Читать книгу Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane - A. F. Morland - Страница 13
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Claus Praetorius kam am Freitag zu Mittig nach Hause. Petra hatte inzwischen gepackt, so dass sie sofort, nachdem Claus sich umgezogen hatte, losfahren konnten. Der Tag war strahlend schön, und die Wettervorhersage hörte sich großartig an: Für die nächsten drei, vier Tage war mit keiner gravierenden Wetterveränderung zu rechnen.
In den Bergen konnte es zu vereinzelter Quellwolkenbildung kommen, aber das war nicht weiter schlimm. Petra freute sich sehr auf das Wochenende mit ihrem Mann.
Sie kamen ohne nennenswerten Aufenthalt über die Grenze, und wenig später fuhr ihr Wagen eine ausgewaschene Bergstraße hoch.
Auf einer kleinen Alm mit saftigem Gras und fernem Kuhglockengebimmel stand die kleine Holzhütte.
„Von außen wirkt sie sehr unscheinbar“, meinte Claus, „aber drinnen soll sie unheimlich gemütlich sein.“
Petra sah sich begeistert um. „Wunderschön ist es hier.“
„Wir können die Hütte benutzen, so oft wir wollen. Sie steht fast das ganze Jahr leer.“ Claus hielt den Wagen an und stieg aus.
Sie hatten unterwegs reichlich Proviant eingekauft, er befand sich im Kofferraum. Claus klappte den Deckel hoch, während Petra den Wagen verließ und die würzige Luft tief einatmete. Irgendwo plätscherte eine Quelle, und das leise Summen von Insekten war zu hören. Hinter der Hütte ragte eine kahle graue Felswand auf, rissig und zerklüftet.
„Hier ist die Natur noch in Ordnung“, meinte Petra fasziniert.
„Hilfst du mir mit den Lebensmitteln, Liebes?“
„Natürlich.“
Sie trugen den Proviant in die Hütte. Petra wunderte sich, dass alles so sauber war.
„Einmal in der Woche kommt eine Bäuerin hier rauf und hält alles in Schuss“, erklärte Claus.
Es gab eine urgemütliche Wohnküche, drei Schlafzimmer sowie Nebenräume. Alles war geschmackvoll eingerichtet, dicke Teppiche lagen auf dem Holzboden, und vor den Fenstern hingen hübsche Vorhänge mit rustikalen Seitenteilen. Radio, Fernsehapparat, Telefon – es war alles da. Man war hier zwar allein, aber nicht völlig von der Welt abgeschnitten.
„Wir sollten wirklich öfter hierherkommen“, sagte Petra begeistert.
„Kein Problem.“
„Wieso benutzt der Besitzer die Hütte so selten?“, wollte Petra wissen.
„Er ist nicht mehr der Jüngste und hat erst vor Kurzem seine Frau verloren. Zuviel Schönes erinnert ihn hier an sie. Der Schmerz sitzt noch zu tief. Er muss erst darüber hinwegkommen.“
„Wenn er die Hütte verkaufen mochte, sollten wir ...“
Claus schüttelte den Kopf. „Er will nicht verkaufen. Er hat die Hütte vor zwanzig Jahren seiner Frau geschenkt und wird sie nun, nach ihrem Tod, als liebes Andenken an sie behalten.“
Sie legten ihren Proviant in den Kühlturm und unternahmen vor dem Abendessen eine kleine Wanderung.
„Gottes Welt ist so wunderschön“, sagte Petra beeindruckt, „und was macht der Mensch aus ihr? Er tritt diese Schönheit blind mit Füßen.“ Ihr Blick verdüsterte sich. „Der Treibhauseffekt wird die Welttemperatur um zwei bis drei Grad ansteigen lassen. Das bedeutet, dass wir in München bald Temperaturen haben werden, wie sie früher in Italien geherrscht haben. Bis zum Jahr zweitausenddreißig werden hier auf dieser Alm Bäume wachsen, denn die Baumgrenze wird sich um zwei- bis dreihundert Meter nach oben verschieben, aber was wird dann aus den Pflanzen, die heute noch oberhalb der Baumgrenze wachsen? Sie werden, da sie nicht nach oben ausweichen können, aussterben.“
Claus blieb stehen und küsste Petras gefurchte Stirn. „Keine so düsteren Gedanken, Liebling.“
„Ich muss traurig sein, wenn ich an die Zukunft unserer Welt denke.“
„Der Mensch ist ein intelligentes Wesen“, bemerkte Claus.
„Wenn man sieht, wie er mit seiner Umwelt umgeht, muss man das stark bezweifeln.“
„Er wird seine Welt wieder in Ordnung bringen, davon bin ich überzeugt“, sagte Claus bestimmt.
„Und was passiert, wenn er es nicht schafft?“
„Er wird es schaffen, verlass dich drauf!“
Peter blieb betrübt. „Was erwartet unsere Kinder und Kindeskinder, Claus?“
„Mit Sicherheit eine noch viel schönere Welt und ein noch angenehmeres Leben“, erwiderte Claus lächelnd. „Kehren wir um, ich kriege langsam Hunger.“
In der Hütte tranken sie zum deftigen Abendessen spritzigen Weißwein und hinterher zur Unterstützung der Verdauung zwei Obstler, weil man bekanntlich auf einem Bein nicht so gut steht. Danach hatten sie die richtige Bettschwere und zogen sich ins Schlafzimmer zurück. Sie liebten sich leidenschaftlich, doch Claus vergaß trotz des verzehrenden Feuers, das in ihm tobte, nicht, sich zu schützen.
Obwohl es in Claus’ Armen wunderschön und erfüllend für Petra gewesen war, weinte sie hinterher leise. Ihr Mann bekam es zunächst gar nicht mit.
Doch plötzlich fragte er unsicher in die Dunkelheit: „Weinst du, Liebes?“
Petra sagte nichts. Er hörte, wie sie sich die Nase putzte.
„Liebling, was hast du denn?“, fragte Claus völlig verwirrt. „Ich dachte, ich hätte dich glücklich gemacht.“
„Ach, Claus, ich liebe dich so sehr.“
Er lachte leise. „Das ist doch kein Grund, zu weinen.“
„Ich liebe dich und bin trotzdem unglücklich.“
Er streichelte sie sanft. Ihre Schultern zuckten. Claus zog sie in seine Arme. „Komm her“, flüsterte er. „Nicht weinen. Es ist doch so wunderschön hier oben.“
„Wenn du mit mir schläfst, schützt du dich, als wärst du mit einer fremden Frau zusammen ...“
Er küsste ihre heißen Lippen. „Du weißt doch, warum.“
„Als hättest du Angst, dich bei mir zu infizieren“, fügte sie hinzu.
„Das ist doch Unsinn, Petra. Ich weiß, dass du nicht krank bist, und dass ich mich blind auf dich verlassen kann.“
„Warum verwendest du dann dieses ... Ding?“
Wieder küsste er sie. „Wir dürfen nichts riskieren, Liebling. Du nimmst zwar die Pille, aber du könntest mal darauf vergessen, und ich habe deinem Vater versprochen ...“
Ihr Körper versteifte sich. „Wie weit darf sich mein Vater in unser Eheleben einmischen?“
„Es geschieht zu deinem Besten.“
„Ich bin eine gesunde Frau“, behauptete Petra leidenschaftlich.
„Mag sein, dass du dich gesund fühlst, Liebes, aber eine Schwangerschaft ist eine Belastung, der ich dich nicht aussetzen darf.“
„Weil mein Vater es dir verboten hat. Ist das nicht lächerlich? Du bist mit mir verheiratet, aber mein Vater verbietet dir, im Ehebett einen eigenen Willen zu haben. Wie weit willst du diesen idiotischen Gehorsam eigentlich noch treiben? Mein Vater ist mein Vater, und ich liebe ihn sehr, aber wir dürfen ihm nicht gestatten, unsere intimsten Angelegenheiten selbstherrlich mitzubestimmen. Wir müssen eine Grenze ziehen, Claus, und die muss auf jeden Fall vor unserer Schlafzimmertür liegen. Ich ertrage die Einmischung meines Vaters einfach nicht mehr.“
„Er will dir doch nichts Böses“, verteidigte Claus seinen Schwiegervater.
„Er bestimmt über mein Leben, als wäre ich noch ein Kind, aber ich bin kein Kind mehr. Ich bin eine erwachsene Frau. Ich habe von diesem Leben meine eigenen Vorstellungen, habe Wünsche und gewisse Erwartungen ...“
Claus sagte sanft und eindringlich: „Bitte, Petra, müssen wir jetzt darüber reden?“
„Wann denn sonst? Zu Hause sind wir ja so gut wie nie allein. Warum ziehen wir nicht in ein eigenes Haus?“
„Aber Kind, das Haus deines Vaters ist doch riesengroß.“
„Aber es ist das Haus meines Vaters, wird es immer bleiben“, sagte Petra.
„Wir haben darin doch alle Freiheiten. Wir können Freunde einladen, wann immer wir wollen, können die ausgelassensten Partys feiern – dein Vater wird nie ein Wort dagegen sagen. Er ist ein guter Mensch, dem nichts so sehr am Herzen liegt als unser Wohl. Ich sehe keinen Grund, ihn allein zu lassen. Er behandelt mich wie einen Sohn. Ich verstehe mich mit ihm privat und beruflich blendend, achte und liebe ihn.“
„Und was ist mit mir?“, fragte Petra mit weinerlicher Stimme.
„Warum bist du nur so unzufrieden, Schatz? Du hast doch alles.“
„Wie kannst du das behaupten? Was habe ich denn schon? O ja, ich habe eine Menge Schmuck und teure Kleider, einen eigenen Wagen ...“
„Und einen Ehemann, der dich sehr, sehr lieb hat“, fiel ihr Claus ins Wort.
„Aber doch nicht so sehr, um den Mut aufzubringen, sich dem Willen meines Vaters zu widersetzen“, sagte Petra frostig.
„Liebling, es sollte auch dir zu denken geben, dass deine Urgroßmutter, deine Großmutter und deine Mutter bei der Geburt ihres ersten Kindes gestorben sind. Kannst du denn nicht verstehen, dass dein Vater deshalb meint, berechtigt Angst um dich haben zu müssen? Ich gebe zu, er hat mich mit dieser Angst angesteckt. Er möchte dich nicht verlieren, Und ich möchte das auch nicht. Ich bin so glücklich mit dir ...“
„Wir könnten noch viel glücklicher sein, wenn wir eine richtige Familie wären – mit einem oder zwei eigenen Kindern. Ich möchte ein Baby von dir, Claus, möchte es in meinem Bauch wachsen spüren und es nach neun Monaten zur Welt bringen.“
Er seufzte schwer. „Ich hätte ja auch wahnsinnig gern ein Kind mit dir, Petra, aber – nein, es darf nicht sein. Wir müssen vernünftig bleiben, dürfen nichts riskieren.“
„Dr. Kayser sagt, dass ich mit keinen Komplikationen rechnen muss, wenn ich schwanger werde. Ich bin jung, bin im richtigen Alter, um Mutter zu werden, und mit mir ist alles in bester Ordnung. Ich bin geradezu dafür geschaffen, ein Baby zu empfangen und auszutragen. Wie oft muss ich dir das noch sagen? Warum glaubst du mir nicht?“
„Wir dürfen nicht mit einem Schulterzucken abtun, was dein Vater gegen eine Schwangerschaft vorzubringen hat, Petra. Er hat dadurch immerhin seine geliebte Frau, deine Mutter, verloren. Du weißt, wie sehr er darunter gelitten hat. Er hat es dir schon oft erzählt.“
Petra rückte von ihrem Mann ab. „Wenn du es von mir Schwarz auf Weiß bekommst, dass auf medizinischer Seite gegen eine Mutterschaft meinerseits keinerlei Bedanken bestehen – werden wir dann ein Kind miteinander haben, Claus?“
„Willst du Dr. Kayser um ein ärztliches Attest bitten?“, fragte Claus Praetorius.
„Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Ich lasse mich von ihm in die Seeberg-Klinik einweisen, damit man mich da auf Herz und Nieren untersucht, und wenn ich es dann schriftlich habe, dass eine Mutterschaft für mich absolut ungefährlich ist, möchte ich, dass du mir endlich meinen größten und sehnlichsten Wunsch erfüllst.“