Читать книгу Liebesheilung: 7 Arztromane großer Autoren - A. F. Morland - Страница 19

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Bei Walter klingelten die Alarmglocken, als er Eva-Maria noch vor dem Frühstück einige persönliche Dinge heraus räumen und in den Abfall werfen sah. Nutzlose Gegenstände, wie sie sich in jedem Haushalt ansammeln. Aber mit Erinnerungen behaftet.

Er machte den Kaffee und deckte den Tisch. Und beobachtete schweigend.

„Die Gardinen hätten noch gewaschen werden müssen“, sagte Eva-Maria mit einem prüfenden Blick auf den Fensterschmuck und Sichtschutz. Ein leiser Vorwurf war damit verbunden – wegen seiner Raucherei, die er immer aufgeben wollte. Aber dann packte er es doch nicht.

„Die waren erst vor vier Wochen dran“, brummte er.

Tina brachte die Zeitung herein. Im Nachthemd.

„So geht man aber nicht auf die Straße!“, machte er seine Tochter aufmerksam. Den Hinweis, was die Nachbarn denken sollten, verkniff er sich.

Die Nachbarn mochten alles liebe und nette Leute sein, und teilweise waren sie das auch, aber um ihre Meinung fragte er nicht. In diesem Sinn wurde auch Tina erzogen.

Sie lernte, dass es gewisse Lebens- und Anstandsregeln einzuhalten galt, dass sie aber in vielen anderen Dingen nur sich selber verantwortlich war und die Ansicht anderer nicht erst einzuholen brauchte. Sie sollte kein Duckmäuser werden, der sein Mäntelchen nach dem Wind hängte.

„Och, was du bloß hast!“, setzte sich Tina auch gleich zur Wehr. „Wenn Fräulein Rüssmann im Bikini vor dem Haus ist und mit dem Briefträger redet, regt sich niemand auf. Und du guckst ja auch hin.“

„Wenn der Briefträger kommt, bin ich nicht da!“, verteidigte er sich und holte die Brötchen aus der Tüte, die der Bäcker vor der Haustür deponiert hatte.

„Das ist geschwindelt. Samstags bist du da und guckst, Papi.“

„Wenn du meinst!“, seufzte er. „Geh rauf und mach dich fertig, wir wollen frühstücken.“

Kinderaugen beobachten besonders scharf. Natürlich hatte er schon etliche Blicke auf besagte Dame geworfen. An Fräulein Rüssmann war alles richtig; sie konnte ungeniert vorzeigen, was sie hatte. Mit 25 oder 28 oder wie alt sie war.

Im Wohnzimmer hantierte Eva-Maria mit dem Staublappen. Auf dem Wandbord rückte sie das Zinngeschirr zurecht, trat zwei Schritte zurück und prüfte kritisch ihr Werk.

Ihr Treiben bereitete ihm Unbehagen. Sie hantierte wie jemand, der sein Haus noch bestellt, bevor er es verlässt und nie mehr zurückkommt.

„Lass doch, das können wir heute Nachmittag zusammen machen“, störte er sie absichtlich, um sie aus ihren Gedanken zu reißen.

Sie schaute ihn nur an. Ihr Blick schnitt ihm tief in die Seele.

Dann ging sie ins Arbeitszimmer. Er hörte, dass sie Bücher im Regal einstellte.

Diese verflixten Bücher!

Hätte ich sie doch eingeschlossen oder fortgeworfen, dachte er bekümmert. Wer kann denn so etwas ahnen?

Dann begriff er, wie unsinnig derartige Überlegungen waren. In ihrer Familie hatten sie keine Geheimnisse voreinander, es gab auch keine verschlossenen Schranktüren oder Fächer, wo der eine etwas vor dem anderen zu verbergen suchte. Die Ehe verstanden sie beide als einzige große Vertrauensgemeinschaft.

Nun hatte dieses Vertrauen einen Riss bekommen.

Eva-Maria hatte ihm verheimlicht, dass sie seit Tagen unter diesen Schmerzanfällen litt.

Und er hatte sich verstellt, um Hermann Mittler nicht zu verraten. Hermanns Anruf entsprang lauteren Motiven, ganz gewiss, aber am Ende stand da doch eine Lüge – eine Notlüge. Um Eva-Maria zu helfen.

Er trat ans Fenster und blickte in den Garten.

Die Blumenrabatten waren aufgehackt. Seine Mädchen hatten das nach dem letzten Regen besorgt, bevor die Erde wieder hart wurde. Der Steingarten blühte, dass es eine Freude war.

Eva-Maria gärtnerte leidenschaftlich, und der Steingarten war ihr unumschränktes Reich. Sie widmete ihm viel Liebe.

Nach einiger Zeit klappte die Tür in seinem Rücken. Er wollte gerade etwas über den hübsch blühenden Steingarten sagen, als er den Duft seines Rasierwassers roch.

Verblüfft drehte er sich um. Tina! Sie blickte halb schuldbewusst und halb triumphierend.

„Ich will auch gut riechen“, erklärte sie in der Manier einer guten Vorwärtsverteidigung.

„Wahrscheinlich stellen sie dich in der Schule zum Auslüften vor die Tür! Das ist Rasierwasser, und das nehmen nur Männer. Ist wenigstens noch etwas in der Flasche geblieben?“

Tina hatte wohl eine andere Reaktion erwartet. Eifrig nickte sie. „Ich glaube schon. Du, Papi, krieg’ ich jetzt auch einen Bart?“

„Mädchen und Frauen haben keinen Bart. Wieso?“

„Die Frau Leber hat einen.“ Siegessicher blickte Tina ihn an. „Bestimmt hat sie Männerrasierwasser genommen.“

„Bestimmt nicht. Und meines schon gar nicht. Und außerdem gibt es halt Frauen, die einen Bart haben“, entschied er. „Wasch dir das Zeug runter, du kriegst eine ganz rote Haut.“

„Es kribbelt aber so schön.“

„Jetzt noch, nachher beißt es. Marsch, ins Bad mit dir!“ Schmollend zog sie ab.

Frau Leber war eine ältere Dame in der nächsten Straße. Sie wurde von den Kindern heiß verehrt. Zum Teil lag es wohl auch daran, dass sie kleine Einkäufe für die Frau besorgen durften und für diese Dienste ein paar Groschen bekamen, die sofort in Süßigkeiten angelegt wurden.

Dass der Bart der guten Frau für die Kinder eine Attraktion war, zumindest für Tina, verblüffte ihn. Aber Kindergedanken gingen mitunter krause Wege.

Eva-Maria kam aus dem Arbeitszimmer herüber und schnupperte. Ihr fragender Blick blieb auf ihm ruhen.

„Unsere sehr verehrte Tochter wünscht sich neuerdings einen Bart und hat sich zu diesem Zweck mit meinem Rasierwasser einbalsamiert.“ In komischem Entsetzen schaute er zur Zimmerdecke auf.

„Sei doch froh. Letzte Woche wollte sie noch unbedingt einen Hund. Müssen wir unbedingt fahren?“

Das hatte er die ganze Zeit befürchtet – dass sie im letzten Moment einen Rückzieher machte!

„Was soll Hermann von dir denken? Erst besorgt er dir einen Termin, und du erscheinst dann nicht. Außerdem halte ich eine Untersuchung für unumgänglich. Du bist nie zur Vorsorgeuntersuchung gegangen. Das wird heute alles in einem Zug gemacht.“

„Du bist ja auch nicht hingegangen.“

„Das ist doch etwas ganz ...“ Er schwieg und fügte fast etwas kleinlaut hinzu: „Ja, du hast recht. Wir sind beide ziemlich leichtsinnig. Für nächste Woche lasse ich mir einen Termin geben.“

„Warum lässt du dich nicht heute untersuchen?“

„Bei dem Gynäkologen? Das Gesicht möchte ich sehen!“ Die Vorstellung erheiterte ihn.

Eva-Maria teilte seine Belustigung nicht. „Sie haben auch eine Männerabteilung.“

„Kann ich mir denken. Aber ich habe keinen Termin, und ohne Anmeldung wird das nicht gehen. In der nächsten Woche, bestimmt.“

„Dann ruf jetzt an!“ Wenn sie so energisch sprach, dann meinte sie auch, was sie sagte. Und Ausflüchte und Vertröstungen nützten gar nichts.

Er fühlte sich fast eine Spur genötigt. Aber wenn er sich schon gegen eine einfache Vorsorgeuntersuchung sträubte, wie viel mehr Grund hatte sie dann mit ihren akuten Beschwerden und dieser höllischen Seelenangst?

Dazu noch eine Selbstdiagnose auf Krebs!

„Aber nicht in Bonn!“, sagte er brummig.

„Das spielt keine Rolle. Hauptsache, du gehst hin.“ Ihre Augen dirigierten ihn förmlich zum Telefon.

Er rief den Hausarzt an. Um diese Tageszeit war der Mann natürlich noch nicht in der Praxis. Aber die Sprechstundenhilfe war da etwas mürrisch, etwas unausgeschlafen.

Als sie den Namen Becker hörte, wurde sie hörbar freundlicher. Privatpatienten wie die Beckers genossen besondere Aufmerksamkeit. Walter bekam einen Abendtermin für den Dienstag der kommenden Woche.

Er trug die Uhrzeit in den Terminkalender ein und spürte warme Atemzüge im Nacken.

Eva-Maria war hinter ihn getreten und schaute ihm beim Schreiben zu.

„Zufrieden, mein Schatz?“ Er wandte sich halb um und blickte auf kurze Distanz in ihre wunderschönen blaugrauen Augen.

„Ja.“ Es hörte sich halb trotzig und halb zaghaft an, vielleicht aus der Erkenntnis heraus, dass sie es so einfach schon längst hätte haben können. Ein Anruf, ein Termin, die Untersuchung! Dann wäre ihr wohl erspart geblieben, was jetzt diese Beklemmungen hervorrief und ihr fast das Herz abdrückte.

„Heute Abend sieht die Welt für dich auch wieder zufriedenstellend aus, wirklich“, sprach er ihr Mut zu. „Hast du Schmerzen?“

„Nicht mehr als sonst. Hoffentlich bleibt es so.“

„Hoffentlich nicht. Es muss besser werden. Wie heißt der Arzt eigentlich? Hat ihn Hermann empfohlen?“

„Winter.“

„Winter? Winter?“ Er grübelte. Den Namen hatte er schon gehört, aber er wusste nicht, in welchem Zusammenhang das war. Vielleicht hatte Hermann mal bei einem Besuch diesen Namen im Gespräch erwähnt.

„Edith hat sich von ihm ihre Operation machen lassen“, gab sie ihm eine Erinnerungshilfe.

Jetzt entsann er sich. Edith war eine Bekannte, hatte früher in Bonn gearbeitet. Aus dieser Zeit kannte sie wohl diesen Winter und die Klinik, und darum war sie hingegangen, statt sich hier ins städtische Krankenhaus zu legen.

„Und sie ist zufrieden?“, fragte er. „Keine Beschwerden mehr und völlig schmerzfrei. Aber sie lag drei Wochen.“

„Was zählt das schon?“ Er fasste sie um die Taille und zog sie mit ins Esszimmer. „Jedenfalls scheint der Mann tüchtig zu sein. Sonst hätte Hermann bestimmt etwas gesagt. Er wird dir helfen können, ich glaube es ganz fest.“

Er zog sie am Tisch vorbei zum Fenster. „Guck dir nur die Blütenpracht im Steingarten an! Das hast du mit gutem Willen und Energie zustande gebracht. Als ich da noch rumgewerkelt habe, blühte immer nur das Gras.“

„Warum sagst du das, Walter?“

„Weil du mit halb so viel Energie deine Angst vor der Untersuchung überwinden kannst.“

„Vor der habe ich keine Angst, sondern vor dem Befund.“

Es hörte sich beinahe nach Spitzfindigkeit an.

„Das meinte ich auch“, bog er schnell ab und schaute auf die Uhr. „Wir setzen Tina an der Schule ab und fahren dann ganz gemütlich los. Die treue Olga wird jetzt schon das Nervenflattern haben. In einer Stunde platzt die Bombe.“

Auf der Treppe hörte er Tina poltern. Er ließ Eva-Maria los und ging in die Küche, um den Kakao anzurühren.

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