Читать книгу Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane - A. F. Morland - Страница 17
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Es war später Nachmittag, als Marie-Luise Flanitzers Mann nach Hause kam. Wie ein geprügelter Hund schlich er zur Tür herein, das personifizierte schlechte Gewissen.
Marie-Luise sagte kein Wort. Sie sah ihn nur an und weinte. Das traf ihn am schmerzhaftesten. Er liebte seine Frau und konnte es nicht sehen, wenn sie weinte.
Zähneknirschend bat er sie um Verzeihung. „Ich bin ein Idiot“, sagte er schuldbeladen. „Bitte, vergib mir, Marie-Luise. Ich werde dir nie mehr solchen Kummer machen, das verspreche ich dir. Ich schwöre es sogar, wenn du möchtest. Ich bin mit diesen Rabauken fertig. Von nun an sehe ich mir die Fußballspiele nur noch im Fernsehen an. Ich habe ja nicht gewusst, in was man da hineinschlittern kann ... Die Stimmung war immer so toll ... Es gab so ein prima Zusammengehörigkeitsgefühl, verstehst du? Man hatte dieselben Interessen ... Es war mit diesen Kumpels stets so lustig! Lange Zeit war’s ein völlig harmloses Vergnügen, aber es muss immer welche geben, die nicht wissen, wann es genug ist. Und ehe man begreift, was läuft, sitzt man schon auf ’ner Polizeistation, und es heißt: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen! Ich habe daraus meine Lehre gezogen, Marie-Luise. Ich tu dir so etwas ganz bestimmt nie wieder an. Es war nicht richtig, dich all die vielen Wochenenden allein zu lassen. Ich werde das wiedergutmachen, weil ich dich nämlich sehr, sehr lieb habe.“ Er trat näher und wischte ihr mit seinem Taschentuch die Tränen ab. „Ich wäre sehr glücklich, wenn du mir meine Fehler, die ich aus tiefstem Herzen bereue, verzeihen könntest, Liebling.“
Sie fiel ihm um den Hals und weinte laut. Es war ein befreiendes Weinen, und sie fühlte sich hinterher viel, viel besser.
Als Dr. Kayser sie wiedersah, war sie wie verwandelt. „Es ist nicht mehr nötig, dass Sie mit meinem Mann reden, Chef“, sagte die junge Arzthelferin. „Wir haben uns gestern ausgesprochen. Ich habe meinem Mann verziehen. Wir haben uns ausgesöhnt. Es ist wieder alles in Ordnung. Mein Mann wird so etwas nie wieder tun, das hat er mir versprochen, und ich weiß, dass ich mich darauf verlassen kann. Er hat noch nie sein Wort gebrochen.“
„Ick bin richtig froh, dat bei Schwester Marie-Luise wieder allet im Lot is’, Chef“, sagte einige Minuten später Gudrun Giesecke zu ihrem Arbeitgeber. „Allet hat sich in Wohljefallen uffjelöst, und unsere Patienten brauchen sich keene Sorjen mehr zu machen, von Frau Flanitzer falsch behandelt zu werden. Ist ’ne ziemlich erfreuliche Entwicklung, würde ick sajen.“
„Wer ist denn heute unsere erste Patientin?“, erkundigte sich Dr. Kayser, während er in seinen weißen Arbeitsmantel schlüpfte.
„Frau Praetorius“, antwortete Schwester Gudrun.
„Schon wieder?“, wunderte sich der Grünwalder Arzt.
„Sie möchte een Problem mit Ihnen besprechen“, erklärte Gudrun Giesecke.
„Ist gut“, nickte Sven Kayser. „Schicken Sie sie herein, Schwester Gudrun.“
„Mach’ ick jlatt, Chef.“
Augenblicke später saß ihm die attraktive Patientin gegenüber und klagte ihm ihr Leid. Ihm war bekannt, wie sehr sie sich ein eigenes Kind wünschte, aber er hatte nicht gemerkt, wie sehr diese Sehnsucht sie innerlich schon zerfressen hatte.
Petra Praetorius erwähnte zwischendurch, dass sie bereits auf der Volkshochschule gewesen war, um sich für den Kurs, den er ihr empfohlen hatte, anzumelden. Bedauerlicherweise musste sie sechs Wochen warten. Erst dann würde ein neuer Kurs für autogenes Training beginnen. Petra Praetorius hoffte, dass die neue Pille inzwischen ihren Seelenzustand während des Zyklus etwas weniger in Unordnung brachte.
Dann kam sie wieder auf den eigentlichen Grund ihres Hierseins zu sprechen. „Ich stehe diesen immerwährenden Kampf nicht mehr lange durch, Herr Doktor. Es muss endlich eine Entscheidung fallen – und zwar die einzig richtige.“
„Ich habe Ihnen bereits mehrmals angeboten, Ihren Mann über Ihren absolut intakten Gesundheitszustand aufzuklären“, erwiderte der Grünwalder Arzt.
„Es nützte nichts, wenn Sie mit meinem Mann reden, Herr Doktor.“
„Ich bin auch jederzeit bereit, mit Ihrem Vater ...“
Petra Praetorius schüttelte den Kopf. „Auch das hätte keinen Sinn. Papa ist dermaßen überzeugt davon, mit seiner Behauptung Recht zu haben, dass man ihm meiner Meinung nach nur auf eine Weise beikommen kann: Man muss ihm Schwarz auf Weiß beweisen, dass er sich irrt – mit einem umfassenden ärztlichen Attest. Deshalb möchte ich Sie bitten, mich in die Seeberg-Klinik einzuweisen. Man soll mich da von Kopf bis Fuß untersuchen. Blut, Leberwerte, Nierenfunktion, Leistung des Herzens, Belastbarkeit des gesamten Organismus, Unterleibs-Check, meinetwegen auch Sehtest ... Einfach alles. Ich brauche vor dem Untersuchungsergebnis keine Angst zu haben. Ich weiß, dass ich eine gesunde Frau bin, und ich will auch endlich meinen Vater davon überzeugen. Wenn ich ihm einen Berg zufriedenstellender Befunde auf den Tisch knalle, kann er nicht länger dagegen sein, dass ich ein Kind bekomme. Mit Hilfe der medizinischen Tests aus der Seeberg-Klinik kann ich ihn klein kriegen.“
„Vielleicht haben Sie Recht, und es geht so“, sagte Dr. Kayser, stellte die Einweisung aus und wünschte der Patientin viel Glück.