Читать книгу Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015 - A. F. Morland - Страница 8

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Reich sein ist im Leben nicht alles, das wusste Susan Tucker spätestens in dem Augenblick, als Mary Scott in unser gemeinsames Arbeitszimmer trat. Susan schätzte die dollarschwere Immobilienmaklerin irgendwo zwischen sechzig und achtzig.

Die alte Frau war aufgeputzt wie ein Pfau. Alles an ihr glitzerte und glänzte. Sie trug so viel Gold am Hals, an den Armen und an den Fingern, dass sie gut und gern zwanzig Pfund mehr als das normale Lebendgewicht auf die Waage brachte.

Mrs. Mary Scott hatte eine Blauspülung auf dem weißen Haar, das die Festigkeit von Rosshaar erreichte und sich bestens zur Füllung eines alten Sofas geeignet hätte.

Mrs. Mary Scott kam nicht allein. Sie brachte ihren livrierten Chauffeur mit. Er war zwanzig bis dreißig Jahre jünger als Madam, um dies präzisieren zu können, hätte man wissen müssen, wie alt die Dame wirklich war. Mary Scott machte ständig das gleiche Gesicht. Sie war ein gebürtiger Griesgram. Durch und durch.

„Fräulein!“, sagte die aufgedonnerte Ziege durch die dünne Nase. „Melden Sie mich bei Mr. Calder an!“

Kein Bitte war ihrem schmalen zänkischen Mund entschlüpft. Eine Mrs. Mary Scott brauchte nicht zu bitten. Eine Mrs. Mary Scott brauchte nur zu befehlen. Dachte sie.

Da kam sie bei Susan allerdings genau an die richtige Adresse, um zu erfahren, dass sie sich in diesem Punkt gewaltig irrte.

Susan trug ein superkurzes opalblaues Kleid mit Spaghettiträgern. Der Ausschnitt war raffiniert und schien dem eingeschüchterten Chauffeur der alten Dame recht gut zu gefallen.

„Worum handelt es sich?“, fragte Susan und schlug ihre schönen, schlanken Beine übereinander. Die Nylons knirschten, und der Chauffeur bekam zum ersten Mal in seinem Leben Augen am Stiel.

Normalerweise hätte Mrs. Scott ja gar nicht bis zu Susan vordringen können, denn es war Julia Hicksons und Charles Lenoires Aufgabe, die Besucher abzufangen, zu testen und erst bei Eignung an ihre übergeordnete Stelle weiterzuleiten. Julia und Charles waren aber zur Zeit hinter einem entlaufenen Millionärstöchterchen her, und so hielt Susan die Stellung allein.

„Ich sage Mr. Calder persönlich, worum es sich handelt“, fauchte die Alte und knirschte mit ihren falschen Zähnen. „Gehen Sie endlich, und melden Sie mich an!“

Mrs. Scott setzte sich unaufgefordert. Der Chauffeur blieb schüchtern — mit der Mütze in der Hand — an der Tür stehen. Er machte keinen besonders gesunden Eindruck. Sein Gesicht war zerfurcht wie ein frisch gepflügter Acker. Doch gegen die Runzeln der Alten verlor er jeden Vergleich.

„Bedaure, Mr. Calder ist im Moment nicht da“, sagte Susan ablehnend.

„Das ist doch ...“

„Im Übrigen möchte ich Sie auf einen Irrtum aufmerksam machen: Ich bin nicht Mr. Calders Sekretärin, sondern seine Partnerin. Wenn Sie also ein Problemchen haben, können Sie’s auch mir anvertrauen.“

Die Alte maß Susan mit ihren glitzernden Augen geringschätzig.

„Sie sind seine Partnerin?“

„Etwas dagegen?“

„Ich habe mir sagen lassen, dass die Detektei Calder so erfolgreich ist.“

„Sie können uns gern auf die Probe stellen.“

Wieder schoss die Alte diesen geringschätzigen Blick auf Susan ab. Susan hätte Lust gehabt, die unleidliche Person aus dem Fenster zu werfen.

„Ich kann mir schlecht vorstellen, dass mir halbe Kinder helfen können, kleines Fräulein.“

„Sie können gern wieder gehen“, lächelte Susan die aufsässige Alte giftig an. „Dort ist die Tür. Vergessen Sie aber Ihren Chauffeur nicht! Wir haben nämlich keine Verwendung für ihn.“

Der livrierte Hampelmann schien das ehrlich zu bedauern. Die Alte blies sich wütend auf. „Werden Sie ja nicht frech, meine Liebe! Ich könnte Ihre Mutter sein.“

„Das wohl kaum“, lachte Susan Tucker. „Sie könnten höchstens meine Großmutter sein, und selbst das nicht. Meine Großmutter war nämlich eine herzensgute, liebenswerte Frau ...“

Die Alte begann vor Zorn zu zittern.

„Was fällt Ihnen ein, mich so zu beleidigen?“

„Ich habe nicht den ersten Stein geworfen. Das waren Sie!“

„Eine Unverschämtheit ...“

„Wollen Sie mir nun endlich sagen, weshalb Sie hierhergekommen sind, oder haben Sie’s lieber, wenn ich rate?“

Der Chauffeur grinste von einem Ohr zum anderen. Er gönnte seiner Chefin diesen Kampf. So hatte es ihr noch keiner gegeben. Jeder hatte bisher Angst vor ihrem Reichtum gehabt. Dieses quirlige Mädchen imponierte ihm. Sie war mutig und machte sich nichts aus dem Geld der Alten.

Als Mary Scott den Chauffeur so schadenfroh grinsen sah, kreischte sie ihn mit der Lautstärke einer Kreissäge an.

„Was gibt es da zu grinsen, James?“

James erschrak. Das Grinsen fiel aus seinem Gesicht.

„Nichts, Madam“, beeilte er sich zu betonen. „Gar nichts.“

Mary Scott schoss wieder einen ihrer bösen Blicke auf Susan ab.

„Sagen Sie, fühlen Sie sich denn in einem solchen kurzen Ding wohl?“ fragte die Alte und wies auf Susans Kleid. „Man kann ja fast alles sehen!"

„Sie brauchen ja nicht hinzusehen“, erwiderte Susan schnippisch.

„Zu meiner Zeit hätte man Sie gesteinigt, wenn Sie mit einem solchen Kleid auf die Straße gegangen wären.“

„Zu Ihrer Zeit hat man noch mit Pfeil und Bogen geschossen und ist noch nicht auf den Mond geflogen. Heute tut man’s. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass es Ihrem Chauffeur gefällt, wenn er es auch in Ihrer Gegenwart nicht zugeben darf.“

Mary Scott fuhr herum und blickte nach ihrem Leibeigenen. Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Er hatte viel damit zu tun, ihn ohne gesundheitlichen Schaden zu verkraften.

„Kommen wir zur Sache“, sagte Mary Scott endlich. Sie holte eine Puderdose aus der Handtasche und beschmierte sich das Gesicht so lange, bis sie aussah, als wäre sie in ein Mehlfass gefallen. „Wann kommt Mr. Calder?“, fragte sie, nachdem sie mit der Verunzierung fertig war.

„Heute noch“, erwiderte Susan.

„Geht’s nicht präziser?“, fragte Mrs. Scott unzufrieden.

„Wenn es ginge, hätte ich’s gesagt.“

Mary Scott wandte sich halb um und streckte den Arm nach dem Chauffeur aus.

„James!“

„Ja, Madam!“

„Den Brief, James.“

„Sehr wohl, Madam.“ James klemmte die Mütze unter den Arm, knöpfte flink seine Uniform auf und holte einen Briefumschlag hervor. Er gab ihn der ungeduldig wartenden Alten.

„Bisschen mehr hätten Sie sich jedenfalls beeilen können, James“, fauchte die Giftspritze undankbar.

Susan hatte absolut nichts gegen alte Leute. Aber dieser Ausbund an Hässlichkeit und Bosheit war ihr fast zu viel.

Die Alte warf den Brief auf Susans Schreibtisch.

„Das war heute Morgen bei der Morgenpost.“

„Am Morgen wird es kaum die Abendpost gewesen sein“, gab Susan Tucker ätzend zurück.

Mary Scott sog pfeifend die Luft durch die Nasenlöcher ein, während sie Susan mit ihrem Blick zu durchbohren versuchte. Doch Susan trug einen wirkungsvollen Panzer. Die Schrumpflady konnte ihr nicht das Geringste anhaben.

„Es ist gar nicht so schön, wenn Sie so vorlaut sind, meine Liebe“, biss Mrs. Scott beleidigt.

Ein Blick zum Chauffeur genügte Susan, um zu wissen, dass sie James ganz auf ihrer Seite hatte.

Susan öffnete den Briefumschlag, nahm ein zusammengefaltetes Papier heraus und entfaltete es.

Auf dem Kuvert hatte sie den Poststempel gelesen. Der Brief war in Boston aufgegeben worden.

Nun weiteten sich erstaunt ihre Augen. Die wenigen Worte waren weder mit der Hand geschrieben, noch waren sie auf der Schreibmaschine getippt. Sie waren nicht gedruckt, und die Buchstaben waren auch nicht aus einer Zeitung ausgeschnitten und nebeneinander geklebt worden.

Die wenigen Worte waren gestempelt. Die Person, die die Nachricht an Mrs. Mary Scott verfasst hatte, hatte sich einen Stempelsetzkasten gekauft und hatte den Text daraus zusammengesetzt.

Susan las:

Zahl oder stirb! Fünfzigtausend Dollar bereithalten. Keine Polizei. Keine Detektive. Nächste Nachricht abwarten.

Susan las dieses gestempelte Telegramm noch einmal. Als sie das Blatt erstaunt sinken ließ, sagte Mrs. Scott: „Natürlich bin ich der festen Meinung, dass mir ein Verrückter diesen Brief geschickt hat. Aber die Sache beunruhigt mich doch ein wenig. Ich will ehrlich sein. Ich habe sogar Angst. Man liest von so vielen Verbrechen in den Zeitungen, dass einem ein solcher Brief einen gehörigen Schrecken einzujagen vermag.“

Susan gab der Alten in diesem Punkt recht. Natürlich konnte sich ein Verrückter diesen schlechten Scherz mit der alten Frau gemacht haben. Andererseits war Mary Scott eine steinreiche Frau. Sie war also für eine Erpressung bestens geeignet.

„Ich bin selbstverständlich nicht bereit, für nichts und wieder nichts fünfzigtausend Dollar aus dem Fenster zu werfen“, sagte Mary Scott, und ihrer entschlossenen Miene war es anzumerken, dass sie um ihr Geld kämpfen wollte, dass sie nicht die Absicht hatte, sich davon zu trennen. Auch in diesem Punkt hatte sie Susans vollstes Verständnis. „Wo kämen wir denn da hin, wenn das jeder tun würde“, sagte Mary Scott trotzig. Sie holte eine Packung Chesterfield aus ihrer Handtasche und begann zu rauchen.

Die Zigarette zitterte zwischen ihren dünnen Fingern, deren stumpfe Nägel mit dem eben erst in Mode gekommenen schwarzen Nagellack verhässlicht worden waren.

Susan machte die unsympathische Alte mit den Sätzen der Detektei Calder vertraut. Mary Scott rümpfte die Nase und schnippte die Asche ihrer Zigarette auf den Boden, obwohl ihr Susan einen Aschenbecher hingeschoben hatte.

„Billig seid ihr gerade nicht“, keifte die unleidliche Alte ärgerlich.

„Ich gebe zu, zwanzig Pfund Tomaten sind billiger“, gab Susan ungerührt zurück.

Mary Scott überlegte eine Weile. Dann dämpfte sie die Chesterfield im Aschenbecher ab, nahm Taschenspiegel und Lippenstift und zog die bleistiftstrichdünnen Lippen mit der Sorgfalt eines Grafikers nach, der an einer Reinzeichnung arbeitet. Hinterher sagte sie herablassend: „Na, meinetwegen. Ich sehe ein, dass auch Sie leben müssen.“

„Mr. Calder wird sich über Ihre Einstellung mächtig freuen“, höhnte Susan.

„Mr. Calder soll sofort zu mir kommen, wenn er hier eintrifft!“

„Es wird ihm ein Vergnügen sein“, sagte Susan honigsüß zu der runzeligen Alten.

„Notieren Sie meine Adresse!“

Susan nahm einen Kugelschreiber zur Hand. Dann legte sie ihn wieder weg, nahm das Kuvert auf und winkte der Alten damit.

„Sie wohnen Lake Shore Drive 1975, nicht wahr?“

„Allerdings.“

„Es steht auf dem Kuvert.“

„Ach ja, natürlich.“

Die Alte packte ihre Siebensachen und erhob sich. Ihr Gold klimperte wie Glocken auf dem Jahrmarkt. Dazu rasselten Perlenketten, während Diamanten in aller Stille vor sich hin funkelten.

Mary Scott stelzte auf ihren dünnen Beinen zur Tür. Sie ärgerte sich mächtig darüber, dass James sich nicht von Susans attraktiven Beinen lösen konnte. Sie zischte ihm irgendetwas Wütendes zu, das Susan Tucker nicht verstehen konnte. Der livrierte Clown verlor sofort den Rest seiner ungesunden Gesichtsfarbe und verließ mit dem Drachen eilig das Büro.

Mörder-Paket Juli 2020: 10 Krimis für den Strand: Sammelband 9015

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