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Schaukelnd ging es bergauf. Demnach hatten wir die Fußgängerampel erreicht. An dem hohler klingenden Rattern unter mir merkte ich kurz darauf, dass wir uns auf der Brooklyn Bridge befanden.

»Ich geh als Erster«, kam eine Stimme aus dem Dunkeln - Medinas Stimme.

Er lag dicht an mich gedrängt in dem kleinen Eiswagen, in dem uns Clive auf die Brücke schmuggeln sollte. Er benutzte nicht die Straße, sondern den Fußgängerweg, der sechs Meter über den Fahrbahnen die Brücke überquerte.

Von Brooklyn aus würde uns eine Gruppe von Cops entgegenkommen - getarnt als Touristen, unter die sich ebenfalls zwei unserer Leute gemischt hatten.

Sobald wir ein Zeichen von Milo erhielten - er leitete den Einsatz - würde der Erste von uns aus dem Wagen schlüpfen, über das Geländer klettern und sich auf den Eisenträger seitlich des Fußgängerweges pressen.

Wir hatten alle günstigen Stellen auf der Brücke und in ihrer Umgebung genutzt, um unsere Leute zu postieren.

»Ist die Luft rein, Clive?«, hörte ich Milos Stimme im Ohrknopf, den ich trug.

»Ja«, bestätigte Clive, »der Erste kann aussteigen.«

Der Wagen hielt, und Medina kletterte hinaus. Als sich die kleine Tür an der Seitenwand des Wagens öffnete, sah ich, dass es schon dunkel geworden war.

Einige Minuten später war ich an der Reihe. Ich schlüpfte durch die Luke, schwang mich über das Geländer und legte mich bäuchlings auf den Träger, der parallel zum Gehweg verlief. Ein Stockwerk unter mir die Scheinwerfer und der Lärm des Verkehrs. Vom East River war nicht viel zu sehen. Verschwimmende Lichtreflexe einzelner Schiffe zwischen den Drahtseilharfen waren der einzige Hinweis darauf, dass sich knapp 50 Meter tiefer ein Gewässer befand.

Ich gab den Bezug meines Postens an Milo durch und drückte die Beleuchtung meiner Armbanduhr.

Kurz nach zehn.

Elend lange Stunden lagen vor mir, aber wir hatten beschlossen, möglichst früh in Stellung zu gehen. Spätestens ein, zwei Stunden vor der geplanten Geldübergabe würden die Kidnapper die Brücke und ihre Umgebung kritisch unter die Lupe nehmen.

Ich richtete mich auf und lehnte mich an das nicht durchbrochene Geländer. Ich hörte Schritte und Lachen einer Fußgängergruppe auf der anderen Seite des Geländers. Die Männer und Frauen von der City Police.

Wenig später hörte ich die Meldung der beiden FBI-Agenten. Sie hatten sich von der Gruppe abgesetzt und sich hinter dem Geländer verborgen.

Etwa dreihundert Schritte entfernt sah ich die Konturen des gotischen Doppelbogens auf der Brooklyner Seite. Einer der beiden Pfeiler, an der die Drahtseilkonstruktion aufgehängt war.

Von dem sonst so berauschenden Ausblick auf Lower Manhattan bot die angebrochene Nacht nur die Lichter der sich dem Himmel entgegenstreckenden Wolkenkratzer. Den Brückenbogen vor der Manhattaner Seite konnte ich nicht ausmachen. Dazu war er zu weit entfernt.

Ich zog das Nachtglas und das Nylonseil aus der dick gefütterten Windjacke. Mit dem Glas suchte ich den East River nach dem Boot ab, von dem aus Milo die Aktion koordinierte. Ich konnte es nirgends entdecken.

Umso besser - dann würde es den Kidnappern auch nicht auffallen. Hauptsache, die Funkverbindung stand. Tief unter mir kroch gerade ein Passagierdampfer in mein Blickfeld.

Das beleuchtete Schiff vermittelte mir einen Eindruck von der Höhe, in der ich mich befand. 40, 50 Meter waren es bestimmt.

Die exakte Höhe der Brücke war mir entfallen. Ich erinnerte mich nur noch, dass die beiden gotischen Doppelbögen 84 Meter hoch waren. Das hatte mir mein Großvater erzählt - damals, vor knapp 25 Jahren, als ich zum ersten Mal die Grenzen des idyllischen Conneticuts überschritten hatte und nach meiner ersten Flugreise an der Hand Grandpas die ersten Schritte durch den Big Apple tat.

Ich musste grinsen, als ich daran dachte, wie platt ich gewesen war damals. Wer hätte in jenen Tagen geglaubt, dass diese großartige Stadt - die großartigste auf dieser verrückten Welt, davon bin ich überzeugt - einmal mein Arbeitsplatz werden würde.

Von meinem Großvater wusste ich auch von dem ersten in einer langen Reihe von Wahnsinnigen, die es sich im Laufe der letzten 112 Jahre in den Kopf gesetzt hatten, von dieser Brücke zu springen. Wenn ich mich recht entsann, hatte der Mann Robert Odium geheißen. Oder Oblum.

Egal - jedenfalls schloss er eine Wette ab, verlor und sprang. Und starb. An inneren Blutungen.

Die beiden Stunden bis Mitternacht waren ganz gut zu ertragen. Ich lauschte dem nicht besonders aufregenden Funkverkehr zwischen Milo und den anderen.

Die Männer am Sockel der beiden Brückenpfeiler waren inzwischen auch postiert. Sie sollten den Fluss in unmittelbarer Nähe der Brücke beobachten. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass die Verbindungsleute der Amsterdamer Kidnapper mit einem Schnellboot hier auftauchten und sich den Geldkoffer über das Brückengeländer werfen ließen.

Als gelbe Cabbies getarnte FBI-Fahrzeuge warteten an Brooklyner und Manhattaner Taxiständen in unmittelbarer Nähe der Brückenauffahrt. Und in einem Hospital in der Nähe hatten wir zwei Helikopter stationiert.

Nach Mitternacht krochen die Stunden immer zäher dahin. Anfangs beschäftigte ich mich noch mit dem Fall Vanhouven, dachte die spärlichen Fakten noch einmal von hinten bis vorne durch und versuchte mir erneut einen Reim auf die verschlüsselte Mitteilung der entführten Frau zu machen. Denn unsere Kollegen in Amsterdam hatten sämtliche Antiquitätenhändler gefilzt. Das Ergebnis war gleich null.

Das Phantombild von dem Taxifahrer hatte uns auch noch nicht weiter gebracht. Wir hatten sämtliche verfügbare Datenbanken angezapft, um vorbestrafte Männer ähnlicher Größe, Haarfarbe und ähnlichen Alters herauszufiltern, deren Gesichter mit dem Phantombild vergleichbar waren. Etwas über zwei Dutzend Namen hatte der Rechner ausgespuckt. In der Zentrale an der Federal Plaza wurde unter Hochdruck gearbeitet, um diese Leute zu überprüfen.

Es wurde zwei, es wurde drei, und die Nachtkühle kroch mir unter die Jacke.

Ich zitierte ein paar Gedichte, die ich noch auswendig konnte, entwarf in Gedanken ein paar Briefe, die ich in den nächsten Tagen noch zu schreiben hatte, und stellte mir Gleichungen mit drei Unbekannten, die ich dann im Kopf zu lösen versuchte. So vertrieb ich mir die Zeit.

»Vanhouvens Taxi«, sagte eine Stimme in meinem Ohr gegen vier. »Es fährt auf der Frankfort Street der Brücke entgegen.«

Milo bestätigte unserem Posten den Empfang der Meldung. Ich begann zum x-ten Mal meine steif gewordenen Arme und Beine zu bewegen.

»Taxi hält an der Cliff Street, der Mann steigt aus«, meldete der Posten.

»Einsatzleitung an Brückenposten. Bereithalten.« Milos Stimme.

Wir bestätigten nacheinander.

Aus den Meldungen der verschiedenen Posten konnte ich den Weg Vanhouvens in Gedanken mitverfolgen.

Als er die Rampe zum Fußgängerweg betreten wollte, dudelte sein Handy. Unsere Techniker hatten es so präpariert, dass die Anrufe von der Einsatzleitung auf dem Boot mitgehört werden konnte. Offenbar hatte Milo die Verbindung zu uns hergestellt.

»Bist du auf der Brücke,Vanhouven?« Eine absichtlich verzerrte Männerstimme drang aus dem Knopf in meinem Ohr. Sie klang auffallend tief.

Vanhouven bestätigte.

»Das Geld?«

»Hab ich dabei.«

»Du nimmst nicht den Fußgängerweg«, befahl der Anrufer. »Du gehst unten auf der linken Straßenseite entlang bis zum ersten Pfeiler. Warte dort.«

Kaum jemand von uns hatte erwartet, dass die Übergabe hier oben stattfinden würde.

Ich fixierte das Seil mit einem Karabinerhaken an dem Eisenträger. Wenn erforderlich, würden wir uns nach unten auf die Straßen abseilen.

Nach etwa 20 Minuten wieder Vanhouvens Handy und die verzerrte Stimme. »Stehst du am Pfeiler?«

»Ja.«

»Jetzt geh genau hundert Schritte in Richtung Brooklyn. Zähl mit.«

»Einsatzleitung an Pfeilerposten«, funkte Milo. »Irgendwo ein Boot in Sicht?«

Unsere Leute unter der Brücke verneinten.

»Einsatzleitung an Brückenposten. Verdächtige Personen? Fahrräder, Rollstühle oder ähnliches?«

»Nicht mal ein Hund«, gab Medina zurück.

Ich wurde unruhig und suchte den Fluss mit dem Nachtglas ab. Wie, zum Teufel, wollten die Kidnapper den Geldkoffer an sich bringen?

Langsam dämmerte mir, dass wir irgendeine Kleinigkeit übersehen hatten.

»Verdammt!«, entfuhr es mir.

»Was ist los, Jesse?«, wollte Milo wissen.

Ich kam nicht mehr dazu, ihm zu sagen, dass es mir wie Schuppen von den Augen gefallen war, wozu das Geld eingeschweißt werden musste, denn die verzerrte Stimme meldete sich wieder.

»Stehen bleiben.«

»Wir brauchen Taucher!«, schrie ich, während die Stimme sagte: »Wirf den Koffer in den Fluss, soweit du kannst, los!«

In Windeseile seilte ich mich ab, und als ich die Straße erreichte, kreischten Bremsen, ein Hupkonzert brach los, der Verkehr kam zum Erliegen.

Die Manhattaner Seite war eine ganze Ecke entfernt. Ich spurtete los. Keuchend erreichte ich nach etwa zwei Minuten Vanhouven.

Er stand teilnahmslos neben Medina. Der suchte die Wasseroberfläche mit seinem Nachtglas ab.

»Mist!«, murmelte er. »Luftblasen. Der Koffer ist weg.«

Warum, um alles in der Welt, hat keiner an Taucher gedacht?, schimpfte ich in Gedanken. Ich sprach es aber nicht aus, weil Vanhouven dabeistand.

»Es ist vielleicht besser so«, sagte der Mann mit monotoner Stimme und als hätte er meine Gedanken erraten. »Wer weiß, was sie meiner Frau angetan hätten.«

Gemordet wird in langen Sommernächten: Krimi-Lesefutter Thriller Paket

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