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Ansaldo

Genua, Juni 1097

Die Sonne brannte bereits unbarmherzig auf den Strand und in den Bäuchen der unfertigen Schiffe stand die Luft. Der Schweiß lief Ansaldo, der sich gerade vom Voranschreiten der Arbeiten an einer großen Galera überzeugt hatte, in Strömen von Stirn und Nacken. Noch schlimmer musste es den Arbeitern gehen, die hier in der Hitze auch noch mit Beil und Hammer hantierten. Doch sie taten ihre Pflicht, nicht nur gegenüber der Compagnia und der Stadt, sondern Gott selbst gegenüber. Leider reichte das nicht und es war absehbar, dass die Schiffe erst im Spätsommer einsatzbereit sein würden. Ansaldo wischte sich die verschwitzten Haare aus der Stirn und stieg den Aufgang hinauf zur Steuerplattform. Dankbar bemerkte er, dass inzwischen eine leichte Brise von der See her wehte. Der Rauch der Feuer, auf denen Pech zum Kalfatern der Schiffe erhitzt wurde, stieg noch immer fast senkrecht in den Himmel.

»Gott zum Gruß, Consul Ansaldo«, rief eine Männerstimme von unten herauf. Er drehte sich um. Vom Strand winkte Primo, der jüngere der Embriachi-Brüder. »Wie steht es bei euch?«

»Die Donna Maria hier kann in zwei oder drei Tagen zu Wasser gelassen werden. Und die Magdalena dort drüben wird bereits kalfatert«, er zeigte zu dem schlanken Schiff hinüber.

»Hast du Neuigkeiten? Vielleicht von euren immer so gut unterrichteten Amalfitanern?«

Primo grinste. »Allerdings. Basileus Alexios hat die Kreuzfahrer nicht nach Konstantinopel hineingelassen, sondern gleich über den Bosporus befördert. Sie sollen sich schließlich mit den Seldschuken, nicht mit seinen eigenen Leuten schlagen. Er hat wohl die Nase voll von dem Bauernheer, welches vorher durch sein Land zog.«

»Ich glaube, er misstraut auch Bohemund und den Normannen. Immerhin ist es noch keine zwanzig Jahre her, dass Guiskard den Griechen Dyrrachion abgenommen hat, um sein Sizilianisches Normannenreich bis vor die Tore Konstantinopels auszudehnen«, versetzte Ansaldo lachend.

»Das ist richtig«, bestätigte Primo. »Und Alexios oberster Feldherr ist immer noch derselbe von damals: General Tatikios. Er hat die Kreuzfahrer auch gezwungen, einen Lehnseid auf sich ablegen lassen. Alle Gebiete, die sie den Heiden entreißen, sollen dem griechischen Kaiser gehören!«

»Und die Herren haben dem alle zugestimmt?«, fragte Ansaldo ungläubig. »Können sie uns dann überhaupt Handelsprivilegien erteilen?«

Aber Primo lachte. »Ist doch egal, ob der Kaiser Alexios oder ein Kreuzfahrer uns die erteilt. Hauptsache ist, dass die heiligen Stätten befreit werden. Und ohne diese Einigung wäre der Kreuzzug ebenso schnell beendet wie der Zug der Bauern!«

Ansaldo nickte widerwillig. Im Prinzip würden Handelsprivilegien des griechischen Kaisers sogar den Handel mit Konstanti­nopel einschließen. Auf der anderen Seite müsste man sich diese Profite sicherlich mit Venezia teilen, das von alters her mit Konstantinopel eng verbunden war. Er sprang vom Bordrand der Donna Maria in den Sand. Und bereute es sofort. Sein rechtes Knie, welches ihn bereits so lange in Ruhe gelassen hatte, dass er kaum noch daran dachte, machte sich mit einem Stechen bemerkbar und er knickte ein. Primo sprang herzu, doch Ansaldo verbiss sich den Schmerz und winkte verärgert ab. »Bin nur umgeknickt«, murmelte er und richtete sich trotz der Schmerzen auf. »Erst mal müssen wir hier fertig werden. Aber ich danke dir für die Nachrichten. Wenn sich das Heer bereits jenseits des Bosporus befindet, hören wir sicherlich bald von den ersten Siegen!«, behauptete er und bemühte sich, eine unbekümmerte Miene aufzusetzen, die weder seine Sorgen um den Feldzug noch seine Schmerzen ­verriet. »Ich werde dir berichten«, versprach Primo und wandte sich zurück in Richtung Stadt.

Ansaldo stieß pfeifend die Luft aus und beugte sich über sein Knie. Es war deutlich geschwollen. Zu beiden Seiten der Kniescheibe konnte er Beulen ertasten, die sich jeweils leicht wegdrücken ließen, aber sofort wiederkamen, wenn er die Hand wegnahm. Er überlegte, ob er sich kurz im Meer abkühlen sollte. Das kühle Nass würde auch seinem Knie guttun. Hier bei den Galeras befanden sich nur die Arbeiter, und so würde sich niemand daran stören. Rasch streifte er die Kleidung ab und rannte den Strand hinab. Das Wasser war herrlich kühl. Mit kräftigen Zügen schwamm er auf die tief stehende Sonne zu. Es gab fast keine Wellen und er entfernte sich rasch vom Land, doch hier im Wasser spürte er sein Knie gar nicht mehr und das machte ihm Mut. Es war doch nichts Ernstes. Doch nach einigen weiteren Zügen drehte er um. Es ging ihm ja eigentlich nur um die Erfrischung. Arbeit und Anstrengung hatte er den Tag über auf der Werft gefunden. Mit langen Zügen glitt er durch das nun in der Sonne glitzernde Wasser. Im Rumpf der Donna Maria wurde noch gearbeitet, aber sonst befanden sich nicht mehr viele Menschen auf der Baustelle. Da bemerkte er eine einzeln stehende Person, die sich etwas abseits hinter den Büschen hielt, sodass er sie von der Baustelle aus nicht hatte sehen können. Er versuchte, das Salzwasser aus den Augen zu blinzeln. Wer war das? Konnte das Giulietta sein? Ihre Gestalt war hoch und das Haar glänzte trotz des dunklen Farbtons in der Sonne. Irgendwie war er sich sicher, dass sie es war. Voll Freude zog er kräftig durch und kraulte die letzten zwei Steinwürfe zum Strand. Doch dort angekommen, fiel ihm ein, dass er nackt war. Seine Kleidung lag unordentlich zusammengeknäult unterhalb des Rumpfes der Donna Anna. Er biss sich auf die Lippe. Doch was half es? Schließlich hatte er Giulietta nicht herbestellt. Und hatte sie ihn vielleicht auch schon beim Ins-Wasser-Gehen beobachtet? So schnell er konnte, rannte er aus dem Wasser auf das unfertige Schiff zu. Dort griff er seine Kleider und warf sie sich über. Erst jetzt blickte er auf und suchte mit den Augen nach der geheimnisvollen Figur. Doch wieder sah er nichts. Entschlossen stapfte er auf das windzerzauste Gebüsch zu, hinter dem sie sich befinden musste. Als er darum herum lief, stand sie tatsächlich da. Schöner denn je.

»Ich dachte schon, ich müsste ewig auf dich warten«, begrüßte sie ihn. Was sollte er sagen? Sein Kopf war mit einem Schlag wie leergefegt. Er überlegte fieberhaft, wie er sie auf ihr letztes Treffen und den Kuss ansprechen könnte, ohne sie zu beleidigen. Dann kam ihm ein rettender Einfall: »Was hast du eigentlich in dem Lagerraum eures Palazzos gemacht?«, fragte er. Sie zog die Brauen überrascht hoch. »Ich meine, als wir uns das letzte Mal getroffen haben, nach der Versammlung der Consuln, als du mich …« Er brach ab. Und fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg. Jetzt war es doch eine plumpe Erinnerung geworden.

»Wenn die jungen Patrizier unserer Stadt schon in unserem Palazzo eingehen, wollte ich wenigstens einen Blick auf sie erhaschen«, erklärte sie mit einem Augenzwinkern.

Sofort meldete sich die Eifersucht in Ansaldo. »Nach wem hast du denn noch geschaut?«, fragte er.

Sie lachte. »Nur nach den Söhnen des Hauses Doria natürlich!«

Diesmal nahm er seinen Mut zusammen, vergrub seine Hände in ihrem schimmernden Haar und zog ihr hübsches Gesicht heran. Ihre Lippen trafen sich zu einem Kuss. Sie ließ es widerstandslos geschehen. Nach einem Augenblick fragte Ansaldo: »Weiß dein Bruder denn, wo du bist?«

Sie blickte ihn herausfordernd an. »Nein«, erklärte sie selbstbewusst.

»Er darf uns auf keinen Fall erwischen!«

»Ich dachte, du sorgst in der Compagnia für Frieden zwischen unseren Familien?«, fragte sie mit schnippischem Lächeln.

»Dafür, dass dein Bruder zulässt, dass ich dich hier ganz alleine treffe, müsste ich ihm schon erst das Leben retten«, erklärte er verdrießlich.

Sie lachte wieder. »Das ist das Mindeste, was ich von dir erwarte.«

»Wann wirst du eigentlich wieder zurückerwartet? Wo glaubt dein Bruder überhaupt, dass du bist?«

»Meine Zofe hat einen Liebling, den sie heimlich besucht. Sie glaubt, ich täte ihr einen Gefallen, indem ich eine Weile alleine spazieren gehe. Im Moment wartet niemand auf mich.« Wieder dieser herausfordernde Blick.

Ansaldo wurde ganz flau im Magen. »Magst du denn spazieren, oder sollen wir uns kurz in den Sand setzen?«, fragte er mit klopfendem Herzen. Auch spazieren mit Giulietta wäre eine Freude, aber vielleicht taten sich noch ganz andere Möglichkeiten auf?

Sie blickte ihn abschätzend an. Dann schüttelte sie den Sand von den Füßen und entblößte dabei ihren Knöchel. Ansaldo keuchte vor Aufregung. »Setzen«, sagte sie schließlich mit ernster Miene. Nur ein leichtes Zucken ihrer Mundwinkel verriet, dass Ansaldos Verlegenheit sie offensichtlich amüsierte.

Das Spital zu Jerusalem

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