Читать книгу Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015 - A. F. Morland - Страница 20

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Ein Mann wie Pino Calva brauchte in keiner kleinen Eigentumswohnung im stinkenden Stadtzentrum zu wohnen. Ein Mann wie Pino Calva konnte es sich dank seiner Cleverness leisten, einen herrlichen Bungalow in Western Springs, einem Vorort von Chicago, zu besitzen.

Kein Wölkchen hing am ansichtskartenblauen Himmel, als wir in Western Springs ankamen.

Das strahlende Wetter steckte mich an und stimmte mich heiter. Ich war gespannt, was Pino Calva mir zu servieren hatte.

Calvas Bungalow stand nicht direkt an der Straße. Um den Lärm der vorbeifahrenden Autos abzuschirmen, hatte er sehr hohe Büsche rund um das Grundstück gepflanzt, die gleichzeitig dafür gedacht waren, neugierige Glotzer recht wirkungsvoll abzuhalten, sofern sie nicht Giraffenhälse hatten.

Der rote Thunderbird wippte auf die Zufahrt. Sie war asphaltiert, und die Hitze flimmerte über ihr. Auf Calvas Grundstück war so ziemlich alles vorhanden, was einen Menschen fit hält. Es gab einen Tennisplatz, einen großen, opalblau verfliesten Swimmingpool, einige Turngeräte mit gelbem Sand darunter. Sogar einen Tontaubenschießstand konnte ich entdecken.

Calvas Haus war ein flacher Bau. Die Wände leuchteten in sterilem Weiß und bildeten den wohl stärksten Kontrast zu Pinos schwarzer Seele.

Der Thunderbird hielt auf dem mit Natursteinen ausgelegten Parkplatz. Eine knallrote Hollywoodschaukel schwang leicht und leer im Wind, der über die Terrasse strich.

„Wenn du für einen guten Rat empfänglich bist, Calder ...“

,,... dann steck die Knarre weg!“, setzte ich Eddie Harveys Rede fort.

Er nickte.

„Genau. Der Boss könnte das sonst nämlich in die falsche Kehle kriegen, verstehst du?“

„Dann müsste er husten“, grinste ich.

„Allerdings. Und er hustet nicht sehr gern.“

„Wenn ihm was nicht passt, kann ich ihm ja die Knöpfe vom Anzug schießen“, schlug ich vor.

Wir falteten uns aus dem Fahrzeug.

„Vorwärts jetzt!“, schnarrte ich. „Bringt mich zu eurer Amme!“

Ernie und Eddie setzten sich in Bewegung. Ihren Rat, die Pistole wegzustecken, beherzigte ich aus verständlichen Gründen nicht. Erstens wollte ich kein Risiko ein gehen — denn ohne Waffe zu Calva zu gehen, bedeutete stets ein Risiko. Zweitens sollte Pino Calva sehen, was ich mit seinen Strohmännern gemacht hatte.

Unsere schwarzen Schatten zeichneten sich scharf an der weißen Hauswand ab. Erst kam Eddies Schatten. Dann Ernies Schatten. Dann kam der Schatten meiner Pistole, und gleich hintendran ging ich. Es war ein eindrucksvolles Schattenspiel. Ich konnte mich daran gar nicht satt sehen und bedauerte es aufrichtig, als wir die Bungalowtür erreichten.

Eddie sah mir unsicher in die Augen und senkte seinen Blick dann auf meine Zimmerflak.

„Die bleibt!“, entschied ich, bevor er den Mund auftun konnte.

Er zuckte die Schultern, obwohl ihm meine Pistole ganz bestimmt nicht gleichgültig war.

Wir traten ein. Wieder schön der Reihe nach.

Die Halle, in die wir kamen, war hell und freundlich. Abermals ein starker Kontrast zu Pino Calva. Auf dem Boden lag ein senfgelber Hochflorteppich. Die Wände waren mit sanften Pastellfarben tapeziert. Ich entdeckte wunderschöne teure Bodenvasen, Gemälde von international anerkannten amerikanischen Künstlern.

Ernie Walker und Eddie Harvey passten in diese Umgebung wie der Schornsteinfeger in die Küche des Waldorf Astoria.

Wir waren im Begriff, die Halle zu durchschreiten, als ich plötzlich ein kleines Geräusch hinter mir vernahm. Da ich von Natur aus misstrauisch bin und es in einer solchen Umgebung sogar hochgradig werde, sauste ich wie von der Tarantel gestochen herum.

Doch leider zu spät.

Das harte Ding, das sich blitzschnell an meine Wirbelsäule presste, ließ mich sofort zur Vernunft kommen.

„Knarre weg, Calder! Sie machen einen Freundschaftsbesuch in meinem Haus“, zischte jemand hinter mir.

Ich kannte mich selbstverständlich sofort aus. Pino Calva hatte mit mir Verstecken gespielt. Er hatte seine beiden Witzfiguren und mich eintreten lassen und hatte sich dann von hinten unbemerkt an mich herangeschlichen.

Eddie und Ernie blieben in diesem für sie so schönen Moment nicht nur stehen, sie wandten sich auch erleichtert um und grinsten mich triumphierend an. Das Blatt hatte sich zu ihren Gunsten gewendet.

Wenn schon. Wenn es stimmte, dass Calva mich wie einen alten Freund empfangen wollte, hatte ich von ihnen nichts zu befürchten.

Wenn es stimmte!

Bei Calva wusste man allerdings immer erst viel später, ob es stimmte, was er sagte. Viele von denen, die ihm vertraut hatten, waren heute mausetot.

Ich vertraute ihm trotzdem. Eigentlich vertraute ich mehr seinem Revolver. Die Überredungskraft des schweigsamen Knallers wirkte ungemein auf mich. Ich ließ mir widerspruchslos die Waffe abnehmen. Hintergründig dachte ich, dass ich im Hosenbund ja noch die Artillerie von Eddie Harvey Stecken hatte.

Doch ich freute mich zu früh. Eddie holte sich sein Werkzeug mit einem süffisanten Grinsen wieder. Nun war ich „nackt“. Es war paradox. Ich war zwar noch vollständig angezogen, fühlte mich in Gesellschaft dieser Schwerverbrecher aber splitternackt. Ich fror sogar ein bisschen.

„Durchsucht ihn!“, befahl Pino Calva.

„Tun Sie das mit allen Leuten, die auf einen Freundschaftsbesuch bei Ihnen vorbeikommen?“, fragte ich über die Schulter nach hinten.

„Ich möchte vermeiden, dass Sie mir ein Messer in den Bauch jagen“, sagte Calva grinsend.

„Na, hören Sie mal, ich bin doch nicht Jack the Ripper!“

Seine Lakaien durchsuchten mich. Sie fanden kein Messer, aber die Passagierliste, die ich in meinem Jackett stecken hatte. Die Liste wanderte an meinen Augen vorbei und zu Calva nach hinten. Sie kam nicht wieder nach vorn. Ich hörte sie rascheln. Dann war sie nicht mehr da.

Als ich einen kleinen Stoß mit der Waffe bekam, begann ich zu gehen. Die Exkursion endete in Calvas Arbeitszimmer. Auf den hohen Regalen standen viele Bücher.

„Sieh mal einer an! Lesen können Sie auch!“, staunte ich. „Oder waren Sie bloß in der Buchhandlung, um drei Meter in Braun zu kaufen?“

Eddie und Ernie nahmen an der Wand Aufstellung. Neben den schönen Möbeln wirkten sie wie Mülleimerwühler.

Calva kam nun zum ersten Mal zum Vorschein. Er umkreiste mich wie der Explorer die Venus und blieb vor meiner Fassade mit ernstem Gesicht stehen.

„Setzen Sie sich, Calder!“, sagte er.

Ich blickte nach dem Stuhl, auf den er mit seiner Kanone gewiesen hatte, und pflanzte mich darauf.

Calva sah gut aus. Viel besser als auf den Fotos, die ab und zu in den Zeitungen erschienen, wenn man ihn mit irgendeinem Verbrechen in Zusammenhang brachte — was ihm natürlich niemals nachzuweisen war.

„Whisky?“

„Wenn kein Zyankali drin ist“, grinste ich und spielte damit erstmals auf Akim Kellys überraschendes Ableben an.

Calva ging zur getäfelten Wand. Er griff in eine Fuge. Gleich darauf schwang ein Quadrat nach oben weg, Licht flammte in dem dahinterliegenden Geviert auf und wurde von unzähligen Flaschen, Gläsern und Spiegeln funkelnd reflektiert.

Ich durfte mir die Marke aussuchen und verlangte einen Johnnie Walker.

Ich kann nicht sagen, ob er sich sympathiehalber auch einen Johnnie eingoss. Jedenfalls tranken wir beide dieselbe Marke. Eddie und Ernie gingen leer aus. Das gönnte ich ihnen.

Ich nippte an meinem Drink und beobachtete den Gangsterboss über den Rand meines Glases hinweg.

Seltsam. Wenn man ihn so vor sich stehen sah, machte er nicht im Mindesten den Eindruck eines gefährlichen, gewissenlosen Halunken, dem ein Menschenleben gar nichts bedeutete. Er wirkte wie ein biederer, cleverer Geschäftsmann, der sich gut zu kleiden verstand und der sich auch in höheren gesellschaftlichen Regionen zeigen konnte. Wenn man dann aber seine Freunde ansah ...

Zeige mir deine Freunde, und ich sage dir, wer du bist. Hier stimmte es. Die Freunde konnten über Calvas wahren Charakter nicht hinwegtäuschen. Er hätte gut daran getan, sie einmauern zu lassen, diese beiden Galgenstricke.

Calva nahm die Patronen aus dem Magazin meiner Waffe. Sie rasselten in die Außentasche seines eleganten Zweireihers. Die leere Waffe warf er mir mit einem versöhnlichen Lächeln in den Schoß. Damit konnte ich nun nicht mal einen Irren schrecken.

Calva schien tatsächlich nichts gegen mich persönlich zu haben. Er schob seine Knallfackel in das Holster und setzte sich auf die Kante seines klobigen Schreibtisches. Mit einem giftigen Blick auf Ernie und Eddie knurrte er vergrämt: „Ihr beiden Dienstmänner könnt gehen. Wir sprechen uns später noch.“

Die Gorillas blickten betreten. Sie wussten, dass Calva ihnen hinterher gehörig den Kopf waschen wollte.

„Ehrlich gesagt, ich habe mir eure Ankunft etwas attraktiver vorgestellt, ihr Hammel“, sagte Calva unversöhnlich.

„Du hast gesagt, wir sollen zart mit ihm umgehen, Boss“, sagte Ernie Walker zu seiner Rechtfertigung. „Das haben wir getan.“

„Ich habe aber nicht verlangt, dass ihr vor seiner Puste hier hereinspazieren sollt“, sagte Calva ärgerlich. „Was soll Mr. Calder sich denn von euch denken?“ Der Gangsterboss wandte sich mit einem Strahlemannlächeln an mich. „Ich hoffe, die beiden waren nicht grob zu Ihnen, Mr. Calder. Sie müssen wissen, das sind Kerle ohne Hirn. Die verstehen nur ihre Fäuste zu gebrauchen.“

„Und selbst das nicht besonders gut“, grinste ich, blinzelte dann zu den Gorillas hinüber und sagte: „Nicht wahr, Jungs?“

Eddie Harvey blähte die Nasenflügel zornig.

„Wir hätten dich fertiggemacht, darauf kannst du dich verlassen, Calder. Wir hätten Mus aus dir gemacht, wenn Calva nicht gesagt hätte, wir sollen dich wie einen Kinderpopo behandeln.“

„Es liegt mir viel an Ihrer Gesundheit, Calder“, bestätigte Pino Calva die Worte seiner Freunde. Er holte zwei Zigarren aus der Brusttasche und bot mir eine an.

Ich lehnte ab.

Er machte eine kleine Zeremonie aus dem Anzünden der Zigarre. Als sie endlich brannte, winkte er seinen beiden Gorillas zu und sagte: „Verschwindet endlich! Ich will mich mit diesem Gentleman unter vier Augen unterhalten.“

Die Fleischberge walzten nach draußen. Als die Tür hinter ihnen zuklappte, sagte ich: „Vielen Dank für die Einladung, Calva. Ich wollte immer schon mal für ein paar Minuten in Ihrer Nähe sein.“

Er sah mich durchdringend an. Ich trug aber mein unsichtbares Kettenhemd, und so kam er mit seinem Blick nicht sehr weit.

„Sie fürchten mich nicht, wie?“, fragte er, denn er kannte seinen Ruf und er wusste, dass an den Schauergeschichten, die man sich über ihn erzählte, eine ganze Menge dran war. Allgemein fürchtete man ihn. Deshalb hatte er mir diese Frage gestellt.

Ich sagte: „Doch, aber ich zittere innen. Man kann es nicht sehen.“ Er lachte und lutschte an seiner Zigarre. „Was verschafft mir den Ärger, hier sein zu müssen?“, erkundigte ich mich.

„Akim Kellys Tod“, gab Pino Calva wie aus der Pistole geschossen zurück.

„Ich komm’ von Staunemann und Söhne“, sagte ich.

„Ich habe erfahren, dass Sie diesen Mord klären wollen, Calder.“

„Kennen Sie den Mörder? Oder haben Sie’s getan?“

Pino Calva sah mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

„Sie wissen vermutlich ebensogut wie ich, dass es eine von den an Bord der DC3 befindlichen Personen gewesen sein muss, Calder.“

Jetzt wollte ich es endlich wissen. Diese Frage beschäftigte mich seit dem Augenblick, als die beiden Gorillas mir verraten hatten, dass Calva mich wegen Kellys Tod im Haus haben wollte. Nun ließ ich sie zum Mund heraus: „Warum interessiert Sie der Tod dieses Jazzmusikers so sehr, Calva?“

Der Gangsterboss erhob sich von seiner unbequemen Sitzgelegenheit. Er begann unruhig auf und ab zu gehen. Der Drink schaukelte in seinem Glas. Hinter seinem Kopf wehte eine dünne blaue Rauchfahne her.

Ich sah ihm bei seinem Aufmarsch nachdenklich zu. Meine Gedanken schwebten auf lautlosen Sohlen davon. Zwei Namen tauchten in meinem Bewusstsein auf: Akim Kelly und Mary Scott.

Das waren zwei Menschen, die einander noch nie im Leben gesehen hatten — ich glaube, das doch annehmen zu dürfen. Zwei Menschen, die nur eines gemeinsam hatten: den Brief des Erpressers. Einen Brief, der in Boston aufgegeben worden war. In Boston!

Meine Gedanken fanden wieder zu Calva zurück. Ich musterte ihn eindringlich. Hatte er etwa auch so einen Brief bekommen? Calva war kein armer Mann. Die im Erpresserbrief geforderten fünfzigtausend Dollar konnte er zweifellos aufbringen. Wurde auch er bedroht? Hatte er mich deshalb zu sich gebeten?

Er blieb abrupt vor mir stehen. Ich trank und sah dann zu ihm auf.

„Ich möchte Ihnen jetzt ein kleines Geheimnis verraten, Calder ...“

„Ihr Vertrauen ehrt mich mächtig.“

„Was Akim Kelly heute in den Augen der ganzen Welt ist, hat er durch mich erreicht.“

„Klingt ein bisschen überheblich, finden Sie nicht, Calva?“

„Na ja, vielleicht habe ich mich falsch ausgedrückt.“

„Der Meinung bin ich auch.“

„Akim Kelly war überdurchschnittlich begabt ...“

Ich nickte. „Sie sagen es.“

„Aber er wäre niemals so groß geworden, wie er gewesen ist, wenn er mich nicht gehabt hätte“, stellte Pino Calva energisch fest.

„Wie darf ich das verstehen?“, erkundigte ich mich, um keine falschen Schlüsse aufkommen zu lassen.

„Ich habe seine ersten öffentlichen Konzerte finanziert.“

„Richtig edel von Ihnen.“

„Ich habe die richtigen Leute in den Rundfunkanstalten bestochen.“

„Das trägt Ihre Marke!“, sagte ich.

„Sie wissen vielleicht nicht, wie’s in den Disk Jockey-Burgen zugeht, Calder.“

„Ich kann es mir vorstellen.“

„Wer gut schmiert, der läuft gut“, knurrte Pino Calva. „Platten von Leuten, die es sich leisten können, eine schöne runde Dollarsumme lockerzumachen, kriegen einen roten Punkt. Wissen Sie, was dieser Punkt bedeutet?“

„Dass diese Platte zu bevorzugen ist?“, fragte ich.

„Stimmt genau. Da die Plattenreiter nicht von morgens bis in die späte Nacht hinterm Mikrofon hocken, hat man sich auf dieses Zeichen geeinigt. Trägt eine Schallplatte diesen roten Punkt, dann wird sie nicht nur bis zum Geht’snimmer gespielt, sie kriegt auch stets eine gute Ansage verpasst, kapiert?“

„Kapiert“, nickte ich.

„Sie haben ja keine Ahnung, wie sich das Publikum manipulieren lässt.“

„Doch, die Ahnung hab’ ich“, entgegnete ich. „Sie haben also die richtigen Leute bestochen“, fasste ich zusammen.

Pino Calva paffte an seiner Zigarre und nickte.

„Wer sich nicht bestechen ließ, den haben meine Leute gefügig gemacht.“

„Ich muss ehrlich gestehen, Ihre Offenheit verblüfft mich, Calva.“

„Ich muss Ihnen die ganze Story erzählen, damit Sie durchsehen, Calder.“

„Was ist nun, wenn ich Ihnen einen Strick daraus drehe?“

Er lachte mich aus.

„Da bin ich ganz unbesorgt. Sie haben ja nicht den geringsten Beweis.“

„Der ließe sich allemal auftreiben.“

„Würde Ihnen viel zu viel Mühe machen. Und was käme dabei heraus? Nichts. Oder so gut wie fast nichts. Für Nichts macht sich ein Mann wie Biff Calder nicht die Pfoten bis zum Ellenbogen hinauf dreckig.“

„Getroffen!“, pflichtete ich ihm bei.

Calva wies mit der Zigarrenglut auf seine breite Brust.

„Ich, Calder, ich habe aus Akim Kelly den Star gemacht, als den ihn alle Welt kannte. Ohne dass die Öffentlichkeit davon Wind bekommen hätte. Es wissen nur ganz wenige über die wahren Hintergründe Bescheid, und die haben allen Grund, das Maul zu halten. Ich habe mich im Hintergrund gehalten, weil Kelly mein Ruf mehr geschadet als genützt hätte.“

„Das leuchtet mir sehr gut ein“, sagte ich ehrlich.

Calva begann wieder zu marschieren. Ich ließ ihm ein wenig Zeit. Er hatte sich während seiner Ausführungen einigermaßen erhitzt. Es war zu befürchten, dass die Zigarre am anderen Ende ebenfalls zu glühen anfing.

Warum war er so aufgeregt? Weil man ihm die Möglichkeit genommen hatte, mit Akim Kelly viel Geld zu verdienen?

Ich fragte: „Sie haben das alles für Kelly doch nicht aus reiner Nächstenliebe getan, Calva? Das würde nicht zu Ihnen passen. Verzeihen Sie den harten Ausdruck, aber man kennt Sie in meinen Kreisen in erster Linie als Schweinekerl.“

„Vertrauen gegen Vertrauen.“ Er grinste mich wie eine Kobra an, die kurz vor dem Zubeißen ist. „Ich scheiße auf Ihre Kreise.“

„Sehr gewählt ausgedrückt“, nickte ich.

„Um aber auf den Kern Ihrer Frage zu kommen ... Es ist so, wie Sie vermuten, Calder.“

„Das mit dem Schweinekerl?“

„Ich habe immer gewusst, dass Sie ein schwieriger Patron sind, Calder. Dass Sie aber so schwierig sein würden, konnte ich mir nicht vorstellen.“

„Das geht über Ihr Fassungsvermögen, wie?“, grinste ich ihn keck an.

„Sie machen’s einem nicht leicht, freundlich zu bleiben, Calder.“

„Sie dürfen nicht vergessen, dass Sie mir zwei Schläger geschickt haben, die mich vermöbeln wollten. Außerdem sind Sie ein allseits bekannter Schurke. Ich habe also keinen Grund, Höflichkeitsphrasen zu dreschen, mein Bester.“

Er blieb wieder vor mir stehen. Die Zigarre schmeckte ihm nicht mehr. Der Whisky auch nicht. Deshalb nahm er die Zigarre aus dem Mund und steckte sie mit der Glut voran in den Whisky. Es zischte.

„Passen Sie auf, Calder“, knurrte er ernst. „Ich gebe jetzt ein sorgsam gehütetes Geheimnis preis ...“

„Ich fühle mich gebauchpinselt.“

„Es interessiert mich nicht, was Sie sich fühlen!“, schrie er mich an. „Ich möchte lediglich, dass Sie mir stumm wie ein Fisch zu hören!“ Er wandte sich um, ging zum Schreibtisch und setzte sich wieder auf die unbequeme Kante. Dann rückte er mit seinem Geheimnis heraus, und ich muss gestehen, es warf mich aus den Pantinen. „Akim Kelly war mein Halbbruder!“

Ich hörte es dreizehn schlagen. - Oder war es fünfzehn?

Calva begann mit einer Trauerrede: „Ich habe ihn geliebt. Er verkörperte alles das, was ich gerne sein wollte. Deshalb half ich ihm, wo ich nur konnte. Ich sah ihn wachsen, sah ihn groß werden und bildete mir ein, er und ich — wir beide — wären ein und dieselbe Person. Ich genoss seine Erfolge wie er selbst. Ich freute mich mit ihm. Der Glanz, den er ausstrahlte, wärmte mein Herz.“

Ich war erstaunt, bei einem Verbrecher wie Pino Calva solche Gefühle zu entdecken.

Calvas Miene versteinerte. Sein Mund wurde grausam. Er funkelte mich aus blutunterlaufenen Augen an.

„Da kommt irgendwo ein verdammtes Schwein daher und bringt Akim um ... Ich will wissen, weshalb, Calder! Wissen Sie’s?“

Ich erzählte ihm von dem Erpresserbrief, den ich bei Kelly gefunden hatte. Ich sagte ihm auch, dass Mary Scott einen solchen Brief bekommen hatte, und ich machte ihn mit meiner Vermutung bekannt, dass diese beiden Briefe nicht die einzigen bleiben würden, die an die Oberfläche kamen.

Ich musste ihm den genauen Wortlaut der beiden Erpresserbriefe aufsagen. Er schüttelte unwillig den Kopf.

„Akim musste also sterben, weil er sich an Sie um Hilfe gewandt hatte.“

„Scheint so“, nickte ich.

Calva sah mich ärgerlich an.

„Er hätte sich nicht an Sie wenden dürfen, Calder.“

„Sondern?“

„Er hätte zu mir kommen müssen. Ich hätte ihm helfen können.“

„Sind Sie dessen so sicher?“, fragte ich skeptisch.

„Ich hätte die Sache nach meiner bewährten Methode erledigt“, schnarrte Pino Calva zuversichtlich. „Sie können versichert sein, dass Akim noch leben würde, wenn er zu mir gekommen wäre."

„Sie machen doch nicht etwa mich verantwortlich?“

Pino Calva schüttelte einlenkend den Kopf.

„Natürlich nicht. Sie können nichts dafür, Calder. Ich bin nicht blöd. Ich weiß, dass Sie ihn beschützt hätten, wenn Sie’s gekonnt hätten.“

Es war kaum zu glauben. Pino Calva ritt auf der freundlichen Welle, obwohl er mit einem Privatdetektiv redete. Das hätte es unter normalen Umständen niemals gegeben.

„Es hat Jahre gedauert, bis Akim dort oben war, wo ich ihn haben wollte“, fauchte Calva aufgebracht.

Ich konnte seine Wut gut verstehen. Es war die Wut über die Ohnmacht, mit der er diesem Fall gegenüberstand. Er wollte den Mörder seines Halbbruders haben, wollte ihn zur Rechenschaft ziehen, hatte aber nicht die leiseste Ahnung, wie er das heiße Eisen anfassen sollte.

„Mit einem einzigen Schlag ist das alles vorbei“, sagte Calva zähneknirschend. „Die viele Arbeit, der viele Ärger, die harten Kämpfe, die unzähligen Auseinandersetzungen, die es gegeben hatte, um Akim hinaufzuboxen ... Alles ist umsonst geschehen. Für nichts. Für gar nichts, verstehen Sie?“

Ich verstand.

Sein Zähneknirschen wurde immer lauter. Nun hörte es sich schon an, wie wenn eine Straßenwalze über einen Schotterhaufen rollt. Er ballte die Fäuste. „Wenn ich den erwische, der das getan hat, drehe ich ihn durch den Wolf.“

Ich fragte staunend: „Sie haben doch nicht etwa vor, den Mörder zu suchen, Calva?“

Wenn der Mörder ihn lachen gehört hätte, hätte er sich freiwillig der Polizei gestellt, denn dort wäre er besser aufgehoben gewesen als in Pino Calvas Händen.

„Was dachten Sie denn, Calder?“

„Soll ich sagen, was ich denke?“

„Warum nicht?“

„Ja. Warum eigentlich nicht? Ich denke, es wäre besser, Sie würden jene Leute nach dem Mörder suchen lassen, die eine behördliche Konzession dafür besitzen.“

Calva winkte desinteressiert ab.

„Ich bin kein Prophet, Calder, aber ich kann Ihnen eines versichern: Ich finde den Mörder meines Bruders früher als Sie oder die Bullen.“

„Wieso?“

„Einfach deshalb, weil ich die besseren, wirksameren Methoden habe.“

„Auf, auf zum fröhlichen Jagen und so, he?“

„Verraten Sie mir mal, was Sie bisher getan haben?“, fragte der Gangsterboss schneidend.

Ich zuckte die Achseln.

„Man kommt ja zu nichts. Ich wollte zu Mary Scott reiten. Da sind mir Ihre beiden Traummännlein dazwischengekommen.“

Ich sah ihn nachdenklich an. Sein Gesicht gefiel mir gar nicht. Nicht, dass ich Angst um meine Sicherheit haben musste. Das war es nicht. Sein feindseliger Blick war nicht gegen mich gerichtet. Mir wollte er nichts anhaben, denn, so seltsam es klingen mag, wir würden am selben Strick ziehen, wenn wir zogen!

Ich fürchtete vielmehr die Methoden, die er angekündigt hatte. Meiner Meinung nach würden viele unschuldige Personen zum Handkuss kommen. Ich überlegte, welche Möglichkeiten Pino Calva hatte. Im Grunde hatte er doch keine anderen wie ich. Er war wie ich der Auffassung, dass sich der Mörder seines Halbbruders an Bord des Sexfliegers befunden hatte.

Er hatte mir die Passagierliste abgenommen. Was hieß das in der Folge? Er wollte genauso vorgehen, wie ich es vorgehabt hatte. Nur brutaler. Rücksichtsloser.

Um ganz sicherzugehen, dass es so war, wie ich es mir vorstellte, fragte ich ihn, was er vorhatte.

Ich bekam prompt die Bestätigung. Er holte meine Passagierliste hervor, die jetzt die seine war, und fächerte sich damit Luft zu.

„Ich werde an Hand dieser Liste vorgehen“, sagte Calva trocken. Es staubte förmlich aus seinem Mund. „Ich werde all die Leute mit meinen Freunden besuchen und werde die Spreu vom Weizen trennen.“

Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie er das machen wollte. Seine Freunde hatten die richtigen Dreschflegel für so etwas. Damit das Unkraut nicht in den Himmel schoss, warnte ich ihn knurrend: „Seien Sie vorsichtig, Calva! Wenn mir Klagen von diesen Leuten zu Ohren kommen, sorge ich dafür, dass man Sie einlocht.“

„Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Calder!“, biss er mich an. Mit seiner anfänglichen Freundlichkeit war es schon fast vorbei. „Sehen Sie lieber zu, dass Sie den Mörder vor mir zu fassen kriegen, sonst kann er sich auf ein schreckliches Drama gefasst machen.“

Mehr hatte er mir nicht zu sagen. Ich durfte gehen.

Wie ich zu meinem Mustang zurückkam, war ihm ziemlich schnuppe.

Zum Glück fand ich bald ein Taxi.

Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015

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