Читать книгу Sieben Krimis auf einen Streich: Kriminalroman-Paket - A. F. Morland - Страница 26
Kapitel 10
ОглавлениеIhr Wagen stand mit aufgestellter Heckklappe und geöffneten Seitentüren auf dem Gehweg, unmittelbar vor dem Eingang zur Bank. Der große Kombi, mit dem das Geld von der Hauptstelle der Spar- und Kreditbank hergebracht worden war und den der Führungsstab der Polizei den Gangstern als Fluchtfahrzeug hatte anbieten wollen, war zur Seite geschoben worden.
Immer noch hingen die dicht schließenden Vorhänge vor den Fenstern und der Tür der Bank. Nur die scharf beobachtenden Polizisten nahmen hin und wieder eine schwache Bewegung wahr, wenn einer der Gangster durch einen Spalt nach draußen sah.
Jutta stand unter der Heckklappe und packte das Geld um. Die Sonne brannte auf ihr leichtes Wollkleid. Ihr Rücken schmerzte bereits, und der Schweiß lief in Strömen an ihrem Rückgrat entlang.
Es war unnatürlich still. Ihr waren die Blicke der unzähligen Menschen bewusst, die auf sie gerichtet waren. Auf ihren Rücken, ihre Beine und ihre Hände, die mit dem gebündelten Geld hantierten. Selbst bei dem hohen Anteil an 500-Mark-Scheinen handelte es sich um eine große Menge Papier, die sie aus dem Behälter, in dem es von der Hauptstelle angeliefert worden war, in die Segeltuchtasche umzupacken hatte.
Jutta strich mit dem Handrücken über ihre Stirn. Voss stand zwei Schritte entfernt schräg hinter ihr. Noch hatten die Gangster nicht bestimmt, wie es weitergehen sollte. Jutta hörte plötzlich Voss' dunkle Stimme: »Wir bauen eine Stafette auf, Frau Ehser, aber konzentrieren Sie sich aufs Fahren. Wenn Sie es sich anders überlegen oder wenn ein Kontakt stattgefunden und jemand das Geld übernommen hat, halten Sie einfach und schalten Sie die Warnblinkanlage ein. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht mehr sagen kann. Insbesondere wüssten wir gern, ob ein persönlicher Kontakt stattfinden wird. Wir wissen nichts, Frau Ehser.«
Aber sie wusste es.
Zuerst hatte sie angenommen, Probek selbst würde sie unterwegs abfangen, das Geld übernehmen und verschwinden und seine Komplizen im Stich lassen. Aber dann hatte sie daran gedacht, dass er ja an seinem Platz im City-Hotel bleiben musste, wenn er sicher sein wollte, dass Junghein umgelegt wurde — oder um es notfalls selbst zu tun.
Seit dem vorletzten Sonntag wusste sie, wer den Kurier spielen sollte.
Sonntags nie, hatte sie sich vorgenommen, und an den Vorsatz hatte sie sich gehalten - bis zu diesem Sonntag.
Sie stand im Bad und rieb ihre Brüste mit einer duftenden Hautcreme ein, als Herbert hereinkam. Sie sah sein Gesicht im Spiegel. Sein Mund zuckte, und er schluckte.
»Hat dein Liebhaber was an deinem Busen auszusetzen?«, fragte er.
Sie drehte sich langsam um und sah ihn unter halb gesenkten Lidern hervor an, während sie fortfuhr, ihre Brüste zu massieren. Sie liebte es, wenn das weiche Fleisch unter ihren Fingern nachgab. Sie trug ein weißes, fast durchsichtiges Höschen, und sie wusste, dass sich ihr dunkles Schamhaar deutlich darunter abzeichnete. Sie rieb ihre Schenkel aneinander, und sofort spürte sie das pulsierende Blut, das ihre Schamlippen füllte.
Gestern Abend hatte sie sich ihm lustlos hingegeben. Sie wusste, dass er es als demütigend empfand, weil sie nichts mehr für ihn fühlte. Aber jetzt, wenn er jetzt käme! Ihre Nasenflügel weiteten sich.
»Lass mich eben ans Waschbecken«, sagte er. »Ich muss nämlich gleich fahren.«
Er wollte wieder zu seiner Mutter.
Ernüchtert ging sie ins Schlafzimmer. Sie hasste ihn nicht einmal. Da war nichts, nichts. Als die Haustür zuschlug und sie seinen Wagen abfahren hörte, wurde sie wieder scharf.
Sie dachte an Probek. Am Freitag hatte sie ihn zuletzt getroffen. Er hatte ihr erzählt, dass er übers Wochenende in Leverkusen bleiben würde, weil er am Sonntagabend Junghein am Bahnhof abholen müsse. Am Montag wollte er dem Hamburger die Bank zeigen und ihn mit den Einzelheiten des Planes vertraut machen - soweit sie Junghein betrafen.
Der Gedanke an Probek ließ sich nicht mehr vertreiben. Sie fieberte nach seinem Körper. Herbert würde bis zum Abend wegbleiben, und wie immer in den letzten Monaten würde er betrunken sein, wenn er vom Besuch bei seiner Mutter zurückkam.
Es war kurz vor zwölf, als sie ihren Escort auf der Straße vor dem alten Haus in Leverkusen anhielt. Das Tor zum Hof war geschlossen.
Jutta stieg aus und lief auf die Vordertür zu. Probek hatte ihr erzählt, dass er sonntags gern lange schlief und dann aus dem Haus ging, um irgendwo in einer Gaststätte zu essen. Plötzlich hatte sie Angst, dass er schon weg sein könnte.
Die Haustür war nicht geschlossen. Sie lief die Holztreppe hinauf. Es roch nach sonntäglichem Essen.
Irgendwo dudelte ein Radio. Etwas atemlos kam sie vor der Tür zu Probeks winzigem Apartment an. Hastig ordnete sie ihr Haar und strich ihr Kleid glatt, und sie wollte eben klopfen, als sie innehielt.
Sie hörte ein Lachen. Kehlig und satt quoll es aus dem tiefsten Inneren einer Frau, die eben erst mit einem Mann zusammen gewesen war.
Das Lachen kam aus Probeks Wohnung.
Jutta hatte das Gefühl, als hätte ihr jemand ein Messer in den Leib gestoßen. Da war zuerst ein scharfer Schmerz, der gleich darauf einer abgrundtiefen Leere Platz machte. Sie hätte nicht beschreiben können, was sie fühlte, weil es für Eifersucht keinen Grund gab. Sie selbst war verheiratet, und nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, von Probek Treue zu erwarten.
Trotzdem fühlte sie sich verraten und betrogen. Vielleicht, weil Probek kein Vertrauen für sie hatte. Weil er sie ausnutzte.
Sie hörte Schritte hinter der Tür, die rasch näher kamen, und dann Probeks vertraute Stimme. Sie klang ganz nah.
»Himmel, Sabine, nicht schon wieder, nicht jetzt . . .«
Seine Stimme erstickte, als die Frau ihre Lippen auf seinen Mund presste. Er befreite sich, und Jutta hörte wieder dieses satte Lachen.
»Du musst noch etwas übrigbehalten für sie!«, sagte die Frau, die er Sabine nannte.
»Nur noch ein paarmal«, sagte er atemlos. »Ein paarmal noch, dann bin ich sie los . . . Komm jetzt, lass uns gehen.«
Juttas Wangen begannen zu brennen. Sie rannte die Treppe wieder hinunter und stürzte aus dem Haus. Sie rannte zu ihrem Wagen, startete mit flatternden Händen und riss das Lenkrad herum. Auf der anderen Seite geriet sie auf die Bordsteinkante, dann musste sie hart auf die Bremse steigen, um nicht ein parkendes Fahrzeug zu beschädigen.
Als drüben die Haustür aufsprang, stellte sie den Motor ab und duckte sich unter die Fensterkante.
Probek sah nicht herüber. Er zog das Mädchen an sich. Ausgelassen liefen sie ein Stück die Straße hinunter.
Juttas Augen saugten sich an dem Mädchen fest. Sie sah das lange, flatternde, blonde Haar, das hübsche, glatte Gesicht mit den tiefen, dunklen Augen, und wieder spürte sie diesen Stich wie von einem Messer.
Sie hatte das Mädchen schon einmal gesehen. Im Hotel Palmasol auf Ibiza hatte sie an der Außenbar gestanden, und Probek hatte kurz mit ihr gesprochen.
Mit dem Instinkt einer Frau hatte Jutta damals schon gespürt, dass die beiden einander besser kennen mussten als Urlauber, die zufällig im selben Hotel wohnten.
Probek hatte sich planmäßig an sie, Jutta, herangemacht, und das Mädchen hatte mitgespielt, hatte vielleicht im Zimmer nebenan gewartet, während sie sich Probek hingab.
Ihr Inneres schien zu brennen, als sie den beiden nachsah, die eben in einen großen, schneeweißen BMW stiegen. Das Mädchen saß am Lenkrad.
Ernüchtert und zum ersten Mal sah Jutta, wer Probek wirklich war. Er war ein Zuhälter.
»Was hast du?«, fragte er. »Du warst nicht bei der Sache!«
Nein, sie war nicht bei der Sache gewesen, jedenfalls nicht so, wie Probek es meinte. Schwer lag er auf ihr. Sie roch seinen Schweiß, und sie spürte sein erschlaffendes Glied in ihrer Scheide.
Nüchtern hatte sie das Ansteigen seiner Erregungskurve verfolgt und gerade genug Leidenschaft gezeigt, um ihn nicht zu früh erkennen zu lassen, dass sie ihn beobachtete wie ein Insekt.
Wenn sie nicht gewusst hätte, dass er am Tag zuvor erst mit jener Sabine zusammengewesen war, hätte sie geschworen, dass er seit Tagen auf sie gewartet hätte wie ein Verdurstender.
»Wie war es mit Junghein?«, fragte sie.
Er bewegte sich und glitt neben sie. Als seine Zigarette brannte, sagte er: »Es läuft. Ihm gefällt der Plan.« Probek grinste zynisch. »Er ist wieder nach Hamburg gefahren. Nächsten Dienstag kommt er wieder.«
Sie hielt den Atem an. »Dienstag?«
»Mittwoch ist der Tag«, bestätigte er.
»Wer wird mir die Tasche mit dem Geld abnehmen?«, fragte sie.
»Du wirst ihn früh genug erkennen«, antwortete er. »Wir machen ein Kennwort aus. Was hältst du von . . .«
»Red keinen Mist«, sagte sie. »Sag mir, wer es ist. Das kann doch nicht so schwer sein.«
Er musterte sie aus schmalen Augen, die hinter dem Rauch der Zigarette schwebten.
»Es wird eine Frau sein«, sagte er.
»Warum hast du mir nicht von ihr erzählt?«
»Es war nicht so wichtig.«
»Wer ist sie?«
»Es ist besser, wenn du nicht zuviel weißt, glaub mir.«
»Deine Frau? Deine Schwester? Deine Freundin?«
»Es spielt keine Rolle.« Er starrte sie an. »Was ist los?«
»Das frage ich dich. Warum sagst du nicht einfach, sie ist ziemlich groß und blond und sieht wie eine Nutte aus, und sie wird das Haar hochgebunden und Jeans tragen?«
Sie spürte, wie er den Atem anhielt.
»Sag, ist sie eine Nutte, die du für diesen Job gekauft hast?«
»Hör auf!«, schrie er.
»Warum antwortest du nicht? Ist sie . . .«
Seine linke Hand klatschte mit dem Rücken auf ihre Brust. Sie hielt die Luft an, und der Schmerz trieb ihr den Schweiß aus allen Poren. Aber sie stöhnte nicht einmal.
»Du kannst sie nicht beleidigen, du nicht!«, sagte er.
»Schlag mich nicht noch einmal«, brachte sie beherrscht hervor. »Hörst du? Tu das nicht noch einmal!«
»Was willst du?«, fragte er und richtete sich auf, weil er dann besser auf sie hinabsehen konnte. »Hast du dir etwa eingebildet, wir würden zusammenbleiben?«
Sie antwortete nicht. Vorsichtig rieb sie über ihre Brust. Dort, wo Probeks Handrücken sie getroffen hatte, bildete sich eine Schwellung, die schnell größer und härter wurde.
»Sie würden uns schnappen, wenn du wegen mir deinen Mann verlässt«, sagte er. In seinen Augen glomm ein zorniges Funkeln. Weil er sich ertappt fühlte? »Und außerdem, sieh dich doch an! Was bist du? Ein geiles Luder, gut im Bett, und sonst?«
»Sprich ruhig weiter!«
»Schon gut.«
»In ein paar Jahren werde ich schwammig sein, sag es ruhig. Dann ist mein Arsch so weich wie meine Titten. Sag es ruhig. Oder hast du Angst, dass ich abspringe?«
»Warum solltest du?« Er grinste höhnisch, während seine Hand ihren Bauch hinabkroch und seine Finger nach der Wärme zwischen ihren Schenkeln tasteten. »Du bist scharf auf das Geld, Süße. Damit kannst du dir zwar keinen anderen Arsch kaufen, aber einen Mann, dem es egal ist, ob dein Arsch knackig ist oder wie 'ne Birne durchhängt.«
Ihre Hand zuckte vor, und sie umfasste seine Hoden und drückte zu, bis er scharf die Luft einzog und sich nicht mehr bewegte. Seine Haut bedeckte sich mit kaltem Schweiß.
»Was willst du?«, fragte er flach.
In diesen Sekunden, als sie nackt neben Probek lag, als sie glaubte, ihn zu hassen, und wusste, dass sie gleichzeitig seinen Körper begehrte, erkannte sie, dass das Geld allein ihr keine Freiheit verschaffen konnte. Sie würde die Gefangene des geraubten Geldes und die Gefangene ihres Mannes sein, denn wenn sie ihn verließ, würde der Verdacht, dass sie an dem Überfall auf die Spar- und Kreditbank am Herzogplatz beteiligt war, unweigerlich auf sie fallen.
In diesen Sekunden, als sie es buchstäblich in der Hand hatte, Probek in ein winselndes Bündel zu verwandeln, tat sich mit blendender Klarheit der Ausweg vor ihr auf. Wie eine Landschaft, die vom Blitz erhellt wurde.
Sie wusste jetzt, was sie wollte, und Probek würde ihr Werkzeug sein. Doch was er zu tun hatte, würde sie ihm erst im letzten Augenblick sagen.
Sie lächelte wie eine Katze, als sie ihn losließ und den Oberkörper spannte und ein Bein langsam anzog.
»Komm schon, Probek«, sagte sie. »Die Eier sind ja noch dran.«
Sie beförderte die letzte Handvoll Geldscheine in die Segeltuchtasche, schloss den Bügel und hob den Metallkoffer der Bank heraus. Sie stellte ihn auf die Straße und schlug die Heckklappe zu.
Die Gangster hatten verlangt, dass nach dem Umpacken niemand mehr dem Escort zu nahe kommen durfte.
Jutta sah sich um. Ihr Blick streifte die Fassade des City-Hotels. Zahlreiche Fenster waren geöffnet. In einigen bemerkte sie Neugierige, in anderen nur die Umrisse eines Kopfes, einer Schulter, an die der Kolben eines Gewehrs gepresst war. Sie sah auch die geduckt auf dem Dach kauernden Polizeischützen.
Wenn die Gangster mit ihren Geiseln aus der Bank herauskämen, würden alle Augenpaare auf sie gerichtet sein — und keins auf die Hotelfassade. Niemand würde den Gewehrlauf bemerken, der sich aus dem Fenster im vierten Stock schieben würde . . .
»Herr Voss!« Der Ruf eines Kriminalbeamten zerriss die lastende Stille.
Voss wandte sich um und kletterte in den Einsatzwagen, dessen Tür offenblieb. Jutta musste die Lider zusammenkneifen, um ihn im Schatten des Wageninneren ausmachen zu können. Voss hielt einen Telefonhörer an sein Ohr gepresst. Er sagte etwas, beugte sich vor, um zum Eingang der Bank sehen zu können, wo sich nichts rührte, und winkte dann Jutta herbei.
Mit steifen Beinen legte sie die wenigen Schritte zurück. Voss hielt ihr den Hörer hin.
»Ihr Mann will Sie sprechen.«
Sie nahm den Hörer und presste ihn an ihr Ohr.
»Hallo?«, sagte sie.
Sie hörte eine dumpfe Stimme, die sie nicht kannte, vermutlich Junghein, dann meldete sich Herbert.
»Jutta? Du bist da draußen . . .«
»Ja. Wie geht es dir?«
»Warum tust du das?«, fragte er.
»Was?«, gab sie zurück.
»Warum spielst du die Botin für diese Halunken? Doch nicht für mich?«
»Für wen denn sonst?«
Die dumpfe Stimme schaltete sich wieder ein. »Das ist genug!« Dann knackte es im Hörer.
»Aufgelegt«, meldete einer der Techniker aus dem Inneren des Wagens.
Hatte er den kurzen Dialog mitgehört? Und wenn schon, dachte Jutta. Sie hatte ohnehin nicht die Absicht, nachher zu behaupten, sie und Herbert hätten die glücklichste Ehe seit Rainer und Patricia von Monaco geführt.
Voss sprang aus dem Wagen und sah zur Tür der Bank hinüber. Der Vorhang wölbte sich, zeichnete den Umriss einer menschlichen Gestalt nach, von der nur ein Arm und eine Hand sichtbar wurden. Die Hand schob einen Briefumschlag unter dem Spalt her. Eine Ecke wurde auf der hellen Marmorstufe sichtbar, dann zog sich die Gestalt zurück.
»In dem Umschlag stecken die Anweisungen für Sie«, erklärte Voss. »Sie sollen in Richtung Bundesstraße fahren und ihn erst dort öffnen. Holen Sie ihn, steigen Sie in den Wagen und fahren Sie sofort ab. Viel Glück.«
Jutta spürte die Blicke der vielen Beobachter auf sich gerichtet, als sie den Gehweg überquerte, sich bückte und den Umschlag unter der dicht schließenden Tür hervorzerrte.
Sie ging auf den Escort zu, drückte die rechte Tür ins Schloss, ging vorne herum und nahm hinter dem Lenkrad Platz. Die Tür schlug zu.
Sie wollte schon den Startschlüssel drehen, als ihr der Panoramaempfänger einfiel.
Ihr fiel erst jetzt auf, dass Voss ihre Frage nach einem Peilsender nur indirekt beantwortet hatte.
Sie zog den Schalter für die Nebelschlussleuchte heraus, tastete unter dem Armaturenbrett herum, bis sie den Regler fand. Sie schob ihn herum, wie Probek es ihr gezeigt hatte, und dann zuckte sie heftig zusammen, als das schrille Piepgeräusch ihr Ohr erreichte. Hastig drückte sie den Schalter wieder ins Armaturenbrett, und hastig kurbelte sie die Seitenscheibe herab. Sie legte den angewinkelten Arm auf die Fensterbank und machte einen unbeholfenen Startversuch. Der Wagen ruckte, und der Motor erstarb sofort wieder, weil sie den Gang eingelegt, jedoch nicht ausgekuppelt hatte.
Wie lange würde Probek brauchen, um Junghein Bescheid zu sagen? Probek konnte das Sprechfunkgerät benutzen, aber Junghein musste telefonieren.
Der Motor sprang an. Sie legte den Gang ein. Herrgott, sie konnte ihren Plan nicht durchführen, wenn die Polizei ihr zu nahe folgte.
Langsam fuhr sie an.
Dann hörte sie einen lauten Ruf, und als sie in den Rückspiegel blickte, sah sie Voss winken und hinter ihrem Wagen herlaufen.
Sie trat auf die Bremse. Voss kam auf der rechten Seite heran. Er riss die Beifahrerseite auf und angelte nach dem Stadtplan, der offen auf der Ablage lag.
»Sie verfügen sogar über ein Gerät, um den Peilsender hier drin aufzuspüren. - Viel Glück.«
Er schmetterte die Tür ins Schloss, und sie fuhr an. Als sie das Gefühl hatte, nicht mehr von Voss beobachtet zu werden, schaltete sie den Panoramaempfänger noch einmal ein.
Dieses Mal blieb das Gerät stumm.
Sie bog in die Bundesstraße ein und hielt sich in der rechten Spur, bis sie an der Ampel vor der Werther Brücke halten musste. Sie riss den Umschlag auf, obwohl sie genau wusste, wie sie zu fahren hatte. Auf der Rückseite eines Bankformulars stand die Route in Schreibmaschinenschrift:
Werther Straße, Ringstraße, Palmenstraße, Westendallee, Kennedy-Ufer, Werther Straße.
Wenn nötig, sollte sie die Tour, die einen Kreis darstellte, immer wieder fahren. Wo die Blonde zusteigen würde, hatte Probek ihr nicht gesagt. Sie sollte sich immer rechts halten. Vielleicht bildete Probek sich ein, dass die blonde Sabine clever genug war und einen Verfolger erkannte, falls die von Voss angekündigte Stafette ihre Spur halten konnte, obwohl er den Peilsender wieder an sich nehmen musste. Jutta konnte keinen Verfolger ausmachen, sooft sie auch in den Rückspiegel sah.
Als sie die Ringstraße erreichte, hob sie mit einer Hand die Reisetasche über die Rücklehne und stellte sie auf den Beifahrersitz. Die Plastikbeutel lagen griffbereit unter dem Fahrersitz. Sie hatte es in den letzten Tagen immer wieder geübt, die Beutel offenzuhalten, indem sie eine Griffaussparung über den Schalthebel zog und die andere Seite des Beutels unter die Tasche auf dem Nebensitz schob. Das Ganze war etwas labil, aber wenn sie die Beutel nicht zu voll stopfte, musste es gehen. Die Beutel durfte sie ohnehin nicht zu prall werden lassen, damit sie in die wenigen Hohlräume unter den Sitzen passten. Was sie wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr in die Beutel packen konnte, würde sie in den hinteren Fußraum befördern und mit der Decke, die sie dort bereits locker drapiert hatte, zudecken.
Sie schwitzte, während sie mit einer Hand den Escort durch den dichten Verkehr der Innenstadt steuerte und gleichzeitig mit der anderen das Geld in die Plastikbeutel warf. Sie wusste nicht, wie viel Zeit ihr zur Verfügung stand, aber sie rechnete damit, dass sie mindestens zwei Runden würde fahren müssen, bevor die Blonde sich sehen ließ. Und jede Runde dauerte mindestens vierzehn Minuten.
Sie hatte den Rückspiegel einige Zeit aus dem Auge gelassen, deshalb beschleunigte sie auf der Palmenstraße ein wenig, weil sie dann vielleicht erkennen konnte, ob sie verfolgt wurde. Von der blonden Sabine oder der Polizei. Ohne es zu wollen, wischte sie bei Gelb über eine breite Kreuzung. Sie war die letzte, die die Straße überquerte.
Der zweite Beutel war voll und verschwand unter dem Sitz. Mit derselben Bewegung zog sie den ersten Packen alter Zeitungen darunter hervor. Sie fuhr ganz mechanisch, weil sie dank Probeks Vorsorge die Strecke im Schlaf kannte. Die Westendallee teilte sich nach etwa einem halben Kilometer. Zwei Spuren führten in den Tunnel hinunter, der das komplizierte und unübersichtliche System der Auf- und Abfahrten der Werther Brücke unterquerte und die Altstadt mit dem Geschäfts- und Bankenviertel verband. In einer leichten Linkskurve schwenkten die Fahrspuren der Westendallee zum Kennedy-Ufer hinunter. Jutta folgte der breiten Uferstraße, bis sie die Werther Straße erreichte. Als sie die zweite Runde begann, befand sich noch etwa zwei Drittel der Geldmenge in der Tasche, und sie wusste, dass sie es nicht schaffen würde, alles Geld umzupacken und die Tasche anschließend noch mit den Zeitungen auszustopfen.
Kurz entschlossen schob sie Bündel um Bündel, so viel sie jeweils packen konnte, zwischen den Sitzlehnen her nach hinten unter die Decke. Sie war so in ihrer Tätigkeit vertieft, dass sie das Umspringen einer Ampel übersah. Das Heck eines weinroten Mercedes mit Stuttgarter Kennzeichen wuchs plötzlich vor ihr auf, und nach einer endlos langen Schrecksekunde rammte sie endlich ihren Fuß auf die Bremse.
Die Reifen quietschten. Der Fahrer des Mercedes wandte den Kopf. Seine Augen weiteten sich, und dann gab es einen leichten, kaum merklichen Ruck, als sie die Stoßstange des anderen Wagens berührte.
Jutta schloss die Tasche, die nahezu leer war, und raffte die Decke über die letzten Scheinbündel. Der Mercedesfahrer stieg aus, Jutta rammte den Rückwärtsgang ein und setzte ein paar Zentimeter zurück. Der Mann bückte sich, um den Schaden an seinem Wagen zu begutachten. Mit hochrotem Gesicht richtete er sich wieder auf und trat an ihre linke Seite. Sie beugte sich hinüber, um die Scheibe herabzudrehen. Die Ampel sprang wieder auf Grün, und jemand hupte wütend. Jutta bemerkte ein Bündel 500-Mark-Scheine, das zwischen Sitz und Tür gerutscht war. Hastig nahm sie es in die Hand und verbarg es unter ihrem Gesäß.
»Sie haben nicht aufgepasst«, sagte der Mercedesfahrer in behäbigem Schwäbisch, das dadurch um so tückischer klang. Er musterte sie aus kleinen schwimmenden Augen, bevor er die feuchten Lippen zu einem Lächeln verzog. »Na ja, ist ja nicht viel passiert. Die Polizei brauchen wir wohl nicht . . .?«
»Wir halten den Verkehr auf«, sagte Jutta.
»Ja.« Der Mann sah sich unschlüssig um. »Auf den Schreck sollten wir einen trinken. Wo kann man hier parken?«
»Fahren Sie geradeaus und dann in die zweite rechts. Am Ende gibt es ein Café. In zehn Minuten!«
Der Mann lächelte erfreut, als er beschwingt wieder in den Mercedes kletterte. Die Ampel sprang auf Gelb, und er fuhr durch, während Jutta wieder anhielt und die Wartezeit dazu benutzte, die Zeitungen zweier Wochen in die Segeltuchtasche zu packen, die Bügel zu schließen und die Lasche so festzuzurren, dass sie sich nicht gleich beim ersten Versuch würde öffnen lassen.
Sie sah sich im Wageninneren um, als sie weiterfuhr. Der weinrote Mercedes war abgebogen. Er würde in einer Sackgasse vor einer Fußgängerzone landen, wo es keine Parkmöglichkeit und kein schnelles Zurück gab.
Jutta blinkte und wechselte in die Westendallee. Zügig fuhr sie an der Linie entlang, die die Fahrspuren der Allee und der Tunnelabfahrt voneinander trennte. Noch war die Linie nicht geschlossen und ließ einen Wechsel der Spuren zu.
Sie kam unbekümmert über die volle Breite der Straße. Ihr Haar hatte sie tatsächlich hochgebunden und unter einer frechen, violetten Kappe verborgen. Sie trug eine Jeansjacke, deren Knöpfe sich unter der Fülle des Busens spannten, ausgewaschene, hautenge Jeans und helle Joggingschuhe. Sie wich einem heranrasenden Golf aus, wobei sie Jutta nicht aus den Augen ließ. Sie winkte mit einer Hand, und Jutta nahm den Fuß vom Gas und tippte einige Male auf die Bremse, um den hinter ihr fahrenden Wagen zum Überholen zu veranlassen.
Die Blonde kam heran. Jutta bremste und stieß die Seitentür auf. Im Wiederaufrichten zog sie die Tasche etwas herüber. Das Mädchen sprang in den Escort, der noch rollte.
»Rechts rüber, rechts, rechts!«, zischte sie.
Die Linie war geschlossen, nur wenige Meter voraus senkten sich die rechten Fahrspuren zum Tunnel hinab. Als Jutta zögerte, riss Sabine am Lenkrad.
»Gib schon Gas!«
Der Escort schnitt die Trennlinie und eine Fahrspur. Zwei Taxifahrer preschten hupend vorbei. Einer tippte mit dem Finger an den Kopf.
»Weiter rüber, los!«
Sie fuhren in den Tunnel. Sabine packte die Tasche und stellte sie auf ihre Schenkel. Juttas jagender Herzschlag beruhigte sich. Sie schielte nach rechts und bemerkte, dass die Blonde dünne, hautfarbene Lederhandschuhe trug.
»Sie wissen Bescheid«, sagte Sabine. Gespannt blickte sie geradeaus, als das Ende des Tunnels wie ein großes Fenster auf sie zukam. »Hinter dem Fußgängerüberweg steige ich aus!«
Die Straße stieg an und führte sie ans Tageslicht zurück. Rechts, hinter dem Geländer, fuhr eine Straßenbahn neben ihr her.
Sabine tastete bereits nach dem Türöffner.
»Augenblick noch, Süße«, sagte Jutta kühl. »Sag Probek, er soll mich anrufen, bevor er irgendetwas Idiotisches tut.«
Die Blonde sah Jutta mit ihren dunklen Augen an, wobei sie eine Braue wölbte. »So, soll er das? Warum?«
»Wenn du mit ihm sprichst, werdet ihr beide wissen, warum — Sabine.«
Die Augen der Blonden wurden groß. Jutta bremste hart hinter dem Fußgängerübergang.
»Steig aus, Süße«, sagte Jutta. »Und vergiss die Tasche nicht.«
Sabine stieß die Wagentür auf, packte die Bügel der Tasche und sprang hinaus. Die Tasche schlug gegen ihre Beine, aber das junge Mädchen flankte trotz der Last locker über das Geländer vor den Straßenbahnschienen und sprang dann vor einer herankommenden Bahn über die Gleise.
Als die Straßenbahn vorbei war, war die Blonde bereits im Menschengewimmel einer Einkaufsstraße untergetaucht.
Jutta fuhr noch zehn Minuten scheinbar ziellos durch die Stadt, in denen sie die vollen Plastikbeutel und die losen Geldbündel noch sicherer verstaute.
Dann hielt sie an der Uferstraße im Halteverbot, schaltete die Warnblinkanlage ein und legte den Kopf auf das Lenkrad. Ganz plötzlich setzte die Reaktion ein. Ihre Knie zitterten heftig, und ihre Zähne schlugen aufeinander. Aber es war noch nicht vorbei.
Sie war noch nicht frei.
Ein Funkstreifenwagen hielt hinter ihr. Voss sprang heraus. Er lief an der Seite entlang, riss die Beifahrertür auf und beugte sich über sie.
»Frau Ehser! Sind Sie in Ordnung?«
Sie hob den Kopf. In den grauen Augen des Kriminalbeamten glaubte sie einen mitleidigen Ausdruck zu erkennen. Er trug dünne Plastikhandschuhe, als er nach dem Brief und dem Umschlag griff, die sie auf das Armaturenbrettpolster gelegt hatte.
»Wir haben Sie verloren«, sagte er.
»Sie haben sie nicht . . .?«
»Sie?« Voss kniff die Lider zusammen. »Wir haben den Fahrer des Mercedes auseinandergenommen.«
Jutta starrte Voss verständnislos an, dann stieg ein trockenes Lachen in ihre Kehle, blieb dort stecken.
»Eine Frau also?«, fragte er. »Wo?«
Jutta hielt sich sehr nah an die Wahrheit, als sie dem Beamten schilderte, wie die Geldübergabe stattgefunden hatte. Immerhin war nicht auszuschließen, dass Voss mehr wusste, als er preisgab.
Dass er oder seine Leute die Blonde gestellt hatten, hielt Jutta jedoch für ausgeschlossen. Dann hätte Voss längst begonnen, ihren Wagen zu durchsuchen. Er brauchte nur unter einen der Sitze zu greifen . . .
Die blonde Sabine beschrieb sie, so gut sie es konnte. Von ihrer Sorte gab es Tausende.
»Ich musste anschließend rumfahren, hat sie gesagt«, berichtete Jutta mit erstickter Stimme. »Ich würde beobachtet, hat sie gesagt. Ich weiß nicht, wie lange ich es ausgehalten habe.«
»Lange genug«, sagte Voss. »Ich muss zum Herzogplatz zurück. Sie können mitkommen.«
Jutta schüttelte den Kopf. »Ich will nach Hause, nichts sehen oder hören«, sagte sie mit erstickter Stimme.
Voss nickte mitfühlend. »Ich lasse Sie von einem Beamten fahren, Ihr Wagen muss sowieso vom Erkennungsdienst behandelt werden . . .«
In ihrem Schädel begann es zu summen, als das Blut jäh aus ihrem Hirn wich.
»Sie trug Handschuhe«, hörte sie sich sagen.
»Das erwähnten Sie bereits«, sagte Voss. »Sie hatte vielleicht Staub an ihrer Kleidung, Schmutz an den Füßen. Alles kann uns Hinweise auf ihren Aufenthaltsort geben.« Er sah unschlüssig auf die Uhr.
»Ich möchte nach Hause«, sagte sie undeutlich.
»Können Sie fahren?«
»Ja, bestimmt«, versicherte sie. Etwas zu hastig? Sie bemerkte seinen prüfenden Blick, dann kroch er aus dem Wagen und streifte die Plastikhandschuhe ab.
»Ich schicke den Erkennungsdienst zu Ihnen«, sagte er und ging zu dem Funkwagen zurück.