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Blau und Purpur

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Lapislazuli

Das natürliche Ultramarin erfreute sich im Mittelalter und in der frühen Neuzeit einer einzigartigen Wertschätzung in der Malerei, die stellenweise sogar die des Goldes überwog. Denn, und das habe ich bereits erörtert, man stellte dieses Pigment aus dem fein gemahlenen und gereinigten Lapislazuli her, einem in den damaligen Jahrhunderten dem Gold ebenbürtig taxierten Stein. Die wertvollste Sorte Rohstoff kam aus den Himalaya-Bergwerken Afghanistans zu den europäischen Abnehmern. Bis vor kurzem glaubten Restauratoren, unter den Farbpigmenten der um 715–720 illuminierten Evangelienhandschrift des Book of Lindisfarne (British Library, Cotton MS Nero D.iv) solche aus Afghanistan stammende Lapislazuli-Pigmente feststellen zu können. Doch das erwies sich als Fehleinschätzung. Die entsprechende blaue Farbe wurde nämlich nur auf Basis pflanzlicher (Waid und Indigo), tierischer und mineralischer Ingredienzien angerieben, wie Bleimennige, Auripigment, Ocker, Grünspan und Pflanzenfarben (Violett- und Blautöne). Technologische Untersuchungen verifizieren indes mit großer Sicherheit einen Lapislazuli-Import aus dem fernen Osten für einige wenige Handschriften des insularen Raums aus dem späteren 9. Jahrhundert.

In den folgenden Jahrhunderten konnten die besten Lapislazuli-Pigmente den finanziellen Wert des Goldes sogar noch übersteigen. Deshalb hielten sich die Maler im Einsatz von Ultramarin – und Azurit – so weit wie nur irgend möglich zurück. Sie beschränkten sich entweder auf die Akzentuierung weniger Einzelheiten durch diese kostbaren Farbstoffe oder sie griffen zu maltechnischen Tricks, die eine Kostenersparnis zuließen. Größere Partien erhielten etwa eine Untermalung mit einfacheren Blautönen, über die eine hauchzarte Schicht aus „Lazurium“ gelegt wurde – ein Vorgang, aus dem dann der Begriff des Lasierens entstand. Leonardo da Vinci beispielsweise setzte bei der ersten Fassung der Madonna in der Felsengrotte (1483–1486; Paris, Musée du Louvre) über eine monochrome Untermalung des Madonnenmantels eine sekundäre Farbschicht aus Azurit und darüber wiederum als Lasur das vertraglich vom Auftraggeber verlangte Ultramarin.

Purpur

Dem Ultramarin an die Seite zu stellen ist der Purpur, ein Farbstoff, den man seit der Antike aus dem Drüsensekret der im Mittelmeer und an den britischen Küsten beheimateten Purpurschnecke gewann. Für 1,2 Gramm kristallinen Purpurfarbstoff werden rund 10.000 Schnecken benötigt.

Der Purpur bot sich als Herrschaftsfarbe nicht nur seiner wunderbaren Wirkung und seiner so immens aufwendigen Herstellung wegen an, sondern auch aufgrund seiner mythischen Entdeckungsgeschichte. Als der phönizische Gott Melqart, so hieß es, mit seiner Angebeteten, der Nymphe Tyros, am Meeresstrand spazierenging, fand sein Hund eine ans Land gespülte Stachelschnecke, zerbiss sie und verletzte sich dabei scheinbar an der Schnauze. Doch als Melqart das, was er für Blut hielt, abgewischt hatte, zeigte sich auf dem Tuch das herrliche Purpurrot. Tyros versprach Melqart Sex, wenn er ihr ein mit Purpur gefärbtes Gewand schenke. Sofort machte sich der Gott ans Schneckensammeln – der göttliche Nimbus dieses Farbstoffs war geboren. Und deshalb war er im antiken, im kaiserzeitlichen Rom auch der Kleidung der Privilegierten vorbehalten. Einen relativ breiten Purpurstreifen wies die Tunika der Senatoren auf, einen schmäleren die der equites (Ritter). Außer dem Kaiser durfte sich nur ein siegreicher Feldherr auf seinem Triumphzug in die tunica palmata, ein vollständig mit Purpur gefärbtes Gewand, kleiden. Später trugen die Kardinäle in Rom den sogenannten Kardinalspurpur, ehe dieser, nachdem die Türken 1453 Konstantinopel erobert und dem Purpurhandel in den Westen ein Ende gesetzt hatten, durch Scharlachroben, d.h. mit Kermes rot gefärbte Gewänder, ersetzt wurde.

Dass Purpur in den voranstehenden Zeilen ausschließlich als Färbemittel für Kleidung zur Sprache kam, hat einen guten Grund. Die Farbsubstanz Purpur reagiert nicht mit Lösungsmitteln, deshalb ist ein gleichmäßiger Pinselauftrag unmöglich. Man kann mit Purpur nicht malen! Freilich lässt sich mit ihm Pergament färben.

Prachthandschriften

Gold, Silber und Purpur waren bereits in der Spätantike für Prachthandschriften in Gebrauch. Wir erfahren das aus zeitgenössischen Äußerungen etwa der Kirchenväter Hieronymus und Johannes Chrysostomus, die allerdings in ihren Schriften den Brauch, purpurfarbenes Pergament, Gold- und Silbertinten für biblische Texte zu verwenden, als Verschwendung missbilligten. Die ältesten noch erhaltenen Handschriften dieser Art entstanden im 5. Jahrhundert. Es handelte sich dabei ausnahmslos um biblische Texte, meistens griechische, lateinische oder auch gotische Ausgaben der Evangelien. Ein berühmtes Beispiel für eine solche gotische Version findet sich in der Universitätsbibliothek des mittelschwedischen Uppsala (Codex Argenteus Upsaliensis): Die ästhetisch beeindruckende Handschrift beinhaltet die gotische Bibelübersetzung des Ulfila. Sie wurde kurz nach 500 in Ravenna für König Theoderich in silbernen und partiell auch goldenen Buchstaben auf purpurgefärbtes Pergament geschrieben.

Im Byzantinischen Reich waren Schriften aus Gold und Silber weit verbreitet. Im Abendland hat man diese Kunst in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts in angelsächsischen Buchmalereiateliers aufgegriffen. So ließ z.B. Erzbischof Wilfried von York damals die vier Evangelien de auro purissimo de purpura coloratis, also „aus reinstem Gold“ auf purpurgefärbten Pergamentseiten, niederschreiben. Ein besonders raffiniert angelegter Codex Aureus ist um 750 in Canterbury entstanden (Stockholm, Königliche Bibliothek, Ms. A. 135): Auf abwechselnd naturbelassenen und purpurfarbenen Pergamentblättern wurden mit roter und schwarzer bzw. goldener, silberner und weißer Tinte Buchstaben gesetzt, die sich in feiner dekorativer Noblesse wie Bildzeichen vom Untergrund abheben.

Jan van Eyck

Für die Tafelmaler, die Purpur nicht hernehmen konnten, stellte sich die Frage, was zu tun war, wenn mittels einer Farbe allerhöchste Herrschaftsikonografie zum Ausdruck kommen sollte. Da bot sich stellvertretend das Ultramarin an, das dem Purpur sowohl im Geldwert als auch im Farbton ähnelt und somit auch in den repräsentativen Möglichkeiten. Konsequenterweise bevorzugte man das Ultramarin, um nur ein Beispiel zu bringen, für den Mantel der Himmelskönigin Maria. Nur in den Niederlanden, wo man im 15. Jahrhundert die scharlachfarbenen, mit dem gleichfalls sehr teuren Kermes gefärbten Gewänder liebte, hielt man Rot für angemessener: Jan van Eyck kleidete seine Madonnen häufig in solch intensives Scharlach.

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