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a) Anselm von Canterbury

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Einer von ihnen hat auf das gesamte abendländische Bemühen, die Gottesfrage denkerisch zu bewältigen, nachhaltigen Einfluss ausgeübt: Anselm von Canterbury (1033–1109). Er stammte aus Aosta/Piemont und wurde von König Wilhelm II. von England 1093 zum Erzbischof von Canterbury berufen.

Sein „ontologischer Gottesbeweis“ (diese Bezeichnung stammt von Immanuel Kant) lautet:

„Herr, der du dem Glauben Einsicht verleihst, gib mir also die Einsicht, so weit du sie mir schenken kannst, dass du bist, wie wir glauben, und dass du so bist, wie wir dich glauben. Wir glauben aber, dass du das Größte bist, was gedacht werden kann. Oder sollte es etwa kein Wesen dieser Art geben, da der Tor in seinem Herzen spricht, es gibt keinen Gott? Aber gewiss ist, dass auch der Tor beim Anhören dieser meiner Worte sich unter dem Größten, was gedacht werden kann, etwas denkt, wenn er es hört. Und das, was er denkt, ist in seinem Intellekt auch dann, wenn er nicht einsieht, dass es existiert. Denn freilich ist es etwas anderes, dass etwas im Intellekt vorhanden sei, und etwas anderes die Einsicht, dass dasselbe in Wirklichkeit existiere. Denn wenn ein Maler überlegt, was er tun will, so hat er das Bild im Intellekt, aber er weiß auch, dass das Bild noch nicht existiert, das er noch nicht gemalt hat. Nachdem er es aber gemalt hat, hat er es im Intellekt und weiß auch, dass das Bild existiert, welches er gemalt hat. Auch der Tor also ist genötigt einzugestehen, dass wenigstens in seinem Intellekt das Größte, was gedacht werden kann, vorhanden ist; denn wenn er dieses hört, so versteht er es; was aber verstanden wird, ist im Intellekt vorhanden.

Nun kann aber sicherlich das Größte, das überhaupt denkbar ist, nicht allein im Intellekt sein (non potest esse in intellectu solo); denn wenn es allein im Intellekt wäre, so könnte noch hinzugedacht werden, dass es auch in Wirklichkeit existierte; das wäre noch größer. Wenn also das Größte, das denkbar ist, im Intellekt allein existiert, so wäre noch etwas Größeres denkbar als das Größte, das denkbar ist. Das ist aber sicher nicht möglich. Also existiert zweifellos das Größte, das gedacht werden kann, sowohl im Intellekt als auch in Wirklichkeit (…) (et in intellectu et in re). Es existiert nun so wirklich, dass es als nichtseiend gar nicht gedacht werden kann. Denn es ist ein Sein denkbar, das als Nichtsein undenkbar ist; und das ist größer als das, was man als Nichtsein denken kann. Wenn darum das Größte, das denkbar ist, als nichtseiend gedacht werden könnte, dann wäre wiederum das größte Denkbare nicht das Größte, das man denken kann; und das kann nicht sein. So gibt es also wirklich etwas so Großes, dass nichts Größeres gedacht werden kann (quo majus cogitari non potest), ja, dass es überhaupt nicht als Nichtsein gedacht werden kann: und das bist du, Herr unser Gott!“ (Proslogion, Kap. 2 und 3).

Um Form und Intention des „Beweises“ verstehen und würdigen zu können, ist zu beachten:

 Anselm leitet seine philosophischen Darlegungen mit einem Gebet zu Gott ein, in dem er um Einsicht bittet. Gott ist für ihn selbst gewiss. Was ihm aber bereits feste Glaubensüberzeugung ist, sucht er unabhängig davon durch den Verstand nachzuweisen. Es handelt sich also nicht um einen philosophischen Kurzschluss, der das Vorausgesetzte nachträglich erst beweisen möchte. Anselm geht es vielmehr darum, ein Argument für das Dasein Gottes im rein philosophischen Bereich zu erarbeiten, das auch für den „Toren“, d.h. für den Ungläubigen, eindrucksvoll ist.

 Anselm will einen Beweis führen, der einerseits so wenig wie möglich voraussetzt. Anderseits soll aus einem einzigen Beweis eine umfassende Gotteslehre abgeleitet werden können.

 Der (nach Anselms Ansicht) beweiskräftige Gedanke lautet: „Gott ist etwas, zu dem nichts Größeres denkbar ist“ (quo majus cogitari non potest). Immerhin spricht für die philosophische Sauberkeit seiner Position, dass Anselm sagt: „Nichts Größeres denkbar“, nicht aber: „Nichts Größeres ist“.

 Erst danach setzt Anselm als typisch platonisch-augustinischer Realist und als gläubiger Philosoph zum Überschritt an vom Denken zur Wirklichkeit, vom Begriff Gottes im menschlichen Intellekt zur Existenz Gottes als vom menschlichen Denken unabhängiger Wirklichkeit. Gott ist das Größte, das gedacht werden kann im Intellekt wie auch in der Wirklichkeit (et in intellectu et in re).

Anselm wurde und wird zu Recht der Vorwurf gemacht, dass auch aus dem höchsten und größten denkbaren Begriff nicht dessen Wirklichkeit folgen muss. Dennoch geht vom „ontologischen Gottesbeweis“ eine gewisse Faszination aus. Hans Küng fragt: „Soll es nur Flüchtiges ohne alle Notwendigkeit geben? […] Macht nicht der Gedanke eines Wesens, das größer gar nicht gedacht werden kann, das in aller Flüchtigkeit das schlechthin Notwendige ist, deutlich, dass es hier um die Erkenntnis eines ganz Anderen geht?“1

Die großen Themen des christlichen Glaubens

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