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3.4Ablehnung, Ignoranz, Sympathie

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Der Aktionskreis Halle forderte durch seine zahlreichen Stellungnahmen und Kommentare ganz bewusst zur kritischen Auseinandersetzung heraus. Er provozierte planvoll, um einen innerkirchlichen Dialog- und Reformprozess zu initiieren. Für den ostdeutschen Katholizismus war die Schärfe und Offenheit mancher Positionen ungewohnt. Sie evozierten daher nicht nur Interesse und Aufmerksamkeit, sondern auch Kritik und zum Teil schroffe Ablehnung. Die innerkirchliche Beurteilung des AKH weist dementsprechend ein breites Spektrum auf und lässt sich in verschiedene Phasen, Ebenen und Richtungen unterscheiden. Sowohl Priester und Laien aus der DDR und der Bundesrepublik als auch ost- und westdeutsche Bischöfe und nicht zuletzt Professoren des Philosophisch-Theologischen Studiums in Erfurt haben das Wirken des Aktionskreises teils kritisch, teils wohlwollend begleitet und kommentiert. Der Aktionskreis Halle wurde besonders aufgrund der Ereignisse und Entwicklungen um die Nachfolgeregelung von Weihbischof Rintelen in den Jahren 1969/70 betrachtet und von hier aus überwiegend kritisch bewertet. Erst in den 1980er Jahren orientierte sich die Einordnung des Kreises mehr am Inhalt seiner Erklärungen und an den Motiven der hier versammelten Christen.671

Hatte es die Protestbewegung im Juli 1969 noch vermocht, weite Teile des Magdeburger Klerus und zahlreiche Gemeinden für eine Solidarisierung mit Friedrich Maria Rintelen zu mobilisieren, entfaltete sich bereits kurze Zeit später erhebliche Kritik, die die ersten Jahre anhalten und prägen sollte. Besonders nach dem Brief von Willi Verstege vom 3. Dezember 1969 wuchs die innerkirchliche Ablehnung.672 Bis dahin schien sich die Protestaktion noch weitgehend im Rahmen üblicher Parteibildungen abgespielt zu haben.673 Doch in jenem Dezemberbrief hatte die Gruppe zu einer erneuten Versammlung eingeladen und sich zu der apodiktischen und höchst missverständlichen Feststellung hinreißen lassen: „Gespräch oder Spaltung, das ist die Alternative.“674 Der Brief provozierte eine Flut von Protestschreiben von Priestern und von Laien, deren Inhalt an Schärfe kaum zu überbieten war. Sie spiegelten auch die Tiefe der Auseinandersetzung wider: „Auf das schärfste (sic!) protestiere ich gegen Inhalt, Geist und Intention des oben genannten Schreibens, das geeignet ist, die Autorität unseres H.H. Weihbischofs zu untergraben, die Atmosphäre im Klerus zu vergiften, unter unseren Gläubigen schwere Verwirrung zu stiften und großes Ärgernis zu erregen sowie dem Ruf und Ansehen unseres Kommissariates Magdeburg beträchtlichen Schaden zuzufügen....“675 In weiteren Briefen wurde am „priesterlichen Geist“676 sowie am grundsätzlichen Sinn und Erfolg derartiger Protest- und Dialogaktionen677 und schließlich an den hehren Zielen der Protagonisten gezweifelt, denen man „Revolte“678 gegen den Bischof vorwarf. Moderatere Stimmen bemühten sich vergeblich um eine Beruhigung der Fronten.679 Schnell kristallisierte sich in verschiedenen Repliken die Meinung heraus, es handle sich nur um die Position einer nichtrepräsentativen Minderheit.680 Eine Antwort auf Willi Versteges Brief argumentierte sogar mit Zitaten des II. Vatikanums, um die Illegitimität des Verhaltens der Priester aufzuzeigen.681 Die dabei angeführten Verweise auf das Verhältnis von Priestern und Bischöfen rekurrierten zwar vorwiegend auf tradierte Gehorsamsvorstellungen, zeigen aber zugleich, dass man mit jeweils unterschiedlichen Intentionen an die Texte des Konzils heranging und sie für legitimierende Interessen einzusetzen versuchte. Der „offene Brief an Prälat Braun“ vom 1. März 1970 und die Veröffentlichung des sogenannten „Jägerbriefes“ durch Willi Verstege verschärften die ohnehin angeheizte Situation noch zusätzlich. Die sich daraus ergebenden Reaktionen waren von unterschiedlicher Art: Empörung und tiefe Trauer“682, Unverständnis683 und Ablehnung684, bis hin zur existentiellen Kritik685.

Nach zwei Jahren Arbeit schien der Aktionskreis ein gutes Stück des noch verbliebenen Vertrauensvorschusses eingebüßt und manche in ihn gesetzten Hoffnungen enttäuscht zu haben.686 Das Ergebnis war ein veritabler Mitgliederverlust im Jahr 1971. Der entscheidende Grund schien die teils heftig umstrittene Solidarisierung des AKH mit dem von Bischof Braun suspendierten Pfarrer Adolf Brockhoff gewesen zu sein. Der Hallenser Pfarrer Wolfgang Simon und ehemalige Vorsitzende des Magdeburger Priesterrates schrieb 1971 einen Brief an den AKH, der für bestimmte kirchliche Kreise im Kommissariat Magdeburg paradigmatisch für die Bewertung und Einschätzung dieser Reformgruppe ist. „Obgleich ich den AKH seit seinem Bestehen für eine Art Reservelazarett halte und der Meinung bin, mit Schwerverwundeten könne man keinen Krieg führen, auch wenn noch so tüchtige und fanatisch für den Endsieg der guten Sache glaubende BDM-Führerinnen aufopferungsvolle Schwesterndienste versehen, bin ich von der gerade für das Kommissariat Magdeburg lebenswichtigen Funktion einer solchen Gruppe überzeugt. Mit ‚Verfassung’ und Zielsetzung des AKH muss ich mich vorbehaltlos identifizieren.“ Obwohl Simon den Zielen des AKH zustimmen konnte und selbst eine feste Mitarbeit erwog687, erwuchsen für ihn erhebliche Konflikte aus der Art und Weise, wie sich eine von ihm als „Regierungspartei“688 bezeichnete Gruppe innerhalb des AKH für die uneingeschränkte Solidarisierung mit Adolf Brockhoff eingesetzt hatte: „Aber nun kommt das Problem mit der ‚Regierungspartei‘, die der Idee die Realisierung ermöglicht…Wie Claus Herold weiß, fürchtete ich, dass die Brockhoffaffäre zu einer gefährlichen Krise des AKH führen müsse, da eine Solidarisierung programmgemäß erfolgen musste, aber nicht möglich war, solange Adolf die entscheidende Information verweigert. Ich fürchtete, es könnte zur Spaltung, wenn nicht zur Auflösung kommen…Der Verlauf der Versammlung zeigte mir jedoch bald, dass ich die Situation völlig falsch eingeschätzt hatte, d.h. trotz der Übereinstimmung mit der Grundsatzerklärung von einem sentire cum AKH überhaupt keine Rede sein kann.“689 Daher sah sich Pfarrer Simon gezwungen seine „Beziehungen zum AKH abzubrechen und auch in Zukunft auf deren Rundbriefe zu verzichten.“690 Die von außen als uneingeschränkte Solidarisierung mit Adolf Brockhoff wahrgenommene Positionierung des AKH war für Wolfgang Simon zu unreflektiert und voreilig.

Eine tatsächliche Auseinandersetzung zwischen katholischen Bischöfen und dem Aktionskreis Halle hat es bis 1989 nicht gegeben. Ernst Alfred Jauch von der Katholischen Nachrichtenagentur KNA konstatierte hierzu 1982: „Die Bedeutung des Kreises, der sich Ende der 60er Jahre aus Priestern und Laien hauptsächlich im sächsischen Raum gebildet und der seither von Zeit zu Zeit eine gewisse, auch publizistische Aktivität entwickelt hat, ist umstritten. Die Bischöfe und mit ihnen gewiß auch ein nicht unwesentlicher Teil der katholischen Intelligenz in der DDR stehen ihm eher kritisch gegenüber. Man wirft seinen Mitgliedern nicht ungefährliche Unbekümmertheit im Umgang mit den politisch-gesellschaftlichen Realitäten und zugleich Mangel an Solidarität mit der Kirchenführung vor, deren Position durch die kritische Distanz zur kirchenpolitischen Linie des Episkopates geschwächt werde.“691 Zwar haben einzelne Mitglieder des Kreises mit verschiedenen Ordinarien in der DDR und in Paderborn über die Gruppe gesprochen. Zu einem offenen Dialog, der auch Raum für bischöfliche Kritik geboten hätte, ist es hingegen nie gekommen. Insofern ist die bischöfliche Kritik am AKH stets indirekt oder über Briefe erfolgt, wenn sie nicht - wie im Fall von Kardinal Bengsch - gänzlich ohne schriftliche Belege verlief und dennoch latent war.

Die Auseinandersetzung von Weihbischof Rintelen mit dem AKH ist vor allem durch die Beurteilung der Aktionen anlässlich seiner Nachfolgeregelung 1969/70 beeinflusst gewesen und beschränkte sich infolge der Emeritierung auf nur wenige Monate. Grundsätzlich ist zu beachten, dass Friedrich Maria Rintelen mehr als ein wegweisender Theologe ein väterlicher Bischof war.692 Trotz mancher Kontroversen im Kommissariat Magdeburg bemühte er sich darum, offene Konflikte zu vermeiden und einen väterlichen Umgang mit seinem Presbyterium zu pflegen.693 Nicht allen theologischen und pastoralen Aufbrüchen im Gefolge des Konzils konnte er zustimmen.694 Jedoch gewährte er für neue Ansätze ausreichend Freiraum.695 Zu den „Gründungsvätern“ des Aktionskreises und besonders zu Claus Herold unterhielt der Weihbischof gute, wenngleich nicht immer konfliktfreie Beziehungen. Offiziell fühlte sich Rintelen von der vermeintlichen Ehrenrettung durch die Protestnote an den Papst nie geschmeichelt.696 Ausdrücklich lehnte er in Diskussionen und verschiedenen Schreiben die sich von Halle her ausbreitende „Unruhe“697 im Kommissariat ab. Besonders markant beschreiben offizielle Briefe an Nuntius Bafile die distanzierte Haltung des scheidenden Weihbischofs zu dem sich konstituierenden AKH: „Dass die hiesige „Sog-Gruppe“ über die Ernennung Brauns nicht erfreut sein würde, wusste ich und deutete es Euer Exzellenz in einem Schreiben schon an... Ich halte es für nicht unmöglich, dass diese Gruppe auch weiterhin keine Ruhe gibt. Durch ihre Querverbindungen sucht sie auch in anderen Diözesen gegen Msgr. Braun Stimmung zu machen. Die Resolution, welche die Gruppe Msgr. Braun vorlegen wollte, qualifiziert sie zur Genüge. Wenn ich Euer Exzellenz noch schreibe, dass einer der Führenden in der kleinen „SOG-Gruppe“ ein uneheliches Kind hat und beabsichtigte, „aus sozialen Motiven“ die Mutter des unehelichen Kindes in sein Haus zu nehmen, was auf mein Einschreiten dann unterblieb, - (nur auf sein mir – wie er sagte – ehrlich gegebenes Wort, dass er mit dem Mädchen kein konkubinatsähnliches Verhältnis habe, ließ ich ihn im Amt - gebe Gott, dass ich nicht zu schwach war!) und dass ich einem anderen Priester der Gruppe vor kurzem für eine Zeit seine Pfarrrechte nehmen musste, weil er bei einer Trauung einer Mischehe mit einem evangelischen Pfarrer konzelebriert hatte und auch dem evangelischen Bräutigam die Hl. Kommunion gereicht hatte, so ist genug über die Gruppe gesagt.“698 Einen Tag nach der Bischofsweihe von Johannes Braun in Magdeburg berichtete Rintelen dem Nuntius in Bad Godesberg erneut: „Nur die 7 oder 8 rebellierenden Priester waren, ohne sich zu äußern, der Feier ferngeblieben. Diese werden es verstehen, dem neuen Bischof noch Schwierigkeiten zu machen.“699 Ob Rintelen von dieser kritischen Position in inoffiziellen Erklärungen und Briefen abwich, ist unklar, ebenso wie er die weitere Arbeit des Aktionskreises von Paderborn aus bewertet hat. Aufschlussreich könnte allerdings eine Aktennotiz sein, die der Nachfolger Kardinal Jaegers 1976 verfasste. Erzbischof Degenhardt hatte Friedrich Maria Rintelen hinsichtlich der Vorbereitung und Gestaltung seines 25jährigen Bischofsjubiläums aufgesucht. Dabei habe Rintelen zum Ausdruck gebracht: „Als Geschenk wolle er nichts für sich haben. Wenn jemand ihm etwas schenken wolle, solle man Geld für Magdeburg spenden…Bischof Rintelen erklärte noch einmal ausdrücklich, dass er eine Feier, in der er selbst im Mittelpunkt stehe, nicht gerne habe und dass er dieses Jubiläum auch deshalb nicht feiern wollte, weil die Wunden seines Ausscheidens aus dem Bischofsamt in Magdeburg wieder aufbrechen würden.“700 Ob Weihbischof Rintelen den AKH auch oder im Besonderen für diese „Wunden“ verantwortlich machte, bleibt ungewiss. Auffallend ist jedoch, dass das letztlich gute Verhältnis Rintelens zu Claus Herold auch während seiner aktiven Zeit im AKH bestehen blieb.701

Die sich aus verschiedenen Briefen ergebende Position des Paderborner Erzbischofs gegenüber dem Hallenser Aktionskreis ist ebenfalls als eher ablehnend zu charakterisieren. Schon vor 1969 war Kardinal Jaeger über Probleme seines Weihbischofs mit Adolf Brockhoff, Claus Herold und anderen informiert worden.702 Auch über die Aktivitäten der „Halleschen Korrespondenz“ hatte sich Lorenz Jaeger persönlich informieren lassen und vor ihrem Einfluss auf den Klerus und die Laien gewarnt703, da ihm derartige Entwicklungstendenzen aus der bundesdeutschen Kirche bekannt waren.704 Obwohl sich der Paderborner Erzbischof ausdrücklich für ein Mitspracherecht des Magdeburger Klerus bei der Wahl eines Nachfolgers für den Weihbischof eingesetzt hatte, blieben für ihn die Reformbemühungen der Hallenser Gruppe durch die Veröffentlichung des „Jäger-Briefes“ und die entstandene Spaltung im Kommissariat überschattet. In verschiedenen Briefen an Adolf Brockhoff705 und Claus Herold706 sowie an Bischof Braun bemühte sich der seit fast 30 Jahren amtierende Paderborner Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger um Vermittlung. Dem neu ernannten Bischof bemühte er sich Wege für die Überwindung der Spaltung aufzuzeigen und ihn seiner Unterstützung zu versichern. Dabei bezeichnete er die Hallenser Aktivitäten als „eine unverantwortliche Wühlarbeit unter dem Klerus und teilweise auch unter den Laien.“707 An anderer Stelle bezeichnete er die Laien und Priester direkt als „Oppositionsgruppe, die sich im Süden des Kommissariatsbezirks gebildet“708 hat. Zwei Monate nach der Bischofsweihe in Magdeburg fragte er namentlich an, „ob Pfarrer Brockhoff, Verstege u.a. inzwischen eine positive Einstellung zu dem neuen Oberhirten bekommen haben oder nicht.“709 Zu diesem Zeitpunkt hatte ihn ein Brief Brauns noch nicht erreicht, der sich vorsichtig optimistisch zeigte.710 Am Jahresende entwickelte Kardinal Jaeger wohl unter Rückgriff auf eigene Erfahrungen einen Drei-Punkte-Plan mit konkreten Handlungsoptionen für Bischof Braun, der darüber Auskunft gibt, dass Kardinal Jaeger keine Disziplinierung des kritischen Klerus anstrebte.711 Distanzierter äußerte sich der Kardinal auch in seiner Replik auf den unumstrittenen Brief des Magdeburger Prälaten Heinz Jäger: „Vorgestern bekam ich einen Brief von Weihbischof Rintelen, in welchem er mir mitteilt, dass er zu einem Konveniat nach Halle reisen will, wo eine Gruppe reformerisch ausgerichteter Priester eine Solidaritätsgruppe bilden wollen, gemeinsam mit ebenso progressistisch ausgerichteten Laien. Ich würde die Bildung einer solchen Solidaritätsgruppe außerordentlich bedauern. Sie führt zu leicht zu Spaltung im Klerus, zu sich immer mehr verschärfenden Frontstellungen gegeneinander und kann auch politisch arg missbraucht werden. Es sollte doch alles versucht werden, das zu verhindern. Ein guter, frei gewählter Priesterrat genügt vollauf und kann alle Anliegen vertreten, die berechtigterweise im Klerus aufbrechen.“712 Deutlicher hätte der Erzbischof seine Distanz gegenüber freien Zusammenschlüssen von Priestern und Laien kaum artikulieren können. Die postkonziliare Unruhe in der Kirche machte es dem Kardinal schwer, in den Aufbrüchen der Priester und Laien einen sinnvollen ekklesiologischen Mehrwert zu erblicken. Es gilt aber dennoch zu beachten, dass das Verhältnis von Kardinal Jaeger zu einzelnen Personen des Kreises, etwa zu Claus Herold, ungetrübt blieb.713

Die Einordnung des AKH durch Johannes Braun wird noch detailliert zu hinterfragen sein. Seine nachträgliche Bewertung von Adolf Brockhoff und des AKH in dem 1999 erschienen Buch „Ich lebe, weil Du es willst“ ist keine historische Darstellung, sondern vor allem geeignet, ein subjektives Geschichtsbild zu tradieren.714 Von Beginn an gab es zwischen Johannes Braun und dem AKH einen elementaren Dissens. Die Basisgruppe hatte sich nicht nur formiert, um einen eigenen Kandidaten für die Rintelennachfolge nominieren zu können. Es war das erklärte Ziel des Kreises, den von verschiedener Seite protegierten Rektor des Norbertuswerkes als zukünftigen Magdeburger Bischof zu verhindern. Die im Zuge dieser Auseinandersetzung entstandenen Verwundungen bei Johannes Braun haben die Bewertung des Kreises und seiner Mitarbeiter nachhaltig beeinflusst. Die Legenden über dieses Spannungsverhältnis sind unbestätigt.715 Aus den kirchlichen Quellen lässt sich allerdings über einen Zeitraum von über 15 Jahren nachweisen, dass Bischof Braun den AKH nie als legitime kirchliche Vereinigung angesehen hat. Wie weit diese persönliche Distanz reichte, wird unter der Fragestellung einer „Unheiligen Allianz“ noch ausführlich erörtert.

Der Erfurter Bischof Hugo Aufderbeck war erst durch den „Jäger-Brief“ in die Entwicklungen um den AKH verflochten worden. Seine Herkunft als Paderborner Priester, die langjährige Tätigkeit als Priester in Halle (seit 1938) und das wegweisende Wirken als Magdeburger Seelsorgeamtsleiter (1948-1962) hatten ihn natürlich mit den späteren Gründungsvätern des AKH in enge und teils freundschaftliche Verbindungen gebracht. Für Claus Herold war Hugo Aufderbeck seit 1938/39 Lehrer und Beichtvater.716 Mit Adolf Brockhoff verband ihn seit 1953 die gemeinsame Arbeit.717 Obgleich die engen Verbindungen zwischen Herold, Brockhoff und Aufderbeck auch nach dessen Weggang aus Magdeburg 1962 bestehen blieben, war das Verhältnis in den kommenden Jahren nicht ungetrübt. Daher kann von einem Erfurt-Hallenser Schattenkomplott gegen Weihbischof Rintelen, wie von Prälat Jäger mit dem Diktum einer „fünften Kolonne“ insinuiert, kaum gesprochen werden, selbst wenn man eine bleibende Distanz zwischen Rintelen und Aufderbeck konzediert.718 Die überhitzte Situation im Kommissariat Magdeburg vor und nach der Weihe von Bischof Braun und die Verwirrung durch den veröffentlichten Jäger-Brief hatten es dem Erfurter Bischof Aufderbeck mehr als geboten erscheinen lassen, sich nicht gegenüber dem AKH zu positionieren. Bereits im April 1970 zeigte er sich distanziert und warb für eine Überwindung der vorhandenen Spannungen.719 In einem ausdrücklich persönlichen Brief wandte sich Hugo Aufderbeck am 13. Oktober 1970 an Claus Herold.720 Darin kritisierte er nicht nur Fehler im letzten AKH-Rundbrief721, sondern bezog auch direkt und indirekt Stellung zum Aktionskreis: „Zur Arbeitsweise Eures Aktionskreises möchte ich mich nicht äußern. Nur würde ich es sehr bedauern, wenn einer meiner jungen Mitbrüder durch diesen Kreis in eine Richtung käme, die wahrscheinlich für ihn nicht gut ist, zumal wenn er dadurch vielleicht noch veranlasst würde, hier eine ähnliche Gruppe zu gründen. Ich bemühe mich, für alle Gespräche offen zu sein und dazusein. Du tätest mir damit keinen Freundesdienst.“722 Stellte das Vorgehen des Aktionskreises tatsächlich die Freundschaft beider auf die Probe oder kann dieser Brief nicht auch als correctio fraterna interpretiert werden? Ähnlich persönliche Empfehlungen gab ein weiterer Freund Claus Herolds, der Paderborner Weihbischof Paul Nordhues.723 Drei Jahre später, im November 1973, bezog Hugo Aufderbeck noch einmal Stellung gegenüber dem AKH und Claus Herold. Ausschlaggebend für einen scharfen Brief Aufderbecks war eine Zeitungsmeldung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 29. Oktober 1973, die die Problematik von aus dem Amt geschiedenen Priestern in der DDR anhand von Aussagen des Aktionskreises thematisierte.724 Aufderbeck fühlte sich von der Verleumdung in der bundesdeutschen Presse verletzt und kritisierte vor allem die „globale Diffamierung“ der ostdeutschen Bischöfe, die durch die Aussagen des AKH ermöglicht wurde.725 Beide Briefe deuten klar auf eine distanzierte Haltung Aufderbecks gegenüber den Hallenser Aktivitäten hin.

Von weiteren ostdeutschen Bischöfen sind entweder nur Faszikel oder keine schriftlichen oder mündlichen Stellungnahmen zum AKH überliefert. Der Berliner Erzbischof Alfred Kardinal Bengsch hat keine schriftliche Stellungnahme zum Hallenser Aktionskreis abgegeben, die in kirchlichen Archiven oder dem Privatarchiv des Aktionskreises überliefert ist. Doch weisen die kritischen Auseinandersetzungen des Kardinals mit Adolf Brockhoff im Rahmen des Hallenser Sprachenkurses sowie mit Claus Herold im Hinblick auf seine Tätigkeit als Sprecher der DDR-Jugendseelsorger auf eine kirchenpolitisch wie theologisch begründete Distanz hin. Dies wird auch von einzelnen Kommentaren gegenüber Dritten belegt. In einem Brief an den Leipziger Oratorianer Pfarrer Dr. Wolfgang Trilling726 wandte sich Alfred Bengsch im Juni 1969 gegen dessen Darstellungen zur Kirchenpolitik der Bischöfe in der DDR.727 Der Vorsitzende der BOK führte dabei aus, dass die Vorliebe für den Pluralismus in der Kirche unter den „uns auferlegten Bedingungen gelegentlich zurücktreten [müsse, SH], denn eine Kirche, die in unserer Staatsform leben muss, darf doch wohl den innerkirchlichen Dialog nicht so führen, dass sie anderen Kreisen direkt die Möglichkeit bietet, ihr schwer zu schaden.“728 Trillings Äußerungen wirkten umso mehr, so die Wahrnehmung Bengschs, da er von der BOK als Dozent für Exegese beauftragt ist. Es hat deshalb, so der Kardinal weiter, „eine andere Wirkung als die permanenten Äußerungen des Unbehagens, die etwa Pfarrer Brockhoff als Beitrag zum Leben der Kirche liefert.“729 Im Nachlass Bengsch findet sich eine Sammlung von AKH-Rundbriefen, die allerdings nicht kommentiert wurde.730 Sein Nachfolger, Joachim Kardinal Meisner731, hatte den Berliner Prälaten Paul Dissemond 1985 beauftragt, dem „sogenannten Aktionskreis Halle“ mitzuteilen, dass es nach bischöflicher Auffassung ein innerkirchliches Gremium mit diesem Namen nicht gäbe.732 Die Bischöfe von Erfurt und Meißen, Joachim Wanke733 und Gerhard Schaffran, standen dem Kreis nicht ausdrücklich ablehnend gegenüber.734 Entgegen dem unter Kardinal Bengsch gepflegten „Ignoranzparadigma“ gegenüber dem AKH, antwortete der Schweriner Apostolische Administrator und Bischof Heinrich Theissing 1982 auf einen Brief von Joachim Garstecki. Der Vordenker des AKH in Friedensfragen hatte dem Schweriner Bischof seinen Text „Zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit: Auf der Suche nach Frieden“ als Reaktion auf Theissings Hirtenbrief zur Friedensfrage 1982 übermittelt.735 Die knappe bischöfliche Antwort ist wohl die einzige dokumentierte positive Äußerung eines ostdeutschen Bischofs gegenüber inhaltlichen Ansätzen des Hallenser Aktionskreises bis 1989: „Diese realistischen und beachtenswerten Überlegungen tun einem richtig wohl gegenüber manchen unverantwortlichen emotionalen Äußerungen, auch von Persönlichkeiten, wo man etwas Anderes erwarten müsste.“736

Die Quellenlage des AKH-Privatarchivs erlaubt es zudem, eine Einordnung anhand von Briefen von Erfurter Professoren vorzunehmen. Die Bewertung und Kommentierung des Hallenser Aktionskreises durch Teile der Professorenschaft des Philosophisch-Theologischen Studiums in Erfurt ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil Erfurt die einzige kirchlich-akademische Ausbildungsstätte für den Klerus in der DDR war. Die kirchliche Hochschule genoss hohes Ansehen und ihren Professoren kam eine bedeutende Stellung als theologische Berater und Vermittler in der DDR zu. Die hier lehrenden Professoren waren trotz der innerdeutschen Teilung und Isolation international vernetzt und genossen nicht zuletzt als Konzilstheologen und -teilnehmer weltweites Renommee.

Professor Dr. Bruno Löwenberg737 stammte aus Halle und war seit 1953 Ordinarius für Pastoraltheologie in Erfurt.738 Er war Paderborner Priester und hatte vor seiner Berufung nach Erfurt die Stelle des Subregens im Paderborner Priesterseminar wahrgenommen.739 Prof. Löwenberg war Teilnehmer der ersten Sessio des II. Vatikanischen Konzils.740 Als Angehöriger des Magdeburger Presbyteriums stand er in Kontakt zu den Initiatoren des AKH. Professor Löwenberg bedankte sich regelmäßig für die Informationssendungen und Einladungen des Aktionskreises, nahm aber nie an einer Vollversammlung teil.741 Den Themen der Rundbriefe attestierte er einen für den ostdeutschen Raum hilfreichen kritischen Tenor: „Danken möchte ich Ihnen besonders für Ihren Rundbrief vom 5.3. Es freut mich, dass die Themen der (sic!) ‚Lücken‘ anfassen. So werden sie nicht vom Tisch gewischt.“742

Der Erfurter Lehrstuhl für Exegese des Neuen Testamentes war mit dem international angesehenen Konzilstheologen Professor Dr. Heinz Schürmann besetzt, der ebenfalls Paderborner Diözesanpriester war.743 Er war über 15 Jahre lang Mitglied der Internationalen Theologenkommission und war in der Nachfolgefrage für Weihbischof Rintelen einer der aussichtsreichsten Kandidaten. Regelmäßig und von Anfang an bezog er die Hallenser Rundbriefe und nutzte die dort veröffentlichten Artikel auch für seine akademische Lehrtätigkeit.744 Zu Claus Herold pflegte er über Jahre einen engen Kontakt.745 1977 hatte ihn Pfarrer Herold im Auftrag des AKH-Sprecherkreises als Referenten für eine Vollversammlung eingeladen.746 Die Replik Schürmanns offenbarte, dass es sieben Jahre nach der umstrittenen Gründung des AKH einem Erfurter Professor nicht ohne erhebliche Bedenken möglich schien, an einer AKH-Vollversammlung als Referent teilzunehmen.747

Ein dritter Professor und zugleich Magdeburger Diözesanpriester, der langjährigen Kontakt zum AKH pflegte, ist der Erfurter Alttestamentler Georg Hentschel748. Auf das Jahr 1971 datiert der erste Brief von Georg Hentschel an den Kreis, in dem er sich mit eigenen thematischen Impulsen an die Gruppe wandte.749 Zugleich bemerkte er hinsichtlich seines eigenen Engagements: „Solange der AKH besteht, werde ich ihm Interesse entgegenbringen, auch wenn ich vielfach skeptisch bin, ob Sie immer auf die wesentlichsten Punkte hinsteuern. - Wenn ich mal allzu viel Zeit habe, lasse ich mich auch selbst wieder sehen.“750 Professor Hentschel verfasste 1980 einen Brief an den Nienburger Pfarrvikar Willi Verstege, der zu jener Zeit die Kontaktadresse für den AKH stellte. Auch in diesem Brief deutet sich ein Korsett der Erfurter Professorenschaft an, das schon Löwenberg und Schürmann veranlasst hatte, von einer offenen Unterstützung des Aktionskreises Abstand zu nehmen: „Lieber Herr Verstege! …Wer etwas lobenswert findet, der sollte mit dem Lob auch nicht sparen. Lobenswert ist aber die Anstrengung des AKH, uns mit seltenen Informationen zu versorgen. Ich denke besonders an den Vortrag von Hans Küng in Peking, aber auch an den Brief des A. Khomeni. Selbst wer wie ich hier in Erfurt an der Quelle theologischer Information sitzt, ist dankbar für dieses oder jenes, das wir entweder vermissen oder übersehen. Ich hoffe immer noch darauf, eines Tages mehr Zeit zu haben, um mich in der einen oder anderen Richtung engagieren zu können. Doch noch bin ich so beansprucht, dass mich die Einladungen des AKH nicht rühren dürfen. In den wenigen Mußestunden, die mir verbleiben, denke ich freilich immer wieder darüber nach, was ich mit meinen Kräften tun könnte, um die allgemeine Depression gerade im Magdeburger Raum abzubauen. Hier in Erfurt sind wir demgegenüber doch in einer recht glücklichen Lage. So viel für heute an privater Sonntagsbetrachtung. Ihnen und dem ganzen AKH wünsche ich Erfolg bei der Arbeit und die Zuversicht, die die traurigsten Verhältnisse überwindet. Mit herzlichen Grüßen gez. Georg Hentschel.“751

Ein Professor durchbrach allerdings die offensichtlich „politisch“ gewollte Distanz zwischen dem Erfurter Studium und der Hallenser Basisgruppe. Konrad Feiereis, Ordinarius für Philosophie und Görlitzer Diözesanpriester, referierte auf Einladung des AKH-Sprecherkreises752 am 30. Oktober 1987 auf der Herbstvollversammlung des Kreises zum Thema „Dialog und Toleranz zw. Christen und Marxisten in der DDR.“753 Professor Feiereis war spätestens seit seinem bahnbrechenden Vortrag „Zusammenleben und Kooperation von Christen und Marxisten in der Gesellschaft“754 auf einem internationalen Symposion in Budapest im Jahr 1986 der entscheidende katholische Philosoph in der DDR, der die Möglichkeiten eines Dialoges zwischen Christen und Marxisten mit bischöflichem Placet erörterte. Der AKH hatte dieses Referat in Vorbereitung auf den Vortragsabend im Juni-Rundbrief 1987 veröffentlicht.755 Der gutbesuchte Vortrag des Erfurter Professors auf der Hallenser-Tagung sollte nicht folgenlos bleiben. In einem autorisierten Zeitzeugeninterview hielt der päpstliche Ehrenkaplan und spätere Träger des Bundesverdienstkreuzes Professor Konrad Feiereis folgende Schilderung der sich an seinen Vortrag anschließenden Ereignisse fest: „Die Erfurter Professoren sind bewusst nicht zum AKH gefahren. Sie haben sich ausdrücklich herausgehalten, denn es gab die stille Abmachung untereinander, dass man das Verhältnis zwischen Bischöfen und Fakultät nicht stören wolle. Ich bin aber hingefahren, weil ich mir dachte und das dachten viele Kollegen auch, diese Zeiten sind vorbei. Man kann jetzt nicht mehr schweigen…Am darauffolgenden Mittwoch tagte wie üblich die Erfurter Professorenkonferenz. Frau Funke756 hat mich aus der Professorenkonferenz rausgeholt und erklärt: ‚Kardinal Meisner ist am Telefon‘. Im anschließenden Gespräch hat mir der Kardinal eine Philippika gehalten und dabei gesagt: ‚Konrad, wie kannst Du dort zu diesen Leuten gehen, die gehören doch gar nicht richtig zur Kirche.‘ Es sei eine große Enttäuschung für ihn.“757 Noch am Telefon hat Konrad Feiereis seinen Rücktritt angeboten.758 Nach dem Telefonat unterrichtete Professor Feiereis die noch versammelte Professorenkonferenz von den Ereignissen. Nach verschiedenen Vermittlungsversuchen hat sich der Berliner Kardinal förmlich bei Professor Feiereis entschuldigt.759

Diese Schilderungen verdeutlichen nochmals in zugespitzter Form die Situation, in der sich die Erfurter Professorenschaft hinsichtlich des Aktionskreises Halle befand. Eine ausdrückliche Sympathie für die Aktionen und Motive der Basisgruppe dürfte, wenn überhaupt, nur bei einer Minderheit der Professoren vorhanden gewesen sein. Der Empfang der Rundbriefe und die persönlichen Beziehungen einzelner Ordinarien zu verschiedenen Gründungsvätern des AKH haben aber über die Jahre hinweg dazu beigetragen, den Austausch auf der Ebene des Inoffiziellen aufrechtzuerhalten. Die ostentative Zurückhaltung einzelner Professoren hinsichtlich einer Teilnahme an AKH-Sitzungen bekommt vor dem Hintergrund der von Professor Feiereis konzedierten internen Absprachen eine weitere Erklärungsmöglichkeit. Die Raison der Professorenschaft genoss vor den Interessen der einzelnen Professoren uneingeschränkten Vorrang. Offensichtlich war es erst Mitte der 80er Jahre einem Görlitzer Diözesanpriester und Professor für Philosophie, dessen Kernthema der Dialog war, möglich, die letztlich von den Bischöfen und den Erfurter Professoren errichtete Demarkationslinie gegenüber dem AKH aufgrund pastoraler Erwägungen zu überschreiten. Dieses Vorgehen von Konrad Feiereis war kein Ausdruck mangelnder Loyalität gegenüber den Trägerbischöfen des Erfurter Studiums. Die Einstellung von Professor Feiereis trägt vielmehr Spuren jenes innerkirchlichen Aufbruchs in den achtziger Jahren, der bestehende ideologische Grenzziehungen und Denkverbote zugunsten der kirchlichen Verantwortung für die Menschen in der DDR zu überwinden suchte.

Der Aktionskreis Halle

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