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Farbstoffe

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Pigmente

Malfarben basieren auf Pigmenten oder auf organischen Flüssigkeiten, ihre Erscheinungsweise, ihre Intensität und Leuchtkraft bzw. Stumpfheit hängt – abgesehen vom Gebrauch jeweiliger Bindemittel – von der Art dieser Substanzen ab. Pigmente (lat. pigmentum = „Färbestoff“) sind unlösliche, anorganische oder organische Materialien, die, um als Färbestoff wirken zu können, erst pulverisiert und anschließend durch Bindemittel (meist Öle, Harze, diverse Leimsorten, Eiweiß, Gummi oder Mischungen davon) in flüssigen oder pastosen Zustand gebracht werden.

Für die Menschen prähistorischer Zeiten muss es ein geradezu magisches Erlebnis gewesen sein, als sie entdeckten, dass man aus bestimmten, in der Natur anzutreffenden Stoffen, aus Pigmenten, aus Pflanzensäften Bilder an die Höhlenwände zaubern und dass man mit Rötel, Ruß, Holzkohle usw. den Körper bemalen und Kleidung färben konnte. Neben dem Kalkweiß und dem Schwarz der Holzkohle oder Manganerde scheint der rote Ocker das früheste und jedenfalls das wichtigste Pigment gewesen zu sein. Folgerichtig firmierte er als eines der ältesten kulturgeschichtlichen Luxusgüter und war eine weithin gesuchte Handelsware.

Roter Ocker

Roter Ocker entsteht durch Brennen des gelben Ockers. Er stand in der Rangskala der roten Farbmittel über Jahrzehntausende hinweg an oberster Stelle. Erst mit einigem Abstand folgen ihm der Zinnober, sei es der natürliche, vor allem in Spanien geförderte, sei es der künstliche, aus Quecksilber und Schwefel hergestellte. Mennige resultiert aus dem Brennen von Bleiweiß, welches wiederum durch Einwirken von Essig oder Urindämpfen auf Bleiplatten zu gewinnen war. Tierischen oder pflanzlichen Ursprungs ist der intensiv purpurrote Farbstoff Karmin, den man aus zerstampften Kermesschildläusen gewann. Krapplack erzeugte man aus einer speziellen Wurzel. Aus Rotholzsorten extrahierte man ein Färbemittel, das die Europäer seit dem 10. Jahrhundert aus Hinterindien, Ceylon und China im portierten und das sie nach der Kolonialisierung Südamerikas im 16. Jahrhundert fast ausschließlich aus Brasilien bezogen: Brasilien erhielt ja überhaupt seinen Namen nach dem Rotholz, dem Brasilholz, das in diesem riesigen Land in scheinbar unerschöpflichen Mengen wuchs.


Zu den am meisten verbreiteten gelben Farbmitteln zählen der bereits erwähnte gelbe Ocker, sodann Schwefelgelb und Bleigelb, ferner der immens teure Farbstoff, den man aus den getrockneten Blütennarben des Safran gewinnen kann (8000 Blüten ergeben ganze 100 Gramm braunroter Fäden, aus denen sich das sogenannte Crocin mit Wasser ausziehen lässt – noch in einer Verdünnung von 1 zu 200.000 bleibt ein Rest der Färbekraft wirksam), dazu zählen weiterhin das satte Gelb aus dem Saft der Resedapflanze, das hochgiftige Arsensulfid, im Altertum auripigmentum – „Goldfarbe“ geheißen, von glitzernden Pünktchen strukturiert, und schließlich, um ein letztes wichtiges Gelbpigment anzuführen, das gelbe Bleioxyd – Bleiweiß, auf 300 Grad erhitzt. Ein höherer Erhitzungsgrad ergibt, wie oben erwähnt, rote Mennige.

Was den grünen Farbstoff betrifft, so gewann man ihn entweder aus „Grüner Erde“ (terra verde, ein Verwitterungsprodukt verschiedener Gesteine), aus dem pulverisierten und äußerst teuren Edelstein Malachit, ferner im sogenannten Grünspan, der mittels der Reaktion von Essig und Kupfer entsteht, und aus einer Vielzahl diverser Pflanzensäfte.

Ultramarin

Besonders kostbar waren in früheren Zeiten die blauen Farbmittel, beispielsweise das Azuritpigment, gewonnen aus dem pulverisierten Kupferlasurstein, der im Mittelalter in Italien, Spanien, Deutschland und England zutage gefördert wurde. Auch die aus dem nordeuropäischen Färberwaid extrahierten Blausubstanzen waren nur aufwendig herzustellen und deshalb teuer. Ebenfalls nur für viel Geld zu bekommen war das aus der orientalischen Indigopflanze hergestellte Blau. Die höchsten Preise aber erzielte das Ultramarin, das – wie der Name besagt – von „jenseits des Meeres“ stammte. Schon im frühen Mittelalter hat man das Rohmaterial, wie technologische Untersuchungen von Miniaturen in ein paar irischen und angelsächsischen Codices des späteren 9. Jahrhunderts nahelegen, in seiner wertvollsten Version, dem afghanischen Lapislazuli, importiert. Seit der Renaissance fungierte Venedig als Hauptumschlagplatz für Künstlerfarben. Venezianische Schiffe nahmen die aus Bergwerken in Budakschan im heutigen Afghanistan stammenden und über die Seidenstraßen an die Küsten der Ägäis transportierten Edelsteine an Bord. Venezianische Händler verkauften nicht nur die Rohstoffe weiter, Spezialisten stellten vielmehr aus den verarbeiteten Pigmenten auch fertige Malfarben für den Gebrauch her. Eine Konkurrenz erwuchs dem venezianischen Ultramarin-Geschäft in Florenz, wo die Laienbruderschaft der Gesuati im Kloster San Giusto alle Mura einen weithin gesuchten blauen Farbstoff aus hochwertigstem Lapislazuli- und Azuritblau produzierte. Die Herstellung und der Verkauf von Farbstoffen durch spezialisierte Unternehmen verraten im Übrigen, dass seit dem 16. Jahrhundert die bisher übliche Eigenverarbeitung der Pigmente in den Malerateliers zwar nicht verschwand, aber doch an Bedeutung verlor zugunsten von Fertigprodukten.

Chemische Farbstoffe

Seit der Spätrenaissance rechneten also die Maler immer mehr mit dem Beruf des Farbenherstellers und -händlers. Während das zunächst hauptsächlich in Italien der Fall war, existieren aus dem Holland des 17. Jahrhunderts die frühesten Nachrichten über Geschäfte, die rohe oder verarbeitete Pigmente samt anderem Künstlerbedarf wie Pinsel, Paletten oder Leinwände verkauften. Obwohl zahlreiche Künstler noch im 18. Jahrhundert ihre Farben eigenhändig zubereiteten, nahm doch der Kauf fertiger Farbstoffe rapide zu. Je mehr von jetzt an neben der professionellen die Amateurmalerei florierte, desto größer auch der Bedarf an fertig vorhandenen Farbmitteln. Im 19. Jahrhundert wuchs sich das Ganze zur Massenherstellung aus, die sich seit den fünfziger und sechziger Jahren chemischer Erfindungen, d.h. synthetisch hergestellter Farben, bediente. Im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts überschwemmte bereits eine Flut chemischer Farbstoffe und Pigmente den Markt. Doch damit nicht genug: Die 1840 von der englischen Firma Robertson etablierte Farbtube aus Zinn ermöglichte es, die Farben jederzeit mit sich zu führen und so auch im Freien malen zu können. Die Plein-air- oder Freilichtmalerei der Schule von Barbizon oder der Impressionisten wäre ohne dieses scheinbar so banale Hilfsmittel kaum möglich gewesen, zumindest nicht in gleich großem Umfang.

Phänomenalität der Farben

Ich muss die seit Jahrhunderten wachsende Zahl von Farbmitteln, zu der aktuell noch Dispersions- und Acrylfarben (vgl. Abb. 19, 29) und andere hinzukommen, nicht durch weitere Beispiele illustrieren. Ich muss auch nicht auf die modernen technologischen Methoden der Farbanalyse älterer Bilder oder auf die Möglichkeiten der Farbrestaurierung und -konservierung eingehen. Deshalb bleibt nur noch das Fazit, wie sehr allein schon ein summarischer Überblick über die wechselvolle Geschichte der Farbmaterien verstehen hilft, dass Veränderungen der Farbsubstanzen auch schwerwiegende Konsequenzen in der Erscheinungsweise der Farben und damit in der Phänomenalität der Malereien mit sich brachten: Ein aus Lapislazuli hergestelltes Ultramarin, um nur einen Fall herauszugreifen, besitzt eine koloristische Brillanz, mit der ein synthetisiertes Blau kaum konkurrieren kann – die Erfindung eines Yves Klein einmal ausgenommen (vgl. Abb. 3). Andererseits sind moderne Farbstoffe wesentlich billiger als die früher von Hand angeriebenen – Materialschlachten, wie sie heutige Künstler oft in Öl oder Acryl veranstalten, hätte man sich in älteren Zeiten in der Regel gar nicht leisten können.

Mit der unterschiedlichen Materialität der Farbstoffe verbindet sich, zumal wenn der Faktor Kostbarkeit hinzukommt, häufig auch die Symbolfähigkeit und -kraft der Farben, die vor allem im Mittelalter und der frühen Neuzeit wirksam waren, aber auch aus der Moderne nicht gänzlich verschwunden sind.

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