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David

Juni 1096, Radasponda

Sie hatten Magenza noch am 30. Mai verlassen, ohne dass David nochmals Gerold oder einem anderen Judenfeind, der ihn hätte verraten können, begegnet wäre. Die kleine Gruppe, der sich noch zehn weitere Männer angeschlossen hatten, marschierte über die Rheinbrücke und den Moin hinauf. Bei Frankono­furt überquerten sie denselben und zogen dann entlang Radantia, Karlskanal und Alcmona, bis sie die Danubia erreichten.

Anfangs fiel es David schwer, die Christen zu imitieren. Er wusste nicht, wann man das Kreuz schlug oder ob man niederkniete, etwa wenn man an der Statue eines Brückenheiligen vorbeikam oder ein Wegkreuz passierte. Allerdings stellte er bald fest, dass etliche seiner Weggefährten es damit ebenfalls nicht so genau nahmen. Auch erinnerte er sich an etliches und dankte insgeheim seinem Freund Marcus, der ihn ein ums andere Mal in eine Kirche geschmuggelt oder zu Prozessionen mitgenommen hatte. Spätestens beim Kloster Weltenburg konnte ihn niemand mehr von einem der übrigen Kreuzfahrer unterscheiden. Glücklicherweise fanden sie immer Klöster oder auch fromme Bauern, die die Kreuzfahrer um Gotteslohn aufnahmen, denn David fehlte, wie auch etlichen seiner neuen Genossen, sämtliche Ausrüstung. Er wunderte sich wie all die Leute glauben konnten, ohne echte Waffen das Heilige Land erobern zu können. »Deus lo vult«, war auch da die Antwort auf alle Fragen.

Einige Tage später zeigten sich auf der anderen Seite des Flusses Türme und Mauern einer größeren Stadt. »Jerusalem«, jauchzte Fulco, einer der einfältigeren unter den Männern. David blickte zweifelnd hinüber. Auch bei Franconofurt hatte Fulco bereits geglaubt, am Ziel zu sein.

»Nein, das glaube ich nicht«, widersprach Heinrich, ihr Anführer, denn auch. »Vielleicht ist es Konstantinopel, mit all den Türmen?«

Doch ein entgegenkommender Bauer konnte ihnen bessere Auskunft geben. »Das ist Radasponda«, erklärte er.

»Und wie kommen wir dorthin?«, erkundigte sich Heinrich, der versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Vermutlich hatte er von dem Ort noch nie gehört. David wusste hingegen, dass es hier eine jüdische Gemeinde gab, die mit Magenza in geschäftlichem Kontakt stand. Oder gestanden hatte, verbesserte er sich in Gedanken traurig. Die heilige Gemeinde von Magenza existierte nicht mehr. Vielleicht sollte er sich hier von dem Zug der Kreuzfahrer absetzen? Die Radasponder Juden würden ihm doch sicher Unterschlupf gewähren. Doch wie stand es überhaupt um sie? Existierte diese Gemeinde überhaupt noch? Und wenn ja, wie lange? Wäre er hier sicher, oder würde der schreckliche Emicho nach Coellen und Treveris auch Radasponda heimsuchen? Er biss sich auf die Lippe.

»Ihr müsst über die Furt, was nicht ungefährlich wird. Die Schneeschmelze im großen Gebirge lässt die Danubia ziemlich hoch gehen«, riss die Antwort des Bauern David aus seinen Gedanken. »Es heißt, König Karl habe hier einst eine Boots­brücke über den Fluss geschlagen, aber die Fluten rissen sie bereits im nächsten Winter weg.«

Die Überquerung des vom Schmelzwasser angeschwollenen Flusses gestaltete sich tatsächlich sehr schwierig. Die Stelle war zwar von den Einheimischen gut durch Stecken und bunte Fähnchen auf beiden Seiten markiert, aber der Flussgrund war schlammig und das Wasser so kalt, dass David bald schon seine eigenen Füße nicht mehr spürte. Das Wasser ging ihm bald bis über die Hüfte, und die Kälte raubte ihm den Atem. Wenn er sich nicht an einem schweren Bauernwagen hätte festhalten können, der, gezogen von langsamen Ochsen, vor ihnen in die Furt eingefahren war, wäre er vielleicht gestürzt und von den gischtenden Wassermassen fortgespült worden.

»Sei froh, dass du keine Rüstung tragen musst«, ermunterte Kunz ihn gut gelaunt. Seinen kräftigen Bauernbeinen schien der Strom nichts anhaben zu können.

»Aber ich kann nicht schwimmen«, rief David mit aufkeimender Panik über das Rauschen hinweg. Doch entweder hörte Kunz das nicht oder er wusste nichts zu erwidern. Er schwieg und stapfte unbeirrt weiter. Doch bald hob sich der Grund und wurde auch fester. Sie hatten es geschafft! Instinktiv schlug David ein Kreuz. Von sich selbst erstaunt, stellte er fest, wie leicht ihm diese Geste bereits von der Hand ging. Doch am Abend, sie waren in einem Klosterhof untergekommen, nahm er allen Mut zusammen und zog einen der dienenden Brüder am Ärmel zur Seite.

»Wie ist es denn hier in Radasponda den Juden ergangen?«, fragte er möglichst beiläufig, doch sein Herz schlug ihm bis zum Halse.

Der Konverse sah ihn beglückt an. »Der Herr sei gelobt!«, erklärte er. »Als Peter mit seinem Heer durch Radasponda zog, wurden die Juden der Stadt aufgefordert, ihre Irrwege zu verlassen und die Taufe auf unseren Herrn Jesus Christus zu empfangen – und man wagte es kaum zu glauben – aber sie haben sich alle von ihren Irrwegen bekehrt!«

David starrte ihn mit offenem Mund an. »Sie haben sich taufen lassen?«, fragte er geschockt. »Und dann hat man sie in Ruhe gelassen?«

»Nicht ein einziger ging verloren!«, bestätigte sein Gegenüber. David fühlte sich, als habe er einen Schlag vor den Kopf erhalten. Sie waren abgefallen und dadurch verschont geblieben! Aber wie konnte ein Mann, ein Rabbiner wie Menachem ben Mekhir, dessen Wort sogar in der Magenzer Jeschiwa stets mit Ehrfurcht gehört wurde, seinen Glauben verleugnen? Waren die Opfer der Brüder und Schwestern in Magenza, Uormatia und Schpira etwa umsonst gewesen?

»Deus lo vult«, krächzte er.

»Halleluja«, bestätigte der Konverse und wandte sich lächelnd wieder seiner Arbeit zu.

Die Erkenntnis, dass auch er selbst, um sein Leben zu retten, den Glauben der Väter verraten hatte, traf David wenig später wie ein neuerlicher Schlag. Wer war er, Menachem ben Mekhir Vorwürfe zu machen?

Leise setzte er sich wieder zu Kunz und den übrigen Kreuzfahrern. »Ob wir bald das Heilige Land erreichen?«, fragte er schüchtern.

Das Spital zu Jerusalem

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