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Leib-Seele-Einheit

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Weder das Alte noch das Neue Testament kennen eine Zweiteilung des Menschen in einen sterblichen Leib und eine unsterbliche Seele. Das in deutschen Übersetzungen mit „Seele“ wiedergegebene hebräische Wort „nefesh“ kommt von einem Stamm nfs (= blasen, Atem holen), und bedeutet ursprünglich Kehle, Gurgel. Im übertragenen Sinne wird es verwendet als Träger der Gedanken und Empfindungen. Nie wird im Alten Testament „Seele“ getrennt vom Körper gesehen. „Seele“ ist der ganze Mensch (Gen 2,7), das Ich des Menschen (Ps 103,1). Deshalb ist die „Seele“ sterblich, sie kann „verwelken“ (Jer 15,9), „dahingerafft werden mit den Sündern“ (Ps 26,1), „sterben“ (Num 23,10). Israel sieht den Menschen als Ganzes, ohne die Spur einer Zweiteilung. Alttestamentliches Denken fragt nicht nach den „Komponenten“ menschlichen Seins, sondern es interessiert sich dafür, wie dieser Mensch sich als geschichtlich Handelnder erweist. Und da ist er sowohl „Staub“ (Gen 3,19) – sünde- und todverfallen – wie auch „Geist“ – „nur wenig geringer als Gott, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (Ps 8,6).

Die neutestamentlichen Aussagen knüpfen bei dieser Vorstellung an. Die „Seele“ verlieren bedeutet: Das Leben verlieren (Mk 8,34–37). Das Jesus-Wort bei Matthäus „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können, sondern fürchtet vielmehr den, der Seele und Leib verderben kann“ (Mt 10,28) braucht keineswegs, wie das oft geschieht, so verstanden zu werden, als sei darin die Unsterblichkeit der Seele vorausgesetzt und ausgesprochen. Auch hier ist unter „Seele“ das Leben gemeint, vielleicht zur Verdeutlichung mit einer Akzentuierung auf dem Artikel „das“ (von Gott geschenkte neue) Leben. Auch Paulus weiß nichts von einer Unsterblichkeit der Seele – zumindest übernimmt er solche Vorstellungen nicht in seine Theologie. Psyche und pneuma, Seele und Geist, stehen für ihn gleichbedeutend mit Leben, mit menschlicher Person schlechthin. „Jedermann (wörtlich: jede Seele) sei den vorgesetzten Obrigkeiten untertan“ (Röm 13,1); „Grüßet (…) meine Mitarbeiter in Christus Jesus, die für meine Seele ihren Hals dargeboten haben“ (Röm 16,3f.); „Ich will sehr gern Opfer bringen und mich aufopfern für eure Seelen“ (2 Kor 12,15).

Die Schrift beider Testamente sieht den Menschen als Ganzheit, als Leib-Seele-Geist-Einheit. Der Mensch ist als Ganzer hinfällig, gebrechlich, sterblich. Es gibt in ihm nichts von Natur aus Unsterbliches. Ein Leben über den Tod hinaus liegt allein in Gottes Hand. „Die Seele (ist) keine unsterbliche Göttin, sondern nur eine Einstellung auf Gott (…) Das ewige Leben (wird) dem Menschen zwar geschenkt, aber es ist nicht des Menschen, sondern nur Gottes. Die Gewissheit des Jenseits beruht auf dem Erlebnis der göttlichen Liebe.“32

Der Glaube an eine (von Gott eigens geschaffene, individuelle) unsterbliche Geist-Seele kam erst durch das Zusammentreffen mit dem hellenistischen Denken auf. Für Platon (427–347 v. Chr.) kommt die Seele von außen, von „oben“, in diese sichtbare, materielle Welt. Die Seele ist von einem Demiurgen (griech. = Handwerker, Baumeister), einem Zwischenwesen zwischen Göttern und Menschen, erschaffen. Jede Seele besitzt einen eigenen Stern als ihre Heimat, muss aber in einer ewigen Reihe von Wiedergeburten in menschliche Leiber eingehen. Dazwischen kann sie Ruhepausen auf „ihrem“ Stern einlegen. Auch Platons Schüler Aristoteles (384–322 v. Chr.) sah die Geist-Seele als etwas Ungeschaffenes, Präexistentes und Unsterbliches; sie ist göttlicher Abstammung und kommt in diese Welt von außen „zur Tür herein“.33

Die Geist-Seele ist nach hellenistischer Vorstellung das eigentlich Menschliche, der materielle Leib aber das Niedrige, die Seele in ihrer Entfaltung Hemmende und Versklavende. Er ist das Gefängnis der Seele. Die Lebensaufgabe des Menschen kann nur darin bestehen, sich von der Materie, vom Leib, zu befreien, um in das Reich des Geistes zurückzukehren.

Um beim Volk auf Akzeptanz zu stoßen, musste diese im gesamten Römischen Reich verbreitete Auffassung vom Christentum in die Verkündigungstätigkeit „eingearbeitet“ werden. Im Gefolge dieser Vorstellung wurde das biblische Verständnis von „Seele“ gegen seinen ursprünglichen Aussageinhalt umgedeutet und damit missverstanden. Dass der Mensch einen Leib und eine unsterbliche Geistseele besitzt, wurde als Bestandteil der biblischen Offenbarung gesehen und sogar zur offiziellen kirchlichen Lehre erhoben.34 Erst die moderne Exegese hat aufgewiesen, dass diese dualistische Vorstellung vom Menschen nicht genuin biblisch ist, sondern von außen, von griechischem Denken beeinflusst, in das Christentum eindrang. Allerdings erfolgte dabei dennoch eine wesentliche Veränderung der hellenistischen Vorstellung: die Hoffnung auf eine naturale Wiederherstellung des gesamten Menschen, mit Seele und Leib, war dem Hellenismus fremd. Hier setzte sich das biblische Ganzheitsdenken durch.

Denken als geistige Fähigkeit und Erdgebundenheit als Hinweis auf die materielle Konstitution kennzeichnen die polare Schichtung des einen Wesens „Mensch“. Der Leib des Menschen ist aus „Erde“, aus den Stoffen des organischen und anorganischen Bereichs gebildet. Als geistiges Wesen übersteigt der Mensch das bloß Materielle, wenngleich der Geist ohne die Materie, ohne die „Gehirnmasse“, sich nicht entfalten kann. Was das „Geist-Sein“ des Menschen freilich genau bedeutet, ist nicht exakt auszumachen. Es kann nur durch die konkreten Äußerungen des „Geistes“ umschrieben werden: Denken, Verstand, Gemüt, Gefühl, Wille.

Beide Konstitutiva, Leib und Geist-Seele, sind in einer unlösbaren Einheit miteinander verbunden. Nur der beseelte, geistgeformte Leib des Menschen ist lebensfähig; aber die Zerstörung des materiellen Lebens bewirkt auch die Vernichtung dessen, was wir als „Geist“ bezeichnen. Es gibt kein leibloses geistiges Leben, aber es gibt auch kein geistloses, leibliches Leben. Geistiges und Leibliches sind unlösbar auf einander verwiesen und sind Ausdrucksformen einer einzigen untrennbaren Einheit. Der Mensch ist nicht aus zwei Teilen zusammengesetzt, die Leib und Seele heißen. Er ist vielmehr wesentlich Einheit von Leib und Geist-Seele.

In jüngster Zeit wurden die Gedanken Platons von der „Unsterblichkeit“ der Seele wieder aufgegriffen und neu zu deuten versucht. Der evangelische Theologe Jürgen Moltmann beruft sich dabei auf die biblische Aussage von der Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen (Gen 1,27). Wenn Menschen zum Bild Gottes auf Erden geschaffen werden, so heißt das: „Gott setzt sich zu diesen Geschöpfen in eine solche Beziehung, in der sie zum Spiegel, zum Abglanz und zur Antwort Gottes werden. Gottes Beziehung zu seinem menschlichen Bild kann weder durch den Widerspruch noch durch den Tod der Menschen zerstört werden […]. Nur Gott selbst kann die Beziehung, die er zu seinen Geschöpfen eingegangen ist, auflösen.“35 Ein anderer Theologe, der katholische Dogmatiker Gisbert Greshake umschreibt unter Berufung auf das biblische Wort „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, mein bist du!“ (Jes 43,1) die menschliche „Seele“ als „jene tiefste Mitte meines Menschseins, die mich unausweichlich in die Beziehung zu Gott, in die Gemeinschaft mit ihm, stellt und mich deshalb zur Person macht. Diese Beziehung kann verdrängt, geleugnet, in ihr Gegenteil verkehrt werden – dann wird sie dem Menschen zum Gericht –, aber sie kann durch nichts in der Welt und damit auch nicht durch den Tod dementiert werden, weil der Ruf Gottes, der mich in die Beziehung zu ihm stellt, unwiderruflich ist.“36 Solches Bleiben in der Gottesbeziehung bezeichnen die amerikanischen Prozesstheologen Alfred North Whitehead und Charles Hartshome als „objektive Unsterblichkeit“. Gott wirkt nicht nur auf alle Dinge, alle Dinge wirken auch auf Gott. „Menschen werden nicht nur von Gott geschaffen, sondern machen auch ihrerseits einen Eindruck auf Gott. Nicht nur wir erfahren Gott, Gott ‚erfährt‘ auch uns. Die ‚Erfahrung‘, die Gott mit uns macht, bleibt in Gott bestehen, auch wenn wir vergehen. Unser Leben ist vergänglich in der Zeit, aber wir haben eine ewige Gegenwart, in Gott.“37 Der Tod bringt zwar das Ende unseres Lebens, nicht aber das Ende der Beziehung Gottes zu uns. In ihr ist der Tod nur eine Durchgangsstufe, eine Wandlung auf unserer Seite. Die anrufende und letztlich befreiende und erlösende Beziehung Gottes zu uns bleibt.

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