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Smoluchowski und die Statistik

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Unter Schrödingers Notizbüchern aus den Jahren 1914–1918 befinden sich drei, in denen er sich mit den Arbeiten von Marian Smoluchowski auseinandersetzt. Zwar sind die Notizbücher undatiert, aber es wird davon ausgegangen, dass das erste mit dem Titel „Opaleszenzfluktuationen“ vermutlich Ende 1914 geschrieben wurde – einige Historiker datieren es allerdings auf etwas später. Die anderen beiden Bücher mit dem Titel „Diskussion der letzten Arbeiten Smoluchowskis“ entstanden Ende 1917 oder Anfang 1918. Sie setzen sich mit dem Phänomen der Brown’schen Molekularbewegung und der Fluktuationsdiffusion sowie den statistischen Grundlagen des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auseinander.

Marian Smoluchowski wurde 1872 in Vorderbrühl in der Nähe von Wien geboren. Er besuchte das großbürgerliche Theresianum Gymnasium zur gleichen Zeit wie Fritz Hasenöhrl, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband. Sein Physikstudium schloss er in Wien ab, arbeitete in Glasgow und Berlin und nahm 1913 eine Professur für Physik in Krakau an. Schrödinger hatte keine Gelegenheit, in Wien mit Smoluchowski zusammenzuarbeiten, aber er wurde indirekt über Hasenöhrl durch ihn beeinflusst. In Smoluchowski sah er den Wiener Physiker, der das Erbe Boltzmanns angemessen bewahrte. 1917 starb Smoluchowski während einer Dysenterie-Epidemie. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählt die Theorie zur Brown’schen Molekularbewegung.

1827 beobachtete der schottische Botaniker Robert Brown unter seinem Mikroskop eine eigenartige, immerwährende Bewegung von in Wasser suspendierten Pollenkörnern. „Diese Bewegungen waren derart interessant für mich, da sie weder auf Bewegungen der Flüssigkeit noch auf allmähliche Verdunstungsprozesse zurückzuführen waren, sie waren den Partikeln selbst zu eigen.“ 1888 hatte Georges Goüy beschrieben, wie die Partikel durch die Zusammenstöße mit den sich schnell bewegenden Molekülen der Suspension angetrieben werden. Bei der Brown’schen Molekularbewegung handelt es sich um ein Phänomen, bei dem wir mit den eigenen Augen Ereignisse wahrnehmen können, die sich im Grenzbereich von makroskopischer und molekularer Welt abspielen. Die fortwährende Brown’sche Bewegung widerspricht dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik nicht, da die kinetische Energie der Moleküle, welche die Partikel umgeben, die Energiequelle für die Bewegung der Partikel darstellt. Wir können davon ausgehen, dass in jeder Region, wo die mikroskopischen Partikel kinetische Energie aufnehmen, die umgebenden Moleküle Energie abgeben, was mit einer lokalen Abkühlung verbunden ist. Die Brown’sche Molekularbewegung macht daher deutlich, dass der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ein statistisches Naturgesetz ist: In hinreichend kleinen Gebieten ist die Entropie nicht absolut konstant, sondern schwankt um einen mittleren Gleichgewichtswert. 1905–1906 stellten Einstein und Smoluchowski unabhängig voneinander mathematische Theorien für die Brown’sche Bewegung auf. Schrödinger erkannte die Bedeutung der Fluktuationsphänomene und machte sich an eine detaillierte Studie zu dem Thema. Hierzu studierte er alle infrage kommenden Publikationen und leistete anschließend eigene wichtige Beiträge zur Entwicklung des Themengebiets. Fluktuationen wurden zu einer Art Leitmotiv seiner weiteren wissenschaftlichen Arbeit.

Smoluchowski ließ sich durch das scheinbare Paradoxon, dass natürliche Prozesse irreversibel sind und somit die Entropie des Universums immer weiter erhöhen, wohingegen molekulare Prozesse reversibel sind, nicht weiter beunruhigen. Er schloss, dass „Irreversibilität nur ein subjektives Konzept des Beobachters darstellt, der Geltungsbereich hängt nicht von der Art des betrachteten Vorgangs ab, eher von der Position des Ausgangspunktes sowie der Beobachtungsdauer … Prozesse erscheinen uns als irreversibel, wenn die Ausgangspunkte weit entfernt von den Durchschnittswerten der Fluktuationen liegen und die Beobachtungsdauer gegenüber der periodischen Wiederkehr kurz ist“. Dabei handelt es sich um eine kontroverse Darstellung der Irreversibilität, die nicht von allen geteilt wird, die sich des Problems angenommen haben.

Schrödingers erste durch Smoluchowski motivierte Publikation beschrieb die Lösung der Diffusionsgleichung unter Berücksichtigung des Gravitationsfeldes. Diese Arbeit schloss er bereits während seiner aktiven Dienstzeit in Komárom ab. Smoluchowski löste das Problem unabhängig von Schrödinger und publizierte es nahezu zeitgleich, was diesen aber nicht besonders störte. Tatsächlich war er eher erfreut darüber, dass sein Ergebnis durch die Arbeit des anerkannten Meisters des Fachs bestätigt wurde. Die Gleichung, die von Schrödinger und Smoluchowski gelöst wurde, war ein Beispiel für einen elementareren Typus, der auch von Adriaan Fokker (dem Bruder des Flugzeugkonstrukteurs) und Max Planck für die Beschreibung der Zeitabhängigkeit stochastischer Prozesse eingesetzt wurde. (Eine stochastische Variable zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht vollständig durch die unabhängige Variable [z.B. die Zeit t] beschrieben wird, sondern zufälligen Einflüssen unterworfen ist, die nur in statistischen Größen erfasst werden können.)

Erwin Schrödinger

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