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1.2.3„Erfurter Gesprächskreis“

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Eine kommunikative Basis für einen Informationsaustausch zwischen Bischöfen, Priestern und Laien in der DDR stellte der 1968 durch den Görlitzer Priester Dr. Paul Schimke initiierte innerkirchliche Dialogkreis dar, der später die Bezeichnung „Erfurter Gesprächskreis“ (EGK) erhielt.161 Unter Zustimmung und Beteiligung der Bischöfe Hugo Aufderbeck162 und Gerhard Schaffran163 kam es im April 1968 zum ersten von insgesamt drei Treffen des im DDR-Katholizismus einzigartigen Gremiums. Ein zweites Treffen fand im Oktober 1968 auf Einladung von Bischof Aufderbeck statt. Im Februar 1969 schaltete sich Kardinal Bengsch in den Diskurs ein und nahm an der letzten Sitzung des Kreises am 15. Februar 1969 teil.164 Unter den 21 Teilnehmern der ersten Sitzung befanden sich unter anderem Dr. Wolfgang Trilling, drei Erfurter Professoren165 und auch Adolf Brockhoff und Winfried Schülke von der „Korrespondenz“ sowie Dr. Peter Willms166 aus Halle; die drei Letztgenannten sollten später dem AKH angehören. Die in diesem Kreis debattierten Themen deuten auf eine offene Gesprächsatmosphäre hin. Während sich Wolfgang Trilling dafür einsetzte, dass der Christ in der DDR ein kritisches Ja zum Sozialismus sagen könne und müsse und damit an Positionen der Korrespondenz oder der Paulus-Gesellschaft anknüpfte, wurde Adolf Brockhoff ganz seiner Rolle als kritischer Querdenker gerecht. Sein Referat mit dem Thema „Die religiöse Substanz in der DDR“ gliederte er anhand dreier markanter Thesen: „1. Die Kirche in der DDR ist geschichtslos; 2. Die Kirche in der DDR ist tatenlos; 3. Die Kirche in der DDR ist einfallslos.“167 Ein für Kardinal Bengsch verfasster Bericht dieser Sitzung hält nicht nur die Breite der kirchenpolitisch zum Teil höchst brisanten Diskussionsthemen - Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR, Auseinandersetzung mit dem Sozialismus, Einführung einer Synodalverfassung in der Kirche, Verzicht auf Mercedes-Dienstwagen der Bischöfe - kommentierend fest. Er resümiert abschließend die Bedeutung dieser Zusammenkunft und die Rollen zweier unliebsamer Protagonisten: „Es ist sicher gut, dass der Kreis zusammengekommen ist, um sich mal zu artikulieren. Es ist sicher besonders bei den Laien erkennbar geworden, dass die Situation der Kirche nicht in einer Richtung simplifiziert werden kann, wie es von Vertretern wie Pfarrer Brockhoff und Dr. Trilling immer wieder geschieht…“168 Der Bericht notiert zudem eine für die weitere Entwicklung nicht unbedeutende Einschätzung hinsichtlich der progressiv orientierten Priester. Sie seien der Überzeugung, „dass nach dem Beispiel von Westberlin und Westdeutschland eine kleine Gruppe genügt, um das Bewusstsein zu ändern, wenn sie sich nur genügend ‚akzentuiert und artikuliert‘. Was dort im politischen Raum möglich ist, müsste auch für den Raum der Kirche in der DDR gelten, und in der Erfüllung dieses Zieles sei dann auch die geschichtliche Sendung der Kirche in der DDR erkennbar…“169 Der Erfurter Gesprächskreis tagte nochmals im Oktober 1968 und im Februar 1969. Die Themen der beiden ersten Treffen hatten offensichtlich eine gewisse Toleranzgrenze erreicht, wenn nicht überschritten.170 Denn an der dritten Sitzung, die auch die letzte sein sollte, nahm Kardinal Bengsch persönlich teil.171 Gegenüber einem stark erodierten Teilnehmerkreis von nur noch vier Laien erteilte der Kardinal den bisher geäußerten Reformvorschlägen eine klare, vor allem kirchenpolitisch begründete Absage.172 Im Fokus der nunmehr bischöflichen Kritik befanden sich, wie der nachträglich von Bengsch autorisierte Bericht ausweist173, die kritischen Anfragen von Adolf Brockhoff, Wolfgang Trilling und der Korrespondenz hinsichtlich einer stärkeren Beteiligung und Mitverantwortung von Priestern und Laien an Entscheidungen der Berliner Ordinarienkonferenz.174 Zwar hatte die Berliner Ordinarienkonferenz (BOK) auf Anregung des Erfurter Gesprächskreises ein beratendes Priester- und Laiengremium für wenige Jahre berufen.175 Es ist allerdings Forschungskonsens, dass die kurzzeitige Existenz dieser Gremien einen „gewollten Leerlauf seitens der BOK“176 darstellte.177 Offensichtlich war, wie sowohl das Schicksal des Erfurter Gesprächskreises als auch das der beiden bischöflichen Beratungsgremien ausweist, die Halbwertzeit innerkirchlicher Diskussionsforen unter Beteiligung von Bischöfen und Laien äußerst gering. Ob dies mit den debattierten Themen oder der bischöflicherseits präsumierten Gefährdung der innerkirchlichen Einheit durch offenere Kommunikationsformen in Zusammenhang steht, ist bislang noch nicht eindeutig geklärt. Personelle Komponenten, wie etwa das durchaus kritische Verhältnis von Bengsch zu Brockhoff und Herold, dürfen zwar nicht überbewertet werden, haben aber dennoch eine Rolle gespielt. Mit dem Ende des Erfurter Gesprächskreises und der bischöflich verweigerten Besetzung der beiden Beratungsgremien mit einzelnen „oppositionellen Kräften“ sanken die Chancen auf eine konstruktive Einbindung der reformorientierten Ambitionen. Zugleich stieg das Potential, dass sich der aus dem Konzil und der Situation der Kirche in der DDR ergebende Reformdruck neue Wege und Artikulationsformen suchen könnte, die bischöflich dann kaum mehr einzubinden waren. Im Erzbischöflichen Kommissariat Magdeburg fehlten zudem innerkirchliche Katalysatoren für aufkommende Kritik. Während es im Erfurter Jurisdiktionsgebiet vor allem die integrative Persönlichkeit Bischof Aufderbecks war und im Bistum Meißen die Diözesansynode dazu beitrug, durchaus vorhandene Spannungen abzubauen, fehlte eine solche Institution oder Persönlichkeit in Magdeburg.178 Dass es hier derart kontrovers zugehen konnte, dürfte nicht zuletzt an der Person des Weihbischofs sowie an der Zusammensetzung des Klerus gelegen haben, der teilweise aus Westdeutschland kam und die ostdeutsche Diaspora mehrheitlich als Berufung verstanden hatte.

Der Aktionskreis Halle

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