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Am Rande der Wasserberge

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Baldouin blickte missmutig auf das mittelgroße Schiff, das auf die Küste der Wasserberge zuhielt und knurrte seinem Nebenmann seinen Unmut zu.

»Sicher wieder nur Ponatoscheiße, die diese Kerle da an Bord haben. Das Zeug stinkt fürchterlich.«

»Aber es wärmt. Besser als gar nichts, mein Freund. Und Holz ist einfach zu schade, um es zu verbrennen«, entgegnete Merywyn aufgeräumt und hatte einen ganz anderen Ausdruck im Gesicht. »Ich hoffe, sie haben ein paar Weiber dabei. Kapitän Yosander hat mir bei seinem letzten Besuch versprochen, er würde sich nach einer Frau für mich umsehen.«

»Du glaubst doch nicht, dass auch nur ein Weibsbild von der Drakeninsel seinen Fuß auf unser Eisland setzt? Gerade die Südländer kommen nur zu uns, wenn sie unbedingt müssen.«

»Eben«, triumphierte Merywyn. »Wenn der Draken-Clan weiterhin von uns Waffen, Erzbarren und Farbpulver kaufen will, muss er mehr bringen als exotische Lebensmittel und Brennmaterial.« Der Eiskrieger grinste breit. »Ich hab ihm das Doppelte versprochen, wenn er eine bringt, die so richtig mächtige Dinger hat.«

»Du kannst froh sein, wenn er überhaupt eine Dumme gefunden hat, mein Freund.«

Beide beobachteten das Schiff, das nur noch wenige Ruderschläge brauchen würde, bis es in Flachwasser kam. Den Rest der Strecke würde sich die Besatzung von der leichten Strömung ans Pier treiben lassen. Die seitlichen Schaufelräder waren hoch über der Wasserlinie in ihre Halterungen eingerastet und mit einer dicken Eisschicht überzogen. Das ganze Schiff sah aus, als hätte es erst vor kurzem einen Regenschauer über sich ergehen lassen müssen, der überall sofort angefroren war. Wären nicht die bunten Wimpel, die sandfarbenen Segel mit dem feuerroten Clansymbol und die farbigen Stoffe der Besatzung gewesen, hätte man das Schiff aus einer Entfernung von fünfzig Ruderschlägen nicht vom Weiß der erfreulich dünnen Eisschollen und der wenigen Wasserberge, die jetzt im Frühling deutlich kleiner waren, unterscheiden können. Rufe hallten über das Meer, die von Erleichterung und Vorfreude erfüllt waren.

Auch Baldouin  trotz seiner augenscheinlich miesepetrigen Laune  konnte nicht umhin, sich still zu freuen. Der Draken-Clan zählte mit zu den angenehmsten Kunden, welche die Eisleute begrüßen durften. Sie waren unter anderem ganz versessen auf das schwarze Farbpulver, welche die Eismänner aus der faustdicken Rinde der Frosteichen gewannen. Und die Männer des Nordens wussten um den Wert dieses Pulvers. Es war schwarz, so tiefschwarz, wie es kein anderes Schwarz auf ganz Driftworld gab. Die Rinde der Frosteiche sog jeden Lichtstrahl des Goldenen Vaters auf und leitete die Wärme durch ihre schwammige Struktur ins Innere des Baumes. So konnten die tief in den Boden reichenden Wurzeln das kostbare Wasser an die feinen Kapillaren des Stammes weitergeben, ohne dass es gefror. Die Eismänner schabten pro Ernte immer nur eine dünne Schicht der Rinde ab und vermahlten sie zu einem äußerst feinen Farbpulver. Die Drakenmänner kauften bei jedem Besuch den kompletten Bestand auf. Und sie zahlten gut dafür. Denn sie wussten, dass sie es in jedem Hafen für ein Mehrfaches verkaufen konnten. Denn edles Schwarz war die Farbe, die seit Jahren unter anderem für feinste Stoffe verwendet wurde und die sich nur reiche Kaufleute und Edelleute leisten konnten. Sie schätzten es, wenn silberne oder goldene Schmuckstücke darauf besonders prächtig hervortraten und ihren Reichtum verkündeten. Die Drakenmänner und auch andere Clans auf Driftworld dagegen schätzten schwarze Kleidung vor allem bei der Jagd auf Wollbären, deren Farbsicht sehr eingeschränkt war, wodurch sie Jäger, die still im Schatten verharrten, so gut wie nicht wahrnehmen konnten.

Die Drakenleute sind nicht so hochnäsig wie diese Idioten aus Quorr, dachte Baldouin und schlug seinem Kumpel auf die dick gepolsterte Schulter. »Vielleicht solltest du diesen stinkenden Dreck hier gegen etwas Wohlriechendes tauschen. Wenn die Drakenschwinge tatsächlich ein Weibsstück für dich an Bord hat, willst du sie doch nicht mit deinem Duft wieder vertreiben, nicht wahr?«

Merywyn senkte seinen Kopf ein wenig seitlich auf eine Schulter und schnupperte. »Ich weiß nicht, was du willst: ein wenig Schollenspringer, ein bisschen Wollbär …«

»Und nicht wenig Ponatoscheiße … sag ich doch!« Baldouin wechselte seine Miene von einem Wimpernschlag auf den anderen. »Ich habe erst vor drei Tagen ein Bad genommen. Vielleicht sollte ich an Bord der Drakenschwinge gehen und mir die holde Maid mal anschauen. Ich bin ohnehin nicht so hässlich wie du.« Sagte es, schlug Merywyn noch einmal auf die Schulter und stapfte mit kräftigen Schritten Richtung Pier.

Merywyn blickte verdutzt, schnupperte noch einmal an sich und marschierte dann eilig auf die kleine Küstensiedlung zu, welche den Eismännern an diesem Abschnitt der Wasserberge als Handelsstation diente. Die dortigen wenigen Frauen und Männer staunten nicht schlecht, als sie ihn kommen sahen. Fast rannte er und wäre beinahe ausgerutscht, als er eine Abzweigung nahm, die ihn in die Mitte der Siedlung – und damit zum einzigen Badehaus – führen würde.

»Nun, Kapitän Yosander, was bringt Ihr uns dieses Mal mit?«, fragte Kontor-Vorsteher Francassa freundlich und reichte dem Kapitän seine Rechte.

Yosander lächelte und drückte dem Vorsteher die Hand. »Natürlich Brennmaterial, mein Freund. Eure Frosteichen sind ja viel zu schade, um sie zu verheizen. Das halbe Schiff ist mit getrocknetem Ponato-Dung vollgestopft und ich bin froh, wenn ich ihn von Bord habe. Aber der Geruch ist auszuhalten. Die Kälte bindet ihn. Meine Mannschaft wird es trotzdem zu schätzen wissen, wenn wir den Duft gegen Euer geruchloses Schwarz eintauschen können. Ich hoffe, Ihr habt eine anständige Menge anzubieten.« Dann wurde sein Grinsen breiter. »Und die Lebensmittel haben wir nur im Heckladeraum verstaut, da konnte selbst bei der Abfahrt kein Lüftchen die Qualität mindern.«

»Ihr habt dazugelernt, Kapitän«, antwortete Francassa. »Ich kann mich noch an Eure erste Fahrt vor vielen Jahren hier in den Norden erinnern. Das ganze Ponatofleisch hatte einen Duft an sich, der so manchen Eismann beim Braten und erst recht beim Verspeisen grün im Gesicht werden ließ …«

»Da war ich aber noch nicht Kapitän, sondern nur für die Ladung zuständig.«

»Eben!«

Beide lachten und beobachteten die Mannschaften der Drakenschwinge und des Kontors, welche die dicken Ballen entluden und auf Schlitten in die Lagerhallen der Siedlung weiter oberhalb der Küste brachten. Sie wandten sich schon halb vom Entladebetrieb ab, als eine Gestalt vorsichtig eine zweite Planke herabschritt, sich am Pier schüttelte und mit gemessenen Schritten auf sie zuhielt.

»Wer ist das, Kapitän Yosander? Ein Passagier?«

Das seltsame Gewand der Gestalt  den Konturen nach zur urteilen ein Mann  passte weder zu der farbenfrohen Kleidung der Drakenmänner, noch zu der fast vollständig schwarzen der Eisleute, bei der nur die Arme mit weißen Pelzen bedeckt waren. Yosander wusste, dass die Männer beider Pole diese Farbwahl aus Zwecken für die Jagd getroffen hatten. An der Küste gab es einige Wälder und erstaunlich viele Tiere wie Schollenspringer, Wollbären und anderes Raubzeug. Die nur mannsdicken Frosteichen mit ihrer besonderen Rinde blieben bei der trockenen Luft auch bei Schneefall schwarz. Ein Mann, der sich vor so einen Stamm stellte – das Gesicht schwarz gefärbt  und ruhig verhielt, war fast unsichtbar. Die weißbepelzten Arme mochten zwar nicht die Deckung des Baumes genießen, verschwanden dagegen vor dem ewigen Weiß aus Schnee und Eis.

Auch im Falle eines Angriffes oder eines Hinterhaltes ein Umstand, den man wissen sollte, dachte Yosander und war froh, dass der Draken-Clan schon immer zu den Freunden der Eisleute gezählt hatte. Als Verbündete im Kampf sind die Eismänner sicher geschätzte Krieger. Nur hoffe ich, dass es weder hier noch anderswo zum Krieg kommt.

Und genau dieses mulmige Gefühl, dass sich das durch seinen Passagier ändern könnte, minderte Yosanders echte Freude über ihre sichere Ankunft am Nordpol. Er wollte Francassa schon eine Antwort geben, als der Mann sie erreicht hatte und ein wenig seinen Kopf hob, um sie anblicken zu können.

»Was für ein frostiger Ort«, stieß er hervor und schob dabei seine Kapuze ein kleines Stück in den Nacken, um den Himmel betrachten zu können. »Selbst bei Sonnenschein friert man sich die Glieder ein.« Wieder schüttelte er sich und entblößte noch mehr seines üppigen hellbraunen Haares und eine kräftige Hand, die er Francassa entgegenstreckte. »Ich bewundere euch Eisleute, wirklich. Hier oben zu leben, in ständiger Kälte und dabei noch harte Arbeit zu verrichten. Ihr habt meinen Respekt, Eismann.«

Francassa nahm die angebotene Hand und nickte dankend. »Eure Bewunderung nehme ich genauso gerne an, wie Euren Respekt, Herr …?«

»Ich bin kein Herr, Eismann. Ich …«

»Lasst mich Euch einander vorstellen … Freunde«, unterbrach Kapitän Yosander und deutete auf den Eismann. »Dies ist der Vorsteher des Kontors, Meister Francassa«, sagte er und ergänzte: »Wir kennen uns seit vielen Jahren und haben neben lukrativen Geschäften auch schon so manchen Abend bei quorrianischem Wein und fettem Ponatobraten verbracht.« Dann wies er auf den Kapuzenmann. »Dies, mein Freund Francassa, ist Ceanag … ein Zauberer.«

Kapitän Yosander sah, wie sich Meister Francassa versteifte, sein Lächeln erstarrte und er beinahe seine Hand zurückgezogen hätte. Natürlich musste Ceanag die Reaktion gespürt haben, da war sich Yosander sicher. Doch genauso sicher sahen beide, dass Francassa sich beherrschen konnte und seine Hand nicht vorzeitig aus dem Händedruck löste. Auf Driftworld war ein flüchtiger oder zu kurzer Händedruck eine Unhöflichkeit oder sogar eine Beleidigung. Ihn ganz zu verweigern, konnten sich nur erklärte Feinde leisten. Solche Begegnungen mündeten fast unweigerlich in Kampfhandlungen.

»Mir ging es beim ersten Mal genauso, mein Freund, als ich auf einen der legendären Zauberer stieß«, sagte Yosander und lächelte mitfühlend. »Das liegt sicher daran, dass wir nicht einmal ahnen können, über welche sagenhaften Kräfte sie verfügen. Nicht wahr, Ceanag?«

Ceanag wiegte bedächtig seinen Kopf. »Es mag viele Legenden über uns geben, Kapitän. Doch leider bewahren sie uns nicht davor, immer weniger zu werden.« Dann zog er seine Hand zurück und nickte dem Kontor-Vorsteher zu.

Francassa setzte wieder sein freundliches Lächeln auf und Yosander wie auch Ceanag sahen die Ehrlichkeit darin schimmern. »Soviel ich weiß, ist es Zauberern nicht verboten – von wem auch? , zu heiraten und Kinder zu zeugen. Also, warum tut Ihr es nicht? Ein jedes Volk braucht Kinder.«

»Das ist ja das Problem, Meister Francassa: Viele meiner Art haben sich Partner aus allen möglichen Völkern erwählt und mit ihnen Familien gegründet.«

Francassa runzelte die Stirn. »Und das ist ein … Euer Problem?«

»Zum Teil … ja. Ich gönne jedem Zauberer das Glück einer eigenen Familie … Liebe … ein Heim.«

»Aber?«

»Die Zauberkraft ist bei Kindern, die aus einer Verbindung zwischen Mensch und Zauberer hervorgehen verloren. Nur Kinder aus der Verbindung zweier Zauberer behalten die Kräfte … die sie auch noch entwickeln und ständig trainieren müssen.«

»Dann heiratet eben eine Zaubererfrau …«

»Habt Ihr denn eine in dieser Kälte versteckt?«, schmunzelte Ceanag und blickte sich spielerisch suchend um. »Ich sehe keine … leider.«

Francassa lachte und wackelte verneinend den Kopf. »Nein, wir haben keine Zauberin zu Gast … zumindest wüsste ich von keiner.« Dann grinste er breit. »Vielleicht hat sich ja eine unsichtbar gemacht. Ihr könnt Euch doch unsichtbar machen, oder?«

Ceanag schob nun seine Kapuze ganz in den Nacken und setzte ein geheimnisvolles Lächeln auf. »Ich verrate doch nicht all unsere Tricks, Meister Francassa. Aber ich darf Euch etwas anderes verraten: Ich habe ein Fass Drakenfeuer mitgebracht.«

Ceanag musste breit grinsen, als er Francassas leuchtende Augen sah. Jedermann auf Driftworld schätzte einen guten Schluck Drakenfeuer. Ein ganzes Fass davon war ein recht wertvoller Besitz und Francassa wäre nicht Vorsteher dieses Kontors geworden, wenn er nicht sofort verstanden hätte, dass seine Eismänner und er es nicht ohne Gegenleistung bekommen würden.

»Was verlangt Ihr für diesen Ausbund an erlesenem Geschmack?«

»Zwei Krieger als Führer und Schutz.«

Francassa war genauso verblüfft wie Kapitän Yosander, der natürlich von dem Fass gewusst und es auf der Fahrt hierher immer im Auge behalten hatte. Auch seine Besatzung hätte gerne den einen oder anderen Schluck daraus getrunken. Von Ceanags Absicht, es gegen Krieger zu tauschen, hatte er jedoch nichts geahnt.

»Wozu braucht Ihr Schutz? Ihr seid ein Zauberer.«

»Der sich hier nicht auskennt und beide Hände für die Zauberei benötigt … oder für Waffen. Beides gleichzeitig ist nicht möglich. Ein weiterer Grund dafür, dass wir so wenige geworden sind«, schob er nach und hatte einen Ausdruck aus Melancholie und Anspannung aufgesetzt.

Meister Francassa warf einen Blick zum Himmel. »Die Mannschaften sollten sich mit dem Entladen beeilen; es zieht ein Sturm auf. Die Beladung werden wir vorher ohnehin nicht mehr schaffen.« Dann breitete er beide Hände einladend aus. »Damit dürften wir also genug Zeit haben, uns an knusprigem Schollenspringer-Braten, gut gewürzter Wollbär-Leber und feiner Windmoos-Pastete laben zu können.« Er warf einen erwartungsvollen Blick zu seinem neuen Gast.

Ceanag verstand und nickte. »Ein … kleiner Krug Drakenfeuer soll uns das Mahl in ein Festmahl erweitern. Allerdings möchte ich trotzdem zwei Krieger dafür … auch wenn wir die Bezahlung ein wenig reduzieren.«

»Abgemacht, Zauberer!«

Ceanag sah mit gemischten Gefühlen in die Gesichter der Männer, die an der Tafel saßen und sich die Speisen und Getränke schmecken ließen.

Sie trinken ihr Algenbier und auch den einen oder anderen Schluck Drakenfeuer mit einer Freude, als möchten sie das harte Leben hier am Pol vergessen. Wenigstens für ein paar Stunden … Er prostete Yosander zu, der ihm anzusehen schien, dass er mit seinen Gedanken schon ganz woanders war. Steht es mir zu, sie aus ihrer trügerischen Sicherheit zu entführen? Hinein in unbekannte Gefilde, fremde Eilande … in Gefahr und möglicherweise sogar in den Tod? Der Zauberer setzte sein Glas ab und wischte sich mit einem sauberen Tuch den Mund. Aber ich habe keine andere Wahl. Ich muss sie vor ihm finden …

Ceanag musterte – und wie er hoffte, unauffällig – die fröhlichen Mienen der Männer.

Kapitän Yosander … er ahnt bereits, dass es mir um weit mehr geht als um ein Fass Drakenfeuer als Preis für zwei Krieger der Eisleute. Ich mag ihn und vertraue ihm.

Meister Francassa … Yosander würde ihn nicht als langjährigen Freund bezeichnen und mit ihm zechen, wäre er nicht aufrichtig.

Baldouin und Merywyn … die beiden Krieger. In friedlichen Zeiten arbeiten sie als Jäger für ihr Volk, wie viele andere auch. Aber wir haben keine friedlichen Zeiten mehr. Hier im Norden vielleicht … noch.

Fellobain … der Minen-Vorsteher der Eisleute. Ihm unterstehen alle Minen hier am nördlichen Pol. Anderen Orts würde man ihn König nennen. Doch die Eisleute haben keine Könige. Er wurde frei und offen gewählt, wieder und wieder. Einen Mistkerl würden die Eisleute eher einem Wollbären präsentieren, als sich von ihm führen zu lassen. Ich kenne keinen dieser harten Männer … aber ich brauche sie.

»Warum so betrübt, Zauberer?«, rief ihm Fellobain vom anderen Ende der Tafel zu und hob ihm seinen Krug entgegen, aus dem das Algenbier schwappte. »Zittert Ihr vor der Kälte dort draußen? Soll ich das Feuer nachlegen lassen?«

»Nein, Meister Fellobain, ich zittere nicht. Nur meine Gedanken zittern bei dem, was ich auf die Welt und alle Völker zukommen sehe.«

Fellobain setzte seinen Krug ab und Stille trat ein. Das Mahl hatte ohnehin sein Ende erreicht und Yosander und Francassa schienen nur darauf gewartet zu haben. Die Neugier stand ihnen ins Gesicht geschrieben.

»Ihr habt wahrlich Angst, mein Freund«, sprach der Minenvorsteher ruhig und wischte sich mit dem Handrücken ein wenig Schaum von den Lippen. »Ich dachte immer, einen Zauberer könne nichts auf dieser Welt erschüttern.«

»Auch Zauberer können Angst empfinden, Vorsteher. Ein Mann, der keine Angst empfindet, ist ein dummer Mann.«

»Und bald ein recht toter Mann«, stimmte Baldouin zu. »Die Angst kann Krieger zu Taten beflügeln, die sie ohne sie nicht vollbracht hätten.«

Sein Gegenüber namens Merywyn nickte. »Danach nennt man sie Helden … und selbst sie hoffen, nie wieder in eine ähnliche Situation zu geraten, wie jene, die sie zu Helden gemacht hat. Weißt du noch, Baldouin? Damals in der Höhle … es waren nicht weniger als drei Wollbären, die uns …«

»Wir wollen unsere Gäste nicht mit alten Taten langweilen, Merywyn. Ihr beide seid Helden!«, betonte Fellobain und setzte ein ernstes Gesicht auf. »Aber nun scheint es mir an der Zeit zu sein, zu erfahren, was einen Zauberer hier in den hohen Norden gelockt hat.« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Wir hatten hier noch nie Besuch von einem Eurer Art, Ceanag. Zumindest weiß ich von keinem. Und ich bin schon mein ganzes Leben hier. Außerdem fürchte ich, werden wir nach Eurer Abreise auch nicht mehr so schnell wieder einen zu sehen bekommen. Unser Land ist zwar voller Bodenschätze, aber magisch ist wohl nur das Nordlicht.«

Hierin täuschte er sich gewaltig. Und nicht nur er.

Ceanag huschte ein freundliches Schmunzeln über das Gesicht, das aber wieder verflog, als er sich aus seiner etwas eingesunkenen Haltung aufrichtete und nun kerzengerade auf seinem Stuhl saß.

»Das dürfte exakt der Grund sein, warum einer meiner Ur-Ahnen einst hierher kam«, erklärte Ceanag leise. »Die Pole sind neben dem Reich Quorr die einzigen Orte auf dieser Welt, die ihre Lage nicht verändern. Der Goldene Vater hatte in seiner Weisheit lediglich zwei Orte Vor Dem Fall verschont, den südlichen und den nördlichen Pol. Quorrs Frevel besteht schon allein darin, dass es nicht driftet … und seit mehr als 300 Jahren Insel um Insel an sich bindet. Auch ohne die Zustimmung ihrer Bewohner.«

Dann verfinsterte sich Ceanags Gesicht und alle wurden daran erinnert, dass hier kein munterer Wanderer saß, sondern ein Zauberer, ein mächtiges Wesen aus einer anderen Epoche der Welt. Vor Dem Fall soll es Tausende  manche Quellen sprachen sogar von Millionen  Zauberer gegeben haben, berichteten die Legenden. Und jeder im Raum erinnerte sich nun daran.

»König Rhazor von Quorr«, fuhr Ceanag fort, »scheint nicht mehr gewillt zu sein, dem Lauf der Strömungen die Vermehrung seines Reiches zu überlassen. Er baut seine Kriegsflotte aus, er rafft alles Metall an sich, was er kriegen kann … und er sucht nach einer Waffe … der Waffe!«

Fellobains Antwort war wohl nicht anders zu erwarten gewesen. »Es kam seit langem kein Schiff aus Quorr mehr zu uns. Das letzte …«

»… kam vergangenen Sommer«, ergänzte Meister Francassa. »Also vor etwa einem Dreivierteljahr. Der Kapitän war ein Schleimbolzen ohne Beispiel. Man könnte ihn zerquetschen und anstatt Schneckenschleims an eine Bordwand schmieren. Es wäre kein Verlust. Er verhandelte so unverschämt arrogant und zäh, dass ich schließlich einem schlechten Preis zustimmte, nur um ihn loszuwerden.« Dann grinste Francassa hämisch. »Wir haben ihnen allerdings ein Viertel des Laderaums mit Schlacke und minderwertigem Erz gefüllt.«

Ceanag zuckte für einen Moment der Gedanke durch den Kopf, dass die Quorr sich so einen Betrug nicht gefallen lassen würden. Daher wandte er sich zuerst an Meister Francassa, dann an Minen-Vorsteher Fellobain. »Meine Herren, Ihr glaubt doch wohl nicht, dass Quorr es darauf beruhen lassen wird? Allein aus diesem Grund dürftet Ihr mit … Ärger zu rechnen haben. Mit dem nächsten Schiff aus Quorr oder gleich einer ganzen Flotte, die sich nimmt, wonach es ihr gelüstet.« Ceanag mahlte mit den Kiefern, doch er musste es aussprechen: »Meine Hoffnung für Euch ist, dass König Rhazor zu der Einsicht gelangen könnte, dass er Euch als Sklaven für die Minen braucht und daher am Leben lässt. Die Quorr sind Eroberer, Seefahrer … Mörder. Aber keine Bergleute. Die Freiheit werdet Ihr aber verlieren … wenn Ihr Euch nicht dagegen wappnet und alles tut, um diesem Möchtegern-Kaiser Einhalt zu gebieten.«

Francassa und Fellobain war längst die Freude über die Gäste und das Mahl aus den Gesichtern entwichen.

»Ihr erwähntet auch eine Waffe … eine besondere Waffe?«

»Sie muss es wohl gewesen sein … besonders, meine ich. Eine, gegen die es keine Abwehr gab.«

»Ihr wisst es nicht?« Fellobains Ausruf spiegelte wider, was alle dachten. »Was für eine Waffe war das? Und was unterscheidet sie von allen anderen?«

»Mit ihr konnten … konnte man Draken töten.« Ceanags Worte blieben wie zähflüssige Schleier in der Luft hängen und schienen in den Ohren und Köpfen der Männer nachzuschwingen.

»Es gibt keine Draken mehr«, warf Merywyn ein. »Und die kleinen Drachen, die Wyvern, welche die Nachrichten befördern, kann jedes Kind mit einem Stein erschlagen oder mit Pfeil und Bogen vom Himmel holen.«

»Warum will Rhazor eine Waffe gegen einen Feind, den es nicht mehr gibt?« Baldouins Blick fiel auf sein Schwert, das mit allen anderen Waffen in einem Gestell nahe des Eingangs steckte.

»Er will diese Waffe gegen alle freien Völker Driftworlds führen, sie in einer Reihe von Seeschlachten einsetzen und all jene unter seine Knute zwingen, die sich ihm bislang entziehen konnten oder zu weit weg von Quorr waren. Hat er aber diese Waffe, wird er keinerlei Skrupel mehr haben.«

»Mein lieber Freund Ceanag«, sprach nun Kapitän Yosander zum ersten Mal und alle Blicke richteten sich auf ihn. »Ihr deutetet vorhin an, dass einer Eurer Ur-Ahnen diese Waffe hier versteckt hätte. Wo?«

Nun sah der Zauberer plötzlich wie ein Häuflein Elend aus. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal, ob die betreffende Stelle in den Legenden dieses Eis meinte.«

»Wie lautet die Textstelle?«, fragte Yosander.

»Es ist leider nur ein Fragment«, antwortete Ceanag. »Hätten wir den kompletten Text, wäre ich deutlich zuversichtlicher, sie bald zu finden.« Er schüttelte bedauernd den Kopf, dann richtete er sich in seinem Stuhl ein wenig auf. »Der Text lautet so:

Ø

So schrecklich das Feuer,

geschleudert vom Himmel,

erweckt es die Flammen

aus den Schlünden der Hölle,

verbrennt es die Scheuer,

das Menschengewimmel,

so rasch wie der Wind,

hinterlässt nur noch Stille.

Ø

Die Ersten jedoch,

erfüllt von der Macht,

ergreifen die Waffe,

die gegen Draken gemacht,

vernichten die Bestien,

im ganzen Weltenrond,

versenken sie tief

bei …«

Ø

Ceanag verstummte und für lange Minuten blieb es still im Raum. Nur das Feuer im Kamin knisterte leise. Doch niemand fühlte dessen Wärme. Die Kälte des Sturmes schien nun doch durch die Ritzen des Gemäuers zu dringen und die Körper der Männer zu erfassen.

Kapitän Yosander war der Erste, der wieder sprach. »Das ist alles? Der Text bricht mitten im Satz ab. Ein seltsames Wort: Weltenrond. Muss es nicht Weltenrund heißen?«

»Versenken sie tief …« Baldouin kratzte sich am Kinn. »Wenn damit eine Stelle im Alun gemeint ist, ist das viel zu ungenau«, urteilte er nüchtern. »Eher im Eis. Aber das muss nicht hier im Norden sein. Somit könnte auch der Südpol als Ort in Frage kommen«, schloss er und blickte sich nach Zustimmung suchend um.

»Das ist das Problem, meine Herren«, gab Ceanag zu. »Nicht nur, dass der Text unvollständig ist, es ist auch eine Übersetzung der Alten Sprache des Ersten Volkes. Und jede Übersetzung mag ihre Mängel haben.«

»Woher habt Ihr den Text? Wer gab oder sagte ihn Euch?« Minen-Vorsteher Fellobain war anzusehen, dass er nicht wenig des Gehörten für reine Spekulation hielt. Einzig die Möglichkeit, dass ein Schiff oder eine Flotte der Quorr hier im Norden auftauchen könnte, schien ihm Sorgen zu bereiten.

»Von meinem Vater. Und der hatte ihn von seinem Vater. Weder die beiden wussten  noch konnte ich dies bislang herausfinden , wann der Text übersetzt wurde und von wem.«

Aber dass er sauber übersetzt wurde, weiß ich schon, dachte Ceanag. Schließlich sind wir Zauberer die letzten des Ersten Volkes. Leider hat sich nur ein Teilwissen um die Alte Sprache erhalten. In den Jahren Nach Dem Fall geriet auch sie in Vergessenheit. Es mag noch Stätten geben, an denen Relikte aus der Zeit unmittelbar Nach Dem Fall existieren könnten. Doch niemand weiß, wo diese sind. Meine Hoffnungen liegen in den Tiefen Der Festen Insel … und unter dem Eis.

»Erinnerst du dich an die letzte Lektion, mein Sohn?«

»Natürlich, Lehrmeisterin.«

»Dann wiederhole!«

»Als der unterlegene Himmelssohn auf die Welt stürzte, überzog er alles mit Feuer und Rauch. Dies ist der Grund dafür, dass es keine großen Draken mehr gibt.«

»Bist du sicher?«

»Ja, Meisterin. Nur die kleinste Art, welche Flügel besitzt, konnte sich in Löcher und Höhlen retten.«

»Und warum gibt es uns, die Menschen?«

»Weil auch wir damals klein waren und uns an den gleichen Orten schützen konnten.«

»Deshalb …?«

»… sind Menschen und die kleinen Drachen, die Wyvern, Freunde geworden.«

»Was festigt diese Freundschaft?«

»Sie bringen unsere Botschaften von Insel zu Insel, von Volk zu Volk. Selbst Schiffe auf dem Alun, dem Meer, erreichen sie. Sie sind mit den Vögeln die einzigen Wesen auf der Welt, die fliegen können.«

»Gut, Andobar.«

Aus den Legenden Nach Dem Fall

Die Lehrjahre König Andobars

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