Читать книгу Für Kunst kann wird auch gemordet Berlin 1968 Kriminalroman Band 29 - A. F. Morland - Страница 10

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Pawlak war Maler.

Früher, bevor er an der Nadel hing, brachte er ganz passable Bilder zustande. Sogar drei Vernissagen waren ihm gegönnt gewesen, und zwei Kritiker – unmaßgebliche Leute von unmaßgeblichen Zeitungen – hatten seine Werke sogar über Gebühr gelobt. Die Zeitungsausschnitte bewahrte er heute noch in seinem Schrank auf. Ja, früher hatte er wenigstens noch Talent gehabt. Wo war das heute? Abhandengekommen, ohne restliche Spuren. Er hatte gedacht, in seiner beruflichen Entwicklung schneller vorwärtszukommen, wenn er seine Bilder unter dem Einfluss von Drogen malte. Viele seiner Kollegen arbeiteten so. Auch Musiker griffen zum Rauschgift, wenn sie was Besonderes leisten wollten. Zuerst hatte er es mit Haschisch versucht. Dann hatte er Marihuana geraucht. Und die Bilder waren tatsächlich besser geworden. Wie die warmen Semmeln konnte er sie verkaufen. Man riss ihm seine Werke aus der Hand. Aber eines Tages stagnierte die Entwicklung. Pawlak hatte sich an Hasch und Marihuana zu sehr gewöhnt. Sie konnten ihn nicht mehr beflügeln. Also ging er einen Schritt weiter: Heroin. Von diesem Tag an führte der Teufel den Pinsel. Wieder durchlebte Fred Pawlak eine erfolgreiche Phase. Er konnte mit Geld um sich werfen. Und er redete sich ein, vom Heroin jederzeit wieder loskommen zu können. Er brauchte nur zu wollen. Aber er wollte nicht. Wollte nicht, weil er nicht konnte. Das Rauschgift bekam ihn immer fester in den Griff. Es ließ ihn nicht mehr los. Es unterhöhlte seine Gesundheit. Er magerte ab. Er brauchte seinen Schuss immer häufiger. Trotzdem – oder gerade deswegen – wurde die Qualität seiner Bilder immer schlechter. Bald wollte sie keiner mehr haben. Lieber einen leeren Rahmen an die Wand hängen, als eines von Fred Pawlaks infantilen, lächerlichen Bildern, hieß es.

Der Abstieg war nicht mehr aufzuhalten. Pawlak verdiente mit seinen Gemälden kaum noch Geld. Er versuchte verzweifelt, den Dämon Rauschgift loszuwerden, aber es war zu spät dazu.

Bibbernd lag er in seiner hellen Atelierwohnung auf dem Boden. Ihm war erbärmlich kalt. Er klapperte mit den Zähnen, stöhnte, hatte wahnsinnigen Durst. Das waren wieder einmal diese verdammten Entzugserscheinungen, die ihn quälten. Er hätte ganz dringend etwas in die Vene gebraucht, aber sein Dealer weigerte sich, ihm noch einmal Kredit zu geben.

„Erst bezahl deine Schulden“, hatte er eiskalt gesagt. „Dann kannst du wieder was von mir haben. Eher nicht.“

Pawlak hätte ihm am liebsten den Schädel eingeschlagen. „Hör zu, Siggi ich verkaufe in den nächsten Tagen wieder ein Bild. Ich hab‘ ‘nen Mäzen gefunden. Er gibt mir tausend Mark für den Schinken. Sobald ich das Geld habe, bin ich bei dir. Dann kriegst du alles wieder. Mit Zinsen und Zinseszinsen.“

Siggi grinste spöttisch. „Wird Zeit, dass du mal ‘ne andere Platte auflegst, Fred. Die Story mit dem Mäzen kenn‘ ich schon seit einem Jahr. Hängt mir schon zum Halse raus.“

‚Ich erwürge ihn. Bei Gott, ich erwürge ihn, wenn er mir nichts gibt!‘, dachte Pawlak verzweifelt. Er erniedrigte sich vor dem höhnisch grinsenden Dealer so sehr, dass er vor diesem auf die Knie sank und ihn händeringend anflehte, nicht so schrecklich hartherzig zu sein. Heulend umklammerte er Siggis Knie. Der riss sich wütend von ihm los und versetzte ihm einen kräftigen Tritt, der ihn umwarf. „Verdammt noch mal, ich bin Geschäftsmann. Ich kann es mir nicht mehr leisten, dir noch was zu kreditieren, Fred. Tut mir leid. Tut mir wirklich leid, aber es geht nicht. Ich hab‘ genauso meine finanziellen Verpflichtungen. Ich muss flüssig sein für die nächste Lieferung. Nun steh endlich auf und mach ‘ne Fliege. Und komm erst wieder, wenn du wieder Kohlen in der Tasche hast.“

Pawlak schnellte in seiner grenzenlosen Verzweiflung hoch. Er brauchte den Stoff. Er musste ihn haben. Um jeden Preis. Mit einem heiseren Schrei warf er sich auf Siggi. Er packte ihn an der Kehle und würgte ihn. Aber Siggi war kräftig. Ein Magenhaken warf Pawlak an die Wand. Sein Gesicht verzerrte sich. Er japste nach Luft, hatte irrsinnige Schmerzen. Trotzdem wollte er sich noch einmal auf Siggi stürzen. Doch da hatte dieser wie durch Zauberei ein Messer in der Hand. Mit gefletschten Zähnen fauchte er: „Verdammt, Fred. Wenn du mir nicht so viel Moos schulden würdest, würde ich dich jetzt wie einen räudigen Straßenköter abstechen. Mach, dass du rauskommst aus meiner Wohnung ...“

„Es tut mir leid, Siggi“, sagte Pawlak zerknirscht. Teufel, noch nie hatte er sich so sehr gehenlassen. Noch nie hatte er die Kontrolle so beängstigend über sich verloren. Er war jetzt so weit. Er würde einen Mord begehen, um zu seinem Schuss zu kommen. Diese furchtbare Erkenntnis ließ ihn schaudern. Er wusste, dass er bei einer der letzten Stationen angelangt war. Mit hängenden Schultern schlurfte er zitternd aus Siggis Wohnung.

„In längstens vier Wochen will ich mein Geld wiederhaben!“, plärrte ihm Siggi nach. Aber Fred wusste, dass er auch in vier Wochen nicht würde zahlen können.

Zu Hause wurden die Schmerzen dann immer schlimmer. In seiner Verrücktheit wusste er kaum noch, was er tat. Er rannte in die Küche, band sich den Arm ab, nachdem er den Hemdsärmel hochgerollt hatte. Hässlich blau und schrecklich zerstochen war seine Armbeuge. Er nahm eine Nadel und stach sie in eine Vene. Nur so. Bloß, um sich selbst zu täuschen. Aber nach dem Stich folgte keine Wirkung. Er heulte, und er kletterte beinahe die Wände hoch.

„Oh Gott, ich halte das nicht aus!“, brüllte er. Mit glasigen Augen wankte er ins Atelier zurück. Dort stolperte er über seine eigenen Füße und knallte hart auf den Boden. Schluchzend wälzte er sich jetzt auf dem Boden. Er brauchte was, brauchte es so verdammt dringend wie nie zuvor. Sein Herz schlug unregelmäßig. Schaum trat auf seine Lippen. Die Kälte, die ihn schüttelte, nahm zu. Wahnsinnige Krämpfe zwangen ihn, sich winselnd zusammenzukrümmen. Er biss sich in die Hand. Es half alles nichts. Sein Körper würde ihn so lange foltern, bis er ihm das Rauschgift, das er forderte, gegeben hatte.

Hechelnd wie ein Tier kroch Pawlak über den Boden. Schweiß rann ihm über das Gesicht. Er presste die Augen fest zusammen. Als er sie wieder öffnete, sah er Beine.

Eine Halluzination. Beine. Männerbeine. Es musste sich um eine gottverfluchte Halluzination handeln. Niemand fand es mehr der Mühe wert, sich um Fred Pawlak zu kümmern. Die Zeiten waren vorbei. Schlotternd rollte sich der Maler auf den Rücken. Ungläubig betrachtete er das männliche Gesicht dort oben. Jetzt war er sicher, dass es sich um eine Halluzination handelte. Ja, jetzt schnappte er langsam über. Er sah Chris Grothe. Was für ein Irrsinn. Der saß im Knast seine sieben Jahre ab. ‚Mal sehen, wie weit der Wahnsinn schon geht‘, dachte Pawlak. Das Lächeln, das er versuchte, misslang kläglich.

„Hi, Chris“, krächzte er.

„Hi, Fred“, sagte die Halluzination. ‚Mensch‘, raunte es in Pawlak, ‚du bist ja noch verrückter, als du denkst. Er steht nicht nur da. Du kannst ihn nicht nur sehen. Du kannst ihn auch hören. Du kannst dich mit ihm unterhalten. Mit einem Trugbild. Ist das nicht meschugge?‘

„Wie geht‘s, Chris?“

„Mir geht es besser als dir.“

Pawlak kicherte. Der Spuk sagte obendrein auch noch die Wahrheit. Heiliger Strohsack, was für eine irrsinnig komische Situation war das doch. Da lag er auf dem Boden. Dort stand Chris Grothe, der gar nicht wirklich da war. Er konnte mit jemandem reden, der seit fünf Jahren im Kittchen saß. Ein Fall für die Klapsmühle. Ganz sicher.

Der Schüttelfrost ebbte etwas ab. Vermutlich trat er zugunsten des Wahnsinns zurück.

Pawlak kämpfte sich mühsam hoch. Er starrte Grothe, den er immer noch für eine raffinierte Täuschung seiner Sinne hielt, mit großen, glasigen Augen an. Die Zunge huschte schnell über seine spröden, trockenen Lippen.

„Verzeih, Chris. Hast du was dagegen, wenn ich dich anfasse?“, fragte er zaghaft.

„Hier meine Hand“, sagte Grothe schmunzelnd. Er streckte dem Maler die Hand entgegen.

‚Jetzt greifst du durch ihn hindurch!‘, sagte sich Pawlak. ‚Du wirst nach seiner Hand fassen, wirst zudrücken und wirst nichts in deiner Pfote haben. Nichts weiter als Luft‘. Blitzschnell griff er zu. Da war ein Widerstand. Eine weiche, warme Hand. Pawlak stieß einen verwirrten Schrei aus, riss sich von Grothe los und sprang zitternd zurück. „Chris!“, stöhnte er fassungslos. „Du bist es wirklich!“

Grothe lachte amüsiert. „Was dachtest du denn? Hast du geglaubt, ich wäre ein Geist?“

„Chris“, ächzte Pawlak. Er schlug die Hände vors Gesicht und murmelte dahinter: „Er ist es wirklich.“

„Ich hab‘ gehört, es geht dir nicht besonders.“

„Wenn ich sagen würde, es geht mir schlecht, wäre selbst das noch geprotzt“, erwiderte Pawlak leise. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Grothe musterte den Maler. Seine Augen lagen in dunkelgrauen Höhlen. Über den Jochbeinen spannte sich eine fahle Haut, die an den Wangen tief einsank. Er bestand nur noch aus Haut und Knochen, hatte kaum Muskeln, sein Hals war dürr und sehnig.

„Ich hab‘ dir was mitgebracht“, sagte Grothe. Er griff in die Innentaschen seines Jacketts und holte drei Heroinbriefchen hervor.

„Für mich?“, fragte Pawlak, als könne er es nicht glauben.

„Ich hab‘ das Zeug ja nicht nötig“, antwortete Grothe lächelnd.

„Oh, Chris. Chris, du bist ein Heiliger.“ Aufgeregt griff der Maler nach den Briefchen. „Bin gleich wieder hier!“, stieß er nervös hervor. Er rannte in die Küche, um sich den Schuss zu setzen. Als er wiederkam, war er wie ausgewechselt. Er wirkte ruhig, zufrieden, ausgeglichen. Seine Hände zitterten nicht mehr. Der tierhafte Ausdruck war nicht mehr in seinen dunklen Augen.

Während seiner Abwesenheit hatte sich Chris Grothe ein wenig in der Atelierwohnung umgesehen. Die Bude platzte fast aus den Nähten. Überall standen Bilder herum. Halbfertige. Fertige, die wie halbfertige aussahen. Schade um Farbe, Zeit und Leinwand. Die Farben harmonierten nicht miteinander. Sie führten einen erbitterten Kampf gegeneinander. Wenn man einem Orang-Utan einen Pinsel in die Hand gedrückt hätte, wären geschmackvollere Motive auf die Leinwand gebracht worden.

„Gefällt dir irgendwas davon?“, fragte Pawlak. „Kannst alles haben.“

„Wenn einer solche Sachen verbricht, sollte er aufhören“, sagte Grothe ernst. „Damit ist nichts mehr zu verdienen.“

Pawlak schaute mit gekräuselter Stirn auf seine Hände. „Wem sagst du das.“

„Warum suchst du dir keinen Job, der was einbringt?“

„Keiner will mich haben“, sagte Pawlak kleinlaut. „Denkst du, ich hab‘s noch nicht versucht?“

Grothe lächelte hintergründig. „Vielleicht will ich dich haben, Junge.“

„Du?“ Verständnislosigkeit in Pawlak‘ Blick. „Wieso du?“

„Setz dich. Ich habe mit dir zu reden.“ Sie nahmen auf der abgewetzten Samtcouch unter dem schrägen Fenster Platz.

„Seit wann bist du wieder draußen?‘, wollte Pawlak wissen.

„Seit ein paar Tagen.“

Der Maler lächelte verlegen. „Und schon willst du dich ins Unglück stürzen, indem du mir ‘nen Job anbietest? Wie hast du mich gefunden?“

„Ich war bei Yvonne.“

Pawlak‘ Miene verdüsterte sich. „Yvonne, die miese kleine Kröte. Es gibt nichts, wovon sie viel hält. Nur Sex interessiert sie. Morgens, mittags, abends. Und wenn‘s möglich ist, auch mal zwischendurch einen auf die Schnelle. Ich hab‘ das nicht durchgehalten. Schließlich hat mich der Stoff völlig geschafft. Da ist sie dann abgehauen, um sich anderswo zu holen, was sie so dringend nötig hatte.“

Grothe angelte die Zigarettenpackung aus der Tasche. Er gab dem Maler eine davon. Sie rauchten.

„Was hast du für mich?“, fragte Pawlak gespannt.

„Eine prima Sache.“

„Bringt sie was ein?“

Grothe grinste von Ohr zu Ohr. „Hör mal, hab‘ ich schon mal ein Ding gedreht, bei dem zu wenig heraussprang?“

„Nee.“

„Na also. Was soll dann die dämliche Frage.“ Grothe ließ den Zigarettenrauch durch die Nasenlöcher sickern.

Pawlak schüttelte den Kopf.

„Was ist?“, fragte Grothe.

„Es ist zwar verdammt nett, dass du an mich gedacht hast und mich in einen Coup mit hineinnehmen möchtest, aber ich kann bei der Sache nicht mitmachen.“

Grothe lachte. „Du weißt ja noch gar nicht, worum es geht, Junge.“

Pawlak wies auf den Boden, und zwar auf die Stelle, wo er vorhin gelegen hatte. „Du hast gesehen, was mit mir los ist. Ich würde dir die Tour vermasseln, Chris. Man kann sich auf mich nicht verlassen. Ich flippe ständig aus. Ich kann niemandem helfen, ich brauche selber Hilfe.“

Grothe wies mit der Glut seiner Zigarette auf Pawlak‘ Gesicht. „Ich will dich trotzdem haben, Fred.“

„Mensch, dann bist du bestimmt nicht mehr so intelligent, wie du mal warst. Was ist passiert? Haben sie dir im Knast zu oft auf die Birne gehauen?“

Grothe zog an seiner Zigarette und schmunzelte dann. Er ließ seinen Blick durch das Atelier schweifen und sagte: „Du malst die größte Scheiße, die ich je gesehen habe.“

„Ich kann nichts Anderes mehr.“

Grothe überhörte den Einwand und fuhr unbeirrt fort: „Du kannst zwar selbst nichts mehr, aber ich bin überzeugt davon, dass du immer noch ein – sagen wir – gutes Gemälde von einem weniger guten unterscheiden kannst. Und bei diesen Drucken... diesen Grafiken – da habe ich überhaupt keine Ahnung. Mal was davon gehört, dass sie möglichst nummeriert und vom Künstler signiert sein sollten – mehr weiß ich nicht.“

„Das schon, aber ...“

„Du bist ein Experte, Fred. Und ich brauche einen Experten.“

„Bilderraub?“

„Ja. Aber im großen Stil.“

Pawlak griente. „Mit Kleinigkeiten hast du dich ja noch nie abgegeben.“

Grothe drehte die Augen, zur Decke. „Diesmal ist mehr drin, Junge. Viel mehr.“

„Wie viel?“, fragte der Maler gespannt.

„Schätzungsweise Dreihunderttausend.“

Pawlak bekreuzigte sich. „Heilige Mutter Gottes. Hast du die Absicht, die staatliche Gemäldegalerie zu plündern?“

Grothe schüttelte den Kopf. „Ich mach‘ mir‘s einfacher. Ich vergreif‘ mich an den Bildern von Mark L. Schwartz. Da sind ein paar bekannte Namen drunter. Sogar ein Dali. Und Kokoschka. Und wie die anderen alle heißen.“

„Das klappt nicht“, entgegnete Pawlak.

„Wieso nicht?“

„Man wird die Kunstwerke genauso gut absichern wie die Goldbarren in Fort Knox.“

Grothe winkte gleichgültig ab. „Die Sicherheitsmaßnahmen auszutricksen, lass getrost meine Sorge sein. Dein Job ist es, mir zu sagen, welche Bilder den größten Wert haben.“

„Wer wird noch mitmachen?“, fragte Pawlak.

Grothe hob die Schultern. „Weiß ich noch nicht. Erfährst du früh genug. Vier. Das müsste reichen.“ Grothe lachte gepresst. „Damit dein Anteil nicht zu klein wird. Hab‘ ich dein Okay? Kann ich mit dir rechnen?“ Chris Grothe streckte dem Maler die Hand entgegen.

Pawlak lachte nervös. „In meiner Situation kann ich es mir gar nicht leisten, nein zu sagen.“ Er schlug ein.

Für Kunst kann wird auch gemordet Berlin 1968 Kriminalroman Band 29

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