Читать книгу Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015 - A. F. Morland - Страница 14

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Mary Scott begab sich ins Bad.

Die geflammten Fliesen vermittelten den Eindruck von wohliger Wärme. Rechts neben der Tür stand eine Badezimmerwaage, die die alte Fee mit einem Bügeleisen besteigen musste, wenn sie wollte, dass dieses Ding einige Pfunde anzeigte.

Mrs. Scott übte den Beruf einer Grundstücksmaklerin nicht allein wegen des Geldes, sondern vor allen Dingen deshalb aus, um der Langeweile zu begegnen. Sie hatte so viel Geld auf der Bank, besaß Wertpapiere und war an einigen renommierten Firmen mit ihrem Geld beteiligt, dass sie bis an ihr Lebensende keinen Handstrich hätte tun müssen. Doch nichts hasste sie so sehr wie Untätigkeit.

Sie war zwar alt, aber noch sehr rüstig. Sie fühlte sich beileibe noch nicht so alt und verkalkt, um die dünnen Hände in den fruchtlos gebliebenen schoss zu legen. Es war nicht ihre Schuld, dass sie keine Kinder bekommen hatte. Trotzdem war sie darüber sehr verbittert.

In ihrem langen Leben war sie viermal verheiratet gewesen. Mit vier reichen Männern. Mit vier steinreichen Männern. Aber auch mit vier impotenten Männern, denn sie waren alle schon jenseits von Gut und Böse gewesen, als sie den heiligen Bund der Ehe eingegangen waren.

Mary Scott hatte einen nach dem anderen beerbt. Beim ersten hatte es länger als bei den drei anderen gedauert. Letztlich hatte sie diese vier Lebensabschnitte aber doch noch gesund und rüstig hinter sich gebracht.

Sie hatte keinem ihrer Männer nachgetrauert. Sie waren alles alte Knacker gewesen. Zu nichts nütze. Oft krank. Von Sehschwäche und Rheuma geplagt und deshalb stets übel gelaunt. Es war kein schönes Leben gewesen, das sie neben ihren Männern zu leben gehabt hatte.

Ein Trost war ihr durch all die Jahre aber geblieben: ihr Job als Immobilienmaklerin. Deshalb hing sie heute noch an ihm, und sie würde ihn nicht aufgeben, solange sie atmete.

Sie hatte zwar keine Kinder, aber sie hatte das Immobiliengeschäft. Es ersetzte den Mann, das Kind — es ersetzte einfach alles.

Mary Scott ging zur Badewanne. Sie nahm eine kostbare Karaffe vom gläsernen Regal und streute sehr viel Badesalz in die Wanne. Dann nahm sie die Flasche mit dem Badeschaum und goss viel davon auf das kristallisierte Badesalz. Hinterher drehte sie am Warmwasserhahn. Das Wasser rauschte in die Wanne, sie prüfte die Temperatur mit der Hand und empfand den ziemlich heißen Wasserstrahl als angenehm. Sie verließ das Bad und begab sich in das angrenzende Schlafzimmer.

James klopfte schüchtern an die Tür, wartete auf das gekreischte „Herein“ der Alten und trat dann, immer noch in Uniform, aber ohne Mütze, ein. James machte den Eindruck, als wäre er um hundert Jahre gealtert. Sein Gesicht war grau, die Stirn war käsig.

Ihm war nicht gut. Ab und zu mal hatte er mit dem Herzen zu tun, dann bekam er solche Anfälle. Sie dauerten zwar niemals allzu lange, doch er hatte jedes Mal das Gefühl, dass es mit ihm zu Ende gehen würde. Wankend trat er auf seine Arbeitgeberin zu. Sie sah ihn unwirsch an.

„Was wollen Sie, James?“

James rang nach Luft. In seiner Brust drohte das Herz zu zerspringen. Himmel, Mrs. Scott musste doch sehen, wie es um ihn stand. Warum fragte sie, was er wollte? War es ihm nicht anzusehen, was er wollte?

„Ich hätte ... eine Bitte — Mrs. Scott!“, würgte James mühsam hervor. Er schloss die Augen und schluckte, ohne den Kloß, der in seiner ausgetrockneten Kehle steckte, hinunterzukriegen.

„Was für eine Bitte?“, fragte die Alte frostig.

Herzlose alte Bestie!, dachte James benommen. Er hatte Angst, dass er in der nächsten Minute zusammenbrechen würde. Übelkeit kroch in seinen Magen. Er hob die zitternde Hand an den Mund und hüstelte.

„Verzeihen Sie, Mrs, Scott ...“

„Also, James — was wollen Sie? Was ist das für eine Bitte?“

„Sie ... Sie möchten heute ohnedies nicht mehr ausfahren, Mrs. Scott..

„Na und?“

„Ich ... ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir gestatteten, dass ich mich zurückziehe, Mrs. Scott.“

„Auf Ihr Zimmer?“

„Ja, Madam.“

„Aus welchem Grund?“

James fühlte ein Zucken in der Brust. Das Herz! Es schlug beängstigend unregelmäßig. Er hatte heftige Schmerzen, glaubte, ersticken zu müssen.

„Ich ... ich fühle mich nicht wohl, Madam“, presste der Chauffeur leichenblass hervor.

Außer Mary Scott gab es wohl niemanden, der an diesen Worten gezweifelt hätte. Die Alte warf dem Chauffeur einen zornigen Blick zu.

„Sie verwenden in letzter Zeit zu häufig dieselbe Lüge, James.“

„Um Himmels willen, Madam, das ist ... das ist doch keine Lüge! Mein ... Herz ...“

„Sie sollten sich mal etwas Neues einfallen lassen, James!“, sagte die Alte bissig.

„Madam!“, beschwor der Chauffeur seine Dienstgeberin. „In meinem Zustand denkt man nicht daran, zu lügen.“

„Ich bezahle Sie weit über Tarif, nicht wahr, James?“

„Natürlich, Madam!“

„Dafür kann ich wohl verlangen, dass Sie in Ihrer Freizeit krank sind. Die übrige Zeit haben Sie mir zur Verfügung zu stehen, ob Ihnen das nun passt oder nicht.“

James sah die Alte vor sich hin und her wanken. Es war jedoch nicht Mary Scott, die wankte. Er selbst konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Er hätte sich gerne gesetzt. Aber wohin? Auf das Bett von Mrs, Scott wagte er sich nicht zu setzen. Trotz seines Zustandes hätte er sich das nicht getraut.

Hass glomm in ihm auf. Ein heißer Hass, der ihn von innen her zernagte. James konnte diesen furchtbaren Hass nur mit Mühe unterdrücken.

„Ich kann für mein gutes Geld verlangen, dass Sie arbeiten, James“, sagte Mary Scott hartherzig.

Hatte sie denn niemals ein Erbarmen? Sah sie denn nicht, wie hundeelend er sich fühlte?

„Sie gehen jetzt in die Garage und waschen den Wagen, verstanden?“

Er wollte nein sagen, wollte ihr ins faltige verhasste Gesicht schreien, sie solle ihr Vehikel gefälligst selbst waschen, doch dann blickte er in ihre seelenlosen Augen und brachte keinen einzigen Ton heraus.

„Ich nehme inzwischen ein Bad“, sagte die Alte mit ihrer unsympathischen Stimme.

Gott, wie James diese Frau hasste. Warum ließ er sich von diesem Weib so knechten? Warum ließ er sich das alles von ihr bieten?

„Wenn ich das Bad genommen habe, komme ich hinunter und überzeuge mich davon, dass Sie das Fahrzeug in einen tadellosen Zustand gebracht haben, James. Ist das klar?“

„Ja, Madam!“

„Ich warne Sie, James. Wenn Sie denken, nicht tun zu müssen, was ich von Ihnen verlange, dann können Sie etwas erleben.“ Sie wandte sich abrupt um. Er starrte auf ihren kerzengeraden schmalen Rücken. Er durchbohrte ihre Schulterblätter, die sich deutlich durch das altmodische Kleid abzeichneten, mit funkelnden Augen.

„Wenn Sie schon mal da sind, James, nehmen Sie mir die Perlenkette ab!“, sagte Mary Scott schroff.

Der Chauffeur näherte sich mit unsicherem Schritt seiner Dienstgeberin.

Voller Hass starrte er auf ihren dürren Hals. Sein Herz begann seltsamerweise in einem besseren Rhythmus zu schlagen, je näher er an die Alte herankam. Sein Herz schlug zwar sehr schnell, doch nicht mehr so unregelmäßig wie vorhin. Er fühlte sich eine Spur besser.

Die Versuchung war groß, nach diesem dürren Hals zu fassen und so lange zuzudrücken, bis die Alte keinen Atemzug mehr machte. Damit wäre alles aus der Welt geschafft gewesen. Der Ärger. Der Hass. Die Alte!

Mary Scott blickte in den Wandspiegel und fauchte giftig: „Warum starren Sie mich so an, James? Machen Sie schon! Nehmen Sie mir die Kette ab! Und dann verschwinden Sie! Sehen Sie zu, dass Sie in die Garage kommen!“

James hob zitternd die Arme.

Fass zu!, schrie es in ihm. Fass zu, und drück zu! Drück zu, du Feigling! Lass dir das nicht länger bieten. Mach sie kalt! Erwürge sie!

Es kribbelte in seinen zittrigen Fingern. Er berührte den Verschluss der Perlenkette und öffnete ihn. Sie nahm ihm die Kette aus der Hand. Er wandte sich mit gesenktem Blick ab, als befürchtete er, sie könnte seine geheimsten Gedanken, seine Mordabsicht, erraten. Er ging schnell und schloss die Tür rasch hinter sich. Draußen lehnte er sich erschöpft an die Wand und stieß einen schweren Seufzer aus.

„Diese Bestie!“, flüsterte er mit bleichen Lippen. Ein Schmerz zerschnitt seine Brust. Er fletschte die Zähne und griff sich ans Herz. Dann wankte er den Korridor entlang und nach unten.

Er trat in das helle Sonnenlicht hinaus und kniff die Augen zusammen. Die Wärme tat ihm gut.

Er lief zur offen stehenden Garagentür, riss den Wagenschlag auf, rutschte zum Handschuhfach hinüber und öffnete es. Er entnahm dem Fach ein kleines braunes Fläschchen. In letzter Zeit führte er die Herztropfen, die ihm der Arzt kurz nach seinem letzten Anfall verschrieben hatte, im Wagen mit, um sie bei der Hand zu haben, wenn ...

Er nahm ein Stück Zucker aus dem kleinen Nylonsäckchen und zählte fünfzehn Tropfen ab. Die braune Flüssigkeit sickerte langsam in den Zucker ein. Während er den Zucker zwischen die Zähne schob, schweiften seine Gedanken ab. Er musste immerzu an die Alte denken. Sie hatte ihn so böse angesehen, so gefühlskalt, so mitleidlos, obwohl sie erkannt hatte, wie es um ihn stand.

Sie war eine Hexe. Früher mal wäre sie verbrannt worden. Es schien ihr Spaß zu machen, ihn leiden zu sehen. Sie brauchte jemand, den sie ihre Bitterkeit spüren lassen konnte.

James begann langsam den Kopf zu schütteln. Ein Entschluss reifte in ihm. Er wollte sich das nicht mehr länger bieten lassen. Zwanzig Jahre stand er nun im Dienst dieser alten Fuchtel. Seit zwanzig Jahren trieb sie es auf diese Weise mit ihm. Seit zwanzig Jahren schwor er sich immer wieder, sich diese erniedrigende Behandlung nicht mehr gefallen zu lassen.

Einmal war das Maß voll. Heute war dieses Maß voll.

James richtete sich energisch auf. Er fühlte sich bereits ein wenig besser. Die Beschwerden ließen nach, die graue Farbe wich aus seinem Gesicht, seine Finger zitterten nun nicht mehr.

Das Seltsame an diesen Anfällen war, dass sie nie sehr lange anhielten, obwohl er jedes Mal das Gefühl hatte, ihn nicht zu überleben. Nun, einer der Anfälle würde dann wohl der letzte sein ...

Doch bevor es dazu kam, wollte er Mary Scott für ihr Mitleid, für ihr Verständnis und für ihr Entgegenkommen danken.

Er öffnete den Kofferraum des Wagens und nahm den schweren Wagenheber heraus. Wenn er damit zuschlug ...

Sein Blick wanderte zum Fenster des Badezimmers hinauf. Sie würde sich wundern, wenn er einfach eintrat. Vielleicht würde sie nicht einmal schreien, weil sie so perplex war.

James wunderte sich selbst über seinen Mut. Er war noch nie so entschlossen gewesen wie jetzt.

„Ich bringe sie um!“, murmelte er vor sich hin. „Ich bringe sie um! Ich lasse mir das nicht länger bieten!“ Er schüttelte den Kopf. Dann nickte er. „Ich muss es tun. Sonst gehe ich vor die Hunde!“

Mechanisch begann er zu gehen ...

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