zu verbessern, was der Mensch verdorben hat. So wird jeder Eingeweihte dazu gelangen, den Willen Gottes zu seinem eigenen Willen zu machen. Und auf jenen beiden, der Kontemplation und der tätigen Ausführung, ist der ganze tatsächliche Anteil unseres Tuns an der Weltgeschichte aufgebaut.«

Das sind herzlich liebenswerte Sätze. Sie könnten auch von Pico verfaßt sein. Sie lagen im Geist der Kabbala, und überhaupt im Geist jener Zeit, die besser war als die unsere.

Vielleicht also war dieser Rabbi Sforno doch nicht so unwürdig, mit dem großen Humanisten Reuchlin, sei es zunächst auch nur auf philologischer Grundlage, aber wahrscheinlich auch darüber hinaus in manchem religiösen Disput Umgang zu pflegen. Vielleicht hat auch er einige Züge zur Figur des großen edlen Juden Simon beigesteuert, die Reuchlins Meisterwerk darstellt und die bis heute eigentlich unbekannt geblieben ist, während Shakespeares ›schlechter‹ Jude, Shylock, erbarmenswert, doch auch ein Gegenstand gerechter Verachtung und des Spottes, fast allein die Bühne und mit ihr die weiteste Öffentlichkeit beherrscht.

Johannes Reuchlin und sein Kampf

Подняться наверх