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Habilitation: Erste theoretische Arbeiten

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Sobald seine Lehrverpflichtungen gut organisiert waren, begann Schrödinger, sich Gedanken über die originäre Forschung zu machen, die es ihm erlauben würde, die nächste Stufe auf der akademischen Leiter zu erklimmen. Das war die Habilitation oder die Erteilung der Venia Legendi, welche es ermöglichte, als Privatdozent an der Universität zu lehren. Den Dozenten wurden nur äußerst geringe Gehälter gezahlt, aber sie konnten Kurse anbieten, für die sie ein Honorar erhielten. Für die Habilitation war der Nachweis selbstständiger Forschung gefordert, belegt durch die Publikation wissenschaftlicher Arbeiten. Diese Publikationen wurden schließlich von einem Komitee von Professoren bewertet, zusammen mit dem vollständigen Lebenslauf des Kandidaten und seinem Konzept für die Lehre. Darüber hinaus musste ein spezieller öffentlicher Vortrag gehalten werden, dem die Mitglieder des Komitees beiwohnten.

Selbst für diejenigen, die die Voraussetzungen erfüllten, waren die Aussichten in der österreichischen Physik nicht besonders gut. Hans Thirring erinnerte sich an eine der Diskussionen mit Erwin: „Im Gegensatz zu anderen jungen Titanen, zeigte er eine erstaunlich innere Gelassenheit. Einmal, 1911, sprachen wir über die nicht allzu rosigen Karrierechancen für Physiker. Ich sagte, dass man vielleicht versuchen sollte in Deutschland eine Möglichkeit zu finden, wenn hier alle Stellen besetzt sein sollten. Schrödinger verharrte einen Moment in Stille, schüttelte seinen Kopf und sagte: ‚Ja, aber dann müsste man bereits etwas ganz Besonderes vollbracht haben‘.“ Diejenigen, die Schrödinger kannten, teilen sich in zwei ungleiche Gruppen auf: Jene, die in ihm einen Charakter von erstaunlicher Bescheidenheit sahen, und jene, die der Meinung waren, dass er einer der arrogantesten Männer war, denen sie jemals begegnet sind – wobei die größere Gruppe die zweite Meinung vertrat.

Für die Habilitationspublikationen wählte er theoretische Fragestellungen, die im Interessenbereich von Franz Exner lagen. Seine erste theoretische Arbeit mit dem Titel „Über die kinetische Theorie des Magnetismus“ präsentierte er am 20. Juni 1912 vor der Wiener Akademie. Diese Arbeit hatte eine bedeutende Publikation des holländischen Theoretikers Lorentz aus dem Jahr 1905 zur Grundlage. Lorentz stellte ein Metall als eine Anordnung positiv geladener Ionen dar, die durch frei bewegliche Elektronen, dem Elektronengas, durchdrungen werden. Schrödingers Idee war, den Magnetismus – ausgehend vom Elektronengas – mathematisch zu beschreiben. Gleich am Anfang beging er einen Fehler, der für das Ergebnis fatale Folgen hatte: Er ging davon aus, dass die Elektronen in Bezug auf ihre Geschwindigkeiten der Maxwell-Verteilung gehorchen und daher die gleiche durchschnittliche kinetische Energie aufweisen, wie ein Gasmolekül bei gleicher Temperatur. Obwohl er von der falschen Voraussetzung ausging, entwickelte Schrödinger seine mathematische Theorie klar und elegant. Weniger überraschend war, dass die abgeleitete Gleichung nicht mit den experimentellen Daten übereinstimmte. Als er die Arbeit seinem Habilitationskomitee vorlegte, vergab Fritz Hasenöhrl eine etwas zweideutige Beurteilung.

Seiner formalen Habilitationsschrift lag die Arbeit „Studien über Kinetik der Dielektrika, den Schmelzpunkt, Pyro- und Piezoelektrizität“ zugrunde, die er der Akademie am 17. Oktober 1912 vorstellte. Er fühlte sich zu der grundsätzlichen Fragestellung hingezogen, warum und wie ein Festkörper schmilzt und in den flüssigen Zustand übergeht. Es ist keine einfache Aufgabe, eine Atomtheorie zu entwickeln, die den Schmelzvorgang eines geordneten anisotropen kristallinen Zustands in einen ungeordneten isotropen flüssigen Zustand angemessen beschreibt. Selbst die heute gängigen Theorien lassen sehr zu wünschen übrig. Schrödinger schrieb:

„Wie kommt es, dass Feststoffe in diesen hochgeordneten Strukturen vorliegen? Warum lösen sich diese Strukturen plötzlich bei einer definierten Temperatur auf? Ich glaube, ich kann so eine Art atomistische Antwort auf diese Fragen geben. Sie ist noch nicht vollständig ausformuliert, enthält noch viele und große Lücken. Vor allem fehlen noch die wichtigsten und schwierigsten Teile: Die Zustandsgleichungen … Aber das ist leider Zukunftsmusik.“

Erneut zeigte Schrödinger herausragendes mathematisches Geschick in Kombination mit einem Mangel an Einsicht in die physikalischen Realitäten des Problems. Obwohl er eng mit Experimentalphysikern zusammenarbeitete, beherrschten bislang weder er noch sie den Grundansatz der modernen Wissenschaft: die Konzeption eines Experiments mit dem konkreten Ziel, ein theoretisches Modell zu überprüfen. Für sie bestand experimentelle Physik darin, sorgfältig Messreihen aufzunehmen und einen Datensatz zu erzeugen, der dann später einer theoretischen Analyse unterzogen wurde. Theoretische Physik bestand darin, ein Modell zu erstellen, gewöhnlicherweise auf Basis elektromagnetischer Konzepte, um dann mithilfe der Mathematik Beziehungen zwischen bestimmten Eigenschaften abzuleiten. Der Gedanke einer engen Koordination, wobei die Theorie dem Experiment vorangeht und das Experiment die Theorie überprüft, war im Allgemeinen zu dieser Zeit noch nicht üblich.

In dem kurzen Bericht des Habilitationskomitees über die Arbeit ging Hasenöhrl hiermit nicht kritisch um. Darin scheint sich der provinzielle Charakter der Wiener Physik zu offenbaren. So wurde Schrödingers frühe wissenschaftliche Entwicklung durch das Fehlen einer Gruppe erstklassiger Theoretiker in Wien behindert, mit deren Hilfe er durch tägliche Diskussionen und wechselseitige Kritik seine Fertigkeiten hätte optimieren können.

Hinsichtlich der Befürwortung der Annahme von Schrödingers Habilitationsantrag waren die Komiteemitglieder gespaltener Meinung. Professor Wegscheider schrieb: „Meine Meinung richtet sich aufgrund des Alters des Kandidaten und des geringen Beitrages an abgeschlossenen Forschungsarbeiten gegen diese verfrühte Habilitation.“ Aber Schrödinger war die Unterstützung Hasenöhrls gewiss, und so wurde auf der Fakultätssitzung am 14. Juni sein Habilitationsantrag mit 38 Ja-Stimmen, 2 Nein-Stimmen und 5 Enthaltungen angenommen. Nach der Erledigung weiterer Formalitäten übergab der Dekan die Ernennung dem k. u. k. Ministerium für Kultus und Unterricht, und am 19. Januar 1914 bestätigte der Minister die Ernennung. Dementsprechend wurde Erwin Schrödinger an seiner Alma Mater Privatdozent für Physik und hatte die oberste Sprosse der akademischen Leiter erklommen.

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