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Erschütterungen

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Die Raumkrümmung musste nun nicht nur für den Seelenspiegler Manfred reichen, sondern beherbergte auch noch eine ebenso große, wabernde, schwarze Kugel, was eine korrekte Justierung der Zielkoordinaten nicht einfach machte. So endete die Reise nach ein paar Tagen auch erst einmal weit vor dem solaren Sonnensystem und dauerte somit natürlich etwas länger als sonst. Manfred war froh, als er das Wabbelding hinter dem Mond parken konnte, und entschloss sich alles Weitere ruhig anzugehen. Es würde niemandem helfen, jetzt in Hektik zu verfallen. Also suchten sie erst einmal wieder J.R. und die Aborigines auf. Diese begrüßten die „Kontinuum-reisenden“ begeistert und hofften auf die höchst willkommenen Erlebnisberichte. Die Sonne des australischen Sommers brannte heiß auf das einsame Domizil J.R.s nieder und lud zum Nichtstun ein. Auch das Fernsehprogramm, welches zum einen ein uninteressantes Unterhaltungsprogramm in den Äther blies, zum anderen ein Nachrichtenprogramm abgab, welches auch nicht zur Erbaulichkeit beitragen konnte, lud neben der Sommerhitze auch nicht zum Verweilen im Haus ein. So saßen zwei faule Nichtstuer auf der überdachten Veranda des Hauses und tranken literweise Limonade, die Maria in J.R.s riesigem Kühlschrank für solche Zeiten aufbewahrte. Dieses Bild bot sich den Ankömmlingen und alsbald gesellten sie sich dazu. Zwar trank Manfred keine Limonade und die drei Mitreisenden benötigten eigentlich auch keine irdischen Genussmittel mehr, aber die Atmosphäre wirkte durchaus ansteckend. Die drei Geister der Freunde wurden von Manfred in J.R.s Kopf transferiert, damit sie wieder einmal irdische Genüsse spüren konnten.

Sollte es ihnen zu eng werden, brauchten sie nur Bescheid sagen, erklärte Manfred, dann würde er sie gleich wieder übernehmen. Aber er war doch sehr froh, einmal wieder einen Kindergärtner gefunden zu haben. George trötete monotone Rhythmen in ein rohrartiges Instrument, lauschte aber trotzdem den Erzählungen Manfreds und seiner Mitreisenden. Auch Maria, die ab und zu für Limonadennachschub sorgte, und sonst auf dem Boden sitzend an von den Ahnen überlieferten Bildmotiven werkelte, hörte aufmerksam zu. Nachdem Manfred die erste Zusammenfassung der Reise und des Gespräches mit dem Daseinsverwalter Norbert gegeben hatte, meldete sich, ohne von ihrer künstlerischen Tätigkeit abzulassen, Maria zu Wort. Und ihr glaubt diesem Wesen wirklich?, dachte sie fragend in die Runde. Unsere Ahnen haben uns von ihm nichts überliefert und ich glaube, auch die Krystalle wissen nichts von den Erschaffern. George wird gehen, wenn die Sonne untergegangen ist, und die Krystalle in den Höhlen des Uluṟu befragen. Sie sollen auch Kontakt mit den Krystallwesen auf Medras aufnehmen und diese danach befragen. Erst einmal sollte Thore auch keinen Kontakt mit seinem Vater bekommen dürfen.

George, der „Herr der Krystalle“, blies unermüdlich weiter in sein Instrument. Dann setzte er ab, trank einen großen Schluck Limonade, nickte und widmete sich wieder seinen dumpfen, meditativen Tönen. Es war alles gesagt. Die Gruppe verdöste den Rest des Nachmittags im Schatten und abgesehen von ein paar belanglosen Gesprächen, die anstandshalber die Ruhe unterbrachen, hingen alle ihren Gedanken nach. Die Sonne versank dunkelrot leuchtend hinter dem weiten Horizont des Outbacks und als das letzte Flimmern die Nacht einleutete, war George wie von Geisterhand, ohne dass es jemand bemerkt hätte, verschwunden. Maria lächelte, als sie in die verblüfften Gesichter der Anwesenden sah. Nur J.R. hatte sich an Georges Auftritte gewöhnt und bat alle zum abendlichen Nachrichtensehen und dann, wenn Maria soweit wäre, zum Abendessen. Manfred wusste um Georgs mentale Kräfte und wunderte sich nicht über seine Fähigkeiten, die die anderen verblüfften.

Es war jedoch nicht zu übersehen, wer der eigentliche Chef im Hause J.R. war. Nicht nur, weil Männer im Allgemeinen mit einem Grunzer als Kommunikationsmittel auskommen, nein, auch inhaltlich war Maria flexibler als die meist maulfaule Männerbande. Sie und George ergänzten sich und er akzeptierte gern, dass sie tonangebend war. Alle saßen vor dem Fernsehgerät. Der Abend war schon fortgeschritten und das schmackhafte Abendessen wurde mit einem Bier abgerundet. Dieses war nun bereits seit längerem dem Verdauungstrakt zugeführt worden. Aus der Flimmerkiste entlud sich wieder einmal, ohne Thores Hilfe, das geistige Stoffwechselendprodukt eines Politikers, der eine Wahl gewinnen wollte. Ist Thore etwa wieder frei? Auf Rigos rhetorische Frage, auf die er keine Antwort erwartete und welche nur zur Aufmunterung dienen sollte, antwortete ihm von hinten eine Stimme. Nein, er ist immer noch unter Verschluss. Der Aborigine George saß bereits längere Zeit auf dem Stuhl hinter ihm. Keiner außer Maria hatte ihn kommen hören.

Ich bekomme noch einmal einen Herzinfarkt, wenn du dich immer so anschleichst, dachte Rigo. Es ist im Augenblick mein Herz, welches du in den Infarkt treibst, funkte J.R. dazwischen, also schone es bitte ein wenig. Immer noch klopfte ihm das Herz bis zum Halse. Entschuldige, meinte George, aber ich wollte euch vorher nicht in eurer medialen TV-Meditation stören. Ihr starrtet alle so gebannt auf den Bild-schirm. Hat der Mann mit dem Haarteil, was so beschissen aussieht wie ein Koalahintern, bei euch erreicht was er wollte? Das wollen wir nicht hoffen, meinte Manfred, der außer Maria der einzige war, der Georges Ankunft bewusst erlebt hatte. Er schwebte über dem Anwesen und schaute durch die Augen J.R.s und der vor dem Fernseher Versammelten dem Spektakel zu. Na, was sagen die Krystalle, fragte er George, dass alle es in Gedanken mitbekamen? Sie wissen rein gar nichts über die Daseinsverwalter. Auch frühere und immer noch existierende Glaubensrichtungen geben über sie keinen Auf-schluss. Sie ähneln zwar im Verhalten und Aussehen manchen Göttervorstellungen, aber das liegt wohl nur daran, dass sie uns ähnlich sehen sollen, wie du sagtest. Auch in den Annalen der Krystallwesen auf Medras sind keine Hinweise zu finden, meinte George.

Unzufrieden mit den Auskünften begaben sich bald alle zu Bett. Wir müssen bald zu Norbert zurück, dachte Manfred noch. Dann spürte er eine mächtige Erschütterung des Kontinuums und auch die anderen schreckten entsetzt auf. Es war wie ein schweres Erdbeben, das jedoch keine Spuren hinterließ. Es fand nicht auf der Erde statt, sondern betraf das gesamte All. Astronomen trauten ihren Augen nicht, als sie plötzlich eine Schaukelbewegung der Sterne wahrnahmen. Gleich darauf war aber alles wieder so, als wäre nichts geschehen.

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