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Ansaldo

Mare inferior, September 1095

Die San Matteo dümpelte in der leichten Dünung, die als Einziges noch an den Sturm vom Vortag erinnerte. Die schnittige Galera lief getrieben von zwanzig Ruderern nach Südwesten. Platz gab es für achtundvierzig Riemen, aber die wurden nur im Kampf bemannt, um die Kräfte der Besatzung zu schonen. Auch Ansaldo Doria, der Magister und Capitano stand gelassen im Heck seines schnellen Schiffes. Er hatte das Backbord­ruder hoch gelascht und führte die Pinne des zweiten Seitenruders mit leichter Hand.

»Schiff voraus«, erklang ein Ruf vom Bug. Ansaldo beschattete die Augen mit der flachen Hand gegen die Strahlen der bereits tief stehenden Sonne. Tatsächlich, dort im Westen trieb etwas. Kein Segel, aber seit der Wind gegen Mittag gänzlich eingeschlafen war, hatte auch Ansaldo Segel und Mast umlegen lassen. Er überlegte kurz, wen er dort vor sich haben könnte. Hier südlich von Pianosa und Montecristo mochte das gut und gerne ein Schiff der verhassten Pisaner sein, die nach der gemeinsam durchgeführten Eroberung Sardiniens mit den Genuesen erbittert um Einfluss auf der Insel rangen. Es konnten auch Mallorcinische Piraten sein, die sich immer wieder bis in das Tyrrhenische Meer und sogar an die Küste des italienischen Festlandes wagten, um christlichen Handelsschiffen aufzulauern oder Dörfer zu überfallen und die Bewohner in die Sklaverei zu verschleppen. »Alle Mann an die Ruder«, rief Ansaldo, entschlossen, sich von nichts überraschen zu lassen. »Macht euch kampfbereit!« Dröhnend schoben die Männer die langen Riemen durch die Pforten im Schanzkleid. Im Kampf wurde die San Matteo á la Zencile gerudert, immer drei Mann teilten sich eine Ruderbank, aber jeder führte seinen eigenen Riemen. Das forderte ein gehöriges Maß an Koordination, doch in Ansaldos Mannschaft, zur Hälfte Angehörige der Familie Doria und alle aus der gleichen Isola, also dem gleichen Viertel ihrer Heimatstadt Genua stammend, kannte jeder genau seinen Platz und seine Aufgabe. Wie ein Pfeil schoss das schlanke Schiff über das Wasser dem fremden Fahrzeug entgegen und Ansaldo blickte voller Stolz auf die wehende Flagge mit dem roten Georgskreuz, dem Zeichen der ­Seerepublik Genua, welches einst die Oströmische Garnison der Stadt verliehen hatte.

»Setzt noch die Flagge mit dem schwarzen Kopf!«, befahl er. Diese Flagge zeigte, ebenfalls auf weißem Grund, den abgeschlagenen Kopf eines Mauren, mit Ring im Ohr und einer Binde vor den Augen. Eine Erinnerung an alle Balearischen Piraten, wie es ihnen ergehen würde, wenn sie sich mit den Genuesen anlegten. Irgendwann hatte die Flagge die echten, auf Pfähle gespießten Köpfe ersetzt – sie stank weniger, war durch ihre Größe und den weißen Hintergrund auch von Ferne zu erkennen und vor allem: Man konnte sie bereits vor dem Kampf setzen, wenn sich die Köpfe der Feinde noch auf den dazugehörigen Körpern befanden. Bald erkannte Ansaldo Einzelheiten des anderen Schiffes. Der dickbauchige Rumpf mit den hohen Seiten verriet den Kauffahrer, wahrscheinlich tatsächlich ein Pisaner oder Amalfitaner? Die Mastspitze schwankte im Rhythmus der Wellen vor dem Horizont, der von der untergehenden Sonne rot gefärbt war. Ohne Wind war das Handelsschiff der schnellen Galera hilflos ausgeliefert, doch niemand zeigte sich an Deck. Da sah Ansaldo eine Leine vom Heck ins Wasser hängen. Das mochte die Großschot oder eine Brasse gewesen sein, jedenfalls würde kein vernünftiger Kapitän solch eine Schlamperei dulden. Gute Leinen waren teuer. »Halbe Kraft«, wies Ansaldo seine Schlagleute an und steuerte die San Matteo in einem weiten Bogen dichter heran. »Ruder halt«, rief er den nächsten Befehl und die Galera glitt von ihrem Schwung getragen bis dicht unter das Heck des fremden Seglers. »Ich bringe sie längsseits«, rief er über die Ruderbänke nach vorn. »Antonio, du steigst mit deinen Männern über und siehst nach, was da los ist!« Ein mulmiges Gefühl hatte ihn ergriffen, aber wenn sie sich fernhielten, würden sie niemals erfahren, was es mit dem seltsamen Geisterschiff auf sich hatte. Die Männer an Steuerbord zogen ihre Riemen ein, als das schlanke Schiff an der Bordwand des Kauffahrers entlangschrammte. Die Enterhaken flogen hinüber und verbanden die schlanke Galera fest mit dem bauchigen Segler. Schon sprang Antonio an der Spitze der Genuesen über das zu den Seiten auskragende Schanzkleid der Galera auf die hohe Seereling des Seglers.

Ansaldo griff sich Schwert und Schild und hastete über die Planken, die mittschiffs auf den Ruderbänken lagen und so einen Mittelgang über dem Schiffsraum formten. Er lief bis zu dem Punkt, wo der Rumpf des geenterten Handelsschiffs am niedrigsten war. Einen Augenblick zögerte er, bevor er über eine Ruderbank bis auf die wogende Reling balancierte. Sein rechtes Knie machte ihm seit einiger Zeit zu schaffen und hatte ihn einige Male im Stich gelassen, wenn er sich darauf aufrichten wollte. Er schluckte und sprang mit dem linken Bein voran. Ein kurzer stechender Schmerz war alles, einen Augenblick später stand auch er auf dem Deck des Seglers. Antonio trat ihm entgegen. »Keine Ahnung, was hier los ist«, berichtete er. »Niemand an Bord, auch keine Toten.« Ansaldo atmete innerlich auf. Dann waren die Fremden wenigstens nicht einer Seuche zum Opfer gefallen, sonst lägen ihre Leichen noch herum.

»Sie treibt sicherlich schon einige Tage herrenlos im Meer. Fast das ganze Schiffsgerät und selbst Segel und Rah sind verschwunden«, fuhr Antonio schulterzuckend fort. Ansaldos Blick schweifte zum Mast. »Sie wurde von Piraten geentert«, behauptete er bestimmt. Antonio sah ihn verblüfft an. »Woher weißt du das?«

»Siehst du die Kerben am Mast?«, fragte Ansaldo zurück und wies auf einige quer laufende Schrammen, die sich tief in das harte Holz gegraben hatten. »Das waren Axthiebe.«

»Ja, das sehe ich«, bestätigte Antonio. »Aber wieso sollten die Piraten versuchen den Mast umzuhauen?« Ansaldo seufzte. Sein Vetter war zwar tapfer, aber manchmal ziemlich schwer von Begriff. »Das haben sie nicht, sonst stände er ja nicht mehr«, kommentierte er trocken. »Sie haben das Fall des Segels durchgehauen. Die ersten Piraten an Deck wollten das Schiff stoppen, damit ihre Kameraden nachkommen könnten. Deshalb haben sie das Fall gekappt und das Segel fiel herab. Der Sturm letzte Nacht hat dann sein Übriges getan.« Antonio nickte zustimmend. »Ich wundere mich nur, dass die Piraten das Schiff nicht mitgenommen haben. Sieht doch noch ganz solide aus.«

»Es waren bestimmt die Mauren von den Balearen. Die haben die ganze Besatzung massakriert oder versklavt, wollten sich aber vor dem aufziehenden Sturm in Sicherheit bringen und sich nicht mit dem dicken Eimer belasten«, meinte Ansaldo schulterzuckend.

»Dann nehmen wir das Schiff in Schlepp?«, schlug Antonio vor. Ansaldo runzelte die Stirn. »Wenn die Pisaner uns begegnen, denken sie, wir hätten es gekapert. Das gibt Ärger.«

Das Spital zu Jerusalem

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