Читать книгу Ferien Sommer Bibliothek Juni 2021: Alfred Bekker präsentiert 19 Romane und Kurzgeschichten großer Autoren - A. F. Morland - Страница 49

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Wir stehen am Monumento to Frederic Soler i Hubert. Es stellt einen Mann dar. Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt er da, den Blick hinauf gerichtet auf eine vielleicht bessere Zukunft, geht es mir durch den Kopf. Ihm gegenüber ist eine Drogerie-Filiale.

„Scheiße“, murmelt Sven und schlägt mir auf die Schulter. „Es ist auch unwahrscheinlich gewesen.“

„Lass uns wenigstens etwas rumfragen“, sage ich. Sven nickt. Wir gehen zum nächsten Restaurant.

Nach etwas Hin und Her schaffen wir es, deutlich zu machen, dass wir wissen wollen, was vor dem Drogeriemarkt dort war. Der Kellner verweist uns an seine Kollegin. Die Frau ist in ihren späten Dreißigern und wir wechseln zu Englisch. Das macht es erheblich leichter.

„Das Pelícano hat 2009, glaube ich, geschlossen“, erklärt sie. „Damals habe ich mich gut mit der Inhaberin verstanden. Sie war manchmal auch hier. Drüben gab’s nur Kleinigkeiten, keine Hauptgerichte.“

„Meinen Sie Frau Jaak?“, frage ich.

Sie nickt. „Ja, sie ist damals gestorben und wer auch immer dann alles bekommen hat, wollte es nicht. Es wurde aufgelöst.“

„Da war ein Klavier. Es ist ein Familienerbstück und wir wissen, dass es in der Bar stand“, versuche ich es. „Wissen Sie etwas darüber?“

„Ich weiß, dass da ein Klavier war“, nickt sie. „An lauen Sommerabenden hörte man es auf der Las Ramblas. Sie hat immer Studenten daran spielen gelassen. Sie durften improvisieren und bekamen auch noch etwas Geld dafür.“

„Wissen Sie, was aus dem Klavier wurde?“

„Nein, tut mir leid“, sagt sie. Dann hält sie inne. Ein Ruck geht durch ihren Körper. „Ich glaube, Johnny hat’s bekommen. Ja. Er hat es den ganzen Weg in den Park Güell gefahren, aufgeschnallt auf ein Brett, eines mit Rollen daran. Keine Ahnung, was daraus wurde. Ich war seit ... ja, seit drei Jahren nicht mehr im Park bei ihm.“

„Johnny?“, hakt Sven nach.

Sie nickt. „Ja ... Johnny Brooks? Ich weiß nicht genau, der Alte Johnny. Er sitzt oft auf der Las Ramblas und spielt Gitarre. Oft sitzt er auch nahe dem Park Güell und spielt. Man kann ihn auch buchen, er spielt gut. Ich glaube, er lebt illegal hier. Kommt, glaube ich, aus den USA.“

Sie beschreibt uns den Weg zum Park und wo er normalerweise sitzt. Bald darauf sitzen wir im Bus und fahren zum Park.

Der Park Güell ist eine größere Parkanlage. Nur ein kleiner Teil ist abgetrennt und berühmt für seine Bauten, die Gaudí entwarf. Eigentlich hätte ein Wohngebiet daraus werden sollen, doch mehr als das, was heute steht und Park wurde, ist nie realisiert worden.

Kleine Gruppen von Menschen flanieren im Park, während die Sonne brennt und es langsam immer wärmer wird.

Wir hören eine Gitarre und eine Männerstimme. Sie singt laut und fröhlich. Die Stimme klingt, als hätte ihr Besitzer sein Leben lang mehr Whisky als Wasser getrunken, sie ist rauchig und doch sanft.

Er singt davon, dass es ihm gut geht, weil er auf dem Dach der Welt sitze und nichts ihm etwas anhaben könne.

Als wir ihm näher kommen und von dem Hügel hinab auf die Stadt sehen können, verstehe ich genau, was er meint.

Die Sonne bescheint Barcelona, das sich zu unseren Füßen ergießt, das Meer funkelt blau bis zum Horizont und eine sanfte Brise weht uns entgegen.

Ich stimme jeder Textzeile zu. Hier sitzt man auf dem Dach der Welt und alles scheint gut.

Der Mann, den wir suchen, sitzt unter einem Baum. Er ist dick mit einem langen Bart, in dem die ersten deutlichen grauen Spuren zu erkennen sind. Er hat keine Haare mehr, dafür ein Piratentuch umgebunden.

Seine Sonnenbrille verbirgt die freundlichen Augen nicht und sein Shirt ist ausgeblichen, die Jeans löchrig. Doch wie er singt, mit dem Blick nicht zu den Menschen, die vorbeigehen und Geld in seinen Gitarrenkoffer werfen, sondern hinab auf die Stadt, wirkt er so selbstvergessen, wie es Menschen nur selten sind.

„Zu leben wissen nur wenige“, sagt Sven neben mir, als könnte er meine Gedanken zu dem Mann hören. „Die meisten Menschen existieren nur.“

„Importance of Being Earnest?“, frage ich ihn. Er zuckt die Schultern.

„Kann sein, irgendwas von Oscar Wilde, glaube ich. Englischunterricht auf jeden Fall“, sagt er und zwinkert. „Das scheint unser Mann zu sein.“

„Ich denke, ja.“

„Johnny Brooks?“, frage ich, als wir ihm näher kommen.

Er hört auf zu singen, spielt aber weiter. Seine Finger flitzen über die Gitarre, improvisieren ein wenig und finden dann wieder zurück zur Melodie.

„Jeah“, sagt er und wippt mit dem Kopf zur Melodie. „Was kann ich für euch tun?“

Er spricht mit einem breiten englischen Akzent Spanisch. Vielleicht ist er wirklich Amerikaner. Ich kann es nur mit dem Akzent nicht sagen.

Ich erkläre ihm in der Kurzfassung, dass wir das Klavier aus dem Pelícano suchen und wie wir hier bei ihm gelandet sind. Er hört sich das alles an und legt schließlich seine Gitarre zur Seite.

„Aber wofür braucht ihr es?“

„Es ist ein Familienerbstück“, erklärt Sven. Er nickt.

„Darum war da dieses Wappen drauf, oder?“

„Ja, genau. Was ist daraus geworden?“

„Na ja, Xandra Jaak mochte mich und sie mochte, wie ich Klavier spiele. Ich hab’s bekommen, als der Pelikan aufgelöst wurde. Aber seht mich an, was soll ich mit einem Klavier? Ich hab’s hierher gebracht. Hier wohne ich im Sommer“, erklärt er und macht eine umfassende Geste. „Im Winter lebe ich in einem anderen Ort, sobald es wirklich kalt wird. Vielleicht noch ein paar Tage bleib ich hier ... Aber im Sommer ist es schön warm hier, man kann gut im Park leben. Na ja, da war es ganz nützlich. Aber eine Gitarre ist am Ende doch eher meins. Da ist man mehr und einfacher mobil, wisst ihr?“

Ich sehe ihn erwartungsvoll an. Wie schon als wir nach Barcelona gefahren sind, habe ich das Gefühl, das Klavier ist zum Greifen nahe und doch könnte es mir sofort wieder aus den Händen gleiten.

„Das habe ich verkauft“, sagt er und ich habe das Gefühl, dass mein Magen sich zusammenkrallt, als würde eine eisige Hand ihn greifen. Das darf doch nicht wahr sein!

„An wen?“, fragt Sven.

Johnny wirft einen Blick in den Gitarrenkoffer, in dem einige Euromünzen liegen, vielleicht insgesamt zwanzig Euro.

„Ich würd’s euch zeigen“, sagt er. „Aber ich habe heute noch nicht genug zusammenbekommen.“

Ich lache wegen dieses deutlichen Hinweises und werfe zwei Zwanziger in den Koffer. „Haben wir eine Abmachung?“

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