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Chromatik und „Farbenmusik“

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Farbklänge

Im antiken Griechenland hat Platons Freund Archytas von Tarent im 4. Jahrhundert v. Chr. einem in Halbtonschritte eingeteilten musikalischen „Tongeschlecht“ (genos) die Bezeichnung „chromatisch“ gegeben. Andere altgriechische Theoretiker sprachen von der „Farbe“ (chroia), die zusammen mit Tonhöhe und Tondauer die spezifische Qualität eines Klangs erzeuge (heute sagt man im Französischen und Englischen timbre und im Deutschen „Klangfarbe“ dazu). All diese Begriffe, auf die Malerei angewandt, verdeutlichen den Umstand, dass sich Farben wie Klänge in eine Reihe regelmäßiger Abstufungen aufgliedern ließen.

Auch in späteren Epochen hat man sich für die Beziehungen zwischen Musik und Malerei brennend interessiert, am meisten freilich zur Zeit der deutschen Romantik, also in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts, sowie im Rahmen des internationalen Symbolismus und des Jugendstils im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Mikalojus Konstantinas Čiurlionis

Das ersehnte Ziel war die Symbiose von bildender Kunst und Musik. Eine der revolutionärsten Gestalten auf diesem Wege war der Litauer Mikalojus Konstantinas Čiurlionis, von Hause aus Komponist, als Dreißigjähriger auch Maler mit weitreichenden kunsthistorischen Kenntnissen, der einen gewaltigen symbolistischen Bilderkosmos kreierte. Ihm galt die den „prometheischen Geist“ verkörpernde Farbe als Bindeglied zwischen den einzelnen Künsten, in der Malerei speziell zwischen den polyphon sich antwortenden Motiven, so wie ihm die Musik als eine Art Abbild der göttlichen Weltordnung galt. Folglich versuchte er, ein Farbenklavier zu entwickeln – eine Idee, mit der bereits im 17. Jahrhundert der durch seine fantastischen Bildgestalten berühmt gewordene Maler Giuseppe Arcimboldo experimentiert hatte. Vor solchem Horizont schwang sich Čiurlionis zu beeindruckender Modernität auf, zu einer Protoabstraktion, die den einschlägigen Bildern des frühen Kandinsky parallel-, wenn nicht sogar vorausging. In seiner 1911 publizierten Schrift Über das Geistige in der Kunst brachte eben jener Kandinsky die wichtigsten Farbtöne mit bestimmten Instrumenten in Zusammenhang: das Gelb, wie erwähnt, mit dem Trompeten- oder Fanfarenton, das Orange mit der Bratsche oder einer „warmen Altstimme“, das Rot mit der Tuba oder Trommel, das Violett mit dem Fagott, das Blau mit dem Cello, der Bassgeige oder Orgel und das Grün mit „gedehnten, meditativen Tönen der Geige“.


Abb. 4 Piet Mondrian: Broadway Boogie-Woogie, 1942/43, Öl auf Leinwand, 127 × 127 cm, New York, Museum of Modern Art.

Piet Mondrian

Ich erinnere ferner an ein bekanntes Bild von Piet Mondrian, an das 1942/43 vollendete Ölgemälde Broadway Boogie-Woogie (Abb. 4): Mondrian behält zwar sein typisches abstrakt-geometrisches System aus Vertikal- und Horizontalbalken bei, durchsetzt aber diese Matrix in rhythmischen Abständen mit roten, blauen und grauen Quadraten. Der Raster bietet das Äquivalent für das New Yorker Straßenbild und die Rhythmisierung korrespondiert der Dynamik des aus dem Jazz entstandenen Musikstils und des darauf basierenden Modetanzes. Wenn Mondrian die früher von ihm verwendeten schwarzen Balken durch gelbe ersetzt, kalkuliert er mit der lauten Eigenwirkung dieser Farbe, sofern sie unvermischt, ungebrochen auftritt.

Immer nachhaltiger rückte in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts ins Bewusstsein, dass die Farben ebenso wie die Töne ihre eigene Klangqualität haben und dass sie nach musikanalogen Harmoniegesetzen zu behandeln sind, wenn sie ihre volle Eigenkraft entfalten sollen. Sicher trug diese Auffassung vom Klangcharakter der Farbe dazu bei, dass die Malerei verstärkt danach suchte, sich von den Vorgaben naturalistischer Nachahmung zu befreien, und das hieß, ungegenständlich, abstrakt, musikalisch zu werden. Der Maler und ausgezeichnete Violinist Adolf Hölzel entwickelte eine dahingehende Kompositionslehre, die dann sein Schüler Johannes Itten in erweiterter Form ans Bauhaus vermittelte.

Ob der Versuch, musikalische Erlebnisse gleichsam in Farbensymphonie zu übersetzen, die (sensiblen) Betrachter objektiv in gleicher Weise berührt oder nicht doch eher subjektiv bleibt, muss ich an dieser Stelle nicht diskutieren. Entscheidend ist, dass besonders in der Moderne viele Maler daran glaubten, im Vergleich zur Musik auch Farben als unmittelbar emotionale Ausdrucksträger einsetzen zu können. Farben, deren Eigenwert man respektiert, seien imstande, eigenmächtig Emotionen auszulösen.

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