Читать книгу Driftworld - Werner Karl - Страница 10

In den Minen des Nordens

Оглавление

Ceanag stapfte nun seit Stunden mit seinen beiden Begleitern durch eiskalte Stollen und Schächte. Zusätzlich zu seiner Kleidung hatte man ihm einen dicken Mantel und noch dickere Überschuhe ausgehändigt, die aus dem Fell von Wollbären gefertigt waren. Der Zauberer war sich aber sicher, dass er dennoch längst Erfrierungen erlitten hätte, hätte er sich nicht eines kleinen Tricks bedient, der wenigstens seine Hände und Füße – unabhängig vom stofflichen Schutz  erwärmte. Als Südländer war er solche Temperaturen einfach nicht gewohnt.

Die beiden Eismänner schienen keine Zauberei zu benötigen, um sich wohlzufühlen. Wobei wohlfühlen auch nicht das war, was sie, tief unter der Erde, umgeben von altem Eis und noch älterem Fels, als Antwort auf eine entsprechende Frage angegeben hätten. Sie hatten ihn in die Mitte genommen, obwohl er die Karte dieses alten Stollensystems trug, die ihm Fellobain ausgehändigt hatte und dessen ältesten Abschnitt sie hoffentlich bald erreichen würden. Noch immer hatte Ceanag den Speiseraum vom Vorabend und seine Gastgeber vor Augen.

»Was also können wir Eismänner für Euch tun, Zauberer Ceanag?«, hatte Fellobain ihn spät am Abend des Begrüßungsmahles gefragt.

»Zugang in jede Eurer Minen, Vorsteher. Und wenn Ihr so etwas wie eine Karte besitzt: eine Abschrift davon, wenn möglich. Es dürften ziemlich viele Stollen und Abzweigungen existieren, nach all der Zeit.«

Fellobain hatte genickt und sogleich eine dicke Rolle aus seinem Umhang hervorgeholt. Er schien also schon geahnt zu haben, dass sein geheimnisvoller Besucher nach so etwas fragen würde. Andererseits war am Nordpol wenig Interessanteres zu finden, als eben eine detaillierte Karte der Minen.

»Ich möchte Euch auch etwas fragen, Meister Fellobain«, hatte er an diesem Abend angefügt. »Obwohl ich mir wünschen würde, Ihr hättet es – wenn meine Hoffnung mich nicht täuscht – von selbst erwähnt: Ist Euch oder Euren Vorgängern bei Eurer Arbeit etwas aufgefallen, was nach Menschenwerk aussah?«

Fellobain hatte freundlich, aber mit einem abwartenden Lächeln reagiert, dabei die Karte in seiner Hand hin und her gerollt und ihn dann ernst angeblickt.

»Ich wäre nicht zum wiederholten Male zum Vorsteher der Eismänner gewählt worden, wenn ich nicht auch ein guter Geschäftsmann wäre, Zauberer. Und um Eure dringendste Frage zu beantworten: Ja, einer meiner Vorgänger hat etwas entdeckt, was man eigentlich nicht tief unter Tonnen von Eis erwarten würde.«

Ceanag war Menschenkenner genug, um sogleich verstanden zu haben, dass Fellobain mit dem Fund nichts anzufangen gewusst hatte und es wohl in seinen Augen nur einem Zauberer gelingen würde, hier Aufklärung zu erlangen.

»Was birgt also der Nordpol für ein Geheimnis? Eurer Gelassenheit entnehme ich, dass Eure Neugier längst erloschen ist. Meine fängt gerade an sich zu erwärmen«, hatte er entspannter geantwortet, als er sich in Wahrheit gefühlt hatte.

»Nicht so schnell, mein Freund«, hatte Francassa sich in diesem Moment eingemischt und breit gegrinst. »Meister Fellobain möchte Euch ein Geschäft vorschlagen, nicht wahr?«

Der Minenvorsteher hatte die Kartenrolle bedächtig vor sich auf den Tisch gelegt und Ceanag ernst angesehen. »Ich teile Eure Befürchtung, dass die Quorr hier auftauchen werden … in großer Zahl und nicht nur mit der Absicht, einen neuen Handel zu tätigen. Sie werden mit vielen Knochenkriegern kommen … und wir werden uns wehren!«

Ceanag hatte genickt. »Dann wäre es sehr weise, sich so rasch als möglich auf den Angriff vorzubereiten, Minenvorsteher. Ich …«

»Ja, Ihr, Ceanag«, war er von Fellobain unterbrochen worden. »Ihr werdet uns beistehen in diesem Kampf! Allein, oder wenn möglich, zusammen mit anderen Zauberern. Der erste Schritt, Quorr Einhalt zu gebieten, ist es, ihm die Quelle für neue Waffen und andere Ausrüstung zu verschließen!« Fellobains Gesicht hatte in diesem Moment jegliche Freundlichkeit verloren gehabt und stattdessen echte Sorge … und Hoffnung gezeigt. »Alle freien Völker sollten sich zusammenschließen und Quorr die Stirn bieten. So ein Bündnis hätte meiner Meinung nach längst geschlossen werden sollen. Doch niemand scheint hier den ersten Schritt tun zu wollen. Jeder Clan hofft darauf, dass es einen anderen trifft und nicht ihn selbst.« Er hatte bedauernd seinen Kopf geschüttelt. »Wie auch immer: Ihr erhaltet diese Karte und die beiden Krieger als Begleitschutz, wenn Ihr uns versprecht, an unserer Seite zu bleiben, bis wir die Quorr abgewehrt haben.«

Und dann war es Ceanag gewesen, der seine Gastgeber verblüfft hatte. »Ich hätte Euch auch beigestanden, wenn Ihr keine Karte oder dieses geheimnisvolle Objekt als Wert hättet anbieten können. Wir Zauberer sehen es nicht gerne, wenn Menschen unterjocht und aus Machtgier getötet werden. Dies war der Grund, warum meine Ahnen die Draken bekämpft und vernichtet haben.«

Als der Krieger Merywyn unvermittelt stehen blieb und Ceanag beinahe auf ihn geprallt wäre, verblasste die Erinnerung an den Abend. Der Zauberer ging an dem großen Eismann vorbei und folgte mit den Augen dem ausgestreckten Finger dessen Freundes Baldouin. Der Anblick, der sich Ceanag offenbarte, ließ ihn hoffen, dass er der richtigen Spur folgte.

Am Ende des Stollens  beleuchtet nur durch den Schein ihrer Fackeln  ragte ein breiter steinerner Sockel etwa eine Handbreit aus dem Boden, der eine einfache Säule trug. Sie war vielleicht einen Kopf größer als die Männer, dafür aber so dünn wie ein junger Mann. Und rings um sie herum liefen Zeilen, deren Buchstaben tief in sie eingemeißelt waren.

Der Zauberer trat langsam näher an die Säule heran. Ceanags Hände zitterten, als er die Stele betrachtete und die Schriftzeichen im Licht der unsteten Fackel zu lesen versuchte.

Das ist die Alte Sprache meiner Ahnen, staunte er ehrfürchtig und war gleichzeitig frustriert, weil er genau wusste, dass sein Wissen darüber nur bruchstückhaft war.

Und selbst diese Bezeichnung trifft es nicht richtig.

Ceanag spürte, dass sich hier die Lösung eines Rätsels befand. Er rückte mit seiner Fackel näher an das Artefakt heran und ließ seinen Blick über die tiefen Einkerbungen der uralten Buchstaben schweifen. Einzelne Zeichen erkannte er wohl, aber nur sehr wenige.

Selbst die Schrift hat sich seitdem verändert, grübelte er und stellte in einer Ecke seines Verstandes fest, dass er auf diese Weise den Text nicht würde lesen können. Von zweihundert Worten kann ich vielleicht eines entziffern. Er umrundete die Säule und gelangte kurz darauf wieder an dem Punkt an, an dem er seine Betrachtung gestartet hatte.

»Und?«, fragte ihn Baldouin und regte sich mit seltsamen Bewegungen. Ganz offensichtlich fühlte er sich an diesem Ort unbehaglich. »Könnt Ihr das Zeug lesen?«

»Nein … nicht auf Anhieb, Eismann. Aber diese Säule ist genau die Art von Hinweis, die ich zu finden hoffte«, antwortete Ceanag und deutete auf die Schrift. »Nun, ich hatte nicht unbedingt an ein steinernes Artefakt gedacht … es gibt viele Wege, Nachrichten über lange Zeiträume aufzubewahren …« Mehr zufällig, als bewusst, berührte er mit einigen Fingern die Säule und ein heftiger Energiestrom ließ ihn im Reflex die Hand zurückreißen.

»Was habt Ihr?«, rief Merywyn und wich einen Schritt zurück. »Ist das Ding gefährlich … bösartig?« In seinen Augen glitzerte das Misstrauen, das wohl alle Männer des Nordens gegenüber Relikten aus der Zeit der Legenden hegten.

»Nein, nicht bösartig«, widersprach der Zauberer sofort und bemerkte, wie der Energiestrom der Berührung seinen ganzen Körper durchflutete und langsam verebbte … und in ihm neue Kraft hinterließ!

Er beugte sich wieder über die Schriftzeichen und glaubte nun ein weiteres deuten zu können, das sich seiner Entschlüsselung nur Augenblicke zuvor widersetzt hatte. Jetzt erschien es ihm wie ein Buchstabe der aktuellen Zauberersprache.

Wenn ich …

Behutsam bewegte er seine Tag-Hand an den Stein heran und hielt mit der Rechten die Fackel so, dass sich die Zeilen vor seinen Augen scharf abzeichneten. Als würden manche aus einem langen Schlaf erwachen, erschienen an verschiedenen Stellen des Textes einige Buchstaben, die in einem eigenen Licht schwach zu glimmen schienen. Mit einem raschen Blick auf die beiden Eiskrieger stellte er fest, dass sie vermutlich nur blanken Stein sahen. Denn weder Merywyn noch Baldouin reagierten so, wie er sich fühlte.

Die neue Kraft in ihm schien sich nach einer weiteren Verbindung zu sehnen, ihm zu versichern, dass ihm keine Gefahr drohte. Nur einen halben Finger breit schwebte seine Hand einen Moment über der Säule … dann berührte sein Fleisch den kalten Stein.

Als hätte er den Körper einer heißblütigen Geliebten berührt, strömte Wärme, angenehmes Locken in Finger, Handfläche und Arm und verteilte sich rasend schnell überall in ihm. Ceanags Augen verschleierten sich für die Dauer eines Wimpernschlages, obwohl er sie offen hielt und auch die Fackel zwar flackernd, aber zuverlässig Licht spendete. Der Zauberer war sich sicher, dass er den Schein nicht benötigt hätte, denn nun leuchteten alle Schriftzeichen in einem warmen Glanz.

Und er konnte jedes Einzelne davon lesen!

Dies wurde geschrieben von Alwarayn, Mitglied der Hohen Gilde des Ersten Volkes, Schöpfer der Waffe und Bewahrer des Wissens.

Alwarayn … Alwarayn, dachte Ceanag und kramte in seinem Gedächtnis nach diesem Namen, konnte sich aber nicht erinnern, jemals von diesem Zauberer gehört oder gelesen zu haben. Dann las er weiter und erkannte augenblicklich das Gedicht, welches er vor einigen Tagen den Eisleuten als Fragment vorgetragen hatte.

Ø

So schrecklich das Feuer,

geschleudert vom Himmel,

erweckt es die Flammen

aus den Schlünden der Hölle,

verbrennt es die Scheuer,

das Menschengewimmel,

so rasch wie der Wind,

hinterlässt nur noch Stille.

Ø

Die Ersten jedoch,

erfüllt von der Macht,

ergreifen die Waffe,

die gegen Draken gemacht,

vernichten die Bestien,

im ganzen Weltenrond,

versenken sie tief

bei silbernem Mond.

Ø

Sein Licht lässt er fallen

auf ewiges Eis,

dort liegt er bewacht,

der schreckliche Preis,

den jeder bezahlt

mit seinem Leib,

der nicht trotzen kann

dem ….

Ø

»Warum lest Ihr nicht weiter?«, rief Merywyn und machte damit klar, dass Ceanag die Worte nicht nur gelesen, sondern auch vernehmbar ausgesprochen hatte.

»Das letzte Wort fehlt … vielleicht auch zwei«, antwortete Ceanag enttäuscht und deutete auf die Stelle. »Es sieht mir aber nicht nach Absicht aus.«

Merywyn besah sich ebenfalls die Lücke. »Könnte gut und gern von einer Spitzhacke stammen«, urteilte er lapidar. »Es wundert mich eher, dass einer der ersten Eismänner hier nicht mehr Schäden verursacht hat.

»Wieso bezeichnet der Verfasser die Silberne Mutter als männlich?« Baldouin schüttelte seinen Kopf. »Der Goldene Vater ist das Oberhaupt der Götterfamilie und daher ein Mann.«

Ceanag löste sich nur schwer vom Anblick der Stele, die immer noch für seine Augen die alten Schriftzeichen leuchten ließ. Erst als er sich aufrichtete und dabei die körperliche Verbindung löste, verblassten die Zeichen langsam. Dann drehte er sich den beiden Eiskriegern zu und lächelte nachsichtig. »Die vielen Lichter am Himmel sind alle wie der Goldene Vater … es sind Sterne. Wir Zauberer nennen sie Sonnen. Sie stehen fest am Firmament und die Welten drehen sich um sie.«

»Unmöglich, Zauberer!«, stieß Baldouin hervor. »Wir sehen doch jeden Tag, wie der Goldene Vater aus dem Meer steigt und abends wieder in ihm versinkt.«

»Genau«, bestätigte Merywyn. »Und die Silberne Mutter …«

»Ist ein Mond, ein Begleiter unserer Welt. Andere Welten haben mehr als einen oder zwei Monde«, versuchte Ceanag ihnen die wirklichen Verhältnisse am Himmel klarzumachen, sah aber sofort ein, dass sie ihr angestammtes Weltbild nicht so einfach fallen lassen würden, nur weil er und das Gedicht eines längst vergangenen Zauberers etwas anderes behaupteten.

Ceanag – und alle noch lebenden Vertreter seines Volkes – verstanden die erste Strophe des Gedichtes. Es war eine kosmische Katastrophe gewesen, die einen der kleineren Monde des Systems  den Völkern Driftworlds als Der Rote bekannt  mit seinem Bruder, dem Grauen, kollidieren und auf die Welt stürzen ließ. Dabei musste die ganze Welt ein Flammenmeer, riesige Überschwemmungen und Vulkanausbrüche erlitten haben, die fast alles Leben vernichtet hatten.

Dafür war die zweite Strophe für Ceanag umso rätselhafter. Welche Macht hatte seine Ahnen erfüllt? Von den Schrecken, welche die Draken über die Welt gebracht hatten, sprachen die Legenden sehr deutlich, von ihren Reitern aber nur andeutungsweise. Er als Zauberer wusste aber um die Natur der Drakenreiter. Und das Gedicht sagte kein Wort über sie …

Und wer wurde beim Licht des silbernen Mondes versenkt? Die Draken oder die Waffe? Diese vage Formulierung kam Ceanag schleierhaft vor. Gut, sein Volk war damals auf der ganzen Welt dasjenige mit den größten Errungenschaften gewesen. Wissen und Fähigkeiten hatte das Erste Volk besessen und praktiziert, welchen allen anderen Völkern Driftworlds wie blanke Zauberei erschienen waren … und es immer noch taten. Dabei war sich Ceanag bewusst, dass er selbst nur jämmerliche Reste dieses Wissens nutzen und anwenden konnte.

Die letzte Strophe war auf den ersten Blick die einfachste. Sprach sie doch von ewigem Eis. Und auf Driftworld gab es nur zwei Orte, die dafür in Frage kamen: der Nord- und der Südpol. Leider waren beide eben an den entgegengesetzten Enden der Welt … und jeder allein schon größer als das Königreich Quorr. Die beiden letzten Sätze waren eine klare Warnung. Jeder war des Todes, der sich nicht gegen den Bewacher wehren konnte.

Ceanag wandte sich wieder der Säule zu und ahnte, dass er es herausfinden würde … auf die eine oder andere Weise.

Aber nicht im Norden, grübelte er. Die Eismänner graben hier schon seit vielen Generationen. Es wäre verwunderlich, wenn sie die Waffe und dessen Beschützer nicht längst entdeckt hätten. Entweder hat Alwarayn vielleicht auch die gesamte Hohe Gilde verfügt, dass die Waffe nicht hier im Norden versteckt werden soll. Oder …

Er richtete sich auf und sah die beiden Eismänner mit einem Blick voller Vorahnungen an.

»Ich muss an den Südpol … und Ihr mit mir.«

Driftworld

Подняться наверх